Genürsel 2013 – 01/52 – Monster

Genürsel 2013 - 01/52 - Monster

Als Kind nistete sich irgendwann der Gedanke in meinem Kopf ein, unbedingt ein Buch schreiben zu müssen. Zunächst beachtete ich ihn nicht weiter, da ich es nicht leiden kann, wenn sich jemand uneingeladen in meine Wohnung setzt. Dann freundete ich mich aber wider Erwarten doch mit ihm an. Eines Tages ergab sich eher nebenbei ein Gespräch und plötzlich bemerkte ich, dass ich mit dem Gedanken gut auskam. Es entwickelte sich eine feste Freundschaft.

Am liebsten unterhielt ich mich mit dem Gedanken über Monsterfilme. Ich war etwa 15 Jahre alt und hatte meine große Filmleidenschaft entdeckt. Ob “Alien”, “Predator” oder “X-Tro 2”, ich fühlte mich zu all diesen phantastischen Wesen hingezogen.

Das “Warum nur, warum?” kann ich übrigens nicht beantworten. Aber wer kann das schon? Auf “Warum magst du grün?” ist schließlich auch nur schwer eine Antwort zu finden. Vor allem, weil Grün auf der ganzen Welt die wohl wichtigste und beliebteste Farbe der Welt darstellt und sich die Frage damit erübrigt. Das hat zumindest eine Studie des Fachmagazins “Wir werden von Grün bezahlt” ergeben. Ich berufe mich hier ausschließlich auf Fakten.

Jedenfalls fing ich damals wegen der Monster mit dem Schreiben an. Und wie ich schrieb! Ich höre heutzutage ja oft davon, dass sich Leute zum Schreiben extra ein spezielles Programm auf ihrem Computer installieren, um sich besser konzentrieren zu können. Man möchte nicht abgelenkt werden von eingehenden E-Mails oder ähnlichen Dingen. Wenn ich per Zeitmaschine meinem jüngeren Ich davon erzähle, lacht es mich aus und haut mir danach gepflegt eine runter. Dann greift es in seinen Scout-Weltraum-Ranzen und kramt zwischen den Turtlesfiguren und Gameboyspielen einen Zeichenblock hervor, an dem ein Stift klemmt.

Genürsel 2013 - 01/52 - Monster

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Das reichte damals aus. Ein Stück Papier und ein Stift. So entstanden meine Geschichten. Wenn man in der heutigen Zeit davon redet, etwas “aufs Papier zu bringen”, dann sitzt man in der Regel vor seinem Computerbildschirm und drückt auf irgendwelche Tasten. Das geht schnell, man kann einfach Dinge korrigieren und redet sich gleichzeitig ein, etwas für die Umwelt zu tun, weil man Papier wenn überhaupt nur noch in Taschentuch- oder Küchenrollenform benutzt, um den Schreibtisch von Kaffeeflecken zu befreien.

Ich war als Kind ein ziemlicher Umweltverschmutzer. Mein erstes Buch sollte vollständig auf besagtem Zeichenblock entstehen. Wobei ich in gewisser Weise schon sparsam mit dem benutzten Papier umging und so klein und eng zusammen schrieb, dass jemand mit schwachen Augen Probleme mit dem Lesen bekommen hätte. Aber an so etwas verschwendete ich damals keinen einzigen Gedanken. Wie heute habe ich auch als Kind erst einmal nur für mich geschrieben und kümmerte mich nicht um augenschonende Formatierungen. Ich wollte eine Monstergeschichte schreiben. Und das tat ich dann auch.

Das Ergebnis kam nicht über ein paar kurze Opferkapitel hinaus. “Opferkapitel”? Keine Sorge, mit deutschem Hip Hop hatte das nichts zu tun. Ich war eher der Meinung, ein gutes Buchmonster müsse von Beginn an vernünftig eingeführt werden. Und ein paar deftige Morde waren zu diesem Zeitpunkt das Vernünftigste, was ich mir vorstellen konnte. Auch heute noch habe ich Tage, an denen ich so denke, erzähle davon aber normalerweise niemandem.

Ich schrieb also über den Kanalarbeiter Jimmy Brown, dessen Routineüberprüfung eines defekten Filternetzes mit einem abgerissenen linken Bein und einem ebenso abgerissenen Kopf endete. Und über die dreijährige Marry Barrow, die eigentlich nur die Enten am See im Central Park streicheln wollte, dabei aber alles bis auf ihre linke Hand verlor. An der Hand fehlten übrigens noch Zeige- und Mittelfinger. Man will hier ja nicht auf die wichtigen Details verzichten.

