Planung ist das halbe Leben

Eines Tages wollte ein Jemand eine Reise tun. Dann merkte er jedoch, dass er nicht gerne Sachen tut, sondern viel lieber unternimmt. Das klingt nämlich viel feiner und gehobener. So verließ er das Haus und stellte fest, dass es regnete. Er wurde nass und verlor seine Reiselust. Also ging er zurück in seine Wohnung und beschloss, stattdessen mit dem Schreiben anzufangen. Er war schließlich ein spontanes Kerlchen und das konnte sich nur positiv auf seine Texte auswirken.

Und das tat es auch. Was ihm an Fachbegriffen fehlte, machte er mit Randnotizen, Abschweifungen und Einschüben wieder wett, die den Leser überraschten, in die Irre führten und dennoch an seine Texte fesselten. Er heimste einiges an Lob ein und freute sich darüber.

Leider ist Freude immer so eine Sache. Sie kann nämlich schnell in Einbildung umschwenken. Und das geschah auch bei unserem Jemand. Das bedeutete nicht, dass er von nun an mit einem so erhobenem Haupt durch die Straßen lief, dass er bei aufkommenden Regenschauern vor dem Ertrinken gerettet werden musste. Er nahm nur das Schreiben zu ernst.

Hauptgrund dafür war das Abenteuer, auf das er sich eingelassen hatte. Er wollte ein Buch schreiben. Einen langen Text. Den längsten seines Lebens. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, legte beide Arme mittig darauf und begann zu schwimmen. Wie ein Brustschwimmer ließ er seine Arme durch den Müll auf seinem Tisch gleiten und schaffte es so innerhalb von Sekunden, für eine saubere Arbeitsumgebung zu sorgen. Zufrieden stand er auf, um sich sein Werk zu betrachten, musste daraufhin jedoch feststellen, dass er seinen Schreibtischstuhl in dem Chaos verloren hatte. Also fuhr er in die Stadt und kaufte sich einen Neuen.

Dann ging es los. Der Jemand begann zu planen. Er plante den Anfang und das Ende des Buches. Dann den Mittelteil. Dann den genauen Weg, der die drei Streckenpunkte miteinander verband. Er programmierte seinen Kugelschreiber wie ein Navigationssystem und ließ sich nun von diesem durch seine frisch erschaffene Welt leiten. Er kam nie vom Weg ab und landete am Ende eine Punktlandung. Das Buch war ein voller Erfolg.

Zwischen Planung und Veröffentlichung verstrichen etwa drei Jahre. In dieser Zeit wandte er seine Buchherangehensweise auch auf seine Kurztexte an. Er sammelte tagelang Ideen und setzte sie erst dann um, wenn er seinen Text bis zum Ende durchgeplant hatte. Am Ende musste er seine Text nur noch aus seinen Notizen abschreiben.

So zogen Monate ins Land und alles war gut. Unser Jemand hatte ein Buch veröffentlicht, bekam viele positive Rückmeldungen und schrieb fleißig weiter seine Kurztexte. Eines Tages geschah es dann: Er saß an einem Spielplatz und beobachtete zwei kleine Kinder, die sich gegenseitig mit dem Kot aus ihren Windeln bewarfen. Das taten sie so lange, bis ihre Eltern erschienen und sie anschrien. Daraufhin bewarfen sie ihre Eltern mit Kot. Das brachte den Jemand auf eine Idee. Er wollte ein zweites Buch schreiben.

Gesagt, getan. Erneut schwamm er über seinen Schreibtisch, fand dabei seinen ersten Schreibtischstuhl wieder und verkaufte daraufhin seinen zweiten über das Internet an eine Hummerfabrik. Dann ging es los: Er zog Stift und Papier hervor und begann zu planen. Er hatte nach wenigen Stunden die ersten Kapitel fertig und wollte diese nun erst einmal umsetzen. Er nahm sich seine Notizen für das erste Kapitel und schrieb sie ab.

