Genürsel 2014 – 25/52 – Schlüssel

Genürsel 2014 - 25/52 - Schlüssel

Der Schlüssel zu einem erfolgreichen Leben als Schriftsteller ist gar kein Schlüssel, sondern ein ganzer Schlüsselbund, vollgepackt mit den unterschiedlichsten Schlüsseln für Türen, die man in seinem Leben noch nie geöffnet hat, oder vielleicht auch nie wieder öffnen will. Was das bedeutet? Wieso Schlüssel? Wieso Türen? Manchmal muss man sich den Bildern im eigenen Kopf einfach hingeben, ohne Fragen zu stellen. Schließlich gibt es schon genug Fragen da draußen. Zum Beispiel diese: Wer steht dort drüben am Fenster meiner inneren Augenwohnung und winkt wie verrückt?

“Wer sind Sie?”
“Der Erfolg.”
“Und was möchten Sie?”
“Definiert werden.”
“Na gut.”

Dann definiere ich eben, was Erfolg bedeutet. Erfolgreich ist man, wenn man mit dem, was man tut, zufrieden ist. Man mag nun einwenden, dass ich hier gar nicht “Erfolg”, sondern “erfolgreich” definiert habe, doch mag man mir diesen unbedeutenden Fehler bitte verzeihen. Ich bin noch ein wenig mitgenommen. Vor Kurzem wurde ich Zeuge folgenden Dialogs:

“Hast du schon einmal Obst gegessen?”
“Ja.”
“Tatsächlich?”
“Natürlich! Was ist denn daran so merkwürdig?”
“Naja, ich habe in meinem Leben noch nie Obst gegessen. Klar, Äpfel, Birnen, Bananen habe selbstverständlich bereits zu mir genommen, aber Obst? Nein. Noch nie.”

Nach einem solchen Gespräch kann man schon einmal Begriffe wie “Erfolg” und “erfolgreich” gleichsetzen. Und daraufhin die Frage stellen, ob es da überhaupt einen Unterschied gibt oder ich mich mit dieser elendigen Fragerei lediglich wichtigmachen möchte. Wie gesagt: So viele Fragen. Um auch mal ein paar Antworten zu liefern, entferne ich nun ein paar Schlüssel von meinem Schlüsselbund und erkläre, warum ich sie die ganze Zeit über mit mir herumschleppe.

1) Leidenschaft. Benutzt niemals das Wort Leidenschaft, wenn euch jemand fragt, warum ihr schreibt. Das Wort scheint in der schreibenden Zunft ein hohes Ansehen zu genießen, denn immer wieder muss ich Sätze wie “Schreiben war schon immer meine große Leidenschaft.” lesen. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch ertragen kann, mittlerweile mache ich tatsächlich einen großen Bogen um Autoreninterviews, weil ich befürchte, das Wort wieder einmal vor die Nase gesetzt zu bekommen. Und dann geht das ekelhafte Nasenbluten wieder los. Das Wort Leidenschaft ist fast so gutelaunezerstörerisch wie die Tipps, die man während Nasenbluten von den einen umgebenden Mitmenschen bekommt. Nach oben gucken, nach unten gucken, hinlegen und -setzen und -stellen, Waschlappen in den Nacken, Waschlappen auf die Stirn, Taschentuch ans Nasenloch, ausbluten lassen. Bei einer Lappalie wie Nasenbluten kommt plötzlich der Hobbyarzt in den anderen hoch, genauso wie in mir das Erbrochene, wenn ich diesen ekelhaften Ratschlägewust auf mich zukommen höre.

Also, liebe Autoren und Autorinnen, und vor allem liebe Hobby- und Nachwuchsautoren und -autorinnen: Erspart mir den Brechreiz, der durch Nasenblutenratschläge in mir ausgelöst wird, die wiederum wegen des Nasenblutens auf mich eindreschen, das ich wegen des Wortes “Leidenschaft” bekommen habe. Wäre Schreiben nicht eure Leidenschaft, würdet ihr es nicht machen.

“Warum sind Sie Schriftsteller geworden?”

