Eingelegte Strohhalmbrötchen

Mir wurde die Ehre zuteil, an der Zeugnisvergabe an einer Universität teilzunehmen. Teilgenommen habe ich natürlich nicht aktiv, da ich mich nicht zur Gruppe der Studenten zähle. Ich schaute eher aus sicherer Entfernung zu. Außerdem kann hier nicht von einer Ehre die Rede sein, denn schließlich konnte jeder hinterste Dorfdepp dieser Veranstaltung beiwohnen. Da die Universität aber klein und die Studentenzahl zudem recht überschaubar war, musste nicht mit einem starken Andrang gerechnet werden und das Ganze fand in einer gemütlichen und fast schon privaten Atmosphäre statt. Zuletzt möchte ich noch darauf hinweisen, dass es sich genaugenommen nicht um eine Universität, sondern um eine Akademie handelt. Der Umstand, der mich dazu gebracht hat, im weiteren Verlauf trotzdem auf das Wort Universität zurückzugreifen, ist mir leider nicht bekannt.

Wie es sich für Veranstaltungen dieser Art gehört, wurde sie vom Direktor der Universität mit einer Rede begonnen. Hier begrüßte er die Anwesenden auf eine zugegebener Maßen sehr charmante und vor allem ungezwungen und echt wirkende Art. Eine Fähigkeit, die so manchen Menschen in Führungspositionen abhanden gekommen ist.

Nach der Rede wurden die Abschlussarbeiten der Studenten dem Publikum vorgeführt. Nachdem man sich ein paar Filme betrachtet hatte, durften die Gäste durch das Universitätsgebäude schlendern und sich am Anblick der Exponate laben. Hier sollte ich nun erwähnen, dass es sich um eine Universität handelte, die sich dem Design allgemein und dem Kommunikationsdesign im speziellen widmet. Somit wurden einem künstlerisch anspruchsvolle Werke präsentiert, die sich fast durchgehend voneinander unterschieden und einen sehr interessanten Anblick boten.

Normalerweise bin ich kein Freund von Kunstausstellungen. Hier werden einem zumeist die künstlerischen Ergüsse von an Farbblindheit leidenden Crackjunkies vor die Nase gehalten, die einem zum Staunen anregen sollen, mich aber eher zum angewiderten Wegblicken und Kopfschütteln auffordern. Kunst kann interessant sein, muss sie aber nicht.

Im Gegensatz zu den eben geschilderten Ausstellungen war die aktuell von mir besuchte aber deutlich gelungener. Die Künstler waren, wenn überhaupt, nur ein paar Jährchen älter als ich und, was vor allem hervorzuheben ist, nicht vollkommen bescheuert. Die Werke waren interessant, ansprechend und vor allem Ideenreich.

Doch selbstverständlich gibt es auch bei solch gelungenen Ausstellungen ein paar schwarze Schafe. Eines dieser Schafe war zwar sprichwörtlich schwarz, realistisch betrachtet aber weiß und kein Schaf, sondern ein Raum. Die Wände dieses Raumes wurden, wie eben angedeutet, von einer Künstlerin vollkommen weiß angestrichen. Auch die hier aufgestellten Möbel trugen die gleiche Farbe, wie ihre Umgebung. Ausgedrückt werden sollte damit sicherlich etwas sehr anspruchsvolles, auf das ich mich aber schon alleine aufgrund der langweiligen Bestreichung nicht einlassen wollte. Um ehrlich zu sein habe ich den Raum nicht einmal betreten. Um dies tun zu können hätte ich nämlich ein Paar Spezialschuhe tragen müssen und auf eine Umbeschuhung hatte ich in diesem Moment genau so viel Lust wie auf eine Magendarmgrippe.

Somit ignorierte ich den Raum und traf auf ein Exponat, das mich anfangs faszinierte. In Einmachglas ähnlichen Behältnissen befanden sich Fleischreste, die in einer gelatineartigen Masse herumschwammen oder besser -hingen. Das Thema dieses Kunstwerkes lässt sich grob mit „Ekel“ beschreiben. Ich betrachtete mir die merkwürdig aussehenden Fleischstückchen und mampfte dabei ein Stück Pflaumenkuchen, der an einem kleinen Tisch zum Verzehr gereicht wurde.

Doch wie ich so guckte und mampfte trat plötzlich eine abscheulich motivierte junge Dame auf mich zu. Mit einem breiten aber von Überheblichkeit geprägten Grinsen fragte sie mich, ob sie mir etwas zu ihrem Werk erzählen solle. Da ich gerade meinen Mund voller Pflaumen hatte nickte ich lediglich und horchte gespannt, was wohl für aufregende Gedanken hinter diesem Werk stecken würden.

Zunächst wurde ich gefragt, ob ich das Werk „Der Ekel“ von „Sartre“ kennen würde. Als ich dieses mit heftigem Kopfschütteln, ich aß schließlich immer noch den Kuchen, verneinte, bekam ich ein abwertendes „Oh, das sollte man aber.“ um die Ohren gehauen. Ich blickte leicht verdutzt drein, wollte aber nicht gleich unhöflich werden. Zwar war der Grundstein dieses Gespräches nicht auf positiv behaftetem Boden gelegt worden, doch wollte ich der Künstlerin noch eine Chance einräumen. Schließlich war das heute ihr großer Tag und ein wenig Selbstvertrauen seinen Gästen gegenüber zu demonstrieren konnte nicht schaden.