Einen Monat später war er verzweifelt. Er hatte seinen Text nun schon zum vierten Mal neu begonnen. Irgendetwas war geschehen. Das Schlimmste, was ihm hätte passieren können: Das Schreiben machte ihm keinen Spaß mehr. Er fand es langweilig. Er überflog die zuletzt geschriebenen Zeilen und begann zu gähnen. Was war los? Er wusste es nicht. Von der Buchidee war er begeistert. Er liebte die Charaktere und die Geschichte (auch wenn sie bisher nichts mit Kinderkot zu tun hatten). Aber die Umsetzung machte ihm keinen Spaß mehr. Der Jemand konnte einfach nicht erkennen, wo das Problem lag. Er war verzweifelt, erhob sich vom Schreibtisch und verließ das Arbeitszimmer, um sich im Wohnzimmer mit Hilfe einer Horde Spielekonsolen abzulenken. Das Einzige, was er im Arbeitszimmer zurückließ, waren seine Notizen und ein Frustfurz.

So ging es tagelang weiter. Die Zeit zog durch das Land und Unzufriedenheit breitete sich immer weiter aus. Der Jemand wusste nicht mehr weiter. Er vermutete, dass sich irgendwo in seiner Wohnung eine Schreibblockade häuslich niedergelassen hatte, doch er konnte sie einfach nicht finden. Er war kurz davor, aufzugeben. Er hatte keine Motivation mehr.

Dann geschah es. Eines Nachts erreichte ihn die Nachricht seines besten Freundes. Dieser teilte ihm mit, dass er gerade am heulen war. Vor Lachen. Der Jemand fragte warum und die Antwort überraschte ihn: “Wegen einem deiner Texte.” Natürlich freute dies den Jemand und er wollte mehr erfahren. “Welchen Text liest du denn gerade?”, fragte er. “Oh, einen ganz alten. Erinnerst du dich noch an unseren Zeltausflug vor neun Jahren? Da hattest du einen drüber Text geschrieben. Und verdammt ist der gut.”

Der Jemand erinnerte sich an den Text. Er wusste noch, dass er sehr lange daran gesessen hatte. In diesem Moment schickte ihm sein Freund ein paar Zitate daraus. Und der Jemand musste ebenfalls lachen. Daraufhin öffnete er die verstaubte Textdatei auf seinem Computer und las sie sich durch. Zunächst fand er alleine in den ersten beiden Absätzen mehr Rechtschreib- und Grammatikfehler als Wurstrückstände in seinem Magen. Doch dann realisierte er, dass dieser Umstand vollkommen egal war. Der Text war wirklich verdammt lustig. Er konnte sich selbst nicht mehr an all die Details erinnern und war überrascht, was er alles in diesen einen Zeltbericht gepackt hatte.

Der Jemand begann zu grinsen. Doch dann verließ ihn die Freude auch schon wieder. Er erinnerte sich plötzlich daran, wie viel Spaß ihm das Schreiben dieses Textes gemacht hatte. Und dann fiel ihm ein, dass er früher auch bei seinen anderen Texten eine gewisse Freude verspürt hatte. Diese Freude war es, die ihn einst zum Schreiben gebracht hatte und genau diese Freude war es auch, die er nun schon seit so langer Zeit nicht mehr gespürt hatte. Der Jemand wurde traurig und ging ins Wohnzimmer. Dort lief er minutenlang auf und ab und dachte nach. Irgendetwas stimmte nicht und er wollte wissen, was das war.

Plötzlich erkannte er, wo das Problem lag. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen, obwohl er noch nie Schuppen auf den Augen gehabt hatte. Trotzdem fielen sie und ihm das Problem ein: Das Schlafzimmerfenster war noch geöffnet und draußen regnete es in Strömen. Schnell rannte der Jemand in besagtes Zimmer und schloss das Fenster. Die Gardine war zwar ein wenig nass geworden, Schlimmeres hatte er durch seine schnelle Reaktion aber zum Glück verhindern können.

Zurück im Wohnzimmer platzte dem Jemand dann der Kopf. Erschrocken rannte er (der Jemand, nicht der geplatzte Kopf) ins Badezimmer und blickte in den Spiegel. Erleichtert atmete er auf. Unter dem geplatzten Kopf hatte sich ein zweiter Kopf versteckt, der genauso aussah wie der erste. Niemand würde den Unterschied feststellen können. Nur der Jemand merkte sofort, dass sich zwei Dinge verändert hatten.

Zunächst einmal war die Wohnzimmertapete aufgrund der Blutflecke vollkommen hinüber. Das war aber nichts, was man nicht beheben konnte. Schon morgen wollte der Jemand einen Landstreicher auf der Straße auflesen und ihm die Umschulung zum Wandstreicher finanzieren. “Jeden Tag eine gute Tat!”, sagt man schließlich. Und wenn einem die gute Tat dann letztendlich auch noch das Wohnzimmer verschönert, dann geht man auf jeden Fall als Gewinner nach Hause. Wenn man nicht schon bereits dort ist, weil man gerade eine Wand gestrichen bekommt.

