Bevor ich mich an das Fazit zum Fantasy Filmfest 2014 setzen wollte, legte ich mich erst einmal ins Bett. Ich wollte mich ausruhen. 62 Filme schwirrten in meinem Kopf herum. Ich musste meine Gedanken sortieren und eine Mütze Schlaf war da genau das Richtige. Als mein Kopf das Kissen berührte, dauerte es nur wenige Sekunden, bis ich eingeschlafen war. Leider wurde ich kurze Zeit später von einem lauten Knall geweckt. Ich erhob mich aus dem Bett und sah aus dem Fenster.
Ein Auto rollte vor mir her. Was genau geschehen war, weiß ich nicht. Ein Unfall vermutlich. Autos rollen schließlich nicht einfach so durch die Gegend. Moment. Eigentlich tun sie das ja doch. Sie rollen auf Rädern herum. Aber hier war das anders. Das Auto war sein eigenes Rad. Es überschlug sich. Als es zum Stillstand kam, krochen ein paar Männer aus dem Wrack heraus und liefen auf mein eigenes Auto zu, das in meiner Einfahrt stand, stiegen ein und fuhren davon.
Ich bin kein Freund von Autodieben. Ich hasse sie sogar. Ich nahm mir vor, sie zu verfolgen, zu finden und mich daraufhin an ihnen zu rächen. Wütend ging ich hinunter in den Keller meines Hauses, um mich dort zu bewaffnen. Als ich unten angekommen war, bebte jedoch der Boden. Ein Erdbeben. Ein Unglück kommt selten allein. Die Decke über meiner Kellertreppe stürzte ein und ich war gefangen. Zum Glück hatte ich genau für solche Fälle eine Art Schutzbunker errichtet, der mich mit Sauerstoff versorgte und hin und wieder mit ein paar halluzinogenen Gasen von meinen Selbstmordgedanken ablenkte, indem er grässliche Gruselfratzen vor mir auftauchen ließ.
Nach ein paar Tagen fanden mich ein paar Feuerwehrleute. Ich machte zwar einen verwirrten Eindruck, doch letztendlich hielt man es für angemessen, mich einfach ziehen zu lassen. Nicht nur die Kellerdecke, sondern gleich mein ganzes Haus war eingestürzt. Ich hatte also genug Probleme. Da ich nicht verhungern wollte, musste ich irgendwie an Geld kommen. Also schlich ich mich eines Nachts heimlich in eine Autowerkstatt und räumte den dortigen Tresor aus. Leider schnappte mich der Besitzer der Werkstatt. Ein übler Geselle. Er wollte mich erpressen. Aber natürlich ließ ich das nicht mit mir machen.
Stattdessen klaute ich ein Auto und fuhr davon. Immer schneller und schneller fegte ich durch die Straßen der Innenstadt, als plötzlich eine Frau einfach so mitten auf der Straße vor mir auftauchte. Ich versuchte zwar, sie nicht zu rammen, doch es gelang mir nicht. Mein Auto überschlug sich wie das Auto der Autodiebe zuvor, ich traf die Frau und tötete sie. Ich verlor das Bewusstsein.
Als ich wieder zu mir kam, saß ich gefesselt und geknebelt auf einem Stuhl und war umringt von Kameras. Ein Kerl mit merkwürdiger Maske kam langsam mit einem Baseballschläger in der Hand auf mich zu. Es schien fast so, als wollte er mich schlagen und das Resultat dem Internet präsentieren. Das fand ich nicht so gut. Zum Glück klingelte es in diesem Moment an der Haustür des Verrückten. Er ging zur Tür und ließ mich allein. Ich nutzte die Gunst der Stunde, um mich zu befreien. Zum Glück waren die Fesseln nicht besonders fest.
Auf meiner Flucht stellte sich mir jedoch der maskierte Typ in den Weg, der seinen Besuch offensichtlich abgewimmelt hatte. Ich ging auf ihn los und schlug so lange auf ihn ein, bis er sich nicht mehr rührte. Ich hatte ihn getötet. Als ich mich zur Polizei schleppte und dort von meiner Gefangenschaft berichtete, teilte man mir mit, dass der Kerl, den ich da erschlagen hatte, der Sohn eines ziemlich üblen Kriminellen gewesen war. Dieser lauerte mir nach Verlassen des Polizeireviers sogar auf und drohte mir mit Rache.
Ich floh Richtung Elternhaus, um mich dort für eine Weile zurückzuziehen. Das Haus lag ziemlich abgelegen auf einem verfluchten Grundstück. Geister, Kinderleichen, Amulette und so weiter. Gut, dass ich mich im Bereich der paranormalen Phänomene gut auskenne. Mit Hilfe einer alten Schulfreundin nahm ich den Kampf gegen die Gespenster auf. Selbstverständlich hatten sie keine Chance gegen uns. Mit Hilfe einiger Bettlaken schafften wir es, sie zu vertreiben.
Nach meinem Sieg gegen die Geister erzählte ich ein paar Filmstudios meine Lebensgeschichte. Die waren ziemlich beeindruckt und wollten das Ganze so schnell wie möglich auf die große Leinwand bringen. Ich bestand darauf, mich selbst spielen zu dürfen, doch irgendwie war man von meinen Castingauftritten alles andere überzeugt. Als ich mit einem der Produzenten persönlich sprechen wollte, machte mir dieser ein unmoralisches Angebot.
Ich sollte ein paar Monate lang auf seinen Sohn aufpassen. Einen ziemlich traurig guckenden Jugendlichen, der einen Tag zuvor seine Großmutter verloren hatte. Irgendein Autounfall. Man hatte sie überfahren. Ich hüstelte ein wenig und teilte dem Produzenten mit, dass ich seinen Jungen gerne einmal kennenlernen würde. Gesagt, getan: Was für ein Bengel. Er spielte die ganze Zeit irgendwelche Sexspiele mit der Nachbarin und aß Trucker an einer Raststätte. Außerdem war er besessen von Vampiren. Merkwürdiger Typ. Als er plötzlich mich anfallen wollte, haute ich ihm eine runter. Flennend lief er zu seinem Vater, der rief die Polizei und ließ mich einsperren.
