Nehmen wir mal an, ihnen wäre langweilig. Nehmen wir weiter an, dass sie diese Kolumne hier gerade nicht lesen würden. Als nächstes nehmen wir an, sie würden diese Kolumne, da sie gerade rein zufällig dabei ist, neben ihnen so vor sich hin zu existieren, zur Hand nehmen und beginnen, sie zu lesen. Was tun sie dann?
Sollten sie einfach nicht auf die Antwort zu dieser komplex durchstrukturierten Frage kommen, will ich ihnen die eigentlich vollkommen offensichtliche Lösung bildlich gesprochen direkt ins Gesicht tackern: Sie würden genau das tun, was sie bereits seit Beginn dieser Kolumne machen, nämlich die Kolumne lesen. Dieser Umstand sollte sie zum Nachdenken anregen, denn er ist genauso offensichtlich wie dumm.
Wenn sie ungefähr in diesem Augenblick beginnen darüber nachzudenken, welcher Hubschrauber dem Autor dieser Ansammlung von Müll gerade mit seinen Rotorblättern das Gehirn zerquirlt hat und sie deswegen einen leichten Drang zu massiven Kopfschmerzen verspüren, möchte ich ihnen gratulieren, denn sie wurden soeben ein Opfer und somit auch Zeuge meiner eindeutig paranormalen Fähigkeit, andere Leute dazu zu bringen, sich in die Themen meiner Kolumnen hineinzuversetzen.
Meine heutige Kolumne beschreibt, wie schlecht es uns doch allen hier auf diesem ziemlich runden Planeten geht. Ich meine jetzt aber natürlich nicht so Kleinigkeiten wie Krebs, Rheuma, AIDS oder ähnlichen Firlefanz, bei dem absolut grundlos rumgejammert wird, denn diese sogenannten “Krankheiten” sind absolute Anstellerei und Harmlos im Gegensatz zu den wirklich ernsten und schlimmen Schmerzen des Lebens.
Hier ein Stecken, da ein Zwicken und manchmal zieht es auch noch hier in der Seite. Jeder kennt diese Gespräche. Und jeder macht mit, sobald einem erst einmal ein Stichwort zugeworfen wurde.
Ich werde immer Zeuge dieser schmerzhaften Unterhaltungen, wenn es mal wieder darum geht, der Geburtstagsfeier eines Bekannten einen kleinen Besuch abzustatten um ein bisschen Essen zu klauen oder auch ein paar Scheinchen des Geburtstagsgeldes heimlich in den eigenen Jackentaschen verschwinden zu lassen. Es mag natürlich auch vorkommen, dass man diese Geburtstagseinladungen annimmt, weil man die ladende Person mag… aber dieser Umstand ist genauso unwahrscheinlich wie die Behauptung, dass uns das im Zentrum der Milchstraße gelegene “supermassive Schwarze Loch” gefährlich werden würde, sollte es irgendwann mal durch einen ziemlich dummen Zufall wieder aktiviert werden.
Was genau ein “supermassives Schwarzes Loch” ist, weiß ich auch nicht, ich kann aber immerhin behaupten, vor ein paar Tagen eine unglaublich interessante Reportage über dieses Phänomen der wissenschaftlichen Langeweile gesehen zu haben, der so was von extrem spannend war (vor allem, weil die Wortkonstellation “supermassives Schwarzes Loch” im gesamten Bericht so häufig benutzt wurde wie das Wörtchen “Ja” auf einem Kongress von Jasagern), dass ich mehr als beeindruck war von der absolut nicht vorhandenen Gefahr dieses “supermassiven Schwarzen Loches” und mir bestimmt schon bald ein Buch über das Thema “supermassive Schwarze Löcher” zulegen werde, in dem hoffentlich der Ursprung dieser überaus uninteressanten und langweiligen “supermassiven Schwarzen Löcher” noch einmal genaustens erklärt wird und auch sonst alles wissenswerte über “supermassive Schwarze Löcher” zu erfahren ist.
Ich entschuldige mich für diesen überaus nervig langen und total sinnlosen Satz aber er stellt die einzige Möglichkeit für mich da, das Thema dieses Berichtes zu verdrängen und wieder ein halbwegs normales Leben führen zu können.
Ungefähr an dieser Stelle meiner Kolumne sollten die sich zu Beginn angekündigten leicht massiven Kopfschmerzen in ein wahres Feuerwerk der harten Gehirnhiebe verwandelt haben. Endlich sind sie in der Lage, den weiteren Ausführungen meinerseits zu folgen.
Das ganze Problem mit den Krankheitsdiskussionen fängt eigentlich immer mit einer einfachen Frage an. Der Wortlaut dieser Frage kommt ungefähr diesem hier gleich: “Wie geht’s denn so?”. Diese eigentlich ziemlich harmlos klingende Frage ist der Auslöser für eine schmerzhafte Tragödie, deren Tragik darin besteht, sich ihr nicht mehr entziehen zu können.