Der zweite und viel wichtigere Punkt, der dem Jemand nun klar wurde, war der Grund für sein Schreibproblem. Er erinnerte sich daran, wie er diese alten Texte geschrieben hatte. Man konnte seine damalige Vorgehensweise mit nur einem Wort zusammenfassen: Spontan. Er hatte sich früher nie viele Gedanken über seine Texte gemacht. Er brauchte nur ein Thema und der Rest ergab sich von selbst. Er entschied sich während des Schreibens, wo die Reise hingehen sollte. Alles Weitere überlegte er sich nach der Einleitung spontan. Hatte er den Text fertiggestellt, musste er hier und da nur noch ein paar Kleinigkeiten korrigieren und am Ende hatte er einen Text erschaffen, mit dem er vollkommen zufrieden war.

Und genau diese Spontaneität hatte der Jemand verlernt. Er nahm das Schreiben mittlerweile zu ernst. Er plante zu viel und nahm sich somit die Freiheiten, die ihn damals immer so motiviert hatten. Heutzutage wurden erst einmal Ideen gesammelt, dann die Geschichte geplant, die Absätze konstruiert und erst nach all diesen Phasen begann er das eigentliche Schreiben, das auf diese Art und Weise zu einem bloßen Abtippen von Schmierzetteln verkam. Er wusste wo er war und wo er hin wollte. Er musste nur noch ein paar Wörter auf den matschigen Boden zwischen den Textabschnittspfützen werfen. Und das machte ihm einfach keinen Spaß mehr.

Es war nun nicht so, dass der Jemand unzufrieden mit seinen aktuellen Texten war. Natürlich mochte er sie noch, sonst hätte er sie nie vollendet. Aber der Schreibvorgang verkam zur Arbeit. Der Schaffensprozess spielte sich vorher ab. Er hatte weiterhin tolle Ideen, doch diese zu formulieren machte ihm früher eigentlich am meisten Spaß. Und genau diesen Vorgang hatte er sich selbst weggenommen.

Der Jemand begann zu grinsen. Er hatte sein Problem gefunden und ein neues Feuer wurde entfacht. Irgendetwas kribbelte in ihm. Es begann an seinem Hals und bewegte sich von da an abwärts in Richtung Magengegend. Aus Reflex begann er sich an der Stelle zu kratzen, an der er das Kribbeln spürte und als ihn ein stechender Schmerz überfiel, stellte er fest, dass ihm eine Wespe unter sein T-Shirt gekrabbelt war. Das Kratzen hatte ihren Stechreflex ausgelöst und nun hing sie sterbend in seinem Bauchnabel.

Fluchend zog sich unser Jemand sein T-Shirt aus und sich das Getier aus der Haut. Wütend warf es auf den Balkon, stellte fest, dass die Balkontür geschlossen war und er die Wespe somit nur gegen die Scheibe geworfen hatte, öffnete die Tür, hob die Wespe auf und warf sie erneut auf den Balkon. Der Wind wehte sie, noch bevor sie den Boden erreichen konnte, zurück in die Wohnung und so beschloss der Jemand, dass er gerade Wichtigeres zu tun hatte, als eine Wespe auf den Balkon zu werfen. Also ging er zurück in sein Arbeitszimmer.

Dort setzte er sich an seinen Computer und schrieb nachts um drei Uhr einen Text, der lustiger war als alles, was er in den Monaten zuvor verfasst hatte. Er schrieb den Text am Stück, ohne Pause und ohne Planung. Und er hatte riesigen Spaß dabei. Als er mit dem Schreiben fertig war, schaltete er seinen Computer aus und tanzte voller Freude durch die Wohnung. Bis er auf die Wespe trat, deren Stachel noch immer intakt war und nun in seinem Fuß stecken blieb. Aber das kümmerte den Jemand gar nicht. Schließlich hatte er gerade seine Schreibblockade besiegt und seine Schreiblust wiedergefunden. Nach vier Sekunden bemerkte der Jemand aber, dass der Stich doch ziemlich weh tat. Er legte sich ins Bett und weinte sich in den Schlaf. Mit dem einen Auge weinte er vor Schmerzen, mit dem anderen vor Freude.

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