Normalerweise erzählt man ja gerne von seinen Erfolgen. Ein bisschen mit den eigenen Leistungen angeben geht schließlich immer. Auch mein Gehirn vollführt stets Luftsprünge, wenn ich mich selbst lobe. Leider ist unsere Beziehung trotzdem nicht perfekt. Ich habe nämlich eine Charaktereigenschaft, die meinem Gehirn so gar nicht passt. Ich mache mich gerne über mich selbst lustig. Was gibt es Schöneres, als über sich selbst zu lachen? Man muss, sollte, darf und hat sich gefälligst über die eigenen Fehlschläge lustig zu machen. Ansonsten läuft man nämlich Gefahr, sich selbst viel zu ernst zu nehmen.
Wenn es um mein künstlerisches Schaffen geht, fallen mir spontan mehr Fehlschläge als Erfolge ein. Zwar gab es in meiner nahen Vergangenheit einige schöne Momente, schaut man jedoch lange genug zurück, kann man nur mit dem Kopf schütteln und lachen. Vor allem dann, wenn es um das Thema “Malen und Zeichnen” geht. Malen konnte ich nämlich noch nie. Versucht habe ich es trotzdem immer wieder. Zum Glück konnte ich meine Fähigkeiten aber stets gut genug einschätzen, um schnell zu bemerken, was mir liegt und was nicht. Wenn ich heutzutage etwas male oder zeichne, dann geschieht das stets mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich weiß, dass ich es nicht kann, hin und wieder macht es aber genau aus diesem Grund Spaß. Der Umstand, dass ich einen eigenen Webcomic über schlecht gezeichnete Pinguine führe und dieser zu diesem Zeitpunkt bereits über 420 Comic umfasst, spricht hier für sich. Man muss zu seinen Schwächen stehen, sie präsentieren und zum eigenen Vorteil nutzen. Oder so. Keine Ahnung, was ich damit jetzt eigentlich sagen will. Vielleicht sollte ich endlich zu dem Thema kommen, das wohl das dunkelste Kapitel meiner Zeichenkarriere darstellt.
Hip Hop hat mich sehr geprägt. Man kann über die Musikrichtung sagen was man will, mir bedeutet sie jedoch sehr, sehr viel und sie hat mir viel gegeben und mich inspiriert. Da fällt mir auf: Zum Glück habe ich als Thema dieses Textes “Malen und Zeichnen” und nicht “Rappen” genommen. Über meine Rapversuche als “Cinema MC” werde ich aller Wahrscheinlichkeit nach niemals detailliert reden. So viel Humor besitze ich dann doch nicht. Stattdessen widme ich mich lieber einer Kunstrichtung, die stets mit Hip Hop in Verbindung gebracht wird: Graffiti.
Ich rede vom Schreiben des eigenen Namens an Hauswände. Bevor jetzt jemand meckert: Ich werde im weiteren Verlauf dieses Textes absichtlich etwas platt über das Thema schreiben, da ich hier nicht mit Fachbegriffen nerven möchte. Ich weiß, was Graffiti aussagen und wie es genutzt werden kann. Vor allem weiß ich, was für eine Arbeit hinter dem Anfertigen dieser Wandbilder steckt. Vom Nervenkitzel fange ich gar nicht erst an. In der Schule war ich jedenfalls wie besessen von Hip Hop. Und ein Bekannter von mir ebenfalls. Und dieser Bekannte hatte Freunde, die in der Lüdenscheider Graffiti-Szene aktiv waren. Mit diesen setzte er sich hin und wieder zusammen und lernte, coole Schriftzüge zu erstellen. Während des Kunstunterrichts zeigte er mir seine Skizzen und Ergebnisse. Ich fand sein Zeug toll und dachte mir: “Das muss ich auch mal probieren.” Hier begann meine Karriere als Graffiti-Künstler, der so untalentiert war, dass sein einziges “öffentliches Werk” auf der Toilette einer spanischen Diskothek zu bewundern ist.
Dabei war ich zu Beginn noch so motiviert und machte mir total viele Gedanken. Leider scheiterten meine unglaublich detaillierten Vorstellungen stets an meinem Zeichentalent und meiner Geduld. Mein erster Namensentwurf sah ziemlich hingeklatscht aus. Und das meine ich wörtlich.
