Ich war noch niemals in New York.
Ich war noch niemals auf Hawaii.
Und in einem Leberladen war ich auch noch nie.
Während mich die ersten beiden Punkte auf der Liste überhaupt nicht interessieren und ich auch nicht sehen kann, warum ein Besuch der beiden Ortschaften mein Leben positiv beeinflussen würde, kann ich nicht behaupten, kein Interesse am Besuch eines Leberladens zu haben. Natürlich war ich schon mal in einem Laden, in dem Leber verkauft wird. In jedem Supermarkt bekommt man mittlerweile Leberprodukte angeboten. Aber ein Laden speziell für Lebern? Das wäre schon ein Erlebernis.
Während meines letzten Japanbesuchs freute ich mich dann auch sehr über den Umstand, dass ein solcher Laden zum Verkauf stand. Sofort schlug ich zu. Ich investierte ein paar Millionen in den Leberladen, um mich von nun an an dessen erzielten Umsätzen zu leberlaben.
An dieser Stelle sollte ich wohl deutlich hervorheben, dass ich von einer virtuellen Reise nach Japan spreche, denn auch in diesem Land bin ich bisher noch nie gewesen. Und auch dort möchte ich niemals hin. Ich weiß, ich weiß. Andere Länder sind immer so toll und so anders und so überhaupt. Interessiert mich aber nicht. In meinem Leben verläuft schon alles anders, wenn ich nur mal eben schnell den Ortsteil wechsel. Und die kulturellen Veränderungen abseits meiner eigenen vier Wände überfordern mich schon genug. Trotzdem habe ich in den letzten Tagen viel über Japan gelernt. Und das nur, wegen eines virtuellen Brettspiels!
»Monopoly« ist kein gutes Brettspiel. Das kann ich immer wieder betonen. Detaillierter möchte ich auf diese Aussage nicht eingehen, weil ich das an vielen anderen Stellen bereits getan habe und ich diesem denkwürdig miserablen Brettspiel nicht noch mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen möchte. Dennoch kann ich nicht bestreiten, dass ich dem Genre der Investment-Brettspiele nicht abgeneigt bin. Der Grund dafür sind vermutlich die gleichen Gene, die mich Clicker- und Idle-Spiele so schätzen lassen. Man steckt vorne eine Zahl rein und hinten kommt eine größere Zahl raus. Das ist schon irgendwie toll. »Monopoly« als Videospiel auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad mit drei Computergegner*innen kann super sein, wenn einem am Ende alle Straßen gehören und man sich einredet, man hätte alle Kontrahent*innen ausgetrickst und sei so clever, und dann merkt man, wie blöd man ist, weil man »Monopoly« gespielt hat, aber ich glaube, ihr wisst, was ich meine.
»Billion Road« ist ein digitales Investment-Brettspiel, in dem man Geschäfte kauft, dadurch jährlich Einnahmen erzielt, diese in weitere Geschäfte investiert und währenddessen Mitspieler*innen mit Monstern angreift, gemeinsam gegen andere, gigantische Monster kämpft oder sich über die frisch geschlüpften Pinguinbabys im gekauften Zoo freut.
Die Spielmechanik ist simpel. Würfeln, eine Richtung wählen, sich auf ein Feld bewegen und tun, was das Feld von einem verlangt. Fertig. Manchmal erhält man Geld, manchmal verliert man es. Man kann in neue Geschäfte investieren, ein Monopol errichten, Gegenstände kaufen oder neue Monster erhalten. Im Grunde war es das. »Billion Road« ist ein Würfelspiel, das jedoch durch die das Ganze überlagernden Mechaniken zu etwas Größerem aufgewertet wird. Leider ist das Beschreiben von Mechaniken so unglaublich langweilig, dass ich es an dieser Stelle nicht weiter ausführen möchte.
Lieber möchte ich euch von meinem Leberladen erzählen. Ich hatte ihn bereits angesprochen: Er war ein richtiges Prachtexemplar. Und das einzige Geschäft in Tokyo, das ich noch nicht besaß. Als ich ihn erstand, gehörten mir alle dort ansässigen Geschäfte und somit das Monopol. Alle Einnahmen verdoppelten sich. Ich freute mich. Bis meine Kontrahentin eines ihrer drei Worker-Monster aktivierte: Gimmie. Der Mistkerl klaut einem*einer zufälligen Gegner*in einen zufälligen Laden. Die Wahrscheinlichkeit, dass es meinen Leberladen treffen würde, war unglaublich gering, da mir zu diesem Zeitpunkt über dreihundert Geschäfte gehörten. Aber da diese Geschichte sowieso komplett erfunden ist, sollte klar sein, was passierte: Es traf den Leberladen. Er wechselte den Besitzer und eine laut lachende Laus lief über die von nun an aufklaffende Lücke in meiner Leberladenjahresabschlussbilanz.
Dies leitete einen Kampf ein, der sich über Jahre hinzog. Ich schnappte mir auch einen »Gimmie«, um der Leberdiebin den Leberladen wieder zu entreißen. Aber es klappte nicht. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung war gegen mich. Ich setzte Gegenstände ein, die Gegner*innen zufällige Geschäfte klauen. Wieder blieb ich leberlos. Irgendwann sicherte sich die Leberhalunkin sogar mit einem Schildmonster gegen mich ab, wodurch ich ihr nichts mehr stehlen konnte. Aber mit einer Sache hatte sie nicht gerechnet: meiner Hartnäckigkeit.
