Uni Gedanken: Fifa ist Krieg

Vermutlich hat jeder Student bereits darüber nachgedacht, seine an der Universität gemachten Beobachtungen und Erlebnisse aufzuschreiben und der Öffentlichkeit zu präsentieren. Vor allem Studenten des Bereichs “Germanistik”. Da ich nun seit einiger Zeit zu genau diesem Teilbereich der Menschheit gehöre, plagt auch mich stets das Verlangen, Sätze aufs Papier zu bringen und mit meiner scharfen Beobachtungsgabe anzugeben. Doch konnte ich mich bisher immer noch im letzten Moment bremsen. “Das hat doch bereits jemand anderes irgendwann einmal erlebt und aufgeschrieben. Warum sollte ich es also auch tun?”, fragte ich mich in diesen Momenten. Dann fiel mir jedoch auf, dass alles schon einmal da war. Ich zum Beispiel. Ich war auch schon letzte Woche Donnerstag da. Warum also nicht auch heute da sein? Warum nicht über das schreiben, was mich bewegt? “Gute Idee!”, sagte die gute Idee und lieferte mir sofort eine Situation, die ich an dieser Stelle festhalten möchte.

Doch zunächst ein kurzer Einschub: Die Vorlesung, in der das folgende Ereignis stattfand, hieß: “Einführung in die Philosophie”. Diese Bezeichnung sagt meiner Meinung nach alles über die Inhalte der Vorlesung aus. Viel wichtiger ist, dass die Vorlesung überfüllt ist. Es gibt mehr Studenten als Sitzgelegenheiten und darum müssen Woche für Woche eine Menge Menschen auf Treppen und dem Fußboden Platz nehmen, um der Vorlesung folgen zu können. Um überfüllte Vorlesungsräume soll es hier aber gar nicht gehen. Das Ganze sorgt jedenfalls dafür, dass man stets von einer Horde Menschen umgeben ist. Ich bin nicht gerne von Menschen umgeben, vor allem nicht von fremden. Aber zum Glück renne ich deswegen nicht schreiend und weinend durch die Gegend. Zwar würde ich das hin und wieder wirklich gerne tun, aber das ewige “Dürfte ich wohl kurz durch, ich müsste gerade mal ein bisschen schreien und weinen?”, das ich an meine Mitstudenten, entschuldigt, Kommilitonen richten müsste, würde ihnen wie mir schnell auf die Nerven gehen. Darum bleibe ich sitzen, greife zu einem Buch und tue so, als würde ich darin lesen, während ich meine Umgebung beobachte und belausche. So viele Menschen auf einem Haufen, da muss doch etwas Spannendes zu finden sein.

Heute musste ich nicht lange suchen. Das “Heute” ist natürlich relativ. Wann genau diese Vorlesung stattfand, geht ja niemanden etwas an. Das hier ist ein fiktionaler Text. Möglicherweise ist das alles gar nicht wirklich passiert. Aber dazu will ich gar nicht mehr sagen. Ist doch im Grunde egal, ob die folgenden Tatsachen stimmen. Also: Ich musste nicht lange suchen. Neben mir hörte ich einen sehr aufgebrachten Jungen mit dem hinter ihm sitzenden Bekannten diskutieren.

Zunächst ging es um die Vorlesung. Man stellte fest, dass es ziemlich voll im Hörsaal war. Diese Feststellung mag auf den ersten Blick uninteressant erscheinen, man sollte aber nie vergessen, dass ich mich gerade in einer Philosophievorlesung befand. Bei Philosophen kann man sich ja nie sicher sein, ob sie die sie umgebende Realität akzeptieren oder ihre Existenz anzweifeln. Ich saß also neben jemandem, der sich nicht nur auf das eigene Denken verließ, sondern die Überfülltheit des Hörsaals als Fakt hinnahm. Weiterhin erklärte er, dass er nur Vorlesungen mag, in denen nicht stumpf die an die Wand projizierten Folien vorgelesen werden. Weil er etwas lernen und gefordert werden wollte. Wenn ich nun darauf hinweise, dass der die Vorlesung haltende Professor die Vorlesungsfolien erst nach der Veranstaltung den Studenten zur Verfügung stellt, weil er seine Vorträge selbst als eine Art Theatervorführung bezeichnet und will, dass man ihm dabei zusieht, könnte man annehmen, dass dem Kommilitonen der nun folgende Vortrag gefallen würde. Merkt euch diese Annahme.