“Schreiben war schon immer blöd.”

2) Regeln: Als Kind habe ich den Satz “Regeln sind da, um gebrochen zu werden.” immer so ausgelegt, dass ich mich nicht an die Regeln irgendwelcher Autoritäten halten musste. Der Spruch ist sehr einprägsam – und als Kind stets eine Begründung für Fehlverhalten vorliegen zu haben, war äußerst praktisch. Mittlerweile beziehe ich den Spruch aber eher auf das Schreiben, als auf meine kriminellen Machenschaften, die ich an dieser Stelle selbstverständlich nur erfunden habe, weil ich eigentlich ein ganz lieber Mensch bin, der hin und wieder eine düstere Seite erfindet, um wie Batman zu sein.

Zunächst das Wichtigste: Um Regeln zu brechen, muss man sie kennen und beherrschen. Möchte man ein Sonett parodieren, sollte man wissen, was ein Sonett ist. Hat man verstanden, wie Reimschemata funktionieren, kann man dieses Wissen nutzen, um den Lesefluss gezielt zu stören. Wer weiß, welche Rolle die Akte im klassischen Drama spielen, kann sie anders einsetzen, um Aufmerksamkeit zu erregen oder irgendetwas damit auszudrücken. Es gibt in der Welt des Schreibens unglaublich viel zu lernen und ich selbst bin noch lange nicht an dem Punkt angelangt, an dem ich alles kann, kenne und beherrsche. Diesen Punkt werde ich vermutlich nie erreichen. Aber man kann sich ihm nach und nach annähern. Man kann besser werden. Das wiederum ist sehr anstrengend. Neben Stift und Papier ist der Duden mein treuster Begleiter, und das muss einem nicht peinlich sein.

Es ist wichtig, allgemeine Regeln zu kennen, es ist aber nicht immer wichtig, diese strikt einzuhalten. Momentan lese ich das Buch “Jessica, 30.” von Marlene Streeruwitz, befinde mich auf Seite 60 und der erste Satz ist noch immer nicht zum Punkt gekommen. Ja, ein Satz, 60 Seiten, kein Ende in Sicht. Macht das Spaß? Ich möchte an dieser Stelle keine Wertung aussprechen, aber offensichtlich ist das Buch anstrengend zu lesen. Gleichzeitig jedoch auch ungemein interessant. Hier werden so viele Regeln auf einmal gebrochen, dass ich es einfach nicht übers Herz bringe, das Buch zur Seite zu legen. Hin und wieder muss man sich auch einmal durch etwas durchquälen, um sich mit Neuem zu konfrontieren. Mein nächstes Buch wird zwar auch nach “Jessica, 30.” wie meine vorherigen Bücher auch aus mindestens zehn Sätzen bestehen, dennoch wird etwas hängen bleiben. Man muss sich nicht an gängige Konventionen halten. Nur, weil die Allgemeinheit gerne klar strukturierte Spannungsbögen vorgesetzt bekommt, muss man sie ihr nicht zwanghaft vorsetzen. Man sollte trotzdem wissen, warum alles so ist wie es ist und mit welchen Konsequenzen man deswegen rechnen muss.

Ich glaube, “Macht, was ihr wollt!” ist eine schöne Zusammenfassung dieses Schlüssels. Schreibt doch einfach, wie ihr wollt und was ihr wollt und worüber ihr wollt. Oh je. Das ist doch absoluter Blödsinn! Was für ein Geschwafel. Die Kritiker werden mich in der Luft zerreißen! Oh! Das ist ja toll! Mein Schlüsselbund klimpert vor Aufregung! Ein neuer Schlüssel drängt sich ins Rampenlicht.

3) Kritiker: Kritiker sind toll und aufregend! Heutzutage will einfach so gut wie jeder seine Meinung in der Welt verbreiten und das Internet gibt einem die Möglichkeit und motiviert einen sogar dazu. Kritiker teilen einem ihre Meinung mit und als nichts anderes sollte man das Ganze sehen. Kritiken sind subjektiv. Mit Kritik umzugehen ist da schon etwas schwerer, als sie einfach nur zu äußern.

