Vereinshäuser im Wandel

Vor vielen Jahren fing es an. Wie jeder Mensch hatte man ein Hobby und suchte Gleichgesinnte, um sich mit ihnen darüber zu unterhalten. Getreu dem Motto “Wer suchet, der findet.” wurde man sogar fündig und traf auf ein paar Leute, die die gleichen Interessen verfolgten, wie man selbst. Und weil man sich gerne regelmäßig austauschen wollte, richtete man ein kleines Vereinshaus ein.

Das Haus war alles andere als luxuriös. Man könnte es auch als Holzhütte in einem abgelegenen Wald bezeichnen. Es gab ein paar Holztische und -bänke und bequem zu erreichen war es je nach Witterung auch nicht immer. Doch niemand beschwerte sich darüber. Es reichte. Man wollte sich ja nur ein paar mal unterhalten. Und nicht darin wohnen.

Es gab sogar ein kleines Ritual: Wer zuerst am Haus war, nahm sich den Schlüssel zur Tür (er lag unter der Fußmatte) und war für diesen Tag der “Chef”. Er konnte somit bestimmen, wer rein kam und wer nicht. Eine wirkliche Auswahl wurde natürlich nie getroffen, denn grundsätzlich war erst einmal jeder willkommen. Versuche, einen oder mehrere feste Schlüsselmeister festzulegen, wurden vom Hüttenverwalter sowieso abgelehnt. Dafür war der Aufwand zu groß und die Versammlung zu klein.

Der Beruf des “Chefs” wurde letztendlich nie wirklich ernst genommen. Man warf zwar aus Spaß mal den einen oder anderen Anwesenden aus dem Gebäude, tat dies aber nur, um ein wenig mit der eigenen Macht zu spielen. Ernsthaftigkeit steckte fast nie dahinter. Schließlich konnte man beim nächsten Treffen selbst das Opfer sein.

Und so traf man sich in der Regel zweimal die Woche. Man unterhielt sich über alles, was den anwesenden Mitgliedern in der Zwischenzeit passiert war, schlug auf diese Weise die Zeit tot und genoss es, sich vom Alltag abzulenken. Normalerweise dauerte ein Treffen mehrere Stunden. Schließlich sah man sich nicht so oft und manchmal hatte man Dinge erlebt, die man unbedingt erzählen musste. Selten wurde ein Treffen früher aufgelöst, denn nur in wenigen Fällen war niemandem im Raum etwas passiert. Kam es aber doch mal vor, trennte man sich einfach voneinander und hoffte, beim nächsten Mal mehr erzählen zu können.

Irgendwann kamen aber ein paar Idioten ins Gebäude, die alles verändern sollten. Keiner weiß genau, was das alles letztendlich sollte, doch plötzlich meinten einige bestimmen zu müssen, wer das Vereinshaus betreten dürfe und wer nicht. Sie betraten die Hütte bereits Stunden vor den anderen, nur um die Schlüsselherrschaft zu erlangen. Man ließ nicht mehr jeden rein und wer einem nicht passte, wurde raus geworfen. Die ehemals schöne Atmosphäre wurde vollkommen zerstört.

Also musste sich die Gruppe einen neuen Ort suchen. Schließlich wollte man die Treffen weiterhin abhalten und sich wegen ein paar Deppen, die leider nicht vertrieben werden konnten, nicht die Laune vermiesen lassen. Die Suche nach Vereinshaus Nummer zwei begann. Größer und besser sollte es sein. Bequemer zu erreichen. Und komfortabler. Wenn schon umziehen, dann richtig.

Nach einiger Zeit fand man eine Lösung. Man verließ die Hütte und mietete sich einen großen Saal inmitten eines gigantischen Hotels. Hier gab es unzählige Aufenthaltsräume, unzählige Menschen und endlich die Möglichkeit, eigene Kontrollen und Schlüsselmeister festzulegen. Die Freude war groß.

