Genürsel 2014 – 26/52 – Videotext

Genürsel 2014 - 26/52 - Videotext

Immer, wenn mir langweilig ist, erfinde ich Spiele, die mich von dieser Langeweile ablenken sollen. Das funktioniert in der Regel überhaupt nicht, manchmal aber schon. Eins meiner erfolgreichsten Spiele hört auf den Namen “Videotextwürfeln”. Der Videotext ist eine unglaublich faszinierende Erfindung, die durch das Internet zwar eigentlich hinfällig geworden, trotzdem aber noch überall zu finden ist. Im Videotext herumzustöbern macht Spaß und erinnert mich an meine Jugend, eine Zeit, in der man vor dem Videotext hockte und die Fußballergebnisse und Livetabelle beobachtete, während man gleichzeitig die Liveberichterstattung im Radio verfolgte. Auch die Programmübersicht wurde von mir hin und wieder konsultiert, hierfür hatte ich auf meinem Schreibtisch extra eine Liste mit wichtigen Videotexttafeln liegen.

“Videotextwürfeln” sorgt dafür, dass ich mich hin und wieder in diesen Erinnerungen wälzen kann. Die Regeln sind ganz einfach: Videotext eines beliebigen Senders öffnen und einen Würfel in die Hand nehmen. Dreimal würfeln, die Zahlen nebeneinander notieren und daraufhin die sich daraus ergebende Videotexttafel aufrufen. Würfelt man also beispielsweise 1, 3 und 7, wird die Tafel 137 geöffnet. Und dann? Das kann ich euch leider nicht genau sagen. Im Grunde ist das Ganze nur eine Möglichkeit, sich inspirieren zu lassen. Lest euch die Seite in aller Ruhe durch, amüsiert euch über ihre Inhalte und geht zur nächsten. Oder macht mehr aus der Sache. Nutzt die Tafeln als Schreibübung. Wählt drei Sender, würfelt für jeden fünf Videotexttafeln aus und lasst den Spaß beginnen!

Das Erste

354: Werbung für die Sendung des Kabarettisten, oh, ich bitte um Entschuldigung, KULT Kabarettisten Michl Müller. “Ob Ukraine-Krise oder Merkels Outfit…” hier breche ich bereits ab. Sich über die Kleidung oder auch einfach generell das Aussehen eines Menschen lustig zu machen, ist leicht, billig, unlustig und oberflächlich. Wenn einen das bereits zu einem Kultkabarettisten macht, möchte ich keiner werden. Viel lieber wäre ich der aus einem zuvor gemachten Schreibfehler entstandene Kiltkabarettist. Dann können sich alle meine Konkurrenten über mein kleines Röckchen lustig machen und den Kult in ihre Jobbezeichnung aufnehmen. Das erinnert mich an Menschen, die sich bei einer schriftlich geführten Diskussion auf die Rechtschreibfehler der Gegenseite stürzen und glauben, die Diskussion dadurch in ihre Richtung lenken zu können. Wer so etwas macht, hat keine Argumente mehr. Auch bei verbalen Diskussionen ist es immer äußerst anstrengend, wenn sich die Gegenseite plötzlich über einen Verhaspler lustig macht. All das geht mir tierisch auf die Nerven. Anmerkung: Ich kenne Michl Müller nicht. Ich recherchierte ein wenig und konnte mir eine oberflächliche Meinung bilden, doch ist eine solche Meinung selbstverständlich nicht aussagekräftig. Es steht jedem frei, sich auf Karnevalsveranstaltungen bloßstellen zu lassen oder nicht. Der eine macht es, der andere nicht. Michl Müller macht es.

263: Anscheinend haben zwei Fußballvereine gegeneinander Fußball gespielt. Hertha BSC Berlin gegen den 1. FC Köln. Ich gucke kein Fußball mehr und kann somit nicht sagen, ob das 0:0 jetzt in irgendeiner Form von Bedeutung ist oder nicht. Also für andere Menschen von Bedeutung. Menschen, die Fußball gucken. Anmerkung: Ich habe nichts gegen Menschen, die Fußball gucken und möchte mich an dieser Stelle nicht über sie lustig machen. Viel lustiger sind die vielen Anmerkungen, die ich hier im Text verstecke, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Darüber darf sich gerne lustig gemacht werden

353: “extra 3: Das Satiremagazin. Die Themen liegen zurzeit noch nicht vor.” Tja. Schade.

