Besser als tot zu sein. Das rede ich mir jetzt schon seit Jahren ein. Besser als tot. Besser als tot. Wie schwer es sein kann, sich selbst zu belügen. Es ist, als würde man sich selbst am besten kennen und die Lüge sofort als solche enttarnen. Schlimm ist das. Besser als tot, besser als tot. Glaub es doch endlich, verdammt!
Als die Terroristen kamen, lebten wir alle in großer Gefahr. Die Angst vor Anschlägen wurde immer unerträglicher. Jeden Tag hätte uns etwas passieren können. Und dann war da noch die Bedrohung, die von anderen Verbrechern ausging. Taschendiebe, Mörder und so weiter. Man hatte sich gar nicht mehr auf die Straße getraut. Dann kamen die Außerirdischen.
Sie waren uns technisch überlegen und wir hatten ihnen nichts entgegenzusetzen. Erst beobachteten sie uns lediglich aus der Ferne, dann betraten sie den Planeten und übernahmen ihn. Wir konnten nicht mit ihnen kommunizieren. Sie verstanden weder unsere Sprache noch unsere Zeichen. Vielleicht wollten sie all das aber auch nicht verstehen. Sie waren uns einfach überlegen.
Sie fingen uns ein und sperrten uns in Gehege. Sie sortierten uns nach Hautfarbe. Für einen Außenstehenden… oder Außerirdischen war das vermutlich die offensichtlichste Möglichkeit, Menschen zu sortieren. Man sperrte immer zehn von uns in ein Gehege. Jedes Gehege sah aus wie ein Haus auf der Erde. Drei Etagen, genug Platz für zehn Personen. Jedes Zimmer hatte an mindestens einer Wand ein großes Fenster. Durch diese beobachtete man uns. Vermutlich hatte man um unser Haus herum Wege errichtet, die die Besucher einmal an jeder Etage entlangführten. Man wollte ihnen ja alles zeigen. Alles, was wir taten, geschah unter Beobachtung.
Zunächst hatten wir versucht, auszubrechen. Erfolglos. Man hatte uns schnell klargemacht, dass wir nicht mehr entkommen konnten. Man behandelte uns wie Tiere. Nun, wir sind ja auch Tiere. Vor den Außerirdischen hatte der Mensch sich von den Tieren abgrenzen wollen. Unsere überlegene Stellung waren wir mittlerweile los. Nun waren wir wieder auf der gleichen Stufe wie die Wesen, die wir damals unterdrückt hatten.
Besser als tot zu sein. Wir bekommen drei Mahlzeiten am Tag. Frühstück, Mittag- und Abendessen. Die Nahrung macht nicht mehr den frischesten Eindruck, aber zum Überleben reicht es. Besser als tot. Im Haus liegen Spielsachen herum. Man hat uns zum Beispiel ein paar Bälle gegeben, mit denen wir spielen können. Bälle. Man behandelt uns wie Kleinkinder. Weil wir den Außerirdischen unterlegen sind. Wir sind in ihren Augen dumm und primitiv. Wir sind nur Menschen. Uns reichen ein paar Bälle zur Unterhaltung.
Manchmal setze ich mich vor eines der Fenster, gucke hinaus und sehe mir unsere Besucher an. Anfangs hatte ich versucht, mich mit ihnen zu unterhalten. Ihnen Zeichen zu geben. Wie immer vergeblich. Sie zeigten lediglich mit ihren langen, dünnen Fingern auf mich und ihre schmalen Münder verformten sich zu einem Lachen. Ich vermute, dass es sich bei ihnen um Familien handelt. Große Viecher werden von kleinen Viechern begleitet. Das würde ich als Familie bezeichnen. Ist aber auch egal. Sie beobachten uns und die Kleinen sind meistens interessierter an uns als die Großen. Vor allem, wenn wir mit den Bällen spielen.
Besser als tot zu sein. Wirklich? Auf der Erde lebte ich gefährlich. Ich hatte mich selbst um mein Überleben kümmern müssen. Theoretisch hätte ich jederzeit sterben können. Ein Unfall, ein Überfall… es gab viele Gefahren damals. Ob ich an diesen Dingen wirklich gestorben wäre? Man weiß es nicht. Wollte ich vor den Gefahren geschützt werden? Nein. Hier muss ich mir nun keine Sorgen mehr machen. Ich bekomme Essen. Wenn ich krank bin, gibt man mir etwas, was man wohl als Medizin bezeichnen könnte. Die einzige Gefahr geht von meinen Mitmenschen aus. Es kommt hin und wieder zu Streitereien. Die Außerirdischen haben natürlich nicht darauf geachtet, ob wir uns gut vertragen. Sie interessierten sich nur für unser Äußeres. Kleidung tragen wir auch keine mehr. Die Scham war das Erste, was wir verloren hatten. Wir werden täglich beobachtet. Nackt.
Ich glaube nicht, dass ich hier jemals wieder rauskomme. Ich bin gefangen. Gefangen im Paradies? So kann man es auch sagen. Wenn man zu denen gehört, die uns durch die Scheiben beobachten. Wir haben ja keine Sorgen mehr. Wir überleben. Dass wir gegen unseren Willen gefangen gehalten werden, sieht niemand unserer Beobachter. Man nimmt uns nicht ernst. Man stellt uns aus. Man füttert uns und hält uns am Leben. Man will, dass wir uns fortpflanzen. Man erniedrigt uns. Man gibt uns Bälle zum Spielen. Man starrt uns an, lacht uns aus. Vor allem aber fühlt man sich uns überlegen. Darum stellt man uns auch aus. Seht, wie überlegen wir sind. Das da sind nur Tiere. Denen reichen Bälle zum glücklich sein. Ach, hätten wir doch auch so ein leichtes und unkompliziertes Leben wie die.
Schade, dass das stimmt. Wir sind ihnen unterlegen. Schade, dass dies als Grund ausreicht, uns wie Ausstellungsstücke zu behandeln. Besser als tot zu sein. Ha.