Genürsel 2013 – 26/52 – Science-Fiction

Genürsel 2013 - 26/52 - Science-Fiction

Das Einzige, das den sternenklaren Nachthimmel ein wenig verdeckte, war der aus seiner Zigarette wabernde Rauch. Michael sah sich um. Natürlich handelte es sich hier nicht um einen Nachthimmel im klassischen Sinne. Michael stand gerade mitten im Weltraum. Dennoch erinnerte ihn der Anblick an das, was man auf der Erde eine klare Nacht nennen würde. Wann Michael das letzte Mal auf der Erde gewesen war, wusste er nicht mehr. Es war ihm aber auch egal. Er war Mechaniker, kein Melancholiker. An Heimweh hatte er kein Interesse. Vor allem nicht während der Mittagspause.

Michael konnte sich in diesem Moment deutlich angenehmere Orte für eine Mittagspause vorstellen als diesen. Wie gesagt: Er stand mitten im Weltraum. Mit Hilfe seiner Magnetstiefel klebte er an der Unterseite des Raumschiffs, dessen Hülle er reparieren sollte. Da er kopfüber im Raum hing, strömte ihm das Blut in den Schädel und versuchte angestrengt, ihn mit Kopfschmerzen von der Arbeit abzuhalten. Aber Michael ließ das nicht zu. Er hatte Mittagspause und genoss seine Zigarette.

Das Rauchen war im Weltraum eigentlich verboten, doch Michael hatte Besseres zu tun, als sich seine Mittagspause vermiesen zu lassen. Wieder öffnete er seinen Helm, um an der Zigarette zu ziehen. Der Tabak glühte auf und knisterte, während Michael den in seine Lungen strömenden Rauch genoss. Reiner Rauch. Kein Sauerstoff. Der Traum eines jeden Rauchers.

Man hatte das Rauchen im Weltall aus mehreren Gründen verbieten wollen. Zunächst wäre da der soeben angesprochene Rauch an sich. Schon auf der Erde ist Zigarettenrauch ziemlich ungesund. Was vollkommen von Sauerstoff befreiter Rauch mit seiner Lunge anrichten würde, konnte Michael nur erahnen. Es war keine schöne Vorstellung. Dafür war die Mittagspause ansonsten ziemlich schön. Michael genoss die Ruhe und grinste. Jedem Menschen sein Suchtmittel.

Der andere Grund für das Rauchverbot hing ebenfalls mit dem Sauerstoffmangel im Weltraum zusammen. Die Raucher mussten ihre Helme öffnen, um an der Zigarette ziehen zu können. Durch den fehlenden Sauerstoff fiel das Atmen schwer und man musste die Luft beim Inhalieren des Rauches anhalten, um nicht zu viel des gefährlichen Vakuums einzuatmen. Michael musste lachen, als er seinen Helm wieder schloss. Was war wohl gefährlicher? Die Rauch- oder die Vakuumvergiftung.

Während er noch ein wenig über all das nachdachte, hatte er den Filter der Zigarette erreicht. Er schnippte den nur noch leicht glühenden Rest einfach von sich weg. Dem Weltraum tat dieser im Vergleich mikroskopisch kleine Müllfetzen nicht weh und der nächste Aschenbecher befand sich an Bord des Schiffes. Diesen zu erreichen, ohne von einem Vorgesetzten entdeckt zu werden, wollte Michael nicht riskieren. Er hatte bereits letzte Woche Ärger wegen seiner Raucherei bekommen. Nachdem er noch einen kurzen Moment die Aussicht genossen hatte, schüttelte er den Kopf, um das darin herumtollende Blut ein wenig zu verteilen, und machte sich wieder an die Arbeit. Das Leck in der Hülle musste geschlossen werden.