Dann unterhielt man sich über Videospiele und ich erkannte, dass neben mir tatsächlich ein Mensch saß, der youtube-Kommentare verfasste. Und nein, ich meine nicht die “Daumen hoch wenn spülen scheiße ist!”-Kommentatoren. Ich meine die “Ihr habt alle keine Ahnung von Videospielen und solltet auf mich hören, weil ich der Gott der Videospiele bin und meine Meinung unantastbar ist!”-Kommentatoren. Ich war wirklich aufgeregt! Stellt euch einen Jäger vor, der seit zwanzig Jahren durch ein Schlammloch watet, weil er auf der Suche nach einem seltenen Schlammwurm ist, den noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Lediglich seine Exkremente wurden von ein paar Ureinwohnern gefunden und zu Töpferwaren weiterverarbeitet. Doch dann, ganz plötzlich, nach zwanzig Jahren des Suchens, wartens und watens, windet sich der Wurm vor den Augen des Jägers aus dem Schlammloch und kackt ihm ins Gesicht. Ich fühlte mich wie dieser Jäger. Lebensfreude übermannte mich. Ein Internetkommentator. Wahnsinn.

Also. Videospiele. Ich nenne den Kommilitonen von nun an den Wurm, weil ich das Wort “Kommiliton” nicht mag. Und aus anderen Gründen. Auf die möchte ich aber nicht weiter zu sprechen kommen. Vermutlich kann sich das sowieso jeder selbst zusammenreimen. Der Wurm erzählte seinem Kollegenwurm, dass er seinen PC nur für die Arbeit nutzte, weil er ja zu Hause eine Konsole stehen hatte, die dem PC spieletechnisch sowieso überlegen war. Weil Konsolenspiele besser sind. Wegen dem Gamepad zu Beispiel. Na? Großartig, oder? Schon jetzt war mein Grinsen so breit, dass ich geschminkt als Joker hätte auftreten können. Aber es ging ja noch weiter! Der Wurm nannte ein Spiel, das auf der Konsole besser ist als auf dem PC. “Borderlands”. Weil “Borderlands” vom Entwickler Gearbox speziell für die Konsole entwickelt worden war und man die PC-Version nur nebenher rausgebracht hatte. Als Nebenprodukt. Ich hielt mir schnell mein Buch vors Gesicht, um mein Grinsen zu verbergen. Leider funktionierte das nicht richtig. Ich hätte dafür ein Buch der Größe DIN A1 benötigt.

Der Kollegenwurm konterte. “Versuch gar nicht erst, eines meiner Lieblingsspiele schlecht zu machen. Das wird dir nicht gelingen. “Borderlands” wurde für den PC entwickelt. Die Konsolenversionen kamen später. blablabla.” Es wurden Gegenargumente gebracht, die nichts mit Faustschlägen ins Gesicht zu tun hatten, was mich sehr beeindruckte. Hier war jemand geistig stärker und vor allem geduldiger als ich. Der Wurm dagegen zeigte sich unbeeindruck. Die Konsolenversion von “Borderands” war trotzdem besser. Weil. Außerdem hatte der Wurm keinen Bock auf Diskussionen dieser Art, weil ihm Videospiele nichts bedeuteten. Videospiele seien durchweg dumm. Als vom Kollegenwurm “The Stanley Parable” als Gegenbeispiel genannt wurde, hätte ich ihn am liebsten umarmt, doch der Hass des Wurmes hielt mich davon ab. Außerdem hätte ich dafür aufstehen müssen und so riskiert, meinen hart erkämpften Sitzplatz zu verlieren.

