Sie hatte alles verloren. Hätte sie damals doch nur auf ihre Eltern gehört. “Lass das mit der Börse. Aktienspekulationen sind riskant!” Ach, Eltern. Meinen immer, alles besser zu wissen. Anna hatte ihnen nicht zugehört. Sie hatte es für richtig gehalten, nach ihrer Bäckerausbildung an der Börse anzufangen. Also war sie ihrer inneren und nicht der vernünftigen Stimme der Eltern gefolgt.
Es hatte drei Tage gedauert, bis sie endlich verzweifelt einen Blick in den Duden geworfen hatte.
Spekulationen: 1a) Auf bloßen Annahmen, Mutmaßungen beruhende Erwartung, Behauptung, dass etw. eintrifft. 1b) (Philos.) Hypothetische, über die erfahrbare Wirklichkeit hinausgehende Gedankenführung. 2) (Wirtsch.) Geschäftstätigkeit, die auf Gewinne aus zukünftigen Veränderungen der Preise abzielt.
Spekulatius: Flaches Gebäck aus gewürztem Mürbeteig in Form von Figuren.
Ups.
Diese Verwechslung hatte sie die drei Milliarden Euro gekostet, die sie zuvor während der Bäckerausbildung mit Hilfe diverser Nebenjobs als Toilettenreinigungskraft angespart hatte. Ärgerlich. Anna war pleite. Richtig pleite. Im Internet informierte sie sich über Jobmöglichkeiten als Spekulatiusspezialistin und beschloss daraufhin, sich umzubringen. Da Anna Angst vor Schusswaffen hatte, beschloss sie, sich mit Hilfe des Fernsehprogramms umzubringen. Wieder informierte sie sich im Internet und erfuhr so schnell, dass sich hierfür Horoskopsendungen am besten eigneten.
Vielleicht sollte man erwähnen, dass Anna aufgrund ihrer Verlustgeschäfte eigentlich auf der Straße lebte. Da es dort aber weder Internet noch Fernsehen gab, war sie irgendwann in ein Haus eingebrochen, hatte alle dort lebenden Personen auf brutalste Weise abgeschlachtet und dort ein neues Leben als Mörderin begonnen. So war es ihr zuvor auch überhaupt erst möglich gewesen, im Internet Dinge nachzuschlagen
Also setzte sich Anne eines Nachts vor den Fernseher und sah durchgeknallten Menschen dabei zu, wie sie bedauernswerten Existenzen blöde Ratschläge gaben. Anna hatte das mit den Sternzeichen und Planetenkonstellationen noch nie verstanden. Aber sie ließ sich gehen, schließlich wollte sie sterben.
Leider funktionierte das alles nicht. Zwar merkte Anna, wie sich ihr Intelligenzquotient von Minute zu Minute verringerte, den Tod sah sie dadurch aber noch immer nicht näher kommen. Enttäuscht schaltete sie nach ein paar Stunden den Fernseher aus. Es war zwecklos. Sie würde nicht sterben.
Stattdessen legte sie sich auf ein Sofa und blätterte durch die Zeitschriften, die die toten ehemaligen Hausbesitzer zuletzt gelesen und noch nicht weggeworfen hatten. So erfuhr Anna, dass im Durchschnitt einmal am Tag irgendwo auf der Erde ein Stück Gestein aus dem Weltall auf die Erde Fällt. Ein Kometen- oder Asteroidensplitter zum Beispiel. Unnützes Wissen. Das hatte Anna noch nie leiden können.
Sie warf die Zeitungen in das Feuer, das sie wenige Minuten zuvor in der Mitte des Wohnzimmers entfacht hatte, um die letzten Kadaverreste zu verbrennen. Sie ging zum Bücherregal und stieß auf eine Märchensammlung. “Sterntaler”. Ein armes Mädchen verdient Geld, indem es auf die Erde gefallene Sterne aufsammelt. “Gar nicht mal so dumm.”, dachte Anna. Sie zog sich ein Kleid an, verließ das Haus, stieg auf einen Berg und bat die Sterne darum, ihr als Geldstücke in die Hände zu fallen.
Lustigerweise streifte in diesem Moment ein Meteoritenschauer die Erde. Ein paar der Gesteinsbrocken schafften es tatsächlich, auf der Erde einzuschlagen. Einer von ihnen durchschlug dabei Annas Kopf. All ihre Probleme lösten sich sofort in Luft auf und sie konnte endlich ein sorgloses Leben führen. Wie das Mädchen im Märchen. Und den “Und wenn sie nicht gestorben ist”-Satz kann man sich an dieser Stelle zum Glück auch sparen.