Die Arbeiten dauerten etwa zwei Stunden an. Als sich Michael zurück zur Raumschiffsluke begab, war er müde. Die Arbeit an sich war nicht weiter anstrengend gewesen. Hier und da ein bisschen Schweißen war nicht schlimm. Aber die Lauferei machte ihn fertig. Immer wieder hatte er zurück an die Schiffsoberseite gehen müssen, um nicht ohnmächtig zu werden und sein Blut aus dem Kopf zu bekommen. Jedes Mal hatte er währenddessen spüren können, wie die rote Flüssigkeit seinen Kopf verließ und nach einiger Zeit seine Füße begrüßte. Es fühlte sich an, wie ein Schluck kalter Orangensaft im Sommer. Oder eher wie ein Schluck heißer Tee im Winter. Der Weltraum war trotz einer extra für die Außenarbeiter aufgestellten Elektroheizung alles andere als warm. Vor allem, wenn man hin und wieder den Helm öffnete, um zu rauchen.

Michael betrat das Raumschiff, streifte den Raumanzug ab, nickte der ihm dabei helfenden Kollegin zu und unterstützte sie wiederum dabei, ihren eigenen Anzug anzuziehen. Schichtwechsel. Michael ging nach dem Umziehen schnurstracks in den Aufenthaltsbereich des Schiffes. Hier gab es nicht nur einen Haufen Erfrischungsgetränke, sondern auch Aschenbecher und kein Rauchverbot. Er setzte sich an einen freien Tisch, zündete sich eine Zigarette an und wartete auf die Bedienung. Währenddessen sah er sich um. Der Raum war gut gefüllt. Es gab nur wenige freie Plätze und überall saßen Menschen und unterhielten sich miteinander. Michael gehörte zu den wenigen Einzelgängern an Bord. Er fühlte sich am wohlsten, wenn man ihn in Ruhe ließ. Die meisten Anwesenden wussten das. Man nickte sich hin und wieder zu, um sich zu begrüßen, wandte sich dann aber auch schnell wieder voneinander ab.

Bei der Bedienung handelte es sich um einen jungen Mann, dessen Namen sich Michael einfach nicht merken konnte. “Wie immer?”, fragte er und Michael nickte nur. Die Bedienung verschwand so schnell wie sie gekommen war und Michael begann zu warten. Er sah aus dem Fenster und beobachtete die Sterne. Als er den auf das Raumschiff zufliegenden Gesteinsbrocken erkannte, war es bereits zu spät. Er traf das Schiff mit solcher Wucht, dass die Außenwand in Stücke gerissen wurde. Michael und die anderen Anwesenden wurden durch den Aufenthaltsraum geschleudert.

Als das Raumschiff sich nach wenigen Sekunden von dem Einschlag erholt und das Rotieren eingestellt hatte, flog es mit der Unterseite nach oben durch das Weltall. Michael lag auf dem Rücken auf dem Boden, der eigentlich die Decke war. Langsam stand er auf und sah sich um. Die meisten Leute hatten das Bewusstsein verloren. Manche waren tot. Er hatte Glück gehabt. Als Michael zu der Stelle sah, an der der Einschlag stattgefunden hatte, wurde ihm schlecht. Das war kein Stein. Überall lagen Zigarettenstummel herum. Es sah so aus, als wäre das Schiff von einem Ball aus Zigarettenstummeln getroffen worden. Ein paar von ihnen glühten sogar noch und verteilten ihren Rauch im Raum.

Bevor Michael weitere Fragen stellen konnte, hörte er ein Zischen. Er kannte das Geräusch. Man hatte die Türen des Aufenthaltsraums versiegelt. Michael sah zurück zum Loch in der Wand und sah, wie das Vakuum in den Raum eindrang. Langsam überdeckte es den Sauerstoff und das Atmen fiel immer schwerer. Als Michael keine Luft mehr bekam, verlor er das Bewusstsein. Sein letzter Atemzug war gefüllt mit Zigarettenrauch. Michaels letzter Gedanke lautete: “Eigentlich ein schöner Tod.”

Als der Regisseurgott laut “Cut!” rief, war er sich nicht mehr sicher, ob es sich hier um ein angemessenes Ende für einen Zigaretten- oder doch eher für einen Nichtraucher-Werbespot handelte. Schnell erschuf er ein neues Universum, um ein paar Alternativszenen zu drehen.

Genürsel 2013 - 26/52 - Science-Fiction

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert