Eine Geschichte über tausend und ein Foto

“Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.” Wieder einmal beginne ich einen Text mit einer Redensart, werde diese aber sofort umschreiben: “Tausend Worte sagen über ein Bild.” Das passt schon eher zu den nun folgenden Zeilen. Die Geschäftsleitung entschuldigt sich bei den entlassenen Wörtern “mehr” und “als” aber die Wirtschaftskrise, wir sind alle betroffen und ihr wisst schon. Nebenbei fällt mir noch auf, dass ich gar nicht nur über ein Bild schreiben werde, sondern über mehrere. Und genau 1.000 Wörter werde ich wohl auch nicht verwenden. Verhunzte Einleitung? Kann man so sagen. “Weiter im Text.”

Mein erster Fotoapparat leuchtete seine Fotos noch auf Filmstreifen. Wirkliches Interesse an der Fotografie hatte ich während dieser Zeit aber noch nicht und produzierte lieber oberflächliche Urlaubsschnappschüsse. Dann kam plötzlich der technische Fortschritt um die Ecke, verprügelte die Fotofilme und machte das Thema auch für mich interessant. Endlich konnte man nach Betätigung des Aufnahmeknopfes sofort sehen, ob das Bild etwas geworden war oder nicht. Ich hatte eine wahre Freude daran, meinen Fotoapparat jeden Tag bei mir zu haben. Ich trug ihn in einer Tasche am Gürtel mit mir herum und so war es mir jederzeit möglich ein Foto zu schießen. Ob in der Schule, in der Stadt, auf der Toilette oder bei Freunden, immer hatte ich meinen kleinen Knipser griffbereit. Trotzdem erschuf ich noch immer langweilige Schnappschüsse. An mehr dachte ich damals einfach noch nicht.

Eines Tages kam dann jedoch die Wende. Es muss ein ziemlich langweiliger Tag gewesen sein, denn ich beschäftigte mich auf einmal mit dem Handbuch meines Fotoapparates, Entschuldigung, meiner Digi-Cam (so nennt man das heute) und lernte neue Funktionen kennen. Eine davon nannte sich “Makro-Modus”. Was das war? Kurz: Nahaufnahmen. Fiel zum Beispiel einem Bekannten in meiner Nähe rein zufällig ein Popel aus der Nase, konnte ich mich umgehend auf ihn (den Popel) stürzen, meinen Apparat (ich bleibe altmodisch) rein tunken, abdrücken und ein Bild produzieren, das in seinem Nasenausscheidungsdetailreichtum seinesgleichen suchte. Aber ich begab mich natürlich nicht nur in solch wagnasige, ähm, waghalsige Situationen, sondern fotografierte auch Tiere, Pflanzen oder Landschaften. Zum ersten Mal achtete ich beim Fotografieren darauf, dass ein Motiv tatsächlich gut aussah, ging ruhiger an die Sache heran und entfernte mich so immer weiter von den schnellen Schnappschüssen.

Die Fototechnik hatte nach dem Sieg über die Filmrollen natürlich noch nicht genug, entwickelte sich immer weiter und irgendwann war ich an einem Punkt angelangt, an dem ich mit meinen Bildern nicht mehr zufrieden war. Der Makro-Modus war schon ganz nett aber nicht das, was ich wollte. Vor allem waren mir aber die Farben der Fotos nicht kräftig genug. So gab es nur zwei Möglichkeiten: Sich mit dem momentanen Istzustand zufrieden geben, oder einen neuen erreichen. Ich drehte vollkommen durch und entschied mich für Punkt zwei. Einzige Bedingung: Nicht zu viel Geld ausgeben. Denn eins stellte ich schon nach kurzer Zeit fest: Fotografieren kann sehr teuer sein. Ich setzte mir ein Geldlimit, verglich Produkte, las Rezensionen und lief durch Geschäfte. Irgendwann hatte ich mich dann für einen Apparat entschieden und griff zu. Hier brach dann meine große Fotozeit an und darum möchte ich mich auch von dieser kleinen Fotozeitreise entfernen. Den damals gekauften Apparat habe ich noch heute und darum werde ich mich nun auf das eigentliche Fotografieren konzentrieren.

