Konservierte Freude

Konservierte Freude

Mein Name ist dypos, ich bin süchtig nach Konservenessen und bevor jetzt eine Horde depressiver Menschen “Hallo dypos.” schreit, rede ich einfach weiter. Meine Sucht begann vor einigen Jahren, als ich zum ersten Mal einen Supermarkt betrat und von der dortigen Konservenauswahl überrumpelt wurde. Was für ein Anblick! Ich rannte sofort in die Taschentuchabteilung und kaufte mir eine große Packung Tatüs, um meinen Speichelfluss zu unterbinden. Dann ging ich zurück zu den Konserven. Und so fing alles an.

Heute sitze ich in meiner Wohnung und weiß nicht mehr, was mit mir los ist. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Konserven denke. Reis, Nudeln, Mais, Erbsen, Möhren… ich könnte noch stundenland Dinge aufzählen, die ich in meiner Speisekammer horte. Ja, ich horte Konserven. Warum? Weil ich sie vielleicht mal brauchen könnte. Und weil sie am Kauftag billig waren. Letzteres ist der Hauptgrund.

Der Supermarkt in meiner Gegend hat ein ganz besonderes Verkaufskonzept. Jeden Tag ist eines der angebotenen Konservenprodukte im Angebot. 10%, 33%, 50%, 66%, 75%. Manchmal sogar 90%! Aber das ist noch lange nicht alles. Mehrmals im Jahr gibt es Sonderverkäufe. Da werden die Preise fast aller erhältlichen Produkte zwei Wochen lang stark reduziert. Sommerschlussverkauf, Winterschlussverkauf… sogar im Frühling oder um Herbst gibt es diese Tage, an denen ich mich einfach nicht mehr beherrschen kann.

Ich suche besagten Supermarkt täglich auf. Jeden Tag stehe ich vor seinen Toren und meistens zögere ich kurz und überlege, ob ich ihn wirklich betreten sollte. Ich weiß, dass mit mir etwas nicht stimmt. Ich weiß, dass ich etwas Falsches tue. Aber ich kann nicht mehr damit aufhören. Es ist zu spät. Ich bin dem Schnäppchenwahn verfallen.

In meiner Abstellkammer befinden sich in diesem Moment 302 Konservendosen. Ich führe Buch über meine Einkäufe, schließlich muss ich wissen, was ich bisher gespart habe. Ihr wollt Fakten? Gerne. Während des letzten Winterschlussverkaufs habe ich 95,93 Euro für 21 Konserven bezahlt. Das mag nun nach viel aussehen, doch muss man folgendes bedenken: Ich hätte 214,36 Euro MEHR ausgegeben, wenn ich nicht während des Schlussverkaufs eingekauft hätte. 95,93 Euro statt 310,29 Euro. Ich habe 70% gespart. Kann man da wirklich nein sagen? Ich nicht.

Obwohl ich es sollte. Von den 21 Konservenprodukten habe ich bis heute, fast einen Monat später, gerade einmal zwei gegessen. 2 von 21. 10%. Warum ich mir das Essen gekauft habe, obwohl ich gar keinen Hunger darauf hatte? Ich sagte es bereits: Weil sie am Kauftag billig waren. Ich kaufe nicht mehr das, worauf ich Lust habe, sondern das, was gerade billig ist. Mein Motto: Irgendwann will ich es bestimmt mal haben.

Die Gefahr an den Konserven ist ja auch ihre Haltbarkeit. Es macht überhaupt nichts, die Dinger ein paar Monate oder gar Jahre in der Kammer stehen zu lassen. Sie verderben nicht. Ich besitze ein paar Dosen bereits seit Jahren, ohne sie geöffnet zu haben. Meistens stelle ich neuere Dosen einfach vor sie und vergesse die alten dadurch. Hin und wieder krame ich sie dann eher zufällig hervor und bin erstaunt, dass ich einmal Lust auf dieses Zeug hatte. Geschmäcker ändern sich.

Gerade habe ich übrigens riesigen Hunger auf Maisgemüse. Aber das kostet aktuell 4,99 Euro. Kein Rabatt, kein Angebot. Also kaufe ich es nicht. Dafür schreibe ich es auf meine Wunschliste. Das ist ein Zettel, der an meiner Pinnwand in der Küche hängt. Diesen nehme ich täglich mit in den Supermarkt und gucke, ob eines der Produkte gerade runtergesetzt wurde. Wenn ja, kaufe ich es. Auch, wenn ich zu dieser Zeit vielleicht gar keine Lust mehr darauf habe. Es ist billig und ich wollte es mal haben. Bestimmt bekomme ich irgendwann wieder Lust darauf.

Mittlerweile bin ich an einem Punkt der Übersättigung angelangt. Ich habe alles in meiner Speisekammer, um meinen Hunger ein Jahr lang stillen zu können. Aber das ist auch das Problem: Ich weiß nicht mehr, was ich zuerst essen soll. Ich habe zu viel Auswahl. Hunger auf Fleisch? Nehme ich Hähnchen, Pute, Rind, Fisch, Schwein oder Ente? Bereite ich mir Ente zu, bekomme ich beim Essen plötzlich mehr Hunger auf Schwein. Also öffne ich die Dose mit dem Schweinefleisch. Und bemerke, dass Fisch gerade noch besser wäre. Das sorgt dafür, dass ich irgendwann gar keinen Hunger mehr auf Fleisch habe. Also greife ich zu den Erbsen. Kommt der Fleischhunger dann nach zwei Tagen wieder, sehe ich die drei geöffneten Dosen in der Küche stehen und habe gar keine Lust mehr, mich mit ihnen zu befassen. Zu viel angefangen, nichts vollendet. Ich greife zum Rindfleisch.

Ich wünsche mir die Zeit herbei, als ich Essen kaufte, auf das ich in diesem Moment Hunger hatte. Damals genoss ich jede Speise. Mittlerweile nicht mehr. Ich sitze hier und frage mich, was passiert ist. Warum muss ich selbst bei niedrigen Preisen auf ein Angebot warten?

Was kann ich tun, um aus dieser Schnäppchenspirale zu entkommen? Sollte ich einfach in den Supermarkt gehen und mir das Maisgemüse kaufen auf das ich so Lust habe? Was interessiert es mich, ob das Zeug in drei Tagen vielleicht im Angebot ist? Sind mir die wenigen gesparten Euro wirklich so wichtig? Oder sollte ich erst einmal gar nicht mehr einkaufen und mich mit den bereits bezahlten Konserven beschäftigen? Die Auswahl ist so groß, dass ich realistisch betrachtet nichts Neues brauche. Soll ich mich mit Neuem beschäftigen und das Alte vergessen? Oder soll ich erst einmal mit meiner Vergangenheit aufräumen? Vermutlich liegt das Problem aber ganz woanders. Ich sollte viel eher damit aufhören, meine Einkäufe nach Angeboten zu richten.

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