Genürsel 2013 – 50/52 – Teddybär

Genürsel 2013 - 50/52 - Teddybär

Bei “Teddybär” denke ich zuallererst an Johnny Hill, genauer an dessen Lied “Teddybär 1,4”. Darin wird ein LKW-Fahrer plötzlich von einem Jungen angefunkt, der im Rollstuhl sitzt und seinen Vater verloren hat. Johnny Hill ist nun wirklich kein Kerl, dessen Musik meinen Geschmack trifft. Nicht mein Genre, sage ich in solchen Situationen immer. Aber ganz ehrlich? “Teddybär 1,4”? Wenn man zuhört und das Lied an sich rankommen lässt, anstatt ihm ignorant den Mittelfinger zu zeigen, dann kann sich schon mal ein Kloß im eigenen Hals einnisten. Zumindest bei mir. Leider kein Klos. Stefan Klos hielt ich damals für einen unglaublich guten Torwart, der mich dazu gebracht hat, mir nach und nach eine vollständige Torwartklamottenausrüstung zu- und anzulegen und mich im Schulsport bei Fußballspielen immer ins Tor zu stellen. Einen Torwart im Hals zu haben klingt ziemlich gut, wenn man abnehmen will. “Hast du keinen Hunger?” “Doch, aber mein Klos im Hals ist heute in Bestform und lässt nichts durch.” Das wäre schon was. Wenigstens hätte man so bei Tisch immer etwas zu erzählen. Auf jeden Fall Spannenderes als meine emotionale Kloßgeschichte da oben.

Aber ich kann noch emotionaler! Vor ein paar Tagen war ich krank. Erkältung. Eigentlich eine ziemlich mickrige Krankheit, wenn man sich unter den Kranken der Welt so umhört. Aber trotzdem fühlt man sich als Betroffener ziemlich schlecht und will, dass alle, die einen in diesem Zustand sehen, betroffen gucken. So legte ich mich eines Abends jammernd in mein Bett und fühlte mich elend. Richtig elend. Mein Kopf war dicker als ein Dicker und schwerer als ein Schwerer. Ich war schlapp wie ein Waschlappen ohne Wa und en und mieser drauf als meine Wortspiele. Was tat ich? Ich griff zum neben mir im Bett liegenden Stofftier, nahm es ganz fest in die Arme und schlief so ein. Ja, ein 29 Jahre alter Typ schläft mit Stofftier im Arm ein, weil er krank ist. Das dürfte mein mühselig aufgebautes hartes Image nun ziemlich ins Wanken bringen. Ärgerlich. All die Arbeit ist dahin. Ach nein, Moment! Ich habe mir ja gar kein hartes Image aufgebaut. Ungewöhnlich. Schließlich bin ich im Internet unterwegs.

Im Internet spielt man am besten immer die härteste Sau der Welt und redet von oben herab mit anderen oder auf diese ein. Beispiele kann ich hier unzählige nennen. Da gibt es diesen Film, den viele gesehen und für total traurig erklärt haben. Ich gucke ihn und halte ihn nicht für traurig. Darum bezeichne ich alle Emotionenzeiger im Internet als blinde, emotionale Heulsusen. Mit mir reden lasse ich von nun an nicht mehr. Ich mache viel lieber den Film schlecht. Weil ich ja der einzige bin, der erkennt, wie schlecht dieser ist. Alle anderen sind blind und blöd und der Film ist überbewertet und überhaupt. Dass menschliche Emotionen nicht immer einem allgemeinen Muster folgen? Unwichtig. Dass man nicht und niemals der einzige in irgendetwas ist? Unwichtig. Man ist schließlich gerade derjenige, der den Durchblick hat. Das muss durch die Welt posaunt werden. Auch, wenn man selbst vermutlich keine zehn Minuten lang einem Posaunenkonzert zuhören könnte.

Anderes Beispiel: Da zieht ein Internetseitenbetreiber sein Ding durch, ich mag diese Seite aber nicht und lasse deswegen einen dummen Spruch in seine Richtung los. Das gefällt dem Seitenbesitzer wiederum nicht und dieser kontert. Nicht freundlich. Weil man selbst ja auch nicht freundlich war. Plötzlich beginnt ein Kleinkrieg, in dem der Initiator (also ich) behauptet, der Beste und überlegen zu sein und es nicht nötig zu haben, sich auf irgendwelche Diskussionen einlassen zu müssen. Ja, einen Spruch drücken ist immer leicht. Tagelang betonen, wie super man ist? Auch. Dann eskaliert das Ganze. Es bilden sich Gruppen. Man selbst wird von mehreren Seiten kritisiert. Plötzlich wächst einem die Sache über den Kopf. Was tun? Eine Friedenspfeife anzünden und den schlichtenden Superfreund mimen. Weil man ja seinen eigenen Fehler einsieht aber selbstverständlich beide Fronten Fehler gemacht haben. Auf einmal würde man jederzeit mit dem zuvor angefeindeten zusammen ein Bierchen trinken gehen.

