Tote fragen länger

Wie heißt es so schön? „Das Leben ist eine Prüfung.“ Eine interessante Aussage, die vermutlich irgendeinem Dummschwätzer zu Ruhm und Ehre verholfen hat, da ein einflussreicher Schmalspurdenker diesen Satz aufgegriffen, nicht verstanden, darum für intelligent gehalten und gleich hat hochleben lassen.

Wenn das Leben also eine Prüfung ist, würde das bedeuten, dass man nach dem Leben („nach dem Tod“ würde schließlich bedeuten, dass man die Stufe des Todes überwunden und einen dritten Zustand erreicht hat, was ich aber für weit hergeholt halte, da ich den Todeszustand als final betrachte) seine Prüfungsergebnisse vorgetragen bekommt.

Dies liest man auch häufig in Büchern. Nach dem Leben steht der Mensch vor einem Richter und bekommt ein Ergebnis mitgeteilt. Ihm wird gesagt, was er richtig und was er falsch gemacht hat. Alles schön und gut.

Ist das Leben aber wirklich eine Prüfung, dann hoffe ich, dass ich von den erbärmlichen Ergebnisvergleichern verschont bleibe, die einen mit ihrer störenden Existenz das Leben vermiesen. Jeder kennt sie aus der Zeit vor dem Tod: Man hat in der Schule, an der Uni oder bei sonstigen Prüfungen seine Arbeit abgegeben und wartet auf das Ergebnis. Und schon umringt einen ein Strom von Redeflüssen, die alle wissen möchten, wie man die Aufgaben beantwortet hat. „Was hast du bei der b?“, „Kommt da bei der einen mit der Dings auch 12 raus?“, „Bei der Aufgabe 2 musste ich raten und habe h genommen und du?“. Solch abartige Sätze beschallen das eigene Ohr und man möchte sich am liebsten in einem tiefen Loch verstecken, um dort bis zum Prüfungsende auszuharren.

Doch warum reagieren so viele Menschen dermaßen panisch auf die Zeit zwischen Prüfung und Ergebnisvergabe? Klar, man möchte wissen, ob man gute oder schlechte Arbeit geleistet hat. Man möchte ruhigen Gewissens nach Hause gehen und sich denken: „Alles klar, müsste passen, keine Panik.“ Wenn die Leute zur Beruhigung panisches Geschnatter benötigen, sollen sie sich damit zuwerfen aber bitte an mir vorbei werfen.

Ich benötige keine aufgebrachte Menge, um mich zu beruhigen. Ich gehe nach Prüfungen in aller Ruhe nach Hause. Man kann sowieso nichts mehr an dem Ergebnis ändern. Von dreimaligem im Kreis laufen sorge ich nicht dafür, dass die Prüfer meine Fehler übersehen. Wenn ich überhaupt über meine Antworten nachdenke, dann zu Hause und ganz entspannt. Wie gesagt: Ändern kann ich sowieso nichts mehr und die wirkliche Lösung werde ich schon früh genug erfahren.

Am liebsten beobachte ich die Vergleicher aus einiger Entfernung. Wie sie sich umringen, wie sie reden, wie sie sich über durch Abstimmung festgelegte Lösungen freuen, wenn sie diese ebenfalls angegeben haben. Oder wie sie übertrieben trauernd zusammenbrechen und ihre Handflächen an die Schädel schlagen, wenn sie falsch lagen. Hier darf man nicht vergessen, ein falsches Grinsen aufgelegt zu haben, denn man möchte der Umwelt nicht zeigen, dass man sich über die eigene Beschränktheit ärgert. Mit Humor konnte man schon immer die Eigenverblödung verstecken.

Sollte das Leben eine Vorbereitung auf den Tod sein, möchte ich niemals sterben. Wenn ich einmal mein Leben niederlege, dann, um Ruhe zu haben. Nicht, um in einer Schlange von ebenfalls gerade gestorbenen Menschen aufzuwachen, die alle darauf warten, endlich vor dem großen Richter das Ergebnis ihrer Lebensprüfung vorgelesen zu bekommen. Sie würden mich ansehen und fragen: „Und? Wie hast du gehandelt, als dich ein Obdachloser nach einem Euro gefragt hat?“ Keine schöne Todesvorstellung.

Und wenn es mich dann doch einmal dahinraffen sollte, dann bitte an einem Tag an dem kein Krieg, kein Sektenmassenselbstmord und keine Boygroupauflösung stattfindet. Dann ist im Warteraum nämlich nicht so viel los.

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