Mir wurde einmal gesagt, mein Buch “Nicht immer nur meckern” sei zu kurz. Vor allem für den Preis von 12,99 Euro. Die Länge eines Buches mit dessen Preis ins Verhältnis zu setzen, halte ich, zumindest in einem gewissen Rahmen, für ziemlich absurd. Die gleiche Diskussion wird aktuell auch im Videospielebereich geführt. Wie lang sollte ein Spiel sein, für das man 60 Euro bezahlen muss? Sollte man überhaupt 60 Euro für ein Spiel bezahlen? Auch hier kann ich mit der Diskussion nichts anfangen. Bei einem guten Spiel heule ich dem gezahlten Betrag nicht hinterher. Bei einem schlechten Spiel schon. Ein gutes Spiel für 60 Euro? Gerne. Ein schlechtes für 6 Euro? Nein, danke.

Es folgt ein gigantisches Aber: ABER! Wenn jemand besagten Vergleich zwischen Buchlänge und Preis heranziehen möchte und dieser für die Person einen, auf die Endnote der Kritik bezogen, relevanten Punkt darstellt, dann kann ich das akzeptieren. Jeder Mensch hat andere Dinge, die ihm wichtig sind und auf die er achtet. Und das ist gut so. Ich werde mich niemals über die oben geschilderte Meinung lustig machen. Nur, weil ich sie nicht nachvollziehen kann, ist sie nicht weniger legitim als meine.

Das Ganze wirft eher eine andere Frage auf: Ist es jetzt eigentlich positiv oder negativ konnotierte Kritik, wenn das eigene Buch als “zu kurz” bezeichnet wird. Es klingt jedenfalls definitiv besser als “zu lang” und es ist wirklich sehr erfreulich, dass mein Buch keine Langeweile hat aufkommen lassen. In dieser Hinsicht bin ich zufrieden. Aber da ist noch etwas: So kurz ist mein Buch gar nicht, obwohl es auf den ersten Blick vielleicht so aussehen mag. Das Format meines Buchs ist etwas größer als das eines gewöhnlichen Taschenbuchs. Ändere ich die Größe von ursprünglich 13,5 cm x 21,5 cm auf die eher üblichen 12 cm x 19 cm, steigt die Seitenzahl von etwa 240 auf 310 an. Was das beweist? Das ist ja das Tolle: Gar nichts! Aber ich hatte all das schon immer einmal ausrechnen wollen und nun hat sich endlich die Möglichkeit dazu ergeben!

Kritik kann man kritisieren – und das sollte man auch. Selbstverständlich in einem angemessenen Ton. Jemand hat sich mit einem Produkt auseinandergesetzt und daraufhin die eigene Meinung verschriftlicht. Das ist schon einmal eine gute Sache. Das heißt aber auf der anderen Seite nicht, dass man alles hinnehmen muss. Wer Kritik austeilt, muss sie auch einstecken können. Erneut möchte ich betonen, dass sich dieser gesamte Prozess auf einer Ebene voller Respekt und Höflichkeit abspielen sollte. Wer grundlos beleidigt, rummeckert oder sich sonst wie unzivilisiert verhält, der hat auch keinen Respekt verdient und gehört ignoriert. Ja, ignoriert, nicht zurückbeleidigt.

Ist das nicht langweilig? Diese Höflichkeit, die ich hier predige? Früher wären mir an dieser Stelle ein paar deftige Beleidigungen aus dem Mund gefallen. Und heute? Ruhe, Besonnenheit, nichtssagendes Geschwafel. Wo will ich mit der ganzen Sache eigentlich hin? Das hat doch gerade gar nichts mehr mit Erfolg zu tun. Geschweige denn mit Schlüsseln. Mache ich hier gerade einen auf Hobbyphilosophen? Will ich mich aufspielen? Meine Unfähigkeit, Top-Listen zu erstellen, mit Herumgeblödel kaschieren? Die Antwort auf diese Fragen befindet sich auf einem 10 cm x 10 cm großen Notizzettel auf meinem Schreibtisch, den ich in naher Zukunft für 67 Euro verkaufen werde. Wem das zu teuer ist, der darf dies gerne in Kommentarbereichen irgendwelcher Internetseiten kundtun, die sich eigentlich mit ganz anderen Themen beschäftigen. Zum Beispiel einem solchen Thema:

“Omas Top-10-Tipps bei Nasenbluten! Diese Oma kennt sich aus, denn Nasenbluten war schon immer ihre große Leidenschaft!”