In »Billion Road« hat man sehr viele Möglichkeiten, seinen Gegner*innen das Leberleben schwer zu machen. Es gibt positive und negative Monster. Es gibt sogar riesige Monster, die alle Geschäfte einer bestimmten Region angreifen. Um diese zu besiegen, müssen sich alle Spieler*innen verbünden. Sollte man selbst in der angegriffenen Region aber keine oder nur wenige Geschäfte besitzen, kann man den Kampf auch einfach ignorieren. Es ist ein ewiges Hin-und-Her. Machtverhältnisse können komplett kippen. Zumindest, wenn sich alle die Zeit nehmen, sich mit den Mechaniken auseinanderzusetzen.
Und ich glaube, dass die Zeit das größte Problem an »Billion Road« ist. Man kann ein bis neunundneunzig Jahre spielen. Ein Jahr besteht aus zwölf Runden. Eine Runde dauert je nach Spieler*innenzahl etwa zwei bis fünf Minuten. Das sind sehr viele Runden und Minuten, wenn man bedenkt, dass das Spiel nach fünf Jahren eigentlich erst richtig Fahrt aufnimmt. Erst, wenn jede*r ein paar Läden, Gegenstände und Worker-Monster besitzt, dreht »Billion Road« richtig auf. Mit vier menschlichen Spieler*innen können fünf Spieljahre aber gerne mal zwei oder drei Stunden dauern. Je nachdem, wie sehr sich die Anwesenden mit dem Spiel auskennen. Und das ist ganz einfach zu lang. Eine richtige »Billion Road«-Runde, die sich über dreißig Jahre erstrecken sollte, dauert vermutlich zehn bis fünfzehn Stunden, was ich niemandem zumuten würde.
Niemandem, außer mir selbst. Obwohl »Billion Road« ein Brettspiel ist, das man an der Konsole oder am PC problemlos mit mehreren Spieler*innen spielen kann, werde ich das vermutlich nie wieder machen. Dafür respektiere ich die Zeit meiner Mitmenschen zu sehr. Das heißt aber nicht, dass ich »Billion Road« nicht mehr spielen werde. »Billion Road« macht mir nämlich richtig viel Spaß. Im Einzelspielermodus. Es gibt einen sehr lustigen Turniermodus und selbstverständlich kann man im normalen Spiel auch einfach gegen Computergegner*innen antreten. Da man jederzeit speichern kann, steht einer entspannten Neunundneunzig-Jahre-Runde nichts im Weg.
Es dauerte etwa sieben Jahre, bis ich meinen Leberladen wieder in die Arme schließen konnte. Ich hatte die Frau mit dem Lebertran am Mundwinkel ausgetrickst. Ich hatte mich bewusst dazu entschieden, das auf der Karte markierte Ziel nicht zu erreichen. Die Mechanik läuft so ab: Keine Sorge, das war ein Scherz. Spielmechaniken stehen im Handbuch. Ich hatte das Ziel nicht erreicht, wodurch ich vom Spiel mit einem schlechten Monster bestraft wurde. Dank eines Gegenstandes konnte ich das Vieh aber sofort der fiesen Dame auf den Hals hetzen. Sie wurde es nicht los und das Vieh trieb sie mit der Zeit in den Ruin. Es kam der Tag, an dem ihr nichts anderes mehr übrigblieb, als sich von ein paar ihrer Geschäfte zu trennen. Und eines dieser Geschäfte war mein Leberladen.
Ich kaufte ihn zurück und wünschte meiner Kontrahentin das gleiche Schicksal auf den Hals wie dieser merkwürdigen Sagengestalt, der andauernd die Leber gefressen wird. Ich könnte jetzt so tun, als wüsste ich, wie der Kerl hieß. Stattdessen gestehe ich, dass ich soeben »geier frisst leber« in eine Suchmaschine eingegeben habe, um mein Wissen aufzufrischen, was in einer Wissenswelle endete, die mir klatschend ins Gesicht schlug und mir erklärte, dass das gar kein Geiser, sondern ein Adler war. Nur um mir daraufhin mitzuteilen, dass es da draußen Varianten gibt, in der der Adler ein Geier ist. Es ist kompliziert und ich glaube nicht, dass dieser Absatz das Ganze vereinfacht. Entschuldigt hat sich die Welle für den meiner Meinung nach unangebrachten Klatscher jedenfalls nicht.
Das war sie also. Die Geschichte meines Leberladens. Die Geschichte eines Brettspiels. Und die Geschichte Japans. »Billion Road« ist japanisch. Denn es spielt in Japan. Man spielt auf Japan. Man läuft durch Japan. Landet man während bestimmter Monate in bestimmten Städten, finden dort reale Feierlichkeiten statt. Man lernt etwas über Geographie und Städte. Und gleichzeitig bin ich ein großer Fan des Zeichenstils. Jedes Ereignis wird mit kleinen, animierten Bilder untermalt, die mir so sehr gefallen haben, dass ich immer einen Screenshot gemacht habe, sobald sie auftauchten. Um sie anschließend als Hintergrundbilder einzurichten.
Schade nur, dass »Billion Road« so zeitaufwändig ist. Ich hätte gerne mit meinen Freunden um Leberläden gekämpft.