Da es sich bei dem neuen Gebäude um ein Hotel handelte, beschlossen einige der Anwesenden, sich dort niederzulassen und vierundzwanzig Stunden am Tag im Aufenthaltsraum zu bleiben. Man wollte die neuen Freiheiten genießen und auskosten. Keiner hatte etwas dagegen, viele zogen mit und nach einiger Zeit wurde aus den ein bis zwei Treffen die Woche eine komplette Wochenaktion. Nur noch wenige hielten sich an die ehemaligen festen Zeiten, die meisten waren einfach immer da. Dadurch konnte man sich durchgehend unterhalten und musste nicht mehr warten, bis die Treffen “offiziell” stattfanden. Geschah etwas, erzählte man einfach sofort davon.

Leider hatte man die Nachteile dieses Zustands nicht bedacht. Man hatte die Leute vergessen, die keine Zeit oder Lust hatten, sich den ganzen Tag im Hotel aufzuhalten oder die Zeit ihrer Abwesenheit aufzuzeichnen, um später nachzusehen, was so los war. Diese bekamen von nun an nämlich nichts mehr mit. Kamen sie zu den damals festgelegten Zeiten in den Vereinssaal, trafen sie zwar auf viele Menschen, diese hatten sich aber nichts mehr zu erzählen. Man hatte sich zuvor bereits alles gesagt. Die unregelmäßigen Besucher mussten selbst für Gesprächsstoff sorgen und wurden zu einer Art Alleinunterhalter. Von den Anderen erfuhren sie fast nichts neues.

Die Zeit verging und irgendwann waren nur noch die Leute im Vereinssaal anzutreffen, die den ganzen Tag über da waren. Unregelmäßige Besucher verloren schon bald die Lust an den Treffen. Man wurde sowieso nur angeschwiegen und wirkliche Diskussionen kamen nur sehr schleppend und eher zufällig in Gange.

Die Dauerbesetzer langweilten sich natürlich nicht. Man hatte sich schließlich über den Tag verteilt immer wieder kurz etwas zu erzählen. Die restlichen 95% des Tages saß man zwar nur still herum, doch konnte man sich in dieser Zeit wunderbar mit anderen Dingen beschäftigen. Das Vereinstreffen wurde so zu einer nebensächlichen Dauerveranstaltung, der man nur hin und wieder Aufmerksamkeit schenken musste. Mehr war auch nicht nötig. Die kurzfristigen Besucher blieben irgendwann weg (sogar diejenigen, die diesen Vereinstreffen schon viele Jahre beigewohnt und sie mitgegründet haben) und hier und da wurden beschwerden bezüglich des aktuellen Zustands laut. Es kamen auch Diskussionen diebezüglich auf, doch redeten beide Seiten immer wieder aneinander vorbei und Vorschläge der einen Seite wurden von der anderen ignoriert.

Das Problem an dieser ganzen Sache war und ist auch heute noch, dass man es mittlerweile keiner Partei mehr recht machen könnte. Die Dauerbesetzer wollen nicht mehr gehen, die unregelmäßigen Besucher nicht häufiger vorbeischauen. Die einen reden Lieber den ganzen Tag ein wenig, die anderen möchten sich nur ab und zu mal sehen, sich dann aber vernünftig unterhalten. Und so spaltet sich die Gruppe weiter.

Dadurch hat sich das jahrelange Treffen inzwischen aufgelöst. Der Saal besteht noch, doch sitzt hier größtenteils nur noch eine Gruppe bestehend aus den immer gleichen Leuten. Und hier bin dann auch ich ausgestiegen.

Ich hatte keinen Spaß mehr daran, still in einem Saal mit anderen Stillen zu sitzen und jede Stunde kurz nachzusehen, ob sich nicht gerade doch jemand unterhält. Ich wollte nicht, dass die Vereinstreffen in den Hintergrund rutschen. Anfangs war das tägliche Treffen noch interessant, doch mit der Zeit wurde es mir dann doch zu viel.

Ob früher alles besser war? Es hat auf jeden Fall mehr Spaß gemacht. Wenn ich mich drei- bis viermal im Jahr mit einem sehr guten Freund treffe, haben wir mehr zu tun, als würden wir uns täglich sehen. Ob das auf Vereinstreffen übertragbar ist, weiß ich nicht. Schade ist das alles trotzdem. Denn ich habe die Treffen viele Jahre besucht und sie waren ein sehr lustiger Teil meines Lebens. So will ich sie auch in Erinnerung behalten.

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