Im Gefängnis fühlte ich mich dann wider Erwarten ziemlich wohl. Ich wusste, wie ich mit meinen anderen Insassen und den Wärtern umzugehen hatte: Mit Gewalt. Zwar endete das für mich meistens in Einzelhaft, aber was tut man nicht alles für ein bisschen Respekt, nicht wahr? Irgendwann steckte man mich dann in eine Therapiegruppe, um mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen.
Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, was die da mit mir gemacht haben. Was auch immer für Drogen die mir verabreicht hatten, ich fühlte mich, als wäre ich ein Schauspieler in einem Schwarz-Weiß-Film, der die ganze Zeit über sprechen wollte, aber nicht konnte, weil er durchgängig von einem Kerl mit Ghettoblaster verfolgt wurde, aus dem laute Technomusik dröhnte. Ein wahrer Albtraum war das. Aber immerhin durfte ich am Ende des Trips das Gefängnis verlassen. Ich war geheilt. Wovon auch immer.
Ich unternahm sogleich eine Urlaubsreise. Ich fuhr auf eine indische Partyinsel, um dort so richtig abzuhotten. Da ich immer noch kein Geld besaß, konnte ich mir leider all die krassen und harten Drogen nicht leisten, die auf der Inselparty kredenzt wurden. Aber nach dem zuvor beschriebenen Trip war das vielleicht auch gar nicht so schlimm. Manchmal ist es auch ganz interessant, als einzig nüchterner einer Party voller zugedröhnter Schnapsleichen beizuwohnen. Man fühlt sich wie in einem Zombiefilm. Alle stöhnen, alle laufen unkoordiniert durch die Gegend und hin und wieder wird sich zerfleischt. Ein ulkiger Anblick.
Aber nichts für eine ruhige Seele wie mich. Ich zog mich ins Landesinnere der Insel zurück und stieß auf eine abgelegene Waldhütte. Dort hielt ich mich einige Zeit lang auf und fühlte mich wohl. Bis ich dann irgendwann feststellen durfte, dass die Hütte gar nicht so abgelegen war, wie ich zunächst gedacht hatte. Eines Nachts erschienen grelle Lichter am Fenster. Als sich das mehrere Nächte lang wiederholte und ich irgendwann so unausgeschlafen war, dass ich sogar vergessen hatte, wie man Kaffee zubereitet, machte ich mich wieder auf den Heimweg.
Ich verließ die indische Insel, klaute einem unachtsamen Neureichen seine Kreditkarte und kaufte mir mit dieser einen kleinen Gebrauchtwagen. Mit diesem fuhr ich Richtung Heimat und während einer unachtsamen Sekunde gegen einen alten Mann. Ich zweifelte an meinen Fahrkünsten, erinnerte mich aber selbst daran, dass es da gar nichts zum bezweifeln gab. Ich bin noch nie ein guter Fahrer gewesen. Dies erzählte ich der Polizistin, die mein Missgeschick beobachtet hatte, natürlich nicht. Ins Gefängnis wurde ich trotzdem gesteckt. Der alte Mann wurde auch eingesperrt. Eine merkwürdige Polizeiwache war das. Keiner mochte sich und andauernd starben irgendwelche Leute in den mich umgebenden Zellen. Ich war gerade einmal wenige Stunden eingesperrt, da brannte das gesamte Gebäude nieder. Warum? Ich weiß es nicht. Ich wollte es aber auch nicht erfahren. Ich rannte davon und versteckte mich in einem Fabrikgebäude.
Zunächst fühlte ich mich dort ziemlich sicher. Dann bemerkte ich jedoch den an der Decke hängenden Mann, der mich beobachte. Ich hatte mich vielleicht erschrocken, sage ich euch. Auf meiner Flucht vor ihm stürzte ich in ein Loch. Als ich den harten Aufprall auf dem Erdboden und meinen Tod erwartete, sah ich auf einmal Himmel unter mir. Es war, als hätte sich plötzlich die Schwerkraft meines Körpers, meiner Kleidung und allem anderen an mir umgedreht. Ich fiel nach oben, während alles andere um mich herum aus meiner Sicht kopfüber dastand, als wäre nichts gewesen. Glücklicherweise wurde ich von einem Mädchen gefangen, das mich nicht nur vor dem Sturz in den Himmel bewahrte, sondern gleichzeitig noch als eine Art Sprunghilfe benutzte. Wir wogen fast gleich viel. Sprang sie in die Höhe, zog ich sie mehrere Meter gen Himmel, bis wir langsam wieder nach unten segelten. Das war ziemlich lustig. Doch einmal passte sie nicht auf und ich knallte mit dem Kopf gegen eine riesige Satellitenschüssel. Was dann genau passierte, weiß ich nicht mehr. Ich erwachte auf dem Boden liegend. Meine Schwerkraft war wieder normal. Dafür fehlte mir ein Finger.
Nach dem Finger verlor ich einen Zeh. Und dann? Lasst uns besser nicht weiter darüber reden. Sagen wir einfach, ich war beunruhigt. Und dann war auch noch alles voller Fliegen. Wo die wiederum herkamen, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Im Grunde habe ich ja gar nichts gegen Fliegen. Aber in großen Mengen fliegen die mir andauernd gegen die Nase. Und ich habe da diese Krankheit. Wenn ich niese, explodiert etwas in meiner Nähe und die dadurch entstehenden Druckwellen schleudern mich gerne mal ins Weltall. Und da stehe ich dann auf einem Haufen Weltraumschrott und weiß nicht, wo die nächste Toilette ist. Toiletten gehören mit zu den wichtigsten Einrichtungsgegenständen einer jeden Wohnung. Nicht auszudenken, man hätte keine. Oder dürfte keine benutzen. Ein wahrer Albtraum. Albträume mag ich ja auch nicht. Da passieren wirklich die verrücktesten Sachen. Oder brutalsten Sachen. Und dann will man von heute auf morgen mit der eigenen Ehefrau nicht mehr reden, weil man geträumt hat, dass sie etwas Schlimmes gemacht hat. Nein, danke. Dann doch lieber ein Video von sich aufnehmen und an eine Partnervermittlung schicken. Jetzt schweife ich aber gerade ziemlich ab. Wo war ich? Ach ja, bei den Fliegen. Die verzogen sich zum Glück irgendwann.
