Die vorhersehbare Weltmeisterschaft des Zufalls

Alle Fußballfans mit WM-Vorfreude sollten nicht weiterlesen, denn es folgt der Sieger der Fußballweltmeisterschaft 2010: Südafrika. Woher ich das weiß? Diese Vorhersage basiert auf einem System, dessen Trefferwahrscheinlichkeit so immens ist, dass man es niemals anfechten sollte oder können wird. Da ich dieses System niemandem vorenthalten möchte, hier der genaue Ablauf:

Man benötigt einen fairen Würfel. Nun nimmt man den WM-Spielplan und legt los. Spiel Nummer eins. Südafrika gegen Mexiko. Zunächst muss der Gewinner ermittelt werden. Bei einer “1” oder “2” gewinnt Südafrika, bei einer “3” oder “4” gibt es ein Unentschieden, bei einer “5” oder “6” gewinnt Mexiko. In meinem Beispiel gewinnt Südafrika. Wie hoch? Wir würfeln wieder. “1” bedeutet ein Tor, “2” zwei, “3” drei und bei allen anderen Ergebnissen wird neu gewürfelt. Mehr als drei Tore werden nicht gezählt, da sie äußerst selten vorkommen. Ergebnis: “3”. Nun würfeln wir für Mexiko. Hier kommt die “4” zusätzlich ins Spiel, und zwar als Null. Eine Bedingung gibt es noch: Das gewürfelte Ergebnis muss unter dem Südafrikas liegen, bei einer “3” wird also neu gewürfelt. Ergebnis: “1”. Das bedeutet: Südafrika gegen Mexiko: 3:1. Im Falle eines Unentschieden hätte man übrigens nur einmal gewürfelt. Wieder mit den Zahlen “1” bis “4”, wobei dann zum Beispiel eine “1” für ein 1:1 oder eine “4” für ein 0:0 steht.

Das machen wir nun die gesamte Gruppenphase durch. Danach wird gerechnet. Punkte zählen, Tordifferenzen berechnen und die Gruppentabellen dementsprechend ausfüllen. Anhand dieser Ergebnisse geht es nun in die K.O.-Runde. Hier geht das Würfeln weiter wie bisher, mit einer Besonderheit: Bei einem Unentschieden wird wieder das Ergebnis berechnet, danach aber die Verlängerung erwürfelt und deren Ergebnis zum Vorherigen Ergebnis dazu addiert. Beispiel aus meiner Tabelle: Viertelfinale zwischen Dänemark und Portugal. Wurf eins: Unentschieden. Wurf zwei für das Ergebnis: “2”, also 2:2. Neuer Wurf für die Verlängerung: Portugal gewinnt, Ergebniswurf: 0:1. Endergebnis: 2:3. Hätte es hier ein weiteres Unentschieden gegeben, wäre als nächstes noch das Ergebnis des Elfmeterschießens ermittelt worden (diesmal natürlich ohne Unentschieden).

Nach diesem System habe ich gestern die gesamte WM ausgewürfelt und kam zu dem Ergebnis, dass Südafrika Weltmeister wird. Natürlich klingt das zunächst sehr unwahrscheinlich. Aber ist es unmöglich? In meinen Augen nicht. Ist es denn wichtig, dass das Ergebnis eintritt? Auch hier: nein. Kann man denn ein besseres System entwickeln, um das Ergebnis der WM zu ermitteln? Ich wiederhole mich nur ungern, tue es aber trotzdem: nein. Und damit bin ich auch schon beim Thema meines Textes (was für eine immense Einleitung).

Ich bin kein großer Fußballfan. Früher war das anders, da bin ich noch mit Dortmundtrikot durch die Gegend gelaufen, habe wöchentlich die Bundesligaspiele verfolgt, gefeiert, wenn es gute Ergebnisse für “meine” Mannschaft gab und getrauert, wenn dies nicht der Fall war. Auch auf Ergebnisse habe ich getippt. Dabei ging es natürlich nie um Geld (beziehungsweise hohe Beträge). Man hat einfach versucht, den Sport in irgendwelche Systeme zu quetschen und zu beweisen, dass man Ahnung hatte. Selbstverständlich war es Glück, ob Ergebnisse so eintrafen wie man das wollte oder nicht, so ist das schließlich immer im Leben. Dennoch hat man sich etwas darauf eingebildet, wenn man Recht hatte. Man war eben ein guter Analytiker und hatte Ahnung von Fußball. Lag man daneben, war natürlich nicht das eigene System Schuld, sondern die Mannschaft. Man konnte ja nicht ahnen, dass Spieler A diesmal nicht sein Bestes geben würde. Oder sich Spieler B eine Stunde vor Anpfiff eine Verletzung beim Training zuziehen würde. Woher auch? Ist ja nicht die Norm. Und bei analytischen Systemen bezieht man sich immer auf Standard-, beziehungsweise erwartete Werte. Dadurch ist dann auch die Überraschung größer, wenn man falsch liegt. Und nicht man selbst schuld.