Was fasziniert mich denn nun daran? Das zu beantworten fällt mir schwer, denn im Grunde mache ich einfach nur gerne schöne Fotos. Ich will niemanden zum Nachdenken anregen oder schockieren. Ich stelle mich auch nicht hin und sage: “Hier, guck mal! Der Anspruch ist da!” Das können andere viel besser als ich. Ich möchte lediglich durch meine Bilder blättern und sie schön finden. Sei es nun aufgrund der darauf abgebildeten Details, der farbenfrohen Landschaft, einer besonderen Atmosphäre oder was auch immer, mehr will ich nicht. Ich bin schon durch Parks oder die Stadt spaziert und habe nichts anderes getan, als nach schönen Motiven Ausschau zu halten. Im Anschluss komme ich mit einer gut gefüllten Kamera nach Hause und freue mich, wenn ein paar der Bilder gut geworden sind.

Ich kann genauso wenig erklären, was ein gutes Motiv ausmacht. Für mich gibt es da keine Regel. Ich habe schon einen aus einem Baumstamm wachsenden Ast vor einem Wiesenhintergrund fotografiert und damit eins meiner besten Fotos produziert. Das wichtigste ist hier wohl ein offenes Auge (gerne auch zwei) und Ruhe. Man muss sich umsehen und allem eine Chance geben. Gleichzeitig darf man sich aber auch nicht davon abschrecken lassen, dass von hundert Fotos nur zwei gut geworden sind. Das passiert und gehört dazu. Zumindest für mich.

Ein großes Problem war für mich anfangs übrigens die Überwindung, sich in aller Öffentlichkeit irgendwo hinzustellen und zu fotografieren. Ein Beispiel: Ich ging spazieren und sah in einem Busch eine riesige Spinne in ihrem Netz hängen. Die Sonne schien auf sie und alles war perfekt. Leider spielten um mich herum ein paar Kinder und Erwachsene sahen ihnen dabei zu. Ich musste mich nun also hinstellen und (von weitem gesehen) in einen Busch fotografieren. Kniend. Irgendwie kommt man sich da ein bisschen komisch bei vor. Dieses Gefühl habe ich mittlerweile aber zum Glück abwimmeln können. Sehe ich etwas fotowürdiges, blende ich meine Umgebung einfach aus. Was interessiert es mich schon, wenn aufgeregte Mütter abends ihren Gatten von einer zwielichtigen Gestalt berichten, die minutenlang einen Busch fotografiert hat. Vielleicht habe ich auf diese Weise einem Sicherheitsdienst neue Kundschaft beschert.

Ein weiteres Problem stellt für mich das technische Hintergrundwissen dar. Ich gebe zu, dass ich keinerlei Ahnung von Belichtungsdauer und ähnlichem Zeug habe. Fragt mich jemand “Oh, hier hattest du sicherlich eine 3,2er Belichtung (Wert erfunden) eingestellt, oder?”, bleibt mir nichts anderes übrig, als mit den Schultern zu zucken. Ich kann im Grunde nur meine Kamera bedienen. Ich habe mich nach ihrer Anschaffung auf den Balkon gesetzt und mit all den Einstellungen und Rädchen herumexperimentiert, bis ich gelernt habe, wie ich in welcher Situation ein schönes Bild herstellen kann. Und dieses Wissen reicht mir. Motiv suchen, an Rädchen drehen, Foto machen, Feinjustierung, weitere Fotos machen und fertig. Ich kann nicht sagen, was ich da einstelle. Ich weiß nur, wie es sich auf das Bild auswirkt. Ich konzentriere mich eher auf das eigentliche Foto als die Technik dahinter. Profis werden hier vielleicht mit dem Kopf schütteln, dann schüttel ich meinen aber nur zurück und betone, dass ich mich auch nie als Profi bezeichnen würde.

Was bin ich denn dann? Hobbyfotograf? An dieser Stelle hole ich mit der Faust aus und schlage dem Fragesteller so feste ins Gesicht, dass auch der beste Fotograf nur noch ein vollkommen rotes Bild produzieren kann. Warum? Weil ich mit dem Begriff “Hobbyfotograf” absolut gar nichts Positives verbinde. Um das zu erklären, möchte ich kurz definieren, was für mich ein Hobbyfotograf ist.