Ich rief meinen besten Freund an, um ihm zu erzählen, was mir alles passiert ist. Doch irgendwie war er anders als sonst. Er lief die ganze Zeit fast nackt rum und wunderte sich dann, warum ihm so kalt war. Und dann wollte er auch noch, dass wir uns zusammen in einen Kleiderschrank setzen und ich ihm Wörter in den Mund flüstere. Wörter! In den Mund! Ich ließ ihn alleine im Schrank zurück und legte einfach auf.
Ohne einen Schlafplatz tat ich das einzig Richtige: Ich suchte in der Zeitung nach Wohnungsannoncen. Ich stieß auf eine Anzeige, in der eine Männer-WG einen neuen Mitbewohner suchte. Der alte Mitbewohner hatte sich einfach so in Luft aufgelöst und jetzt war eine Stelle frei. Ich besuchte die Truppe und wir unterhielten uns die ganze Nacht lang. Einer von denen war ein richtig lustiger Geselle, der andauernd mein Abendessen in Maden verwandelte. Spaßige Sache. Aber irgendwie nicht das, was ich mir unter einem angenehmen WG-Freund vorstellte. Ich beschloss, nicht bei den dreien einzuziehen. Die waren mir auch viel zu nachtaktiv.
Ich setzte mich auf eine Bank und überlegte, was als nächstes zu tun sei. Plötzlich stand ein Kerl, der mich sehr an James Bond erinnerte, vor mir. Er sagte mir, man wisse Bescheid. Ich wusste gar nichts mehr. Aber er glaubte mir nicht. Er brüllte etwas von einer Verschwörung und dass sein eigener Azubi auf ihn angesetzt worden war. Ich hatte ein wenig Mitleid mit dem Herren, entschied mich dann aber doch, ihn stehenzulassen und weiterzuziehen. Mit Fremden sollte man sich schließlich nur unterhalten, wenn man dabei etwas gewinnen kann.
So langsam ging mir meine trostlose Existenz ziemlich auf die Nerven. Also schloss ich mich einer Verbrecherbande an, um einen Geldtransporter zu überfallen. Leicht verdientes Geld. Das dachte ich zumindest. Was für ein Höllentrip. Erst hielt man mich die ganze Zeit über für einen Polizisten und dann haute man nach erfolgtem Raubzug auch noch ohne mich ab. Ich nahm mir vor, von meinen letzten Ersparnissen einen Taschenkalender zu kaufen und die letzten Tage rot darin zu markieren. Weil die Floskel es von einem verlangt.
Selbstverständlich funktionierte auch das nicht. Als ich an einer Tankstelle angekommen war und in dieser nach Kalendern Ausschau hielt, wurde ich Zeuge davon, wie ein Kerl mit Hakenkreuztätowierung auf offener Straße einen Polizisten erschoss. Mir war das alles mittlerweile wirklich zu viel. Ich wollte mit all der Gewalt um mich herum nichts mehr zu tun haben. Darum ging ich in ein Spielzeuggeschäft und kaufte mir mit der gestohlenen Kreditkarte das erstbeste Brettspiel, das ich dort sah.
Mit einem GO-Brett unter dem Arm verließ ich den Laden und setzte mich in ein Straßencafé. Sofort wurde ich von Asiaten umstellt, die mich zu einer Partie herausfordern wollten. Da ich keine Ahnung von den Regeln hatte, lehnte ich ab. Daraufhin wurde ich als Schwächling und Feigling bezeichnet, was ich nicht so gut fand. Also nahm ich Herausforderung um Herausforderung an und verlor ein Spiel nach dem anderen. Und jedes Mal schlug mir während einer Runde jemand ins Gesicht. Oder unterhielt sich über ein Funkgerät mit einer mir unbekannten Person. Macht man das so beim GO-Spielen? Wieder hatte ich genug. Ich ließ mein GO-Brett einfach stehen und ging weg.
Ich kam an einem Spielplatz vorbei. Dort saßen zwei Frauen und unterhielten sich miteinander, während ihre beiden Kinder miteinander spielten. Einer der beiden Racker kletterte auf die senkrecht verlaufene Schaukelbefestigungsstange und stellte sich auf sie. Ziemlich gefährlich. Als die Mütter dies bemerkten, eilten sie sofort zum Kind und holten es von dort oben herunter. Wenigstens hatte das Kind nun die volle Aufmerksamkeit der Erwachsenen. Blag. Wäre das mein Kind gewesen, ich hätte ihm ja eine runtergehauen. Und seinen Hund getötet, wenn es denn einen hatte. Na gut, das ist jetzt alles schon ziemlich gemein. Vielleicht würde ich ihm ja auch einfach ein gruseliges und nicht kindgerechtes Märchenbuch schenken.
Zum Beispiel eines, in dem es darum geht, dass eine Aliendame in einem Lieferwagen durch Menschenstädte fährt und Männer einsammelt, um sie zu töten? Ja, doch. Das wäre glaube ich genau die richtige Geschichte, um ein Kind zu verstören. Ein paar abstrakte Bilder, grelle Farben und bloß nicht zu viel Zusammenhang: Fertig ist der Albtraum eines jeden Grundschülers.
Aber ich bin ja nicht hier, um Kinder zu erschrecken. Kinder können schließlich auch ganz angenehme Gesellen sein. Wenn sie die Klappe halten und nicht singen. Singen ist so ein Trend unter Menschen, dem man irgendwann hoffentlich mit Hilfe strenger Gesetze beikommen wird. Andauernd singt irgendwo irgendjemand. Jeden Tag schlage ich die Tageszeitung auf und warte auf den Tag, an dem über einen singenden Serienkiller berichtet wird, der seinen Opfern vor dem Aufschlitzen noch schnell die Gehörgänge mit einer kleinen Gesangseinlage malträtiert. Mich wundert mittlerweile wirklich gar nichts mehr.