Fassen wir zusammen: Der Wurm wird richtiggehend wütend, wenn jemand den PC als bessere Spieleplattform bezeichnet, hält Spiele gleichzeitig für dumm und stumpf und betont, dass sie ihm nichts bedeuten. Das ist ja noch alles nachvollziehbar. Das war eine Lüge. Doch es geht noch weiter. Jetzt stellte der Wurm seinem Kollegenwurm folgende Frage: “Wisst ihr, was richtig gut ist?” Niemand antwortete, während ich versuchte, vor Neugierde nicht plötzlich auf des Wurmes Schoß zu sitzen. Was war denn jetzt richtig gut? “Fifa!” Was? Wie jetzt. Echt? “Fifa ist nämlich KRIEG!” Japp. “Fifa” ist KRIEG. Ist “Fifa ist KRIEG!” vielleicht ein Slogen für die Verpackung? Ich dachte kurz an todkranke Menschen, um einen Lachanfall zu verhindern. Es fiel mir schwer. Mein Nebenwurm war nämlich mit dem Erzählen von Kriegsgeschichten beschäftigt. Elf Männer auf dem Platz. Ein Ball. Man kämpft um jeden Meter. Solche Dinge gab er von sich. Während er sich nicht für Videospiele interessierte, weil sie dumm und unwichtig sind.

Dann wurde ich erlöst. Die Vorlesung begann. Der Dozent bat um Aufmerksamkeit, ich schenkte ihm meine und erwartete gleiches Verhalten vom Wurm. Er wollte schließlich etwas lernen. Der Wurm zog sein Handy aus der Tasche und begann, “Temple Run 2” zu spielen. Zwanzig Minuten lang. Er hatte nichts zum Mitschreiben vor sich, hörte nicht zu und spielte und spielte und spielte. Während ein paar Meter neben ihm Studenten, die Interesse an der Vorlesung hatten, auf Treppenstufen oder dem Fußboden saßen und nicht wussten, wo sie ihre Notizzettel ablegen sollten. Mein Glaube an die Menschheit versuchte unterdessen, an mein Handy zu kommen, um den Akku herauszunehmen, ihn zu essen und an einer Batteriesäurevergiftung zu sterben. Natürlich ließ ich das nicht zu. Neue Akkus sind teuer. Ich weiß nun nicht, ob “Temple Run 2” teuer ist, was ich aber weiß, ist, dass man “Temple Run 2” unter anderem durch das Neigen des Handys steuert und dies einen Nichtspieler ziemlich nervös machen kann. Da sitzt man in einer Vorlesung und versucht, zuzuhören, während neben einem jemand wie wild sein Handy hin und her bewegt. DAS ist Krieg.

Aber zum Glück wurde irgendwann das Handy dann doch zur Seite gelegt und zugehört. Leider langweilte die Vorlesung den Wurm, was er den um ihn herum sitzenden Menschen unbedingt mitteilen musste. Er gähnte und stöhnte, klappte den Tisch rauf und runter, wechselte alle dreißig Sekunden die Sitzposition und ich fühlte mich, als würde neben mir jemand versuchen, “Button Mashing” pantomimisch darzustellen.

Zum Glück konnte ich trotzalledem der Vorlesung folgen. Zwar warf ich hin und wieder einen ungläubigen Blick zur Seite, bekam aber dennoch alles Wichtige mit. Am Ende der Vorlesung stand der Wurm auf und ging. Ich weiß nicht, ob er nächste Woche wieder da sein wird. Ich hoffe nicht. Seine Anwesenheit ist Zeitverschwendung. Warum in eine überfüllte Vorlesung setzen, wenn man sowieso spielt und stöhnt? Zu Hause kann man doch viel besser seine Meinung über Videospiele öffentlich machen. Wie viele youtube-Kommentare man in 90 Minuten schreiben könnte! 90 Minuten Hass und Besserwisserei? Klingt sinnvoll!

Nun gut. Genug davon. Der Wurm ist weg und ich habe viel gelernt. Zum Beispiel warum die Aussage “Alles ist relativ.” quatsch und “Fifa” Krieg ist. Entschuldigung. Ich meine natürlich “KRIEG”. Gut, dass ich aufgepasst habe.

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