Genürsel 2014 – 12/52 – Hip Hop

Genürsel 2014 - 12/52 - Hip Hop

Moderator: Herzlich willkommen zu unserer heutigen Ausgabe meiner Sendung, deren Namen ich Ihnen an dieser Stelle ganz bestimmt nicht mehr nennen muss. Es ist mir eine Ehre, Sie alle auch heute wieder begrüßen zu dürfen. Das Thema der heutigen Ausgabe haben Sie entweder bereits der Fernsehzeitschrift beziehungsweise dem Internet entnommen oder anderweitig in Erfahrung bringen können. Aus diesem Grund stelle ich Ihnen sogleich unseren Gast vor: Herrn Nürsel.

Nürsel: Guten Tag.

Moderator: Guten Tag. Wie war die Anreise?

Nürsel: Uninteressant.

Moderator: Ich will nur höflich sein.

Nürsel: Das weiß ich doch.

Moderator: Stellen Sie sich kurz vor.

Nürsel: Ich bin Herr Nürsel. Schriftsteller, Texter und Lektor.

Moderator: So kurz nun auch wieder nicht. Sagen Sie doch etwas mehr über sich, damit sich unsere Zuschauer ihren Teil denken können.

Nürsel: Was möchten Sie denn wissen? Ich bin nicht der Typ, der einfach so Zeug von sich preisgibt.

Moderator: Das ist für eine Fernsehsendung, in der es um Sie geht, nicht gerade von Vorteil.

Nürsel: Für Sie bestimmt nicht.

Moderator: Hören Sie gerne Musik?

Nürsel: Wenn es Musik ist, die ich mag, ja.

Moderator: Was für Musik hören Sie denn gerne?

Nürsel: Wollen Sie das wirklich wissen?

Moderator: Warum nicht?

Nürsel: Weil ich jetzt schon weiß, wie das enden wird.

Moderator: Wie denn?

Nürsel: Voller Wut und Frustration.

Moderator: So ein Quatsch. Das kann ich mir nur schwer vorstellen. Schießen Sie los!

Nürsel: Wie Sie wünschen. Ich höre gerne Hip Hop.

Moderator: Yeah! Isch ficke deine Mudda! Jo jo jo!

Nürsel: Ich möchte die Sendung dann jetzt bitte verlassen.

Moderator: Was? Warum?

Nürsel: Immer, wenn ich jemandem erzähle, dass ich Hip Hop mag, ernte ich die gleiche Reaktion. Ein Vollidiot oder eine Vollidiotin redet vom Geschlechtsverkehr mit meiner Mutter, verlernt die Aussprache des “ch”s, verbiegt sich die Finger und wedelt wirr mit seinen Händen vor seinem oder ihrem Gesicht herum. Ich ertrage es nicht mehr. Ich will das nicht mehr hören. Ich weiß, dass es da draußen Angehörige der Musikrichtung Hip Hop gibt, auf die das zuvor imitierte Verhalten passt, aber das heißt doch nicht, dass alle gleich sind.

Nein, ich höre keine Musik, in der Menschen ernsthaft darüber reden, Frauen zu vergewaltigen, mit Müttern zu schlafen, Frauen auf Sex reduzieren, Sex als Wettkampf ansehen, sich harte Drogen in alle verfügbaren Körperöffnungen stopfen, sich als die größten Mörderkönige aller Zeiten profilieren, Gewalt feiern, ein absurdes Verständnis von Ehre haben und Partys der Bildung vorziehen. Ich finde diese Form der Musik abartig. Und ich finde es schlimm, dass die Musikrichtung, die ich über alles liebe, auf diese Menschen reduziert wird. Hip Hop ist eine so schöne, bunte, unterhaltsame, anspruchsvolle und gute Musikrichtung, in der es unglaublich viel Schönes zu entdecken gibt.

Wenn ich beim Schreiben nicht weiterkomme, höre ich Hip Hop. Bestimmte Texte regen mich zum Schreiben an. Sie inspirieren mich. Sie motivieren mich dazu, mit Wörtern zu spielen. Wenn ich dann schreibe, höre ich Beats. Ich nicke mit dem Kopf und schreibe, als würde ich gerade einen Freestyle hinlegen. Bevor ich Videos aufnehme, in denen ich viel reden muss, verziehe ich mich ein paar Minuten lang auf die Toilette und rappe dort leise vor mich hin. Es gibt ein paar Lieder, die den Staudamm in meinem Mund einreißen und so dem Redefluss freien Lauf gewähren. Wenn ich mies drauf bin, habe ich genau die richtigen Texte, die mich wieder aufbauen. Indem sie mich zum Lachen bringen oder zum Weitermachen motivieren. Hip Hop ist nicht das Wichtigste in meinem Leben, aber er spielt eine sehr große Rolle darin.

Und immer, wenn ich Leuten davon erzählen will, macht man sich über mich lustig. Weil es da draußen einen lauten Sumpf aus Abschaum gibt, der Hip Hop in den Dreck zieht. Aber soll ich Ihnen was sagen? Ich will diesen Abschaum gar nicht verbieten. Soll er doch existieren. Jede Musikrichtung hat ihren Abschaum. Man darf sie nur nicht auf diesen reduzieren. Leider habe ich das Gefühl, dass es für diese Einstellung beim Hip Hop mittlerweile zu spät ist. Der Abschaum ist zu groß und zu erfolgreich geworden und die, die Hip Hop nutzen, um sich zu entfalten und andere damit zu unterhalten, scheinen gegen eine unüberwindbare Wand aus Geschrei anzureden.

Moderator: Sie hören also anspruchsvollen Hip Hop?