Mit diesen Gedanken schlenderte ich durch die Straßen und stand auf einmal vor einem riesigen Haus, vor dem es sich zwei Polizisten gemütlich gemacht hatten. Die Tore waren verschlossen und ich wurde neugierig. Also fragte ich die beiden, was es mit diesem merkwürdigen Haus auf sich hatte. Sie erzählten mir, dass eine alte Frau, die vor vielen Jahren ihre Familie ermordet hatte, aus dem Gefängnis entlassen worden war und nun ihre letzten Tage unter Polizeibeobachtung in ihrem alten Zuhause verbringen durfte. Leider schien die Dame sich in dem Haus nicht wohl zu fühlen, denn in genau diesem Moment kam sie aus der Tür gerannt und schrie den Polizisten entgegen, dass sie nicht alleine sei. Als das Wort “Geister” fiel, ging ich weiter. Auf Geister hatte ich nun wirklich keine Lust mehr.
Als ich um die nächste Straßenecke bog, lag plötzlich ein Koffer vor mir auf dem Gehweg. Ich sah mich um, konnte jedoch niemanden entdecken, dem er gehören konnte. Als ich den Koffer aufhob, um ihn zum nächstgelegenen Fundbüro zu bringen, ertönte plötzlich ein Mobiltelefon, das anscheinend unter dem Koffer gelegen hatte. Ich ging ran, schließlich dachte ich, dass es sich hier um den Kofferbesitzer handeln musste, der auf der Suche nach ihm war. Aber ich irrte mich. Am anderen Ende der Leitung ertönte lediglich eine Frauenstimme, die mich dazu aufforderte, den Koffer nach China zu bringen. Mit einem lauten “Nö!” warf ich Koffer und Telefon zurück auf den Boden und kümmerte mich um meine eigenen Angelegenheiten.
In diesem Moment kamen die beiden Polizisten, die wenige Minuten zuvor noch das Haus der alten Dame bewacht hatten, auf mich zu. Sie meinten, dass ich ihnen irgendwie bekannt vorkäme. Ich meinte, ich hätte ein Allerweltsgesicht, was sie aber nicht akzeptieren wollten. Sie fragten, ob ich der polizeilich gesuchte Verbrecher sei, der unter dem Pseudonym “Troll” Familien in ihren Häusern überfällt und ganz schlimme Dinge mit ihnen anstellt. Selbstverständlich verneinte ich die Frage. Zum Glück ertönte erneut die Stimme der schreienden Frau, wodurch die Polizisten sich nicht länger um mich kümmern konnten. Sie baten mich, doch mal im Polizeirevier vorbeizuschauen, ich antwortete lediglich mit einem “Wenn es sich einrichten lässt.”.
Als die beiden Polizisten verschwunden waren, hörte ich neben mir plötzlich jemanden sagen: “Bring die beiden Polizisten um, sie könnten dir gefährlich werden.” Die Aussage alleine beunruhigte mich bereits, als ich dann aber auch noch sah, dass sie von einer Katze getätigt worden war, wusste ich nicht, was ich erwidern sollte. Zum Glück übernahm ein neben der Katze sitzender Hund das Reden für mich. “Hör nicht auf sie. Sie ist immer so gereizt.” Ich nickte den beiden zu und bedankte mich für ihre Lebensweisheiten.
Als ich mich von ihnen abwandte, sah ich etwa zweihundert Meter vor mir entfernt eine Frau, die mich unangenehm anstarrte und dabei direkt auf mich zu kam. Das mit dem Starren konnte ich natürlich aufgrund der Entfernung nicht genau erkennen. Aber ich spürte ihren Blick. Schnell wechselte ich die Straßenseite. Aber die Dame tat es mir gleich. Auch ein erneuter Wechsel der Straßenseite wurde imitiert. Ich wurde nervös und rannte davon. Die Frau beschleunigte ihren Gang nicht, aber sie sah mir hinterher. Auch das spürte ich irgendwie. Ich rannte und rannte, bis ich einen Wald erreichte und blindlings in diesen hineinrannte.
Als ich nach einer Viertelstunde voller Gerenne nicht mehr wusste, wo ich war, stellte ich fest, dass ich nicht mehr wusste, wo ich war. Blöde Sache. Ich hatte mich verlaufen. Zum Glück kam in diesem Moment ein Jugendlicher einen Abhang heraufgeschlendert. Ich ging zu ihm, um ihn nach dem Weg zu fragen. Erst, als er mich erstaunt ansah, bemerkte ich, dass er eine selbstgebaute Bahre hinter sich herzog, auf der jemand lag, der einen so gut wie toten Eindruck machte. Ich fragte, was passiert sei, der Junge erwiderte aber lediglich, dass er sich auf einem Weg der Selbstfindung befände und deswegen gerne in Ruhe gelassen werden wolle. Ich ließ ihn ziehen. Wer die Hilfe nicht will, soll am Ende aber auch nicht jammern.
So stand ich also mitten im Wald und wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Eine Auskunft hatte mir der Bengel nämlich nicht erteilt. Egoist. Ich setzte mich auf den Waldboden und begann zu meditieren. Vor ein paar Jahren hatte mir einmal jemand während eines Sektenkongresses erzählt, dass man sich mit reiner Gedankenkraft an alle nur erdenklichen Orte der Welt teleportieren konnte. Das wollte ich ausprobieren.
Ich dachte daran, jetzt gerne in einer Bar zu sitzen, in der nicht etwa halbnackte Frauen für einen tanzten, sondern halbnackte Männer, die gerne Frauen wären. “Wenn schon, denn schon.”, dachte ich mir. Warum nicht einmal etwas Besonderes ausprobieren?