Wer diese ganze Geschichte gerade nicht nachvollziehen kann, darf sich glücklich schätzen. Glaubt mir: Das passiert wirklich. Klingt wie Kindergartenstreitigkeiten, geschieht aber unter Erwachsenen im Internet. Soziale Netzwerke mögen Vorteile haben, leider sollte man sich auch stets die Nachteile ins Gedächtnis rufen. Und vor dem Ablästern vielleicht noch einmal eine Minute innehalten und nachdenken. Ach was. Was rede ich denn da? Nachdenken? Und das auch noch eine Minute lang? Wer soll sich das denn bitte leisten? Außerdem muss man Spontaneität beweisen. Spontan, sarkastisch, klug und bewundernswert. So würde man im Internet am liebsten von allen Anwesenden gesehen werden. Auch, wenn man in echt gar nicht so ist.

Hin und wieder weisen die Beteiligten eines zuvor beschriebenen Schlagabtauschs darauf hin, dass man sich online ja ein gewisses Alterego erschaffen hat. Ein hartes Wesen. Man selbst ist selbstverständlich in der Realität nicht so. Warum man dieses Alterego erschaffen hat? Die hier zu hörenden Erklärungen habe ich leider noch nie nachvollziehen können und es ist mir daher nicht möglich, sie hier wiederzugeben. Schade. Ich würde mich gerne über sie lustig machen. Aber wie soll man sich über etwas lustig machen, was man nicht versteht? Nur so viel: Wer den harten Typen mimt, muss damit rechnen, Härte zurückzubekommen. Wer damit nicht umgehen kann, der sollte vielleicht über seinen Onlineauftritt nachdenken.

Mir geht das alles wirklich unglaublich auf die Nerven. Jeder hält sich selbst für den Besten. Ich kann es nicht mehr hören. Das schreibt übrigens gerade jemand, der Hip Hop hört und Samy Deluxes “Der Beste” für ein unglaublich gutes Ding hält. Ich würde fast schon sagen, dass ich es feier, unterlasse dies jedoch, weil meine Frau es nicht ausstehen kann, wenn jemand etwas “feiert”. Ich kann diese Abneigung zwar nachvollziehen, aber ob man deswegen gleich den eigenen Ehemann verhauen muss? Ich weiß ja nicht.

Niemand ist der Beste. Wer behauptet, anderen überlegen zu sein, wird von mir ausgelacht. Ich rede jetzt selbstverständlich nicht von Dingen wie “Ich kann besser Posaune spielen als du!”. Ich weiß, dass man in bestimmten Dingen besser sein kann als andere. Aber sich etwas darauf einbilden? Sich überlegen fühlen? Andere schlecht machen, weil man sich selbst gut fühlen will? Nein, danke, ohne mich. Ich kann das nicht ausstehen. Und ich kann es noch viel weniger ausstehen, wenn ich selbst einmal in diese Richtung abdrifte. Dann merke ich, dass ich gerade angeberisch rüberkomme und hasse mich dafür. Weil ich genau weiß, dass Angeber nirgendwo gut ankommen. Entweder schlage ich mir in diesen Momenten selbst an den Kopf oder ich erzähle meiner Frau, wie sehr ich Hip Hop und Wrestling feier. Bevor ich diesem unausstehlichen Angeberniveau weitere Zeilen voller Aufmerksamkeit schenke, erzähle ich lieber weiter über mein Stofftiergekuschel. Meiner Meinung nach lebt es sich mit einer gewissen positiven Grundeinstellung deutlich besser.

Nein, ich rede nicht von blindem Optimismus. Auch ich treffe hin und wieder auf Dinge, die ich kritisieren will. Aber muss das von oben herab geschehen? Hilft “Haha, ihr seid alle blöd und ich bin schlau, weil ich dies erkenne.” wirklich weiter? Nein, tut es nicht. Wisst ihr, was mir so gut wie immer weiterhilft? Mein Lieblingsteddybär Buntteddy. Buntteddy ist ein Stoffbär, den ich seit meiner Geburt besitze. Er ist immer für mich da, wenn ich ihn brauche. Und das finde ich toll.

Genürsel 2013 - 50/52 - Teddybär

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