Fällt das Wort Frühjahrsputz, falle ich lachend auf meine Couch. Meine Couch ist ziemlich gemütlich, das verrät bereits ihr Name. Wobei ich hier sogleich zugeben muss, dass ich meine Couch normalerweise Sofa nenne. Dabei ist das Wort Couch doch so viel treffender. “Couch” erinnert an das Geräusch, das ein Sitzsack von sich gibt, wenn man sich Entspannung erwartend in ihn fallen und von ihm umschließen lässt. “Sofa” kann da nicht wirklich mithalten.
Zurück zum Frühjahrsputz. Den erledige ich weder selbst noch im Frühjahr. Warum die Putzaktivitäten auf eine bestimmte Zeit im Jahr beschränken, wenn man sie auch einfach gar nicht ausüben kann? Selbstverständlich ist das lediglich eine lustige Aussage, um meinem Chaotenstatus gerecht zu werden. Auch ich putze hin und wieder selbst. Ich bin erwachsen geworden. Putzen gehört mit zu den Dingen, die einen Erwachsenen definieren. Ältere Menschen räumen nicht mehr hinter einem auf. Man muss es selbst machen. Oder andere Menschen auftreiben, die es für einen erledigen. Dies ist übrigens genau das, was ich normalerweise mache. Ich lasse putzen. Meinen letzten Frühjahrsputz ließ ich zum Beispiel von einem Nacktputzer erledigen.
Das war nicht das erste Mal, dass ich mich von den Fähigkeiten eines Nacktputzers überzeugen lassen wollte. Ich greife oft auf diese leichtbekleideten Gesellen zurück. Ich kenne mich aus in der Szene und ich weiß, wo man die besten Nacktputzer finden kann. Die Straßenlaternen und -schilder rund um die Frankfurter Goethe-Universität sind hier stets meine erste Anlaufstelle. Auch diesmal hatte ich Glück: Schon nach kurzer Zeit stieß ich auf folgende an eine Laterne geklebte Kontaktanzeige: “Nacktputzer sucht Arbeit. Kein Sex, nur Putzen. Zugucken erlaubt und erwünscht.” Natürlich zitiere ich hier lediglich vage ein paar Passagen. Es wurden noch der Körperbau und die Tanzfähigkeiten des Putzers hervorgehoben. Das reichte mir. Als dann auch noch der Preis stimmte, musste ich nicht mehr lange überlegen. Selbstverständlich werde ich den Nacktputzpreis an dieser Stelle nicht nennen. Ich will nicht für die Nacktputzpreisinflation in Frankfurt verantwortlich sein. Sagen wir einfach, Qualität hat ihren Preis. Und sein Preis stimmte. Ich telefonierte mit ihm und vereinbarte ein Treffen. Voller Vorfreude bereitete ich meine Wohnung auf die Ankunft des Putzers vor. Ein gewisser Grad an Vorbereitung war angemessen, schließlich sollte der Herr ausreichend Platz zum tanzen und putzen haben. Als er kurze Zeit später an der Tür klingelte, bat ich ihn hinein, zeigte ihm die Wohnung, bezahlte im Voraus und machte mich daran, mein Heim zu verlassen.