Leider funktionierte das Ganze nicht. Als ich meine Augen öffnete, saß ich noch immer in diesem dummen Wald. Dafür stand ein auffällig behaarter Mann vor mir. Das war nun definitiv nicht das, was ich mir vorgestellt hatte. Der Kerl sah nicht gerade freundlich aus und gab die ganze Zeit irgendein Knurren von sich. Es sah so aus, als würde er mich fressen wollen. Darauf hatte ich nun wirklich keine Lust. Ich erhob mich und rannte, wieder einmal, davon. Der Kerl rannte einige Minuten lang hinter mir her, dann tauchten jedoch wie aus dem Nichts ein paar Polizisten auf und schrien ihn an. Er solle sich ruhig verhalten und die Hände heben. Er verhielt sich nicht ruhig und hob die Hände nur, wenn er den Polizisten nach und nach die Köpfe abriss. Ich nutzte das Ablenkungsmanöver meiner Freunde und Helfer, um mich weiter zurückzuziehen.
Auf einmal hatte ich den Wald hinter mir gelassen. Ich stand vor einem kleinen Bauernhof. Na endlich. Rettung. Ich war ziemlich müde. Die ganze Rennerei hatte meine letzten Kraftreserven geleert. Ich schlich auf den Kuhstall neben dem Bauernhaus zu, um mich dort zu verstecken und ein paar Stunden zu schlafen. Gerade, als ich mich in das Reich der Träume zurückziehen wollte, ertönte jedoch wie aus dem Nichts laute Metal-Gewalt-Musik. Die Bauerstochter nutzte den Kuhstall anscheinend, um ihre Musikkünste zu verbessern. Ich erschrak, sprang auf, sie sah mich, erschrak ebenfalls und ging mit ihrer Gitarre auf mich los. Ich erinnere mich nur noch daran, dass sie mir das Instrument über den Schädel zog. Dann war alles dunkel.
Ich erwachte im Krankenhaus. Eine Krankenschwester hatte sich in genau diesem Moment über mich gebeugt. Zunächst freute ich mich darüber, in guten Händen zu sein, dann stellte ich jedoch fest, dass sie gerade dabei war, mir den Schädel mit einer Säge zu öffnen. Ich hielt dies für keine gute Idee und rollte mich seitlich aus dem Krankenhausbett. Zum Glück übernahm mein Adrenalin die Kontrolle über meinen Körper und verdrängte die Betäubungsmittel. Während mir die Dame erschreckend monoton und gelangweilt hinterherrief, ich solle doch bitte stehen bleiben, verließ ich das Krankenhaus.
Ich erkannte sofort, dass ich mich nicht mehr in meiner Heimatstadt befand. Dies verriet mir ein Ortsschild, auf dem der Name einer Stadt aus Litauen stand. Ja. Litauen. Wieso hatte man mich in ein Krankenhaus in Litauen gebracht? So viele Fragen. Keine Antworten. Als ich ein paar Einwohner nach dem schnellsten Weg aus ihrem Land fragte, fassten diese das ziemlich negativ auf. Anstatt mir den Heimweg nur zu beschreiben, zeigten sie ihn mir lieber persönlich, indem sie mich mit Mistgabeln bewaffnet vor sich hertrieben.
Als ich die polnische Grenze überschritten hatte, ließ der Mob von mir ab und ich mich in der erstbesten öffentlichen Toilette nieder, die ich finden konnte. Ich musste nämlich pinkeln. Stress schlägt mir auf den Magen und wenn ich in den letzten Tagen von einer Sache genug hatte, dann Stress. Leider war die Toilette in einem unglaublich erbärmlichen Zustand. Aber man will ja nicht immer nur meckern. Ich erledigte mein Geschäft, ignorierte dabei den mir ins Ohr flüsternden Dämon, der mich freundlich darum bat, meine Familie zu ermorden, und verließ die Toilette zufrieden und entleert in Richtung Heimat.
Zurück in Deutschland ging ich zu meinem in Berlin und damit nahe an der Grenze lebenden Onkel. Er empfing mich überrascht und herzlich, stattete mich mit dem Nötigsten aus (zum Beispiel mit Kleidung, ich trug immer noch den Krankenhauskittel, der auch schon bessere Zeiten erlebt hatte) und gerade, als ich ihm die Geschichte der letzten Tage erzählen wollte, stellte ich fest, dass ich meine Tante noch gar nicht gesehen hatte. Als ich meinen Onkel darauf ansprach, verriet er mir mit traurigem Unterton, dass sie ihn einfach so verlassen hätte. Ohne Nachricht, ohne alles. Einfach so. Weg. Ich beschloss, nicht noch eine Nacht bei ihm zu übernachten, da er offensichtlich gerade genug andere Probleme hatte. Ich lieh mir ein bisschen Geld von ihm und zog von dannen. Ich wollte endlich wieder nach Hause.
Erst als ich bereits einige Kilometer hinter mich gebracht hatte, fiel mir ein, dass es sinnvoller gewesen wäre, sich ein Taxi zu rufen. Ich betrat eine Telefonzelle und rief die Auskunft an. Bevor ich jedoch Auskunft erhielt, brach das Telefonnetz zusammen. Grelles Licht blendete mich und ich konnte nichts mehr sehen. Es fühlte sich so an, als würde sich die Telefonzelle in die Lüfte erheben, was selbstverständlich eine absurde Vorstellung war. Als ich mich kurze Zeit später in der Gewalt von Außerirdischen wiederfand, wusste ich jedoch, dass ich nicht immer gleich so vorschnell urteilen sollte. Man befestigte mich auf einem Tisch und zog mir die Hose bis auf die Knie herunter. Als ich sah, wie man die Analsonde in mein Zimmer brachte, rechnete ich mit dem Schlimmsten. Aber dann ertönten Schüsse, die Aliens brachen tot zusammen und ich wurde ohnmächtig.