Nürsel: Ich wusste, dass Sie das sagen würden. Anspruchsvoller Hip Hop. Das ist wieder so eine hohle Phrase, die mir zum Hals heraus hängt. Nein, ich höre keinen anspruchsvollen Hip Hop. Ich höre Hip Hop. Nicht jedes Lied ist anspruchsvoll. Das wäre doch langweilig. Hip Hop kann einen auch einfach unterhalten, indem er einem unfassbare Wortspiele und Reime vorsetzt. Hip Hop kann auch Spaß machen, indem er einen mit bescheuerten Geschichten konfrontiert. Er kann aber auch nachdenklich machen. Hip Hop kann alles, was auch andere Musikrichtungen können. Aber der Abschaum hat ihn für sich beansprucht und die dumme Masse glaubt ihm das.

Ich mag Battle-Rap. Wenn sich zwei Rapper gegenseitig mit guten Texten in Grund und Boden stampfen, dann ist es der Zuhörer, der davon profitiert. Zumindest, wenn wir hier wirklich von guten Texten reden. Das ist nämlich eine Sache, die die zuvor angesprochenen Vollidioten hier gerne mal vergessen: Hip Hop lebt von guten Texten. Das, was die breite Gewaltmasse konsumiert, spielt textlich meistens in den hinteren Ligen. Wenn man das überhaupt eine Liga nennen kann. Wohl eher einen Bolzplatz. Nein. Wartet. Lasst den Typen ruhig ihre großen Ligen. Eigentlich mag ich Bolzplätze. Da kann man sich gehen lassen und macht das alles aus Spaß an der Freude. Man will Spaß mit seinen Freundinnen und Freunden verbringen und sich nicht über jedes geäußerte Wort Gedanken machen müssen. Ich höre keinen anspruchsvollen Hip Hop, ich höre Bolzplatz Hip Hop.

Moderator: Langsam übertreiben Sie aber.

Nürsel: Ich übertreibe gar nicht. Kein bisschen. Ich will diesen ganzen Frust nicht mehr mit mir herumtragen. Wer keinen Hip Hop hören will, der soll es lassen. Ich kann jeden verstehen, der mit der Musik nichts anfangen kann. Ich mag zum Beispiel so gut wie keinen Metal. Weil die Sänger immer so herumschreien oder gar vollkommen unverständlich herumkreischen. Ich will bei der Musik, die ich höre, die Texte verstehen und nicht erst im Internet nachschlagen, worum es hier überhaupt geht. Aber reduziere ich Metal deswegen auf “Schreiende und kreischende Langhaarträger, die allesamt Satan verehren, Menschen opfern, sich auf Konzerten gegenseitig verprügeln und mit ihren Händen Pommesgabeln formen”? Nein. Das mache ich nicht. Ich frage: “Welche Bands hörst du denn gerne?” und höre mir daraufhin etwas von denen an. Wenn mir das Gehörte nicht zusagt, dann sage ich das. Aber ich verteufle die Musik nicht. Ich mache mich über niemanden lustig, der gerne Musik hört. Hört Schlager, Metal, Hip Hop, Pop, Country oder was auch immer. Hört, guckt und lest was ihr wollt. Und lasst mich hören, gucken und lesen was ich will. Haltet mich nicht für blöd, weil ich Hip Hop höre. Macht euch nicht zum Affen, indem Ihr mir eure Ignoranz präsentiert. Sprecht das “ch” so aus, wie man es eigentlich soll. Erfreut euch an den Ich- und Ach-Lauten der deutschen Sprache. Genießt sie. Sie kitzeln doch so lustig.

Moderator: Herr Nürsel, jetzt ist die Sendezeit ja fast schon rum.

Nürsel: Sie haben angefangen.

Moderator: Aber ich konnte ja nicht ahnen, dass…

Nürsel: … dass jemand auf Ihre provokanten Äußerungen reagiert? Dass Sie mal auf jemanden stoßen, der es sich nicht gefallen lässt, wenn man sich über ihn lustig macht? Wissen Sie, was ich mache, wenn sich jemand über meinen Musikgeschmack lustig macht? Ich sehe denjenigen an, als sei er der dümmste Mensch auf der ganzen Welt. Und wissen Sie, warum ich das nun wieder mache? Weil es stimmt!

Moderator: Jetzt werden Sie aber schon sehr beleidigend.

Nürsel: Ich wurde ebenfalls beleidigt!

Moderator: Dann nennen Sie zum Abschluss doch mal ein paar Rapper, die man sich anhören sollte. Oder zitieren Sie ein paar gute Texte.

Nürsel: Nein, das werde ich nicht tun.

Moderator: Warum nicht?

Nürsel: Ich nehme den Ignoranten da draußen doch jetzt nicht ihre Arbeit weg. Sollen sie selbst suchen.

Moderator: Aber das macht doch niemand.

Nürsel: Natürlich nicht. Warum auch? Lieber sich weiter über den Musikgeschmack anderer Leute lustig machen.

Moderator: Ist jetzt alles raus?

Nürsel: Nein.

Moderator: Dann beende ich an dieser Stelle die Sendung. Danke, dass Sie da waren, Herr Nürsel.

Nürsel: Wie lautete eigentlich das Thema dieser Sendung?

Moderator: Das müssen Sie schon selbst herausfinden. Ich nehme den Ignoranten da draußen doch jetzt nicht ihre Arbeit weg.

Nürsel: Ein schönes Schlusswort.

Moderator: Darum bin ich ja auch der Moderator und nicht Sie.

Genürsel 2014 - 12/52 - Hip Hop

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