Nun wurde ich von Bernd, so möchte ich den Nacktputzer von nun an nennen, schließlich habe ich das Wort Nacktputzer mittlerweile zu genüge verwendet, verständnislos angesehen. Warum wollte ich denn jetzt gehen? Er hatte doch gerade mit dem Putzen anfangen wollen. Ich erklärte Bernd, dass ich ihn bei der Ausübung seines Vorhabens nicht stören wolle. Bernd verstand nicht, warum ich einen Nacktputzer engagiert hatte, wenn ich ihn nicht bei der Ausübung seiner Fähigkeiten beobachten wollte. Tja, sagte ich, manchmal kaufe ich meine Videospiele auch direkt auf der Internetseite des Entwicklers und nicht über Steam, obwohl letzteres einfacher und praktischer wäre. Es gibt einfach Tage, da will man die Kleinen unterstützen. Nacktputzer werden doch heutzutage von den Nichtnacktputzern unterdrückt. Ich kann mich nicht daran erinnern, mal in einem Karstadt einer oder einem nackten Toilettenputzfrau oder Toilettenputzmann begegnet zu sein. Auch die Menschen, die immer mit ihren Minikehrmaschinen den Boden der Frankfurter Hauptwache befeuchten, um dort im Anschluss lustige gelbe Plastikschilder, auf denen ausrutschende Menschen abgebildet sind, aufzustellen, führen dies unbeentkleidet aus. Nicht einmal das Schreibprogramm, mit dem ich gerade meinen handschriftlich angefertigten Textentwurf abtippe kennt das Wort “Nacktputzer”. Ich hatte Bernd angeheuert, um ein vom Aussterben bedrohtes Gewerbe vor der Vernichtung durch prüde Kleidungsträger zu bewahren. Schon die Bibel erklärt uns, was passiert, wenn man zu viel Kleidung trägt. Dies wollte ich nicht ein weiteres Mal geschehen lassen. Bernd verstand nur Bahnhof, was ja auch kein Wunder war, schließlich hatte ich während meines Vortrags die Hauptwache erwähnt. Immerhin hatte er mir zugehört.
Nun gut, sagte ich, da er in seiner Anzeige Sex ausgeschlossen hatte, sah ich nun wirklich keinen Sinn darin, seinem entblößten Anblick über einen längeren Zeitraum Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Ich gucke zwar gerne anderen Menschen beim Videospielen zu, sind diese dabei jedoch nackt, kann ich nur selten meine Hände an mir lassen. Da kann es schnell passieren, dass sie mir abfallen, sich verselbstständigen und plötzlich an Orten existieren, die man normalerweise… mit einem breiten Grinsen unterbrach Bernd meine Ausführungen, indem er sich obenrum entblößte. Er teilte mir mit, dass sich über spezielle Wünsche zu einem bestimmten Aufpreis definitiv diskutieren ließ. Ich schüttelte den Kopf. Wenn ich diskutieren will, schreibe ich ironische Kommentare unter Internetvideos. Das ist ergiebiger, unterhaltsamer und vor allem kostenlos. Bernds weitere Ausführungen ignorierte ich fleißig, wünschte ihm viel Spaß beim Tanzen und Putzen, klemmte mir meine Couch unter den Arm und verließ die Wohnung über den Balkon, da ich auf den Stress, eine Couch durch den viel zu engen Hausflur zu transportieren, verzichten konnte. Mit meiner Sitzgelegenheit unter dem Arm begab ich mich an den Ort, der meinem traurigen Leben genau die Freude schenkt, die ich hin und wieder einfach benötige: Die Treppen, die Frankfurter von der Zeil hinunter in die B-Ebene der Hauptwache führen. Welche Treppen ich genau meine, möchte ich selbstverständlich verschweigen. Es handelt sich hier schließlich um meinen Geheimplatz. Das Warum werde ich aber nicht verschweigen.
