Genürsel 2013 – 32/52 – Reise

Genürsel 2013 - 32/52 - Reise

“Das Leben ist eine Reise.” Super. Eine Reise. Wenn das Leben eine Reise ist, dann bestand Thorstens Leben aus Kotze. Riesigen Bergen aus Kotze. Thorsten konnte nämlich nicht verreisen. Zumindest nicht weit. Wenn er vor einer Autofahrt einen Apfel aß, dann bedeutete das für besagtes Obst, dass es schon bald recht unverdaut an einer Bordsteinkante kleben würde. Reisetabletten halfen da lediglich in der Hinsicht weiter, dass Thorsten diese erst geschätzte zehn Minuten später von sich geben musste. Keine angenehme Art des Reisens. Und des Lebens. Thorsten zerknüllte den kleinen Zettel, der sich in einem Glückskeks befunden hatte und verließ das Restaurant.

Er begann seine Heimreise, die zum Glück zu Fuß schaffbar war. Fünfundzwanzig Minuten. Mehr nicht. Das Ziel seiner Reise war nicht, wie der Glückskeks es vermuten lassen könnte, der Tod, sondern Thorstens Zuhause. Dort erwarteten ihn ein Stuhl, ein Laptop und ein selbstgebauter Holztisch. Hier wollte er heute noch einen Text schreiben. Einen Text über den Aufstieg der Möbelpacker.

Nach dem dritten Weltkrieg hatte man angefangen, Möbelpacker genetisch weiterzuentwickeln. Man hatte ja nichts mehr gehabt und es nicht besser gewusst. Bananen gab es damals auch nicht mehr. Nur Nachkriegszeit und Gewalt. Und vor letzterer Floh man, indem man umzog. Immer und immer wieder. Manchen Leuten schien die Gewalt zu folgen und so zogen sie so oft um, dass sie mit den meisten Möbelpackern Deutschlands mehr als gut befreundet waren. Als die Konzerne davon Wind bekamen, schlossen sie ihre Fenster, damit ihre wichtigen Akten nicht durcheinandergewirbelt wurden. Ein paar Wissenschaftler wiederum begannen mit den Experimenten.

Man kombinierte Möbelpacker mit Kamelen. Die konnten schließlich auch viel Tragen. Leider begannen die ersten Möbelpacker bereits nach kurzer Zeit damit, Wasser in ihren Brüsten zu sammeln, was ein paar sexuell verwirrte Passanten noch mehr verwirrte, da sie die Möbelpacker für sehr starke Frauen hielten. Starke Frauen waren zu dieser Zeit aber keine gern gesehenen Menschen und es kam zu rassistischen Tätigkeiten.

Was für eine schlimme Zeit. Thorsten schüttelte den Kopf. Damals. Unglaublich. Gut, dass die Menschheit die Reise in die Intelligenz zu dieser Zeit nicht eingestellt hatte. Wer weiß, was aus ihr geworden wäre. Thorsten zog am in seinem Mund steckenden Strohhalm und nahm einen großen Schluck Orangensaft zu sich, den er stets in seiner linken Brust mit sich führte. Rechts konnte er das Gluckern von kohlensäurefreiem Wasser hören. Ja, zwei Getränke schlummerten da in seiner Brust. Während er den Strohhalm mit der Zunge zurück in den Mundwinkel schob, genoss er die dabei entstehende, kaum spürbare Reibung an seiner Brustwarze. Ein bisschen erregte ihn das immer. Er war an dieser Stelle sehr empfindlich. Sein Grinsen konnte Thorsten nur schwer verbergen.

Als Möbelpacker durfte er sich diese Empfindlichkeit natürlich nicht anmerken lassen. Seine berufliche Reise würde sofort zu einem Stillstand kommen. Das konnte sich Thorsten nicht leisten. Er musste Geld für die Miete ranschaffen. Und Essen und Trinken musste er auch. In jeder Brust konnte er einen Liter Flüsigkeit transportieren. Ein Durchschnittswert, der bezahlt werden musste. Er hatte schon größere Brüste gesehen. Reiche protzten gerne mit ihren mitgeführten Wasserreservoirs, die manchmal ganze zehn Liter fassen konnten. Dafür fehlte Thorsten einfach das Geld.

Als die Wissenschaftler jedenfalls versuchten, die Brustflüssigkeitensammlungen einzustellen und gesetzlich zu verbieten, war es bereits zu spät. Man hatte eine neue Sorte Mensch erschaffen, die dem Original deutlich überlegen war. Der verte Weltkrieg ließ den Stärkeren gewinnen. Nach ihm gab es endlich wieder Bananen für alle.

Thorsten erreichte sein Zuhause wie geplant. Er setzte sich auf den Balkon und schrieb seinen Artikel, während er sich von Wasser und Orangensaft ernährte. Als er fertig war, las er im Internet über einen Bericht über einen Möbelpacker, der versehendlich Wasser mit Kohlensäure in seine Brust gefüllt und diese dadurch verloren hatte. Sie war durch den Druck so stark angeschwollen, dass ein Fußballverein Besitz von ihr ergriff, um sie von nun an als Maskottchen zu verwenden. Der Staat war selbstverständlich auf der Seite des Vereins, da dieser mehr Geld einbrachte als ein einzelner Möbelpacker. So wurde ihm die Brust einfach abgeschnitten. Er erhielt nicht mal einen Ausgleich, sondern verlor 7:6 nach Elfmeterschießen. Thorsten fühlte sich nach dem Lesen des Artikels unwohl. Was für eine Horrorvorstellung. Er ging ins Bad und stellte sich unter die Dusche. Dort presste er sich die Brüste leer und Wusch sie aus. Brustpflege war wichtig und Brustschimmel unangenehm. Als er die Körperpflege hinter sich gebracht hatte, legte sich Thorsten ins Bett. Morgen begann für ihn schon früh ein neuer Tag. Und auch eine neue Reise.

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