543: “Panzella-Brotsalat”. Ein dreiseitiges Rezept, alle paar Sekunden wechseln die Seiten automatisch, was die Erfassung aller Informationen ein wenig erschwert. Ich bin kurz davor, die Seiten einfach abzufotografieren, um sie später in Ruhe lesen zu können. Dann fällt mir jedoch auf, dass mich hier lediglich das Wort “Brotsalat” interessiert und ich dieses nicht extra fotografieren muss, um es mir zu merken. Dennoch amüsiert mich die Vorstellung eines Brotsalats. Brotscheiben in Wasser einweichen, nach einiger Zeit ausdrücken und anschließen zerreißen? Wie aufregend! Vielleicht werde ich mir die nächsten Tage tatsächlich mal einen Brotsalat zubereiten. Das war selbstverständlich eine Lüge. Brotsalat. Was für ein schönes Wort.

115: In Frankreich wurde laut Videotext ein terroristischer Anschlag verhindert. Man hatte den festgenommenen Studenten seit einem Jahr überwacht. Gute Arbeit, wenn all das stimmt. Habe ich eigentlich Angst vor Terroristen? Ich lebe schließlich in Frankfurt, und das ist nicht nur groß, sondern klingt auch noch ein wenig wie Frankreich. Oh je! Aber um ehrlich zu sein: Nein, ich habe keine Angst vor Terroristen. Beziehungsweise habe ich schon Angst vor Terroristen, aber eben genauso viel Angst wie davor, von einem betrunkenen Autofahrer oder einer betrunkenen Autofahrerin überfahren zu werden. Die Möglichkeit besteht, es kann passieren, aber es stellt einfach keine unmittelbare Bedrohung dar, vor der ich mich den ganzen Tag lang fürchten muss. Eher fürchte ich mich zum Beispiel vor einem Wohnungsbrand. All die technischen Geräte in der Wohnung, der Computer ist im Grunde den ganzen Tag lang an. Und: In dem Haus, in dem sich meine Wohnung befindet, leben insgesamt sieben Parteien. Dadurch ist die Feuergefahr siebenmal so groß wie in einem Haus, in dem nur ein Haushalt lebt. Terroristen? Können mich theoretisch irgendwann erwischen. Aber dagegen kann ich nichts tun. Morgen kann mich auch ein Verrückter oder eine Verrückte auf der Zeil abstechen. Dies zu verhindern, steht nicht zu 100% in meiner Macht. Gegen einen Wohnungsbrand kann ich da schon mehr tun. Nachts die Stromleisten ausschalten zum Beispiel. Bin ich sicher? Nein. Habe ich Angst? In der Regel nur, wenn ich nachts im Bett liege und nicht einschlafen kann. Aber in diesen Momenten hat das eigene Gehirn schließlich nie etwas Besseres zu tun, als einen mit Panik- und Angstattacken zu überrumpeln. Dagegen hilft übrigens schnelles Einschlafen. Manch einer nennt mich auch Dr. Nutzlos.

ZDF

255: Auch Eintracht Frankfurt und Borussia Mönchengladbach trennten sich 0:0. Von Frankfurtern werde ich häufig schief angesehen, wenn ich ihnen erzähle, dass mir die Eintracht vollkommen egal ist. Das nervt. Und noch etwas nervt: Dass es Menschen gibt, die die Spannung eines Fußballspiels am Ergebnis festmachen wollen. “0:0? Das klingt aber langweilig.” Und dann präsentiert man ihnen ein Spiel, das 7:0 ausging, und hört das Gleiche. Das Ergebnis teilt einem mit, wer gewonnen hat. Nicht mehr und nicht weniger. Ein 0:0 kann spannender sein als ein 7:6. Das muss nicht so sein, aber es kann. Eine Sache bedaure ich übrigens an meiner Eintracht-Ignoranz: Ich habe noch nie einen Fuß in das Frankfurter Fußballstadion gesetzt. Ich weiß nicht einmal, wie das Stadion heißt, aber ich würde es gerne einmal von Innen sehen. Doch am Ende des Tages gebe ich mein Geld dann doch lieber für Bratwurst aus.