Trotz meiner Fußballignoranz gibt es alle zwei Jahre etwa einen Monat in meinem Leben, in dem ich mich für Fußball interessiere. Dieser heißt entweder Weltmeisterschaft oder Europameisterschaft. Ich finde diese Turniere spannend und nicht so langatmig wie die Bundesliga. Zudem interessiert mich der Sport einfach nicht so sehr, dass ich mich da wöchentlich mit beschäftigen müsste. Dafür habe ich schließlich Wrestling und mich mit dieser Aussage vermutlich in den Augen vieler für jedwede weitere Diskussion disqualifiziert. Ein weiterer Vorteil an der Turnierfreude: Man hat zwischen ihnen über zwanzig Monate Zeit zur Erholung.

Diese Turniere sind nun aber immer sehr tippanfällig. Das bedeutet, dass sich regelmäßig viele Menschen zu einer Gruppe zusammenschließen, Ergebnisse tippen, bei richtigen Tipps dafür Punkte bekommen und diese am Ende miteinander vergleichen. Man sitzt über dem Spielplan gebeugt, denkt über die Spiele und die teilnehmenden Mannschaften nach, ermittelt einen Sieger und danach vielleicht sogar das Ergebnis. Jeder geht hier nach einem eigenen System vor.

Erzähle ich anderen von meinem System, bekomme ich gemischte Reaktionen zurück. Einige finden es lustig. Manche verstehen sogar, was ich damit zeigen möchte. Andere nicht. Die werfen mir umgehend gemeine Dinge vor. Am liebsten höre ich, dass ich mich wichtigmachen möchte. Das kann ich den Leuten auch gar nicht übelnehmen, denn es gibt sicherlich Menschen, die Ergebnisse erwürfeln, sich dann breitbeinig in die Welt stellen und jedem erzählen wie toll man doch sei, weil man als einziger erkannt hätte, dass Fußballtipps reine Glückssache sind. Diese Leute mag ich auch nicht, denn ich würfle nicht, um anderen die Freude an Tipprunden zu nehmen oder sie als dumm darzustellen. Jeder soll und darf tippen, worauf er möchte und wer bin ich denn anderen diesen Spaß zu vermiesen? Ich bestehe nur darauf, dass man meine Tippart genauso anerkennt, wie ich die der anderen. Wer sich in Statistiken vertiefen möchte, soll das machen, dann aber auch dazu stehen, wenn er Fehler gemacht hat.

Ich kann bei Fehlern sagen: “Gut, ich habe nur gewürfelt.” Analytiker geraten hier häufig in Erklärungsnot. Kommentatoren im Fernsehen zum Beispiel. Am liebsten würde ich Fußball ja ohne Kommentatoren sehen. Was die manchmal für einen Stuss von sich geben, ist wirklich nicht mehr feierlich. “Mannschaft A hat einen 1:0 Rückstand bei einem Auswärtsspiel ab der 80. Minute noch nie einholen können.” Aha. Danke für diesen repräsentativen Wert. Dann kann ich ja jetzt ausschalten. Es passiert schließlich nichts mehr. Das wurde ja soeben erwie… oh? Tor? 1:1? Wie kann das sein? “Damit hat keiner mehr gerechnet!” Allerdings. “Das zeigt mal wieder, dass sich Fußball nicht an Statistiken hält!” Interessant. Warum erstellt ihr dann welche?