Einem Hobbyfotografen begegnet man zum Beispiel im Zoo. Das sind meist Väter mittleren Alters, die mit ihrem Kind auf den Schultern durch die Gegend spazieren, dabei aber nicht hauptsächlich an ihrem Kind, sondern der Kameraausrüstung zu schleppen haben. Sie hängen sich riesige Taschen über die Schultern, die mit ebenso riesigen Fotoapparaten gefüllt sind. Man sieht den Geräten ihren unsagbar hohen Wert an, hat jedoch bereits nach wenigen Sekunden Mitleid mit ihnen, wenn man sieht, wofür sie gebraucht werden: Der Vater sieht ein Tier, sein Kind schreit, weil da ein Tier ist, der Vater zückt den Fotoapparat, macht ein Bild, steckt den Apparat wieder weg und geht weiter, während das Kind noch immer schreit, weil da ein Tier war. Mir stellt sich hier unweigerlich die Frage, warum so viel Geld in die Fotoausrüstung gesteckt wurde, wenn man sie nur für Schnappschüsse nutzt. Man mag nun einwerfen, dass es sich hier um einen Berufsfotografen handelt, der lediglich einen Spaziergang mit seiner Familie unternimmt. Warum sollte er hier nicht seine Profiausrüstung benutzen dürfen? Dies könnte ich selbstverständlich akzeptieren und niemandem vorwerfen, wäre es jedoch immer der Fall, gäbe es viel zu viele Berufsfotografen auf der Welt.

Das größte Merkmal eines Hobbyfotografen stellt wohl der stets herrschende Drang nach neuer und besserer Ausrüstung dar. Wöchentlich wird über neu gekaufte Objektive geredet, man plant bereits die Anschaffung einer neuen und selbstverständlich viel fortschrittlicheren Kamera und wirft mit technischen Details um sich. Ich habe mir angewöhnt, das Wort “Hass” nicht mehr so häufig in meinen Texten zu verwenden, hier komme ich jedoch nicht drum herum. Ich hasse es. Der Aufrüstwahn findet kein Ende und das Schlimmste daran: Er bringt nichts.

Ich habe bisher von noch keinem Hobbyfotografen ein schönes Bild gesehen. Und mit “schön” meine ich nicht die Bildqualität. In Sachen Schärfe, Belichtung und Farben sind die Bilder selbstverständlich unanfechtbar gut. Aber das ist dann leider auch das einzige, was sie von normalen Schnappschüssen unterscheidet. Ich mag es, wenn ein Foto etwas Besonderes hat. Eine ungewöhnliche Perspektive, interessant angeordnete Gegenstände oder farbliche Kontraste. Im Zoo finde ich es zum Beispiel spannend, die Tiere nicht nur möglichst schnell zu fotografieren, sondern auf besondere Situationen zu warten. Schaut das Tier zufällig zu einem herüber? Trinkt oder isst es? Macht es sonst irgendetwas Ungewöhnliches? Auf sowas sollte man achten, nicht auf das schreiende Kind. Auch ist die normale “Tier im Gehege”-Totale in der Regel langweilig. Spannender wäre zum Beispiel ein Zoom auf das Gesicht. Egal. Ich möchte hier wie schon geschrieben keinen Fotokurs geben. Wichtig ist: Schnappschüsse sind langweilig und guckt sich niemand an. Niemand außer unsere Hobbyfotografen natürlich. Die veröffentlichen ihre Bilder umgehend im Internet und schreiben alle möglichen technischen Daten darunter. Es könnte ja andere Hobbyfotografen interessieren.