Weiter? Gerne! Lasst mich Euch von Jonny und Maxi erzählen. Deren Spaziergang am See endete damit, dass man nur noch ihre Rucksäcke am Ufer wiederfand. Und Maxis linken Fuß. Und Jonnys Oberarm. Beim Oberarm ging ich interessanterweise nicht so sehr ins Detail wie bisher. War es nun der linke oder rechte Oberarm? Ich erinnere mich leider nicht mehr daran, wie genau ich mir die beschriebene Szene damals vorgestellt hatte. Ist aber auch nicht weiter wichtig. Schließlich möchte ich noch auf Jane Mellins zu sprechen kommen. Die bewies nicht nur, dass nicht alle englischen Namen mit “y” oder “i” enden, sondern auch, dass ich schon nach wenigen Zeilen zu meiner Detailverliebtheit zurückgefunden hatte. Von ihr blieb nicht irgendeine Hand zurück, sondern die linke. Und zwar in den Händen des endlich eingeführten Protagonisten Jack Jensen, der eigentlich mehr von seiner Freundin retten wollte als lediglich ihre linke Hand. Ist Euch schon aufgefallen, dass mein Monster ziemlich heiß auf rechte Körperteile war? Im großen Finale wäre das ganz bestimmt ein entscheidendes Detail gewesen! Oder auch nicht.

Jedenfalls sollte mittlerweile klar sein, worum es in meinem ersten Buch ging. Um zurückgelassene Körperteile und meine Rechts-Links-Schwäche. Viel weiter bin ich damals leider nicht gekommen. Vermutlich wollte ich mir vor dem Weiterschreiben erst einmal weitere Körperteile ausdenken, die irgendwo angeschwemmt werden konnten und hatte dabei gemerkt, dass ich kein Interesse an einem Medizinstudium hatte. Und Namen gingen mir aller Wahrscheinlichkeit nach auch langsam aus.

Nein, ich will ehrlich sein: Ich weiß, warum ich nicht mehr an dieser Geschichte weiterschrieb. All das entstand während meiner Konfirmandenfreizeit. Während dieser hockte ich mit ein paar mehr oder weniger gläubigen Kindern in Stuhlkreisen zusammen, betete, dankte Gott für all die Stühle und verstümmelte abends im Bett dreijährige Kinder in Textform. Ich erkannte schnell, dass ich während dieser Freizeit kein ganzes Buch fertigstellen konnte. Also schrieb ich etwas anderes. Nämlich meine erste Kurzgeschichte mit dem Namen “Ein Werwolf allein zu Haus bei Peter”. Hierbei handelt es sich auch aus heutiger Sicht noch um die beste Monstergeschichte, die ich jemals in meinem Leben geschrieben habe. Zumindest, wenn man nicht so sehr auf schlechte Formulierungen und Rechtschreibfehler achtet. Die Geschichte an sich war ein wahrer Unterhaltungstraum. Bei meinen jungen Freunden kam sie sehr gut an und ich schrieb sogar einen Nachfolger. Was für schöne Erinnerungen. Und wieder ging es um ein Monster.

Zusammenfassend habe ich es wohl meiner früh gefundenen Monsterleidenschaft zu verdanken, dass ich heute schreibe. Und meiner Sammelleidenschaft, dass ich die Originalzettel mit meinem ersten Buchanfang noch besitze. Wenn mir nach der Konfirmationsgeschichte eine Sache heilig geblieben ist, dann diese drei Seiten. Mit ihnen hat alles angefangen.

Noch eine lustige Geschichte zum Abschluss: Während des obigen Absatzes habe ich eine Kugelschreibermine leergeschrieben. Ja, ich habe mich der alten Zeiten wegen mit Stift und Papier bewaffnet und diese Zeilen auf ganz altmodische Art und Weise wortwörtlich aufs Papier gebracht. Es fühlte sich gut an.

Genürsel 2013 - 01/52 - Monster

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Stift und Papier haben einen Vorteil: Sie lenken einen nicht von dem ab, was man machen möchte. Schließlich stellen sie alles dar, was man für das sich vorgenommene Schreibziel benötigt. Während der Computer im Hintergrund rattert und knattert, ohne mir zu verraten, was er da gerade eigentlich macht, konzentriere ich mich auf meinen Text.

Genürsel 2013 - 01/52 - Monster

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Genürsel 2013 - 01/52 - Monster

Mein junges Ich steht währenddessen hinter mir und grinst. Es ist stolz auf mich. Ich grinse zurück, haue ihm eine runter, stecke es wieder in die Zeitmaschine und schicke es nach Hause. Zu spät bemerke ich, dass sich eine Fliege mit ihm in der Maschine befand. Während ich nun also darüber nachdenke, wie ich meine neugewonnenen Beine vor neugierigen Blicken schützen soll, bemerke ich, dass ich endlich zu dem geworden bin, was ich liebe. Zu einem Monster.

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