Animal Crossing: New Leaf – Loslassen

Animal Crossing: New Leaf - Loslassen

Tim hat mir ein Foto von sich geschenkt. Wird es mir endlich gelingen? Kann ich endlich los- und ihn gehen lassen. Vielleicht. Ich weiß es noch nicht. Ich kann es nicht. Aber ich sollte. Wenn es doch so einfach wäre.

Tim. Bastian. Warzi. Hubert. Herbert. Twiggy. Tschiwi. Maria. Marga. Katrin. Eigentlich kann ich mir nur sehr schwer Namen merken. Vor allem in Videospielen, Filmen und Serien. Irgendwie schenke ich Namen in meinem Leben nur wenig Beachtung. Warum, weiß ich nicht. Ist aber auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass ich gerade ohne lange darüber nachzudenken die Namen meiner zehn “Animal Crossing: New Leaf”-Stadtbewohner auflisten konnte.

Ich mag sie. Alle. Sie sind mir ans Herz gewachsen. Über 220 Stunden lebe ich mittlerweile in Bommeln und seit dieser Zeit habe ich mit den zehn oben genannten Personen zusammengelebt. Ich habe mich mit ihnen unterhalten, ihnen geholfen, sie besucht, sie mich besuchen lassen, ihnen Briefe geschrieben und ihre Briefe gelesen. In dieser Zeit habe ich sie kennengelernt. Jeder hat einen eigenen Charakter. Der eine ist ein wenig eitel, der andere geizig, ein anderer sportlich, der andere schnell gereizt. Ich mag sie alle.

Leider ist keiner von ihnen wie ich. Keiner von ihnen bleibt gerne am gleichen Ort. Während ich alles daran setze, Bommeln umzugestalten, attraktiver und abwechslungsreicher zu machen, erzählen mir meine Mitbewohner hin und wieder, dass sie weg wollen. Weg aus Bommeln. Weg von mir. Dabei habe ich ihnen nie etwas getan. Gut, machmal verkaufe ich in der Fundgrube Möbel, die sie mir geschenkt haben, aber ansonsten? Ich pflücke ihnen sogar Birnen von einem neben ihnen stehenden Baum, wenn sie welche möchten und gerade eine Phase der Faulheit durchmachen. Ich will nicht, dass sie gehen. Ich will verdammt noch mal nicht, dass sie gehen.

So. Nun ist es raus. Ich will nicht, dass sie gehen. Und das zieht sich jetzt seit Wochen hin. Nein, seit Monaten. Einmal kam Marga zu mir und erzählte davon, dass sie es in Bommeln nicht mehr aushält. Sie brauchte unbedingt mal wieder etwas Abwechslung. Und ich? Ich sagte ihr, sie solle bleiben. Diese Antwort überrumpelte sie und sie überlegte es sich anders. Sie warf all ihre Lebenspläne über den Haufen. Für mich. Weil ich ihr Freund bin und sie verdammt noch mal nicht verlieren will. Ich will niemanden verlieren. Ich will meine Freunde um mich haben. Ich brauche sie doch.

Jeder meiner Mitbewohner wollte Bommeln mittlerweile mindestens einmal verlassen. Immer war ich es, der ihre Pläne durchkreuzte. Mit einem einfachen “Geh nicht!”. Das geht nun schon so lange so, dass ich mich schlecht fühle. Ja, es sind Videospielcharaktere, die sich nach einem ganz bestimmten, einprogrammierten Muster verhalten. Das weiß ich. Aber es fühlt sich nicht so an. Ich will nicht, dass sie wegziehen, weil ich sie nicht verlieren will. Weil ich sie mag. Und so viel mit ihnen erlebt habe.

Aber dann sitzt da diese kleine Frau in meinem Kopf. Sie seufzt, wenn ich den Bommlern die Ausreise verweigere. Jedes Mal. Immer und immer wieder. Und die Seufzer werden lauter. So laut, dass ich sie nicht mehr überhören kann und anfange, mein Verhalten in Frage zu stellen.

Will ich wirklich derjenige sein, der die Lebensplanung anderer Personen zerstört? Will ich Leute aufhalten, weil ich damit nicht klarkomme, sie nicht mehr um mich zu haben? Will ich wirklich so jemand sein? Nein. Eigentlich nicht. Und sein wir ehrlich: Veränderungen sind und tun gut. Wenn ein Künstler stirbt, ist das natürlich schlecht. Aber macht er damit nicht auch automatisch Platz für etwas Neues? Möchte man wirklich für alle Ewigkeiten Bilder von Picasso sehen? (Nichts gegen Picasso!) Ist es automatisch schlecht, wenn etwas Neues auftaucht? Nein. Und wer weiß: Vielleicht gefällt einem das Neue plötzlich besser als das Alte?

Wer weiß schon, wer als nächstes nach Bommeln ziehen wird? Ist es nicht aufregend, jemand neues kennenzulernen? Wie heißt er oder sie? Was ist es für ein Wesen und was sind seine Hobbies? Ich habe mittlerweile viele Reisen in andere Städte unternommen, ob nun per Bahn oder Schlummerhaus. Immer sind mir andere Personen begegnet, die in den kurzen Momenten, die wir gemeinsam verbrachten, niemals uninteressant wirkten. Möchte ich wirklich niemandem von ihnen die Möglichkeit geben, Bommeln kennenzulernen? Will ich keine NEUEN Freundschaften? Will ich um mich herum eine Stadt des Stillstands kreieren und meine Mitbewohner in Bommeln einsperren, damit ich mich besser fühle? Ihnen ein schlechtes Gewissen machen, weil sie über Neuerungen in ihrem Leben nachdenken? Nein, nein, nein. Das will ich nicht.

Und dann schenkte mir Tim plötzlich ein Foto von sich. Ich kenne die Fotos noch aus “Animal Crossing: Wild World”. Ein Foto steht für eine starke Freundschaft zwischen dem Spieler und dem Fotoschenker. Man hat ihm geholfen, sich mit ihm unterhalten… sich eben mit ihm angefreundet. Und dieses Foto ist ein Beweis dafür. Auf der Rückseite des Fotos stehen Name, Geburtstag, Sternzeichen und das Motto der Person. Eine wundervolle Erinnerung.

Vermutlich ist es dieses Foto, das mich nun davon überzeugt hat, Tim bei der nächsten Gelegenheit gehen zu lassen. Ja. Ich glaube, dass ich ihn ziehen lassen kann. Ich habe ja sein Foto und werde mich so immer an ihn erinnern. Ich werde Tim niemals vergessen. Wie er mich gleich bei unserer ersten Begegnung gefragt hat, ob ich Wrestling mag. Tim und Wrestling. Wundervoll.

Tschiwi hat mir einen Tag nach Tim ebenfalls ein Foto von sich geschenkt.

Animal Crossing: New Leaf - Loslassen

Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.

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