Freue dich, Kriegskind kommt bald

Am Tag vor Weihnachten begann der Krieg. Ich hatte es kommen sehen und war vorbereitet. Die erste Schlacht war geschlagen. Der Krieg aber noch lange nicht gewonnen.

Vor der Schlacht musste aber Material besorgt werden. Hier verfahre ich aufgrund meiner unterentwickelten Verpackfähigkeiten anders, als der durchschnittliche Kriegstreiber. Anstatt auf buntes Papier zurückzugreifen, nutze ich Zeitungsseiten. Dies ist nicht nur eine jahrelange Familientradition, sondern auch günstiger. Muss man für Geschenkpapier in der Regel mehrere Euros auf den Tisch legen, bekommt man für einen einzigen bereits eine stattliche Zeitungszettelsammlung überreicht.

Selbstverständlich darf man im Geiz aber nicht zu geizig sein. Werbebroschüren aus dem Briefkasten zum Beispiel sind tabu. Da könnte man schließlich gleich in den Mülleimer greifen und das Geschenk zwischen zwei verschimmelte Toastscheiben stecken. Der Beschenkte muss schon sehen, dass man Geld für die Verpackung bezahlt hat.

Ich persönlich kaufe für größere Anlässe wie Geburtstage oder Weihnachten anspruchsvolle Packlektüre. Zum Beispiel eine Ausgabe der “Zeit” (mit einer “Bild” dagegen würde ich nicht einmal die Briefbombe an meinen ärgsten Feind verpacken). Das Papier ist hochwertig und zerreißt während des Kriegs nicht so schnell wie manch anderes Papier. Und gerade ein hoher Grad an Stabilität ist bei meinen ungeschickten Kriegsmethoden Gold wert.

Man sollte “Zeit”-Papier aber nur nutzen, um damit Geschenke in die gleiche Stadt zu verpacken, in der man wohnt. Geht das Geschenk in andere Regionen ist eine Tageszeitung aus der Heimat Pflicht. Schließlich möchte man regionale Verbundenheit demonstrieren. Auf der anderen Seite kann man dem Empfänger so gleichzeitig wichtige Ereignisse mitteilen und sich den nächsten “Du glaubst gar nicht, was hier letztens passiert ist!”-Anruf sparen.

Ich selbst freue mich zum Beispiel immer sehr über Zeitungen aus anderen Gegenden. Ich blättere darin herum, lache über unwichtige Meldungen im Regionalteil oder lustige Namen und am Ende fühle ich mich informiert und aktuell.

Hat man sich für die passende Zeitung entschieden, geht es an die Auswahl der Seiten. Todesanzeigen gehören sofort ausrangiert, da sie von einer negativen Aura umgeben sind, auf die während Feierlichkeiten verzichtet werden sollte. Besonders geeignet sind dagegen der bereits angesprochene und informative Regionalteil oder unterhaltsame Comics und Rätsel. Rätsel sollten bevorzugt für Verpackungen genutzt werden, die Geschenke umhüllen, bei denen man sich nicht sicher ist, ob sie überhaupt gut ankommen werden oder nicht. Gefällt das Geschenk seinem Empfänger nicht, kann er dieses zur Seite legen und sich stattdessen immerhin mit dem Rätsel unterhalten oder über einen lustigen Comic lachen. Es ist immer wichtig eine Alternative anzubieten.

Nachdem ich mich nach den obigen Regeln vorbereitet hatte, begann der Krieg. Zunächst verteilte ich meine Truppen und rüstete sie aus. Ich bildete zwei Gruppen, bestehend aus jeweils fünf Soldaten. Sie sollten den Feind von beiden Seiten zugleich angreifen und so die Kraft des Gegenangriffs aufteilen. Während ich die rechte Gruppe mit Schere und Klebematerial ausrüstete, war die linke für den Transport des Papiers zuständig. Mit dieser Aufteilung konnte der Angriff beginnen.

Leider stellte sich mein Angriffsplan als Fehlschlag heraus. Die beiden Gruppen agierten zu großen Teilen getrennt voneinander und trafen keinerlei Absprachen. Während Rechts klebte, hatte Links das Papier noch nicht einmal um den Gegner gelegt und als Links dies endlich schaffte, zerschnitt Rechts es versehendlich mit der Schere. Frustriert übernahm nun jeweils die andere Seite die Aufgabe seines Gegenübers, stimmte die Taten aber erneut nicht aufeinander ab, wodurch plötzlich die Schere verklebt und somit nicht mehr zu öffnen war.

Nach diesem erneuten Rückschlag organisierte man sich ein weiteres Mal um. Nun wollte man erst das beschnittene Papier, danach die Klebestreifen anbringen. Die vereinte Gruppe stürmte auf den Feind los und bearbeitete ihn von allen Seiten mit Papier, das aufgrund der mittlerweile vorherrschenden Anspannung und der dadurch unsauber ausgeführten Umsetzung leider viel zu klein war für den Feind und diesen nicht mehr umschließen konnte.

Beim vierten Anlauf ging man mit der Papiermenge deutlich großzügiger um, war aber zu frustriert um noch konzentriert zu kämpfen wodurch das Papier am Ende mit einem lauten “Ratsch” zerriss. Zwar hatte sich die Papiermenge nun verdoppelt, etwas einpacken konnte man damit aber nicht mehr.

Jetzt brach Panik aus. Niemand hörte mehr auf den Anderen. Man wickelte, schnitt und klebte getrennt voneinander. Zwar schaffte man es nach vielen schweißerfüllten Minuten tatsächlich, den Feind zu überwältigen und vollständig einzupacken, das Resultat jedoch war erschreckend. Von den Leiden des Krieges gebeutelt standen meine Truppen einem zerfledderten Papierbündel gegenüber, das den Eindruck erweckte, man hätte einen Apfel für zwei Wochen auf eine Heizung gelegt, danach mit einem Baseballschläger malträtiert, die übriggebliebene Masse wie eine zweite Haut um das eigentliche Geschenk geschmiert und das Ganze zum Schluss durch eine Druckerei gehetzt.

Nach all den Strapazen war mir das aber egal. Ich schaute mich um und sah all die anderen Gegenstände, die noch verpackt werden mussten. Meine Feinde lachten mich förmlich aus. Mich und meine von der ersten Schlacht gezeichneten Soldaten. Am Tag vor Weihnachten begann der Krieg. Ich hatte es kommen sehen und war vorbereitet. Die erste Schlacht war geschlagen. Der Krieg aber noch lange nicht gewonnen.

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