Nun sollte ich natürlich festhalten, dass ich absolut nichts dagegen habe, wenn man die eigene Ausrüstung aufrüstet. Nur würde ich da anders vorgehen. Anstatt alles zu besitzen, was ich besitzen kann, würde ich mir nur das holen, was für meinen momentanen Fotostil von Vorteil wäre. Bei mir ist es mittlerweile zum Beispiel so, dass meine Kamera bei bestimmten Belichtungen und Zoomstufen farblich nicht mehr die volle Leistung bringt. Das hat sie natürlich noch nie, ist mir aber erst aufgefallen, nachdem ich mich immer mehr mit diesem Thema auseinandergesetzt habe. Theoretisch würde ich nun nach etwas Ausschau halten, was dieses Problem beseitigt. Ein Objektiv für bessere Landschaftsaufnahmen bei Gegenlicht würde mich hierfür gar nicht interessieren. Fotografierte ich andererseits sich schnell bewegende Dinge, wäre eine Makro-Linse für mich wiederum uninteressant. Man sollte sich die Ausrüstung zulegen, die man für sich benötigt. Richtet man seinen Apparat sowieso nur schnell auf alles Mögliche, ohne sich Zeit für das Foto zu nehmen, muss man eigentlich gar kein Geld in den Apparat stecken. Die Fotos werden auch ohne all den Schnickschnack gut. Realistisch betrachtet gibt man all das Geld nur aus, um mit seiner finanziellen Investition in das Hobby anzugeben und auf Megapixelzahlen und Zoomstufen herumzureiten. Im privaten Gebrauch werden die Detailunterschiede irgendwann so gering, dass man sie auf normale Art und Weise (zum Beispiel auf Durchschnittsfotogröße ausgedruckt) gar nicht mehr erkennen kann.

Hobbyfotografen glauben zu allem Übel auch noch, dass sie ihr Fachwissen (Das sie manchmal wirklich haben, sie beziehen schließlich ihren Lebensatem aus technischen Details.) nun jedem unter die Nase reiben müssen, der hier und da Schnappschüsse produziert und diese nichtsahnend herumzeigt. “Das ist hier hinten ein wenig unscharf. Da müsstest du mit einer 3,8er-Linse und 23,furz-Belichtung bessere Ergebnisse erzielen.” Ah ja, danke für den Tipp. Ich gehe dann mal gleich los und investiere 1.000 Euro in meine neue Fotoausrüstung, damit mein nächster Urlaub in Kellenhusen zu Hause auch so gestochen scharf aussieht, wie er in der Realität war.

Ich merke gerade, dass ich mich viel zu sehr aufrege. Darum entferne ich mich nun von den Hobbyfotografen. Die sind sowieso ihr ganz eigenes Völkchen und lieber unter sich. Dafür übe ich nun ein wenig Selbstkritik! Meine Schwäche im Fotobereich stellt nämlich der Rahmen dar. Ich habe mir angewöhnt, am Computer um schöne Bilder einen kleinen weißen Rahmen zu setzen. Ich habe schon gehört, dass manche Leute deswegen mit den Augen rollen und Atemprobleme bekommen, da sie es nicht fassen können, dass man ein Foto nicht für sich stehen lässt, sondern mit einem Rahmen verschandelt. Ich kann diese Meinung verstehen, teile sie jedoch nicht. Ich verschandel meine Bilder gerne. Ich finde sie dadurch nämlich schöner. Und wenn ich meinen gehassten Hobbyfotografendeppen dadurch einen Kritikpunkt zuschleudere, über den sie im stillen Kämmerlein nun schenkelklopfend über mich herziehen, dann freut mich das sogar. Wenigstens mussten sie für diesen Spaß mal kein Geld bezahlen.

Als was sehe ich mich denn nun? Ich mache es kurz: Kann ich nicht beantworten. Muss ich aber auch nicht. Ich würde mich nie als richtig guten Fotografen bezeichnen. Dafür fehlt mir zu viel. Meine beste Eigenschaft in diesem Bereich ist wahrscheinlich meine Ruhe, denn wenn ich ein schönes Motiv sehe, kann ich bei diesem auch mal eine halbe Stunde verbringen. Dann spiele ich mit all den Knöpfen und Rädern an meiner Kamera herum und wenn mir ein richtig schönes Fotos gelingt, freue ich mich und gehe nach Hause. Gefällt dieses Foto dann auch noch anderen Menschen, freut mich das sogar noch mehr.

Das waren jetzt über 2.000 Wörter und ich glaube, ich gehe mal wieder eine Runde Popel fotografieren. Darin sehe ich nämlich viel Popelzial. Wer nach diesem Wortspiel jemanden schlagen möchte, sollte sich einfach den nächsten Hobbyfotografen im Zoo suchen. Aber nicht das Kind schlagen. Das schreit sonst noch lauter.

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