Ich beobachte total gerne Menschen, die auf ihre Smartphones starren, dabei Treppen benutzen und ins Stolpern geraten. Ich will an dieser Stelle natürlich nicht bestreiten, dass Smartphones tolle Geräte sind. Man kann viele praktische Dinge mit ihnen anstellen, zum Beispiel unzählige Apps auf ihnen installieren und diese zwei Monate später wieder löschen, weil sie das eigene Leben dann doch nicht so verändert haben, wie man zuvor erwartet hat, obwohl die App es einem per Beschreibungstext versprochen hatte. Wie auch immer. Egal, wo man ist, man sieht Menschen, die auf ihre Geräte starren. “Menschen, die auf Geräte starren” klingt übrigens sowohl nach Til-Schweiger-Film als auch Spannerporno, aber ich schweife ab. Menschen, die auf Geräte starren. Sitzend, stehend, gehend, rennend. Man will die U-Bahn erreichen, in der Hose vibriert es, panisch erinnert man sich an das Erlebnis mit dem Nacktputzer in der letzten Nacht, stellt aber erleichtert fest, dass es das Telefon ist, das da seine Schwingungen in der Hose verbreitet. Der Freund schreibt, dass er etwas Lustiges erlebt habe und erwartet nun die “Oh, was denn?”-Nachfrage. Damit ihn diese auch innerhalb der nächsten zwei Minuten erreicht (man will ja nicht riskieren, dass er glaubt, man will ihn verlassen, weil man ihn ignoriert), man selbst aber nicht den nächsten Zug verpasst, antwortet man eben laufend. Multitasking nennt man das und es ist im Grunde eine ziemlich tolle Sache. Leider funktioniert Multitasking nicht immer tadellos. Laufen ist zwar eine Tätigkeit, die von den meisten Menschen unbewusst ausgeführt wird, Treppensteigen dagegen ist schon etwas komplizierter. Vor allem, wenn man währenddessen die Treppen gar nicht beachtet, sondern auf einen kleinen Bildschirm starrt. Und auf diesem herumtippt. Mir nichts dir nichts verschätzt man sich und plötzlich ist die Treppenstufe höher oder niedriger, als man unbewusst nicht wirklich erwartet hat. Ein solcher Fehltritt kann gefährlich sein. Doch lasst uns hier nicht über Verletzungen reden.
Einmal beobachtete ich eine Frau dabei, wie sie textend eine Treppe hinaufeilte. Sie verschätzte sich, stieß mit den Zehenspitzen gegen eine Stufe und stolperte. Verärgert sah sie zurück zur Treppenstufe, gab einen schneidenden “Tz!”-Laut von sich und schüttelte den Kopf. Es schien, als würde sie von der Treppenstufe eine Entschuldigung erwarten. Doch die Treppe schwieg und die Frau setzte ihre Reise fort. Textend. Hatte sie etwas gelernt? Offensichtlich nicht. Aber warum auch etwas lernen, wenn die Menschheit doch über Hightech-Geräte verfügt? Das mit den gemeinen und vor allem rückständigen Treppenstufen wird man ganz bestimmt schon irgendwann überwunden haben.
Auf der Couch zu sitzen und stolpernden Menschen beim Stolpern und Treppenbeleidigen zu beobachten ist wirklich eine tolle Freizeitbeschäftigung und ich spreche an dieser Stelle eine klare Empfehlung aus. Sucht euch eine vielbelaufene Treppe, setzt euch irgendwo hin, von wo aus ihr sie stets gut im Auge behalten könnt, und macht euch auf ein paar lustige Stunden gefasst. Ich möchte noch schnell betonen, dass ich eigentlich kein Freund von Schadenfreude bin. Aber jeder hat in seinem Leben wohl irgendwelche Kleinigkeiten, auf die er nur bedingt stolz ist und die seinen inneren Moralvorstellungen eigentlich widersprechen.
Als ich am Tag des Frühjahrsputzes nach meiner Couchgeschichte gutgelaunt wieder nach Hause kam, war Bernd übrigens nicht mehr da. Nach erledigen seiner Arbeit hatte er sich verzogen. Die Wohnung befand sich in einem top Zustand. Das freute mich sehr. Hin und wieder wird man ja in Fernsehtalkrunden von erfahrenen Politikern, die es in ihrem Leben weit gebracht haben, vor betrügerischen Nacktputzerbetrügern aus dem Ausland gewarnt, die einem während dem Putzen die Bude ausräumen. An eine solche Bande war ich nicht geraten. Bernd gehörte zu den Guten. Er hatte mir sogar seine Telefonnummer dagelassen. Mit einem Edding hatte er sie auf seine zurückgelassene Unterhose geschrieben und diese im Schlafzimmer auf mein Bett gelegt. Tja, ein echter Marketingprofi. Manche Menschen wissen einfach, wie sie Aufmerksamkeit erregen können. Als ich gedankenverloren an Bernds Unterhose schnupperte, vibrierte es plötzlich in meiner Hose. Habe ich eigentlich schon erzählt, dass ich seit einigen Wochen kein Spartphone mehr besitze?