Während meiner bisherigen “Genürsel”-Beiträge ist mir eine Sache klar geworden: Ich liebe mein Zuhause. Wenn es einen Ort auf diesem Planeten gibt, an dem ich mich ausnahmslos wohl fühle, dann ist es meine Wohnung. Das liegt vor allem an meinem Lebensziel, irgendwann das perfekte “Wohlfühlchaos” um mich herum errichtet zu haben. Ich habe diesen Zustand leider noch nicht erreicht, bin aber auf dem besten Weg.
Was genau unter einem “Wohlfühlchaos” zu verstehen ist? Schwer zu erklären. Aber ich habe das Thema angesprochen, also muss ich da jetzt durch. “Wohlfühlchaos” bedeutet, dass man auf etwas Interessantes stoßen kann, egal wo in meiner Wohnung man sich gerade befindet.
Ein Beispiel: Links von meinem Schreibtisch steht ein durchsichtiges Plastikregal, dessen Fächer gefüllt sind mit gebastelten Papierfiguren. Hierbei handelt es sich um Charaktere aus Filmen, Serien oder Videospielen. Im untersten Fach des Regals liegen Geschicklichkeitsspiele, Rubikswürfel, Knick- und Faltdinger und Knobelzeug. Ich weiß nicht, wie man diese Gegenstände nennt, trotzdem besitze ich einen ganzen Haufen von ihnen. Findet man Dinge dieser Art blöd, ist vielleicht der an meiner Magnetwand befestigte Fünf-Mark-Schein spannender. Oder die etwa siebzig Spielzeugfiguren der Skylanders-Reihe gegenüber besagter Wand. Nein? Auch nicht gut? Dann schaut doch in das Regal rechts neben den Figuren. Dort steht ein Ordner mit der Aufschrift “Fundstücke 1”. In diesem habe ich unzählige Zettel abgeheftet, die mich an irgendetwas erinnern sollen. Bekritzelte Arbeitsblätter aus meiner Schulzeit spielen hier Fangen mit Werbeanzeigen, die ich irgendwann mal lustig fand, und verstecken sich zusammen vor Notizen, die ich anfertigte, ohne zu wissen warum. Über diesen Ordner kann ich viel erzählen. Zum Beispiel, dass ich ihn schon bald in “Das Leben 1” umbenennen werde. Und mir vor einigen Tagen drei weitere Ordner gekauft habe, um die Geschichte der abgehefteten Zettel endlich weiterzuführen. Vier Ordner werden aber natürlich niemals reichen, um all mein aufgehobenes Zeug aufzubewahren. Im Ordnerschrank befindet sich nämlich ein Fach, in das dank einer Tür nicht einfach so reingesehen werden kann. Dieses Fach ist so vollgestopft mit Erinnerungen, dass ein großer Haufen Zettel dank der nicht vorhandenen Rückwand einfach hinter den Schrank gefallen ist. Genug geredet. Ich glaube, ich habe den Begriff “Wohlfühlchaos” ganz gut erklärt.
Beschriebenes Szenario lässt sich auf meine ganze Wohnung übertragen. Der eine oder andere Stammbesucher setzt sich hin und wieder gerne mal schweigend auf das Sofa im Wohnzimmer und guckt sich um. “Ich will nur mal gucken, was für neue Spielereien ihr hier versteckt habt.” muss man sich dann anhören. Dieser Satz stellt neben “Wahnsinn, was es hier alles zu entdecken gibt!” das größte Lob dar, das man mir machen kann.
Damit jetzt nicht der Begriff “Drecksloch” fällt, betone ich schnell, dass es hier zwar chaotisch aber nicht dreckig zugeht. Bisher hat noch niemand ein Körperteil verloren, weil er von mutiertem Ungeziefer angefallen wurde. Selbstverständlich gibt es auf diesem Planeten Wohnungen, die sauberer sind als meine, doch sollte man einfach mal sein Schwarz-Weiß-Denken ablegen und graustufen im eigenen Schubladendenken einführen. Ich finde es gemütlich, meine Füße auf den Tisch zu legen. Warum sollte ich das also irgendjemandem verbieten? Ich fordere sogar dazu auf. Ja ja ja. Natürlich werden Füße nicht auf dem Tisch abgelegt, wenn sich gerade Essen auf ihm befindet. Hört auf in Extremen zu denken. Nur weil ich von “Wohlfühlchaos” rede, heißt das doch nicht, dass es hier zugeht wie in einer Barbarenhöhle während einer Magen-Darm-Grippe.