Meistens folgt auf die bedauerlicherweise gestellte Frage zunächst einmal ein leichter Seufzer des Befragten. Ungefähr hier überkommt mich dann immer die Erkenntnis, einen schweren Fehler gemacht zu haben und Überlegungen suchen mich heim, wie ich mich am elegantesten aus dieser schon bald mehr als brenzlich werdenden Lage befreien könnte. Schon beginnt mein Gegenüber mit dem an mich gerichteten klagenden Monolog des Schmerzens. “Ich hab da so ein ziehen in der Magengegend. Und immer wenn ich mich da hinten am Rücken kratzen will, habe ich so einen stechenden Schmerz in der Schulter, der aber nichts ist im Vergleich zu dem, was ich da letztens im Bein gefühlt habe…”
Die Menschheit geht kaputt. Aber anstatt dies einfach stillschweigend hinzunehmen, muss unbedingt darüber geredet werden. Darüber reden hilft zwar absolut nicht, man kann sich aber immerhin einbilden, das Mitleid der anderen sei einem gewiss. Und mit dieser Erkenntnis geht es einem schon wieder viel besser. Aber das ist natürlich noch lange kein Grund, die anderen von nun an mit dem Gerede über die Schmerzen und Qualen zu verschonen! Der Amoklauf des Schmerzgeredes ist hier gerade mal ein kleiner Bach, die große Flutwelle rückt näher.
Der Höhepunkt dieser Schmerzkonversationen sind meistens die Sekunden, in denen der Redende anfangen möchte, den Beredeten genaustens seine ihn quälenden Stellen zu zeigen und dabei auch nicht davor zurückschreckt, sich oben rum, oder schlimmer noch unten rum freizumachen.
Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten, sich aus diesen Situationen zu befreien. Die erste ist leichter, aber auch riskanter. Um es, was für mich eigentlich extrem untypisch ist, mit Hilfe weniger Worte auf den Punkt zu bringen: Mitmachen und besser sein. Was ich damit meine ist klar: Über das eigene tägliche Zwicken und Ziehen reden, dabei aber immer etwas schlimmere Qualen erleiden als der andere. Im Optimalfall unterbricht dieser dann irgendwann seine Erzählungen und der Tag kann als gerettet bezeichnet werden.
Aber das ganze kann auch nach hinten losgehen. Sollte es nämlich passieren, dass alle so dermaßen interessiert sind an der ihnen vorgetragenen Leidensgeschichte, dass sie immer mehr hinterfragen befindet man sich plötzlich selbst in der Position, die man eigentlich so abgrundtief hasst und verabscheut. Dieser unbemerkte Rollentausch führt meist zu tiefen Depressionen, die man den anderen gleich mitteilt, weshalb diese unglaubliches Mitleid haben und einem dabei helfen möchten, diese schlimme Situation zu bewältigen. “Ich habe ja auch manchmal das Problem, dass…”. Und schon geht die ganze Laberei wieder von vorne los. Selbstmordgedanken befallen das eigene Gehirn und regen es dazu an, sich selbst zu pulverisieren.
Um es gar nicht so weit kommen zu lassen, rate ich zu der zweiten Möglichkeit zur Schmerzlinderung, welche lautet: Flucht. Schnell so tun, als müsse man auf Toilette, jemanden begrüßen, etwas essen oder von mir aus auch alles gleichzeitig, also jemanden auf der Toilette begrüßen, um ihn dort zu essen. Natürlich ist diese Lösung auch die schwerste, da man immer aufpassen muss, nicht unhöflich zu wirken. Der Hass anderer Menschen auf einen selbst kann nämlich schlimmer sein als die Krankengeschichte eines gleichzeitig an Fußpilz, Verstopfung und chronischer Ohrenschmalz-Überproduktion leidenden Menschen (es sei denn, dieser hat Fotos seines Leidens griffbereit und schreckt auch nicht davor zurück, diese an den Augen seiner Zuhörer zu benutzen).
Mir persönlich geht dieses ganze Besprechen von Krankheitsbildern und das Wehklagen der sich selbst als ungerecht behandelt fühlenden Menschheit ziemlich auf die Nerven. Wenn jemand solch unwichtiges Drücken und Ziehen verspürt und den Drang dazu hat, dies jemandem mitzuteilen, soll er das tun, dabei aber einen großen, wenn nicht sogar gigantischen Bogen um meine Person machen.
Ich überlege sogar, einfach meinen Kontakt zu der breiten Masse abzubrechen und mich irgendwohin zurückzuziehen, wo ich meine Ruhe habe und von niemandem gestört werde. Irgendwas uninteressantes sollte es sein, womit man aber trotzdem Geld verdienen kann. Ich glaube, ich werde mich voll und ganz auf die Erforschung von “supermassiven Schwarzen Löchern” konzentrieren. Denn dieser Berufszweig ist nicht nur ein vollkommen uninteressantes und langweiliges Gesprächsthema auf Geburtstagen, man scheint auch seine Ruhe vor der gesamten Außenwelt zu haben.
Ergo das richtige für mich und meine gestressten Bandscheiben. Die tun mir nämlich in den letzten Tagen mal wieder ziemlich weh…