Ich erwachte in einem merkwürdigen Auto. Um mich herum roch es nach nassem Hund und als ich wieder ganz zu mir kam, konnte ich auch erkennen, woran das lag. Neben mir saß ein Hund in Menschengestalt. Er trug eine Polizeiuniform. Als er bemerkte, dass ich wieder zu mir gekommen war, erklärte er mir, dass er mich aus den Fängen der Aliens befreit hatte und bot mir einen Schluck Whiskey aus seinem Flachmann an. Ich lehnte das Angebot ab, bedankte mich jedoch höflich für seine Hilfe. Als ich ihn bat, mich doch bitte nach Hause zu bringen, schüttelte er jedoch seinen haarigen Kopf. Er hatte besseres zu tun, warf mich aus dem Auto und fuhr davon.
Da stand ich also mitten im Nirgendwo und wusste nicht, wohin ich gehen musste. Ich entschied mich für eine Richtung und folgte der großen Straße durch die bewaldete Wildnis. Mittlerweile war es wieder einmal dunkel geworden und ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis ich endlich ein paar Autoscheinwerfer hinter mir die Straße erleuchten sah. Sofort streckte ich meinen erhobenen Daumen aus und hatte tatsächlich Glück: Man hielt an. Es handelte sich um einen Lieferwagen, in dem ein Inder, ein Mann, eine Frau und ein Baby saßen. Warum ich extra betone, dass einer der Männer ein Inder war? Weil er alles daran setze, wie ein solcher auszusehen und sich wie ein solcher zu verhalten. Ein wenig ging mir sein klischeehaftes Indersein ja auf die Nerven. Aber er nahm mich bis zur nächsten größeren Ortschaft mit und wie kann ich jemandem böse sein, der mir hilft?
Mein nächster Schritt mag etwas merkwürdig erscheinen, doch glaubt mir einfach, wenn ich sage, dass ich Abwechslung mehr als nötig hatte. Ich ging ins Kino. Mein Onkel hatte mir genug Geld mit auf den Weg gegeben, die Aliens es mir dankenswerterweise nicht abgenommen und der Inder wollte keine Belohnung für seine gute Tat. Ich betrat das erstbeste Kino, das ich finden konnte, nur um festzustellen, dass ich ein Pornokino betreten hatte, in dem gerade ein Film über Dominas lief. Das war mir ziemlich unangenehm. Als ich den Saal verlassen wollte, wurde ich jedoch von einer Zuschauerin festgehalten, die die gleiche Kleidung wie die Damen auf der Leinwand trug. Ich bat sie darum, mich gehen zu lassen, doch sie brach nur in schallendes Gelächter aus und schlug mir in den Magen. Ich war überrascht, sie legte jetzt erst richtig los. Einhundert Peitschenhiebe später ließ sie dann doch von mir ab. Ich spürte sowieso keinen Schmerz mehr und langweilte sie dadurch.
Ich sprach den Kinokartenverkäufer darauf an, dass ich es nicht als positives Lebensereignis empfunden hatte, ausgepeitscht zu werden, und forderte mein Geld zurück. Der Kerl weigerte sich natürlich, mir den Kaufpreis der Karte zu erstatten. Bevor ich weiter mit ihm diskutieren konnte, klingelte jedoch sein Mobiltelefon. Er entschuldigte sich und nahm das Gespräch entgegen, während er sich ein paar Schritte von mir entfernte, damit ich nicht mithören konnte. Er war ziemlich kurz angebunden und das einzige, was ich verstehen konnte, waren ein paar Jas. Nach dem Telefonat kam er zu mir und sagte: “Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Mir hat gerade jemand 3.000 Euro angeboten, wenn ich ihnen mit der Faust ins Gesicht schlage.” Bevor ich fragen konnte, wie er sich entschieden hatte, landete er auch bereits einen Treffer. Wieder einmal verlor ich das Bewusstsein.
Der nun folgende Traum war mehr als merkwürdig. Um mich herum war alles schwarz-weiß gehalten. Jemand ging mit einem Messer auf mich zu und stach mehrfach auf mich ein. Jedoch taten die Einstiche gar nicht weh, viel eher schmerzten mir die Ohren. Das Messer gab einen so hohen und grellen Ton von sich, dass mir fast das Trommelfell geplatzt wäre. Kann das Trommelfell überhaupt platzen? Ich weiß es nicht. Aber irgendwann sah ich dann auch wieder farben. Klarer wurde meine Umgebung dadurch jedoch nicht. Plötzlich stand ich in einem merkwürdigen Haus voller Treppen und Zimmer. Gerade, als ich bei den Nachbarn klingeln wollte, um zu erfahren, wo ich mich befand, wachte ich auf.
Offensichtlich hatte ich nicht ruhig geschlafen, sondern war schlafgewandelt. Ich stand mitten auf einer Straße. Um mich herum war kurz alles dunkel, dann jedoch, als ein Auto um die Ecke geschossen kam, erleuchteten die Scheinwerfer meine Umgebung. Ich hörte einen Schrei, quietschende Reifen und sah, wie die Fahrerin das Auto, im Versuch mich nicht zu überfahren, einen Abhang hinunterstürzte und kopfüber in einem Fluss landete. Als ich helfen wollte, stellte ich jedoch fest, dass zumindest eine der Mitfahrerinnen überlebt hatte und bereits dabei war, ihre Freundinnen aus dem Autowrack zu ziehen. Dass sie alle wie Cheerleader aussahen, fällt mir jetzt erst im Nachhinein auf. Äußerst ungewöhnlich.
Genauso ungewöhnlich, wie die Tatsache, dass sie die Körper ihrer vermeintlichen Freunde nicht einfach am Flussufer ablegte, sondern in eine angrenzende Höhle schleppte. Wie umständlich. Und gefährlich! Was, wenn sie sich in der Höhle verlief? Dann wäre sie darin für immer gefangen und niemand außer mir wüsste, dass sie überhaupt drin war. Was würde sie dann nur tun? Etwa ihre Freundinnen essen?
Aber was rede ich denn da? Ich hatte keine Lust darauf, von der Polizei nach dem Verbleib der Autoinsassen befragt zu werden. Also floh ich vom Unfallort. Was sollte ich der Polizei denn auch erzählen? Ich hatte immer noch Kopfschmerzen und woher die Peitschenverletzungen auf meinem Rücken kamen, wollte ich ganz bestimmt niemandem erklären. Ich hoffte einfach, dass mich niemand gesehen hatte. Zumindest niemand, der mich nachträglich identifizieren konnte. Am Ende würde man mich noch erpressen wollen. Freunde und Familie bedrohen. Und geschmierte Polizisten auf mich ansetzen. Nein, nein, nein. So sollte es nicht enden.