Wenn ich eine Wand wäre, hätte ich obigen Namenszug ganz bestimmt nicht gerne auf mich gesprüht bekommen. Aber gut, es war mein erster Versuch. Es konnte nur besser werden. Richtig?
Na? Eine Dornenschlange? Das ist doch ziemlich übelster Hip Hop, oder? Damit hätte ich mich auf der Straße definitiv sehen lassen können. Zwar wäre ich daraufhin verprügelt und angepinkelt worden, letztendlich zählt hier aber der Mut, etwas Neues auszuprobieren. Oder? Nein? Ist ja gut.
Zum Glück bemerkte ich damals schnell, dass mit meinen Zeichnungen etwas nicht stimmte. Es fehlte der Respekt der Straße. Und außerdem hatte ich ein wichtiges Detail übersehen: Wer sprüht denn bitte seinen richtigen Namen an eine Wand? Ich wollte doch nicht, dass die Polizei schon nach meinem ersten Wandwunderwerk erkennt, wer hier der neue Sprühsheriff in der Stadt ist. Ich brauchte einen Decknamen. Es war offensichtlich, welcher Name mir von nun an als Pseudonym im Sprüheruntergrund dienen sollte: “spa” natürlich! Schließlich bewegte ich mich zu dieser Zeit überall im Internet unter diesem Namen. Ich wollte “spa” aus der virtuellen Welt raus auf die Straße holen. Schnell entwickelte ich einen Schriftzug mit dem ich Hip Hop erobern wollte.
Nun, ich fand Pfeile eben schon immer toll. Wie es manche Sprayer schafften, Buchstaben aus Pfeilen zu konstruieren, faszinierte mich. Leider waren Pfeilbilder unglaublich schwer zu zeichnen. Darum ließ ich es schnell wieder bleiben und suchte nach anderen Möglichkeiten, mein Sprühertalent auszuleben.
Kennt ihr das, wenn man vor einer Wand steht auf der sich ein Graffiti befindet, weiß, dass dort ein Name steht, diesen jedoch nicht entziffern kann, weil alles so verschnörkelt ist? Das fand ich damals unglaublich toll und im Nachhinein viel besser als Kindergeburtstagspfeile. Das Rätseln darum, welcher Name sich hinter dem Chaos verbarg, war der pure Wahnsinn. Einen solchen puren Wahnsinn wollte ich auch zeichnen können. Also versuchte ich es.
Ja doch. Wahnsinn war das wirklich. Nur nicht im angestrebten Sinne. Mich erinnerte mein Ergebnis eher an ein Spiel, das ich gerne während langweiligen Schulstunden mit anderen Klassenkameraden spielte. Hierfür zeichnete man eine chaotische Rennstrecke auf kariertes Papier und simulierte darauf mit Hilfe von Linien ein Autorennen. Muss man mal gemacht haben. Mein obiges Bild jedenfalls hätte eine perfekte Rennstrecke abgegeben.
Wieder analysierte ich meine Fähigkeiten und erkannte das Problem: “spa” war kein guter Sprayername. Schließlich war ich unter diesem Pseudonym bereits im Internet bekannt. Ich würde mich sogar als berühmt bezeichnen, wenn das nicht so unglaublich dreist gelogen wäre. Eines war klar: Würde ich als “spa” die Lüdenscheider Wandlandschaft attackieren, würde die Polizei schnell meine wahre Identität herausfinden. Also musste ein neuer Name her. Ich legte mich auf mein Bett und betrachtete die überall an den Wänden aufgehängten Poster von Arnold-Schwarzenegger-Filmen. Irgendwann machte es “Klick” und mein Sprayername war geboren:
Um nicht verhaftet zu werden, werde ich den Namen innerhalb dieses Textes selbstverständlich niemals ausschreiben. Ihr müsst ihn schon selbst entziffern. Ich will nicht, dass irgendein spanischer Diskothekenbesitzer nach geschätzten zehn Jahren gefüllt mit erfolglosem Gesuche nun doch fündig wird. Man muss sich ja absichern. Aberkannte Doktortitel zeigen, was da heutzutage dank des Internets und modernen Computersystemen so alles herausgefunden werden kann. Da ich keine Diskothekentoiletten schrubben möchte, komme ich stattdessen lieber zu einem weiteren Bild.