Leider stapelte die werte Frau auf ihrem Grundstein munter so weiter, wie sie begonnen hatte. All ihr Geschwafel hier wiederzugeben würde nicht nur die Zeilen sondern auch die Leselust sprengen. Zusammengefasst kann man aber sagen, dass sie sehr überzeugt von sich und ihrer Arbeit war. Ich konzentrierte schon bald meine Ohren nicht mehr auf sie sondern auf die Kaugeräusche, die ich aus meinem Mundinneren zu hören bekam. Irgendwann beendete ich die Ausführungen meiner einseitigen Gesprächspartnerin mit einem gelangweilten „Sehr interessant!“ und zog von dannen. Mein anfänglich positives Interesse am Exponat hatte sich in einen wahren Hass auf die Erstellerin verwandelt. Vor lauter Frust wollte ich ein weiteres Stück Kuchen.

Nach einiger Zeit begann dann wieder der offizielle Teil der Veranstaltung und somit der eigentliche Grund, weshalb all die Leute ursprünglich in die Universität eingekehrt waren: Die Zeugnisvergabe. Die Studenten saßen in der ersten Reihe, wurden nach und nach aufgerufen, traten vor, bekamen ihr Zeugnis sowie ein kleines Geschenk und setzten sich wieder. Ein atmosphärisch schöner Moment, da man sehen konnte, dass der Direktor eine gewisse persönliche Beziehung zu den Studenten aufgebaut hatte.

Zum Schluss hielt er seine Abschlussrede. Hier Sprach er die Studenten nur noch mit „Ehemalige“ an. Dies war nichts besonderes, da er recht hatte. Fasziniert hatte mich aber die Bezeichnung „Examinierte“, die er ebenfalls häufig von sich gab. Da mir dieser Begriff bis zu diesem Zeitpunkt nicht geläufig war, lachte ich innerlich in mich hinein und bastelte humorvolle Satzkonstruktionen, in denen er nicht von Examinierten, sondern Exhumierten sprach. Das Ausgraben toter Studenten, um ihnen ein Abschlusszeugnis zu überreichen, war ein toller Gedanke.

Irgendwann war die Ansprache dann vorbei. Der Direktor bedankte sich für die Aufmerksamkeit und es wurde sich aufgestellt zum Gruppenfoto. Ein Blitzgewitter durchleuchtete den Raum und wären Rehe anwesend gewesen, sie hätten ziemlich doof geguckt. Doch es gab keine Rehe. Nur Blitze.

Als das Gewitter von dannen gezogen war, hatten die Studenten noch etwas zu sagen. Sie hielten eine große Sektflasche (es kann sich hierbei auch um Wein oder Champagner gehandelt haben. Dieser Umstand ist nicht von Interesse. Wichtig ist nur, dass die Flasche groß war) und einen nicht minder großen Blumenstrauß in der Hand. Dieser wurde der Sekretärin überreicht, da diese den Exhumierten, Entschuldigung, Examinierten immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden hatte.

Doch leider trat in diesem Augenblick wieder die breit grinsende Fleischgelatinefetischistin hervor und fühlte sich dazu berufen, etwas zu sagen. Sie warf der Schule vor, koordinationslos zu handeln, die Schüler nicht zu unterstützen und vor allem, hier benutze ich mal eine eigene Formulierung, ein richtiger Sauhaufen zu sein. Würde es einen Preis für die Vernichtung rührender Momente durch unpassend platzierte Wichtigtuerei geben, Madame Fleischpastete hätte ihn bekommen. Der Saal wurde leise, der Direktor ebenfalls und die Ehemaligen blickten leicht verlegen umher.

Ich fühlte mich wie nach einer Arschbombe vom zehn Meter Brett im Schwimmbad. Ich wollte aufspringen und laut schreien. Doch ich beherrschte mich und griff vor Wut zur Brötchenplatte, nur um feststellen zu müssen, dass man für die Brötchen eher einen Strohhalm statt die Hände benutzen sollte. Vermutlich hatte unsere Sartrefreundin diese bereits mit Gelatine bestrichen.

Nach diesem überaus peinlichen Abschluss durfte ich feststellen, dass viele der Studenten im Laufe des Abends zum Direktor gingen, ihm die Hand gaben und sagten, dass sie die Meinung der Rednerin nicht teilten. Eine nette und vor allem faire Geste. Den Direktor beruhigte dieser Umstand sehr.

Irgendwann beschloss ich dann, die Veranstaltung zu verlassen. Ich hatte viel gesehen und viel erlebt. Dass man auch auf diesen eigentlich positiven Festen von Idioten nicht verschont bleibt, muss man leider immer wieder aufs Neue feststellen. Kurz vor meiner Abreise spielte ich noch ein wenig mit dem Gedanken, die Wände des weiß gestrichenen Raumes mit eingelegten Fleischstückchen zu bewerfen. Aber ich hielt mich zurück. Ich muss mich nicht aufspielen, um meine Meinung kundzutun. Ich kann sie einfach im stillen Kämmerlein aufschreiben.

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