Also rannte ich wieder einmal davon. Gut, dass es in Deutschland so viele Wälder gibt, denn in einem solchen fand ich mich nach einiger Zeit wieder. Und mitten in diesem Wald stand eine verlassene Hütte. Hier wollte ich mich verstecken. Die Hütte war nicht gerade einladend. Sie war klein, feucht und dreckig. Und dann war da noch dieser riesige Spiegel, der in einem Zimmer an der Wand hing. Mir war, als würde er mich beobachten. Mein eigenes Spiegelbild kam mir bedrohlich vor. Ich schob es auf die letzten Tage, die sich ganz bestimmt alles andere als positiv auf meinen Teint ausgewirkt hatten. Ich legte mich in der Hütte auf den Boden und schlief ein.
Am nächsten Morgen wurde ich von lauter Technomusik geweckt. Als ich aus der Hütte stürmte, um zu sehen, wer mich störte, staunte ich nicht schlecht, als ich einem Polizisten gegenüberstand, der gerade einen Sack voller toter Ratten verschloss und in seinen Kofferraum warf. Er hatte mich zum Glück noch nicht bemerkt und so schlich ich mich zurück in meine Hütte. Als der Polizist den Sack im Kofferraum verstaut hatte, blieb er noch ein paar Minuten lang in seinem Auto sitzen und lauschte der unerträglich lauten Musik. Dann fuhr er davon und ich hatte endlich wieder Ruhe.
Ich sah mich noch ein wenig in der Hütte um. Den Spiegel hatte ich mittlerweile mit einem Laken zugehängt. In einer vermoderten Kommode stieß ich auf eine verschlossene Geldkassette. Sofort war ich wieder hellwach. Hatte ich da etwa die versteckten Millionen einer Räuberbande entdeckt? Ich suchte mir einen Stein, schlug mit diesem auf die Kiste ein und schaffte es tatsächlich, sie zu öffnen. Sofort machte sich Enttäuschung in mir breit. In der Kassette lagen lediglich ein paar Fotos und ein Tischtennisschläger. Jemand hatte auf die Rückseite der Fotos irgendwelche Zahlen geschrieben. Was für ein Blödsinn. Ich legte alles zurück in die Kiste und warf sie achtlos in eine Ecke der Hütte.
Als ich der Kiste bei ihrer Bruchlandung zusah, staunte ich nicht schlecht, als mich plötzlich ein paar Kinder anstarrten. Wie sie in die Hütte gekommen waren und ich sie nicht hatte sehen können, war mir ein Rätsel, dessen Lösung mir aber ehrlich gesagt ziemlich egal war. Die Kinder begannen so laut zu schreien, dass ich nichts anderes tun konnte, als panisch aus der Hütte zu rennen. Dies setzte ich sofort in die Tat um. Man muss hin und wieder auch mal auf seinen Körper und seine Intuition hören.
Diese blöden Blagen hatten mich ziemlich erschrocken. So sehr, dass ich kurz davor war, mir in die Hose zu machen. Aber ich habe eine Fähigkeit, die sich in dieser Situation endlich mal bezahlt gemacht hat: Ich kann nicht, wenn einer zusieht. Wirklich! Setzt mich zwei Wochen lang mit einer Gruppe Polizisten in ein Hotel und lasst sie versuchen, mich zum Ausscheiden von Nahrungsmitteln zu bringen. Sie werden keinen Erfolg haben. So schaffte ich es tatsächlich, ohne Schmutz in der Hose aus der Hütte herauszukommen.
Wieder einmal beschloss ich, auf dem schnellsten Weg meine Heimat zu erreichen. Diesmal wollte ich mich wirklich nicht ablenken lassen. Unter gar keinen Umständen. Um nicht auf blöde Gedanken zu kommen, investierte ich das gesamte Geld, das mir mein Onkel gegeben hatte, in einen Gebrauchtwagen. Zum Glück stieß ich nicht weit von der Kinderhütte auf einen Gebrauchtwagenhändler. Hin und wieder muss man ja auch mal Glück haben. Vor allem nach einer Geschichte wie dieser. Da ich nun nicht wirklich viel Geld bei mir hatte, erhielt ich das billigste Gefährt, das der Händler mir andrehen konnte. Eine alte, verrostet, blaue Kiste war das. So alt, dass man sie schon fast als Ruine auf Rädern bezeichnen konnte. Aber ich nahm das Auto. Der Verkäufer war mir sympathisch und hatte einen enormen Bart. Ich fuhr los.
Diesmal ließ ich mich wirklich nicht ablenken. Einmal kam ich durch eine merkwürdige Ortschaft, in der scheinbar alle Menschen durchdrehten. Es war, als würden sie wissen, dass das Ende der Welt unausweichlich wäre und in wenigen Stunden eintreten würde. Man prügelte sich auf offener Straße, schoss um sich, brannte Häuser nieder und stahl, was gestohlen werden konnte. Hin und wieder versuchte jemand, mich aufzuhalten. Mal, um mich zu verprügeln, mal um mit mir aus diesem Hexenkessel zu fliehen. Doch ich ließ mich nicht mehr von meinem Weg abbringen und drückte so feste ich nur konnte und so sehr es meine Karre hergab, auf die Tube. So ließ ich die Stadt hinter mir.