Weitere Themenvorschläge: “Nasenbluten ohne Nasenblut? Gibt es den Blut-Plural doch?” und “Lustsbetten – Neuer Fortpflanzungstrend oder peinlicher Tippfehler eines Luftbettenherstellers?”

4) Fotos. Benutzt kein Foto von euch als Titelbild für euer Buch. Auch nicht bei Biographien.

Neulich musste ich ganz, ganz dringend auf die Toilette. Ich hatte Unmengen an Obst zu mir genommen und dieses war nun auf dem Weg an die frische Luft, um diese zu verpesten. Ich rannte zur Toilette, griff zuvor noch zu dem Buch “Alles über den Künstler. Zum Werk von Robert Gernhardt” und setzte mich hin.

So lese ich auf der Toilette: Ich sitze auf dem Topf und lese. Habe ich mein Geschäft beendet, wird das Buch zugeklappt und vor mir auf den Boden gelegt. Nun beginnt der Reinigungsprozess mit Hilfe von Toilettenpapier, gefolgt vom Hochziehen meiner Hose und dem Wäschen der Hände. Die Spülung wird irgendwann zwischen den einzelnen Vorgängen selbstverständlich ebenfalls betätigt. Erst, wenn meine Hände wieder so rein sind wie der Hintern eines Babys mit drei Tage anhaltender Verstopfung fasse ich das weggelegte Buch wieder an. Genauso verfahre ich mit allen Dingen, die ich auf der Toilette benutze. Ein wenig Anstand besitze ich schließlich auch.

Kommen wir zu dem Problem, das ich mit Titelbildfotos habe: Bei der Hinternreinigung beuge ich mich stets ein wenig nach vorne, um das Austrittsloch mit dem Toilettenpapier gut erreichen zu können. Da saß ich also nach vorne gebeugt auf der Toilette, stocherte mit meinem Finger, um es mal etwas unvorsichtig zu formulieren, in meinem Po herum und warf in Gedanken versunken einen Blick auf das vor mir auf dem Boden liegende Buch. Robert Gernhardt warf mir einen ernsten Blick zu. Unsere Blicke kreuzten sich und für einen kurzen Moment sah es so aus, als wüsste der gute Robert ganz genau, was ich da gerade tat. Scham und Heiterkeit trafen auf mein Gehirn und kämpften dort um die Vorherrschaft. Ich behandelte beide mit dem nötigen Respekt.

So geht es mir immer, wenn ich ein Buch mit Titelbildfoto mit auf die Toilette nehme. Die Liste bekannter Schriftsteller, die mit während meines Stuhlgangs tief in die Augen gesehen haben, ist lang. Manche grinsten, manche wirkten traurig, andere erschüttert.

Und das waren die Schlüssel meines Schlüsselbunds, die ich an dieser Stelle für erwähnenswert hielt. Die Schlüssel zum erfolgreichen Dasein eines Schriftstellers. Wer diese vier Ratschläge befolgt, hat meinen Respekt verdient, denn was zunächst tatsächlich mit ernstgemeinten Ratschlägen enden sollte, wurde schon nach wenigen Worten zu einem albernen Etwas, das in einer Toilettengeschichte seinen würdevollen Abschluss fand. Und ich glaube, dass das der beste Ratschlag ist, den man Schreibenden mit auf den Weg geben kann: Schreibt. Über alles. Wie ihr wollt. Hauptsache ihr schreibt.

Und der Erfolg? Da fragt ihr den Falschen. Ich bin nur erfolgreich.

Genürsel 2014 - 25/52 - Schlüssel

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