341: Die Teletexttafel 341 ließ sich leider nicht aufrufen. Ich wartete mehrere Minuten lang darauf, dass die Seite irgendwann doch erschien, leider erfolglos. Während des Wartens fiel mir dafür auf, wie entspannend und spannend zugleich es sein kann, dem Videotext beim Suchen einer Seite zuzusehen. Die Seitenzahlen werden von Millisekunde zu Millisekunde größer, bis irgendwann die letzte Videotextseite erreicht wird und sich das Spiel wiederholt. Kamen die Zahlen in die Nähe der 341, wurde ich nervös. “Vielleicht jetzt?” Es folgte stets die Enttäuschung. “Vielleicht beim nächsten Mal?” Es funktionierte einfach nicht. Bei Einschlafproblemen rät Dr. Nutzlos somit zur Videotexttafel 341 im ZDF Videotext. Besser als Schäfchenzählen ist es allemal.

121: Die Opposition will auch de Maizière befragen. Wozu? Es geht um die G36-Affäre. “Affäre” ist ein Wort, das von den Medien immer dann herausgekramt wird, wenn man gerade keine Lust auf das Wort “Skandal” hat, weil man bereits zehn andere Dinge an diesem Tag als einen solchen bezeichnet hat und man Wortwiederholungen eher vermeiden will als Panikmache. Gibt es da eine Rangordnung? Wann wird aus der G36-Affäre der G36-Skandal? Wann setzt endlich die G36-Debatte ein? Und wann fällt den Leuten auf, dass G36 kein guter Name für ein Gewehr ist? Wenn ich ab jetzt vom G8-Gipfel lese, muss ich immer erst nachgucken, ob es ein Treffen von Politikern oder der Waffenlobby ist. Hoffentlich wird die G36-Konferenzsitzung, in der die G36-Affäre diskutiert werden soll, G36-Gipfel genannt. Und die daraus resultierende Verwirrung G-Affäre. Oder doch schon G-Skandal? Entbrennt schon bald die G-Debatte? Kommt es zum G-Gate? Hoffentlich kommen die Politiker bei all dem Blödsinn in der Welt irgendwann einmal zum G-Punkt.

234: Basketball! “Dallas kassiert zweite Niederlage.” In der Grundschule habe ich zum ersten Mal Basketball gespielt. Das Punktesystem war zu dieser Zeit noch etwas… nun ja… unprofessionell. Warf man einen Korb, erhielt man zwei Punkte, warf man dagegen den Ball gegen das Brett, an dem der Korb befestigt war (wie auch immer diese Konstruktion heißen mag), erhielt man einen Punkt. Ja, ein bisschen billig war das schon, aber wir waren ja auch noch Grundschüler und klein und schwach und schlecht in Basketball. Bei einem Basketball-Klassenturnier konnte ich übrigens mal das Spiel durch einen Bretttreffer in der letzten Sekunde für mein eigenes Team entscheiden. Das stellt vermutlich den einzigen Triumph dar, den ich jemals in irgendeiner Sportart erzielte, über den man einen Film drehen könnte. Was jedoch viel wichtiger ist: Als der Sportlehrer uns damals die Regeln erklärte und dabei den Ball gegen das Korbbrett warf, prallte dieser etwas merkwürdig davon ab und flog nicht zurück in die Hände des Lehrers, sondern voll gegen meine Stirn. Meine Mitschüler lachten, ich lachte mit und seitdem hasse ich Basketball.

311: Die Themen des ARD-Mittagsmagazins lesen sich genauso langweilig, wie man es erwartet: “Züge stehen wieder still – Der Bahnstreik und die Folgen.” “Europa und die Migranten – Brauchen wir ein Einwanderungsgesetz?” Die Frage in der zweiten Zwischenüberschrift finde ich besonders gut. Hier, ich kann das auch: “ARD-Mittagsmagazin – Brauchen wir das wirklich?”

VOX

424: Tja. Es beginnt mit Entspannung durch eine fehlende Seite. Der VOX-TEXT lässt mich gleich zu Beginn im Stich. Ich kämpfe gegen die aufkommende Müdigkeit an und zähle stattdessen die Schafe, die ich auf meinem Balkon verwesen lasse, um aus ihren Überresten Überreste von Schafen herzustellen.

432: “Handy und DSL ohne Schufa 08-24 Uhr. Nur solange der Vorrat reicht. DSL/Internet & Handy ohne Schufa!” Das wäre dann wohl nicht nur die erste Werbeseite meiner Spielrunde, sondern zudem das erste Mal, dass ich mit blinkenden Texten in Kontakt gekommen bin. Bei der Hotline habe ich nicht angerufen, trotz “300 EUR sicher”. Die Schufa wird sich freuen.