Als ich einmal doch halten musste, dann lag das an meinen natürlichen Trieben. Nein, das klingt jetzt irgendwie zweideutig. Ich musste pinkeln. Als ich an einem verlassenen und heruntergekommenen Filmstudio vorbeikam, legte ich eine kurze Pause ein, um zu urinieren, zu rasten und mich ein wenig umzusehen. Wann sieht man schon mal ein altes Filmstudio? Wobei ich gleich sagen muss, dass es dermaßen kaputt war, dass man nicht mehr viel anzusehen hatte. Lediglich in einem der Keller war etwas los. Hier hauste ein Kerl mit seinem entstellten Riesensohn und tötete hilflose Frauen. Da dies nun so gar nichts mit meinem Filmgeschmack zu tun hatte, verschwand ich umgehend. Doch leider hatte man mich gesehen. Der Junge war schneller als ich an meinem Wagen, überraschte mich dort mit einem Knüppel in der Hand und schlug mich nieder. Was das mit meinem Bewusstsein anstellte, muss ich wohl nicht extra erklären.
Wieder erwachte ich irgendwo, wieder hatte ich Kopfschmerzen, wieder musste ich mich erst einmal orientieren. Nach ein paar Minuten stellte ich fest, dass man mich in ein Haus gesperrt hatte. Gleichzeitig hatte ich einen merkwürdigen Sensor am Bein. Als ich das Haus verlassen wollte, begann mein Beinbändchen zu piepen. Sofort kam der Junge zu mir gerannt und zerrte mich zurück in mein Haus. Ich war an dieses dumme Haus gebunden, ohne tatsächlich angebunden zu sein. Verließ ich das Haus, bekam mein Peiniger über das Band ein Signal. Was für eine kranke Form des Stubenarrestes.
Ich beschloss, das Haus zu erforschen. Als ich auf eine Kellertür stieß, wollte ich sie öffnen, doch als die Tür berührte, stand plötzlich eine Hode mit Äxten bewaffneter Männer vor mir. Man gab mir klar zu verstehen, dass ich die Tür besser nicht öffnete. Da ich keine Lust auf einen Streit, in den Äxte involviert waren, hatte, tat ich, was man von mir verlangte und entfernte mich von der Kellertür.
Nach einem Blick in die Küche stellte ich dann fest, dass hier in der Regel Menschen zu einem Haufen handgroßer Schnitzel verarbeitet wurden. Und ich würde der nächste sein, wenn ich mich nicht schleunigst befreien konnte. Ich sah mich weiter um und stieß in einem der Zimmer tatsächlich auf etwas Interessantes.
Hier stand ein riesiger Apparat, der sich nach kurzer Untersuchung als Sofortbildkamera herausstellte. Neben der Kamera lag ein Tagebuch, in dem jemand die Funktionsweise des Gerätes genau erklärte. Die Kamera machte Fotos der Zukunft. Schieß ein Foto und du weißt, was in 24 Stunden an der fotografierten Stelle geschieht. Ich schleppte das Gerät durch das ganze Haus und schoss von jedem Zimmer ein Foto. Irgendwo musste ich doch einen Hinweis platziert haben, der mir zeigen würde, wie ich diesen verdammten Jungen überwältigen konnte. Und tatsächlich: An der Innenseite der Haustür hing auf einem der Fotos ein Zettel, der in dem Moment, in dem ich das Foto schoss, noch nicht dort hing. Auf dem Zettel stand: “Laptop im Schreibtisch. 1. Stock. Hacker helfen dir.” Es handelte sich hier um meine Handschrift. Schnell lief ich zu besagtem Schreibtisch und fand dort tatsächlich einen Laptop.
Ich schaltete ihn ein. Auf dem Desktop befand sich ein einziges Icon. Ich klickte es an. Ein Fenster öffnete sich und mich begrüßten drei Typen mit merkwürdig leuchtenden Brillen. Ich fragte sie nicht, warum sie diese Brillen trugen, sondern kam gleich zum Punkt: Das Band, das mich daran hinderte, mein Gefängnis zu verlassen. Es stellte sich heraus, dass die drei Typen Hacker waren und es für sie ein Leichtes war, das Band zu deaktivieren. Wie genau sie das taten? Das interessierte mich genauso sehr wir ihre Brillenwahl. Ich konnte endlich unbemerkt das Haus verlassen. Und das tat ich auch. Selbstverständlich nicht, ohne eine kleine Nachricht an der Haustür zu hinterlassen. Für morgen. Und gestern.
Ich befand mich noch immer auf dem Filmgelände. Ich fand mein Auto und stellte überrascht fest, dass der Schlüssel noch steckte. Ich startete den Wagen und fuhr davon. Von dem Fremden habe ich nichts mehr gesehen. Aber er war mir auch egal. Ich wollte nach Hause. Ohne Pause fuhr ich immer weiter und weiter. Es dauerte fast drei Stunden, bis ich das Ortsschild meiner Heimatstadt erblickte. Als ich in meine Straße einbog, war ich erleichtert. Ich verließ das Fahrzeug und stand vor den Ruinen meines Hauses. Ja, es war zerstört, doch ich würde es wieder aufbauen. Mit diesem Gedanken klingelte ich bei meinen Nachbarn, um ihnen mitzuteilen, dass ich wieder da war. Sie waren sichtlich überrascht, hatten sie mich doch für tot gehalten. Ich versicherte ihnen, nicht tot zu sein. Sie lachten. Ich lachte. Plötzlich zog die Ehefrau meines Nachbarn eine Pistole hervor. Sie schaute mich ernst an und sagte: “Du warst tot. Das kann nicht sein.” Als sie abdrückte, hörte ich noch den Knall mein Trommelfell erreichen.
Ich wachte auf und schrie ein wenig. Sofort fragte mich meine Frau, was geschehen sei. “Keine Sorge.”, beruhigte ich sie. “Es ist nichts. Ich glaube, dass das Fantasy Filmfest 2014 mit seinen 62 Filmen in 12 Tagen ein bisschen viel für mein Gehirn war und es diese Nacht versucht hat, alles Gesehene zu verarbeiten.” Meine Frau legte sich wieder hin und grummelte: “Tja. Jetzt, wo du wach bist, kannst du ja Brötchen holen. Du wolltest heute doch sowieso früher aufstehen, weil du noch ein Fazit zum Festival schreiben wolltest.” “Ja.”, stimmte ich ihr zu und erhob mich seufzend aus dem Bett. “Ja, das wollte ich.”