Sicherheitskonzept »P05-G«
Niemand hätte ahnen können, dass die ganze Sache so kompliziert werden würde. Ich hatte mich doch nur ein wenig absichern wollen. Man kennt doch diese fiesen Geschichten. Mit den Einbrechern. Die immer überall einbrechen. Und dagegen hatte ich mich eben schützen wollen. Und wenn ich mich schon schützen lasse, dann richtig. Von den Besten.
Also schrieb ich eine Sicherheitsfirma an und ließ mich beraten. Man empfahl mir das Sicherheitskonzept »P05-G«, das schon alleine wegen seines Namens Eindruck bei mir hinterließ. Ich kann eine Sache nicht leiden: Konzepten und Projekten merkwürdige Namen geben. Konzept »Alpha-Zeus« oder so. Projekt »Phoenix-Burgfried«. »Pegasus-Gotham«. Ich weiß, ich weiß. Das klingt albern. Aber ich habe mal ein halbes Jahr lang in einer der größten Anwaltskanzleien auf diesem Planeten gearbeitet und glaubt mir einfach, dass Ihr nicht glauben würdet, was auf den dortigen Ordnern alles stand. »P05-G« war so erholsam simpel. Eine einfache Kennung. Wundervoll!
Jedenfalls ließ ich mich von der mir zugewiesenen Beraterin dazu überberaten und -reden, das Sicherheitskonzept »P05-G« in die Tat umsetzen zu lassen. Von Schlüsseln war die Rede. Versteckten Fächern in Wänden. Tresoren. Türen. Und vielen anderen Dingen. Ich will nicht behaupten, ab einem gewissen Punkt nicht mehr zugehört zu haben, aber genau so war es. Ich meine, jetzt mal ehrlich: Wie kompliziert kann so ein Sicherheitskonzept denn bitte aussehen?
Ein paar Worte über meine Vergangenheit: Früher hatte ich eine einfache Alarmanlage im Haus. Fenster, Türen… alles überwacht. Dann kam aber der Tag, an dem ich ein Tuch an die Haustür kleben wollte, weil in diese eine Milchglasscheibe eingearbeitet worden war, die leider genau so viel Licht durchlässt, dass es je nach Uhrzeit und Sonnenstand beim Filmgucken im Wohnzimmer stören kann. Es ist kompliziert, gleichzeitig aber auch nicht, wenn man bedenkt, dass unser Wohnzimmer keine Tür hat und ich gleichzeitig fest davon überzeugt bin, dass mir mittlerweile genauso niemand mehr zuhört wie ich damals meiner Beraterin.
Um es kurz zu machen: Statt fürs Kleben entschied ich mich fürs Klemmen. Tür auf, Tuch oben über die Tür werfen, Tür schließen. Fertig. Fertig? Nun, ja, schon irgendwie. Leider funktioniert unsere Alarmanlage aber so, dass sie merkt, wenn jemand versucht, unsere Türen oder Fenster aufzuhebeln. Dass es sich in diesem Moment nicht um eine Brechstange, sondern ein Tuch handelte, das bisher tatsächlich noch nie mit Erbrochenen zu tun gehabt hatte, konnte die Anlage natürlich nicht wissen, weil sie dumm ist. Also schlug sie Alarm, der sich darüber nicht freute und wegen einer handgreiflichen Tätigkeit gegen Wortspiele die Polizei rufen wollte. Es gelang mir, die Anlage zu deaktivieren und Alarm zu beruhigen, bevor die Ordnungshüter sich ein Bild davon machen konnten, wie chaotisch es in meinem Haus zugeht.
Das alles erweckte jedenfalls in mir die Erkenntnis, dass ich in einem Haus mit einer so merkwürdigen Alarmanlage nicht leben wollte. Also organisierte ich ein neues Konzept. Alles sollte anders werden. Und besser.
Sicherheitsfirmen arbeiten auf ihre ganz eigene Weise. Im Grunde steht irgendwann eine Person vor der Haustür, die um Einlass bittet, anschließend das gesamte Haus kartographiert, sich danach drei Wochen lang nicht mehr bei einem meldet und so die Frage aufwirft, ob diese Sicherheitsfirma nicht eher eine Unsicherheitsfirma ist, die soeben mit meiner Erlaubnis einen detaillierten Plan meines gesamten Habes und Gutes erstellt hat und nun darauf wartet, dass ich mal für ein paar Tage verreise, um mein Hab und Gut für sich zu haben und das gut zu finden. Zum Glück meldete sich die Firma nach besagtem Zeitraum doch noch mal bei mir. Vielleicht hatte sie auch einfach nur aufgegeben, weil ich eigentlich nie verreise. Aber lasst uns ein positives Weltbild aufrechterhalten, denn einer muss es ja machen.