Zurück zum Chaos: Vor vielen Jahren war ich im Besitz eines T-Shirts mit folgender Aufschrift: “Wo ich bin herrscht Chaos. Aber ich kann ja nicht überall sein.” Leider weiß ich nicht mehr, wo dieses Kleidungsstück abgeblieben ist. Ich würde es auch heute noch tragen und dass ich es nicht finden kann, ist ein herrliches Beispiel für das angesprochene Chaos. Manchmal weiß ich, dass ich einen bestimmten Gegenstand besitze, kann mich aber nicht mehr daran erinnern, wo sich dieser befindet. Das ist in diesem Moment dann zwar ärgerlich, im Nachhinein aber meistens lustig. Vor allem dann, wenn der Gegenstand auftaucht, während man einen anderen sucht und man sich daran erinnert, ihn mal gesucht zu haben, jetzt aber nicht, ihn darum wieder weglegt und nach wenigen Minuten schon wieder vergessen hat, wohin. Einmal fand ich auf dem Lattenrost unter meiner Matratze ein Videospiel.
Ich brauche Chaos. Natürlich kommt es hin und wieder vor, dass ich es verfluche. Das dauert aber in der Regel nicht allzu lange. Voller Ekel denke ich dann an all die aufgeräumten Wohnungen und Häuser auf diesem Planeten. Sterile Wohnungen stellen meist Orte dar, an denen Langeweile aufkommen kann. Dann sitzt man zusammen an einem Tisch, hat kein Gesprächsthema und schweigt sich an. Oder noch schlimmer: Man redet über Frisuren und Klamotten. Hilfe! Das kann bei mir nicht passieren. Hat man in meinem Wohnzimmer gerade kein Gesprächsthema parat, greift man einfach unter den Wohnzimmertisch. Entweder hält man daraufhin irgendeine alte, staubige Zeitschrift in der Hand oder einen blinkenden Zauberstab aus der Spielzeugabteilung eines Billigkaufhauses. Aus beidem kann problemlos eine Unterhaltung konstruiert werden.
Mir fällt gerade auf, dass ich hier die ganze Zeit über in der “Ich”-Form geschrieben habe. Natürlich bin ich nicht alleine schuld am “Wohlfühlchaos”. Meine Frau unterstützt mich tatkräftig. Zwar ist sie manchmal dann doch etwas genervter vom Chaos als ich, letztendlich ist sie aber glücklicherweise genauso faul wie ich und wird niemals etwas daran ändern können.
Das ist auch der wichtigste Punkt an der ganzen Geschichte: Ich kann jeden verstehen, der meine Wohnung für unordentlich, chaotisch, verwirrend oder furchteinflößend hält. Ich selbst bin jedoch stolz auf sie und habe mich mit ihrem Zustand angefreundet. Ich stehe zu meinem fehlenden Ordnungssinn. Ich will es gemütlich haben. Und dafür bin ich auf Chaos angewiesen. Wenn ich sage, dass es in meinem Kopf ziemlich chaotisch zugeht, dann will ich mich damit nicht irgendwie als etwas Besonderes darstellen oder angeben. Kopfchaos ist nicht immer gut. Aber ich kenne und akzeptiere es. Und nutze es. So ist das auch mit meiner Wohnung. Es freut mich, wenn ich Besuch bekomme und sich dieser von jeglichen Ordnungszwängen befreit, sich entspannt, sich gehen lässt, die Gegend erkundet und eine angenehme Zeit bei mir verbringt. Ich verbiete niemandem, sich einfach vor irgendein Regal zu stellen, etwas daraus herauszuziehen und sich damit zu beschäftigen. Ja ja ja, ihr Extremisten. Eine gewisse Privatsphäre muss natürlich eingehalten werden. Stellt euch nicht so an. Ihr wisst was ich meine. Ich behalte mein Chaos nicht für mich.
Fassen wir zusammen: Ich liebe Chaos. Ich fühle mich darin wohl und will, dass sich auch andere darin wohl fühlen. Ich liebe mein Zuhause.