Ich vermute mal, dass ich dieses Kunstwerk während einer Nacht-und-Nebelaktion auf einen Zebrastreifen sprühen wollte, genau weiß ich das aber leider nicht mehr. Die Erinnerungen verblassen sehr schnell, wenn man etwas gezielt vergessen möchte. Ich erkannte, wie oft man sich beim Ausmalen von kleinen Flächen vermalen konnte und änderte erneut meinen Stil. Ich ging einfach in der Zeit zurück und griff wieder auf mein Kritzeltalent zurück.
Na? Merkt man, dass ich Grün wirklich schon immer mochte? Natürlich konnte ich meine Lieblingsfarbe nicht einfach so aus meiner neu entdeckten Lieblingskunstform fernhalten. Dafür war ich mit dem Krakelstil unzufrieden. Irgendwie gefiel er mir nicht. Ich erinnerte mich an meine Anfangszeit. Als ich versuchte, in der Lüdenscheider Sprayerszene Fuß zu fassen, hatte ich doch meinen ganz eigenen Stil entwickelt. Warum kopierte ich jetzt das Gekritzel anderer Leute? Nein, ein eigener Stil war es, was die Szene benötigte. Die Dornenschlange kam aus ihrem Versteck gekrochen, baute aus ihren Dornen eine Leiter, kletterte mit Hilfe der Leiter an mir hoch, umwickelte meinen rechten Arm, übernahm so die Kontrolle über meine Hand und erschuf so ein weiteres Schlangenmeisterwerk.
In diesem Moment wusste ich, dass ich es geschafft hatte. Keine Wand würde mehr vor mir sicher sein. Ich hatte endlich die Kunst hinter dem Gesprühe verstanden. Ich wusste nun, wie ich meine Gefühle per Spraydose ausleben und verbildlichen konnte. Voller Tatendrang setzte ich mich hin und entwarf mein erstes, bescheidenes Werk. Ich wusste zwar noch nicht, an welche Wand ich es sprühen sollte, das Ergebnis war jedoch so perfekt, dass es überall einen Platz gefunden hätte.
Ist es nicht toll? Mein Name sprengt sich selbst aus einem Kontinent der Erde und fliegt von einem Energieschweif begleitet ins Weltall. Die Symbolik hinter dem Bild ist klar: Nach mir die Sintflut. Oder so. Ich war begeistert. Ich hatte Gott erschaffen und wollte ihn nun der Welt präsentieren.
Leider meldete sich, noch bevor ich zur Tat und zur Wand schreiten konnte, mein Gehirn zu Wort. Es blätterte durch die frisch von mir angelegte Mappe gefüllt mit meinen besten Sprayerwerken und lachte mich dermaßen laut aus, dass ich mir schwor, niemals eine Sprühdose in die Hand zu nehmen.
Was ich dafür in die Hand nahm, war ein Edding. Ich hatte nämlich einen richtig tollen Schriftzug für mein Pseudonym entwickelt. Und das bringt mich wieder zur Toilette der spanischen Diskothek. Während der Endphase meiner Graffitikarriere machte ich nämlich ein paar Tage Urlaub in Spanien. Als ich dort mit meinen Mitreisenden eine Diskothek aufsuchte, ergab es sich, dass ich durch den Konsum diverser Flüssigkeiten die Toilette aufsuchen musste. Dort hinterließ ich meinen Sprayernamen gefolgt von einem “for Germany” auf dem Spülkasten. Im Nachhinein wäre es vermutlich besser gewesen, das Ganze mitten in die Toilettenschüssel zu schreiben und gleich danach mit ein wenig Urin anzureichern. Leider kam mir diese Idee erst nachdem ich mich vom Sprayen abgewandt hatte. Der Gedanke, einmal meinen Namen auf einer Toilette hinterlassen zu haben, sorgt aber dafür, dass ich auch heute noch herzlich lachen muss, wenn ich an damals denke.
Der alten Zeiten wegen habe ich mir extra für diesen Text Stift und Papier organisiert und noch ein letztes Mal mein Graffititalent die Kontrolle über mein Handeln übernehmen lassen. Das Ergebnis zeigt, dass ich mich auch heute noch genau richtig verhalte, indem ich einen großen Bogen um das Thema Graffiti mache.