Trotz allem haben diese positiven Weltbilder den Schuss nicht gehört. Eines Tages stand ein Lieferwagen vor meiner Tür und stellte palettenweise Zeug vor meine Haustür, was auf jeden Fall dafür sorgte, dass auf diesem Weg wirklich niemand mehr mein Haus betreten konnte. Nachdem ich mir dank einiger Salven aus meiner Mini-Gun in Kombination mit dem Wissen aus dem ein wenig zu oft gesehenen Film »Predator« eine Schneise durch die Lieferungen geschossen hatte und endlich wieder meinen Briefkasten erreichen konnte, staunte ich nicht schlecht, als ich darin die Anleitung für das Sicherheitskonzept »P05-G« fand, die in Sachen Umfang der Bibel Konkurrenz machen dürfte. Auch im Bereich der inhaltlichen Verworrenheit.
Das war vor zwei Monaten. Mittlerweile bin ich fertig. Mit den Nerven. Das Konzept habe ich bisher zu gerade einmal siebenunddreißig Prozent umsetzen können, weil ich letzte Woche Mittwoch spontan wahnsinnig wurde und mich für drei Tage habe einweisen lassen. Heute geht es mir schon wieder besser. Zumindest hat das meine Ärztin gesagt, nachdem ich sie mit einer Mini-Gun bedrohte. Hier der aktuelle Stand des Sicherheitskonzeptes »P05-G« anhand eines Beispiels:
Nehmen wir mal an, Ihr möchtet mein Testament klauen, weil Ihr Testamente sammelt und meins Euch ganz besonders interessiert, weil es auf Diddl-Briefpapier aus den Neunzigern geschrieben wurde, das so heutzutage nicht mehr hergestellt wird, weil früher alles besser war.
Um mein Büro zu betreten, benötigt Ihr einen Schlüssel für die Tür. Der Schlüssel ist in einer Kiste. Die Kiste kann nur mit einer speziellen Metallscheibe geöffnet werden, in deren Mitte ein Loch in Form eines Wellensittichs ist. Die Scheibe steckt zwischen den Seiten eines Buchs, das wiederum in einem Tresor steht, der nur mit einer Metallscheibe geöffnet werden kann, in deren Mittelpunkt ein Loch in Form eines Autos ist. Diese Scheibe liegt in einer Holzkugel, die man nur erreicht, wenn man auf dem Billardtisch im Keller alle Kugeln nach einem bestimmten Muster anordnet, das dem Muster der Sternenkonstellation gleicht, die ich auf die Innenseite des Garagentors gemalt habe, die man nur sehen kann, wenn man die spezielle grüne Lampe auf das Tor richtet, die wiederum in einem Karton steht, der mit Klebeband umwickelt wurde, das nur mit dem Messer aufgeschnitten werden kann, das irgendwo in dem Haufen von Zeug versteckt ist, den ich im Geräteschuppen platziert habe. Die Tür des Schuppens wiederum kann nur mit der Metallscheibe geöffnet werden, die in ihrer Mitte ein Loch in Form einer Gießkanne hat und in der Regenrinne vorne rechts am Haus versteckt wurde, die nur mit der Leiter erreicht werden kann, die im Badezimmer in der Dusche steht, weil sie dort nichts zu suchen hat, aber vortrefflich hinter dem Duschvorhang versteckt werden kann.
Ich glaube, das Prinzip sollte klar sein, hört aber noch lange nicht auf. Um das Badezimmer zu erreichen, sind weitere siebenundzwanzig Metallplatten notwendig, die alle entweder irgendwelche Löcher in irgendwelchen Formen in sich tragen oder selbst merkwürdig geformt sind. Man steckt sie in extra für sie vorgesehene Vertiefungen oder was auch immer diesen Sicherheitskonzeptionisten noch so alles eingefallen ist, während sie gleichzeitig damit beschäftigt waren, bloß nichts Besseres zu tun zu haben. Aktuell habe ich dreihundertachtundsiebzig Metallplatten in meinem Haus verteilt. Siebenunddreißig Prozent. Überall in meinem Haus befinden sich Haufen voller Zeug, das ich laut Anleitung genau an diese Stellen legen sollte. Mitsamt einer Liste der in diesen Haufen zu suchenden Gegenstände.
Ich weiß nicht, wofür das alles gut ist. Wobei. Doch. Eigentlich schon. Ganz ehrlich: Wer auch immer vorhaben sollte, bei mir einzubrechen, sollte sich vorher mit einem einfarbigen Zehntausend-Teile-Puzzle auseinandersetzen und sich so in Geduld üben. Gleichzeitig ergibt das alles aber auch überhaupt keinen Sinn. Anstatt hier diese Gegenstandskette aufzufädeln, hätte ich auch einfach alle mir gelieferten Teile in den Keller schütten und mein Diddl-Testament dazwischenstecken können. Der Effekt wäre der gleiche gewesen.
Aktuell bin ich an dem Punkt angelangt, an dem ich das Sicherheitskonzept nicht mehr abbrechen kann. Ich würde zwar gerne, aber irgendwie möchte ich schon wissen, wie das Ganze ausgeht. Und letztendlich komme ich manchmal aus dem Lachen nicht mehr heraus, wenn ich in der Anleitung sehe, was man sich hier für einen Schwachsinn ausgedacht hat. Mein Haus ist eine Müllhalde. Aber gleichzeitig auch die sicherste Müllhalde aller Zeiten. Vor allem, weil ich mittlerweile selbst vergessen habe, wo mein Diddl-Testament abgeblieben ist.