232: Der 30. Spieltag der ersten Bundesliga sieht für mich genauso aus wie jeder andere Spieltag. Als Kind war ich übrigens großer Borussia Dortmund Fan. Nach einem genaueren Blick offenbart sich mir das Gemeine: Borussia Dortmund trifft an besagtem Spieltag auf Eintracht Frankfurt. Meine Jugendliebe trifft auf meine aktuelle Heimatstadt. Was da gerade emotional in mir vorgeht, ist unbeschreiblich. Gut, dass die Videotextseite alle paar Sekunden auf die Liste der Torschützen wechselt. Da bleibt Zeit zum Durchatmen. Werde ich zum Spiel einschalten? Selbstverständlich nicht, aber meine Aufmerksamkeit wird von folgendem am unteren Ende der Tafel sichtbaren Hinweis erregt: “Ihr persönliches Tageshoroskop -> 460”. Die Verlockung ist groß, doch ich verzichte auf den Aufruf der Seite. Ich möchte mir die Ergebnisse nicht im Voraus verraten lassen. Das bringt mich nur in Versuchung, mit Fußballwetten anzufangen. Auf den daraufhin eintretenden Wett-Skandal habe ich definitiv keine Lust. Auch eine Wett-Affäre kann mir gerne gestohlen werden. Ob die Richter es mir abnehmen, wenn ich dem VOX-Videotext-Horoskop die Schuld an meinen stets richtigen Tippergebnissen gebe?

566: “Dein Foto im VOX SMS Chat”. Ein SMS Chat? Mit Fotos? Man muss eine SMS mit einem Kennwort und dem Namen des Chatters, dessen Foto man sehen möchte, an eine bestimmte Telefonnummer schicken, um einen Link zu erhalten, der einen zu gewünschtem Foto weiterleitet. Komplizierter wäre der Vorgang wohl nur, wenn man das Foto per Post anfragen müsste. Auf den zweiten Blick wäre der Postweg glaube ich dann doch tatsächlich weniger kompliziert. Ist es nicht irgendwie passend, in einem veralteten Medium wie dem Videotext Werbung für veraltete Chatmethoden zu finden? Ein bisschen neugierig macht mich die Sache letztendlich schon. Vielleicht frage ich ja einmal die im VOX SMS Chat anwesenden Personen, was sie sich vom Toppspiel Dortmund – Frankfurt erhoffen. Als Foto würde ich übrigens ein Bild meines Geschlechtsteils wählen, denn ich habe gehört, dass das im gerade recht angesagten Internet total angesagt sei. So leiste ich immerhin einen kleinen Beitrag zur Modernisierung des VOX SMS Chats. Wer die Bezeichnung “kleinen Beitrag” übrigens auf die Größe meines Geschlechtsteils beziehen möchte, darf das gerne tun. Ich lache ebenfalls darüber. Seit mehreren Minuten.

462: Manchmal können Würfel ziemlich witzige Gesellen sein. Amüsierte ich mich zuvor noch über das persönliche Tageshoroskop, landete ich plötzlich auf genau diesem. Drei Seiten werden nach und nach automatisch geöffnet: Waage, Skorpion, Schütze, Steinbock, Wassermann und Fische. “Die Karrieresterne meinen es heute sehr gut mit Ihnen.” “Auch in der Liebe sollten sie…” Nein, ich lasse das wohl besser. Horoskope kennt doch nun wirklich jeder. Nichtssagendes Geschwafel ohne Bedeutung. Homöopathische Mittel und Placebos sind wirkungsvoller. Am Rand der Teletexttafel finden wir noch die Telefonnummer der “Gratis Kartenleger”. Kann man die auch per SMS Chat erreichen? Dank der hier angebotenen Fotos könnte ich den Gratis Kartenlegern immerhin ganz tief in die Augen spucken, wenn mir danach ist. Mein armes Handy. Ganz klebrig. Igitt. Über das anstehende Fußballspiel haben die Horoskope übrigens kein Wort verloren. Enttäuschend.

Ich könnte “Videotextwürfeln” vermutlich noch stundenlang weiterspielen, aber ich glaube, dass ich alles Wichtige für heute gesagt habe. Der Videotext. Ein faszinierender Ort voller Geheimnisse und Anregungen.

Genürsel 2014 - 26/52 - Videotext

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