Dies war nun der dritte Tag, an dem ihm sein Sohn einen Vogel zeigte. Markus hatte genug. Natürlich gab es schlimmere Beleidigungen, als jemandem einen Vogel zu zeigen, aber dreimal hintereinander? Nein. So nicht. Nicht mit ihm. Er was nicht umsonst der gefürchtetste Magier seiner Generation.
Wütend hielt er seinen Sohn an den Ohren fest. Der Junge begann zu weinen, wollte sich losreißen und ließ dabei den toten Vogel auf den Boden fallen. Als er auf den Steinen aufschlug, erklang ein Geräusch, das Markus an einen nassen Waschlappen erinnerte. Er ließ seinen Sohn los und schaute ihn böse an.
“Warum tust du das, Kleiner?”
Der Sohn sah zu seinem Vater auf. Er antwortete nicht, obwohl er es mit seinen fünfzehn Jahren problemlos hätte tun können.
“Rede! Warum zeigst du mir immer wieder diesen verdammten Vogel?”
Wieder gab es keine Antwort und Markus versuchte, sich zu beherrschen. Es kniete sich hin und sah seinem Sohn in die Augen. Furcht schlug ihm entgegen. Markus grinste. Immerhin. Dann sah er zum Vogel hinunter. Regungslos lag dieser auf dem Boden. Um ihn herum krochen Maden über den Boden und wussten nicht genau, was sie tun sollten. Der Aufprall hatte sie aus dem Vogelkörper geschleudert und sie fühlten sich wie jemand, der einen fehlgeschlagenen Fallschirmsprung überlebt hatte.
Markus hob den Vogel auf und hielt ihn sich nur wenige Zentimeter vor das Gesicht. Ein ekelerregender Geruch traf seine Nase, doch er sog ihn genüsslich auf. Er war ein böser Magier und böse Magier liebten ekelerregende Gerüche. Das stand zu zumindest im Fachmagazin der bösen Magier. Kurz erinnerte sich Markus an den Tag, an dem ihm der Postbote die falsche Zeitschrift – das Fachmagazin der netten Magier – zugestellt und er dies erst nach einigen Stunden bemerkt hatte. Dies war der Tag, an dem er seinen Sohn gezeugt hatte. Diesen verdammten Jungen. Das ist also das Resultat von Liebe. Nie wieder wollte sich Markus auf so etwas einlassen. Nie wieder.
In diesem Moment sprach sein Sohn mit ihm. “Tu meinem Vogel bitte nicht weh.”
“Wie bitte?” Markus schrie förmlich. “Ich soll deinem Vogel nicht weh tun? Siehst du denn nicht, dass er tot ist?” Sein Sohn antwortete nicht. Stattdessen begann er zu weinen. “Hör auf damit, Kleiner! Ein böser Magier zeigt keine Emotionen! Er hat nicht einmal welche, die er zeigen könnte, wenn er denn wollte!” “Aber ich bin kein böser Magier!” Markus hatte genug.
“Du willst nicht, dass ich deinem Vogel etwas tue? Dann sieh her!” Er hielt den Kadaver in der rechten Hand, schloss seine Finger zu einer Faust und drückte den Körper so fest er nur konnte zusammen. Er hörte kleine Knochen knacken und eine schleimige Flüssigkeit tropfte auf den Boden. Sein Sohn weinte und schrie: “Nein! Mama!”
Markus stoppte. “Was hast du gesagt?” Sein Sohn verstummte sofort wieder. “Was hast du getan, du kleiner Idiot?” Noch immer keine Antwort. Markus erhöhte den Druck auf den Vogel. Weiteres Knacken war zu hören. Markus war überrascht, wie viel Flüssigkeit in dem kleinen Körper steckte. Das Tropfen hörte einfach nicht auf. Er warf den zerdrückten Körper aus dem Fenster, das sich hinter ihm befand. Seine Finger putzte er sich an seiner Robe ab. Er steckte sich die Fingerspitzen in den Mund, um die letzten Blutreste genüsslich zu konsumieren. Es liebte totes Blut. Es schmeckte nach frisch gepresster Rheinischer Schinkenwurst. Nun hielt es der Junge nicht mehr aus.
“Ich habe meine Mutter wiederbeleben wollen. In einem deiner Bücher fand ich eine Formel, mit der man verstorbene wieder lebendig machen kann. Ich habe sie mehrere Wochen lang heimlich studiert. Ich habe sie auswendiggelernt. Ich habe alles ganz genau studiert. Ich wusste, was ich sagen musste und wie ich es sagen musste. Vor drei Tagen fühlte ich mich dann bereit, die Formel aufzusagen. Ich sprach sie, musste jedoch plötzlich niesen. So geschah es, dass ich meine Mutter zwar wiederbelebte, sie jedoch in einem Vogelkörper zurück auf diese Welt kam. Ich reagierte nicht schnell genug und sie erhob sich in die Luft, noch bevor ich sie packen konnte. Sie flog panisch im Zimmer auf und ab und wusste nicht, was los war. Ich wollte sie einfangen und sprach einen einfachen Netzzauber, vertauschte jedoch das “a” mit dem “o” und sprach stattdessen einen schweren Ambosszauber. Der Amboss traf Mama zwar nicht, aber sie flog dagegen, wurde bewusstlos und fiel zu Boden. Dann traf sie der Amboss. Er zerquetschte sie. Ich ließ den Amboss verschwinden und sprach schnell einen Luftzauber, um ihren platten Körper wieder aufzupumpen. Ich hatte leider vergessen, wie man den Luftzauber stoppte und so pumpte ich Mama auf, bis sie platze. Ich sprach einen Rückgängigzauber, machte damit aber den Bartwuchs rückgängig, den ich mir ein paar Tage zuvor selbst verpasst hatte. Da ich genug von Magie und Bärten hatte, sammelte ich einfach Mamas Überreste auf und klebte sie zusammen. Die Knochen ersetzte ich durch Zahnstocher. Statt Blut pumpte ich Schlangengift in ihren Körper. Das Gift, von dem du mir einmal erzählt hattest, dass es selbst dich töten würde. Mein Entschluss stand fest: Dir so lange den Vogel zeigen, bis zu ausrasten und ihn zerdrücken würdest. Du bist so leicht zu durchschauen, alter Mann. Und dein Fingergelecke habe ich nie leiden können. Liebe Grüße von Mama.”
Markus wollte lachen, konnte es aber nicht, weil er bereits seit mehreren Minuten tot war. Sein Sohn hätte sich das ganze Gerede eigentlich sparen können, doch er hatte es tagelang einstudiert und diese Arbeit nicht ungenutzt verfallen lassen wollen.