Ich kann ernsthafte Statistikbesessenheit beim Fußball (aber auch beim Rest der Welt) nicht leiden. Am Ende trifft es irgendwann schließlich immer ein, das unerwartete Ereignis. Darum analysiere ich bei der Tippabgabe auch nicht. Ich würfel. Selbstverständlich weiß ich, dass gerade in der Gruppenphase manche Spiele anders ausfallen, als ich sie erwürfelt habe. Dass Mexiko Frankreich mit 3:0 besiegt ist sehr unwahrscheinlich (nicht unmöglich). Aber wenn ich schon würfel, dann auch überall. So muss ich wenigstens nicht raten, wenn ich mal keine Ahnung habe. Honduras gegen Chile? Ich kenne keine der beiden Mannschaften. Waren die überhaupt schon einmal bei einer WM? Haben die je ein Tor erzielt? Oder Spieler, die das könnten? Ich weiß es nicht. Soll ich mich darüber informieren, um bei der Tippabgabe wahrscheinlich richtiger zu liegen als andere? Nein. Ich würfel. Honduras gegen Chile: 0:1. Nur zur Information. Kann stimmen, muss aber nicht.

Mittlerweile bin ich schon so weit, dass ich bei spontan erfragten Tippabgaben nur noch “ich weiß es nicht” angebe. Zumindest wenn kein Würfel in der Nähe ist. Zu irgendwelchen Aussagen lasse ich mich ohne zufallsgestütze Hilfe nicht mehr hinreißen. Außer beim Wrestling. Jeder hat seine Fehler.

Nun möchte ich aber noch einen Grund nennen, warum ich gerade beim Fußball nur ungerne Tipps abgebe: Es versaut mir das Gucken. Wie schon häufig gesagt: Ich interessiere mich nicht wirklich für die Mannschaften. Ich favorisiere lediglich zwei Länder. Land eins ist Deutschland, weil es mein Heimatland ist und man es darum eben anfeuert. Land zwei ist Portugal. Wegen eines sehr guten Freundes. Alles andere (wie zum Beispiel die Spielernamen) ist mir egal. Ich möchte ein schönes Turnier sehen. Mit spannenden Spielen, denkwürdigen Szenen und so weiter. Wenn ich mitfieber ist mir das Ergebnis egal. Beispiel Chile gegen Honduras: Der Sieger ist mir vollkommen egal. Wenn das Spiel spannend ist, bin ich der Gewinner. Ich sehe Fußball so wie ich Wrestling gucke. Das Ergebnis ist mir im Grunde egal, ich will ein tolles Match sehen. Natürlich sollte man Fußball und Wrestling nur bedingt miteinander vergleichen. Man sollte sich aber auch nicht immer zu sehr auf Statistiken verlassen.

Zurück zur Neutralität: Das Problem ist jetzt nämlich, dass ich bei “Egalspielen” automatisch für die Mannschaft bin, auf die ich getippt habe. Eben weil man ja auf sie getippt hat. Zumindest wenn man den Tipp “errechnet” oder “analysiert” oder was auch immer hat. Und das möchte ich nicht. Ich bin froh, dass ich eine gewisse Neutralität beim Fußballschauen vorweisen kann. Ich fiebere mit, ich springe auf, ich schreie. Ich bin kein langweiliger Rumsitzer sondern zeige auch Emotionen. Nur eben für beide Mannschaften. Natürlich ist es schade, wenn Deutschland ausscheidet. Aber heulen muss ich deswegen auch wieder nicht.

Um mal wieder auf meinen Tippschein zu sprechen zu kommen: Seine größte Schwäche ist natürlich die bereits getippte K.O.-Runde. Ich gehe davon aus, dass sich die Qualifikation nicht so entwickeln wird, wie ich es hier vorhergesagt habe. Somit werden viele der getippten Spiele gar nicht stattfinden. Darum habe ich auch einen leeren Spielplan hinten angefügt, den ich dann noch einmal “live” anpassen und mitwürfeln werde. Dies ist mein gutes Recht, schließlich tippen gewöhnliche Tipprunden auch immer nur die Ergebnisse gekannter Partien. Der komplett fertige Spielplan ist nur ein lustiger Vergleichswert.

Ich bin gespannt, wie häufig ich falsch liege. Jetzt werde ich mich aber erst einmal auf die WM vorbereiten. Ich muss Statistiken wälzen, Mannschaften analysieren und das Wetter beobachten. Ich möchte ja möglichst richtig liegen. Ach nein, Moment. Ich gucke Fußball ja wegen der Spiele. So ein Glück aber auch. Alles Gute, Südafrika! Ich bin bei euch! Auch im Finale gegen Portugal! Das gewinnt ihr nämlich 0:1! Tut mir wirklich leid, Deutschland. Dass die USA euch im Achtelfinale mit 1:2 aus dem Turnier wirft konnte ja keiner ahnen!

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