The walking dead – Emotionen

The walking dead - Emotionen

Als ich zum ersten Mal von “The walking dead” hörte, begegnete ich ihm mit Ignoranz. Ich habe weder die Comics gelesen noch die Serie gesehen. Warum sollte mich dann ein Videospiel interessieren, das auf diesem Stoff basiert? Ich sage es gleich: Ich habe lange nicht mehr so falsch gelegen wie bei dieser ersten Vermutung. “The walking dead” funktioniert auch ohne Kenntnis besagter Medienprodukte. Und wie! Selten hat mich ein Spiel so emotional gepackt wie dieses. Während ich diese Zeilen schreibe, kämpfe ich mit meiner Wut, meiner Trauer und meiner Verzweiflung. Ich hatte viel erwartet, schließlich begann ich das Spiel erst nach Erscheinen der letzten Episode und wenn man während der Wartezeit im Internet unterwegs war, kam man an Meinungen und Kommentaren anderer Spieler nicht vorbei. Überall las man über Emotionen. Dies ließ mich das Schlimmste befürchten. Aber das? Ein solches Ende? Niemals. Ich kann und will das nicht akzeptieren.

Die Stärke des Spiels ist die Entscheidungsfreiheit des Spielers. Nein, nicht jede Tat hat letztendlich eine große Auswirkung auf die Hauptgeschichte. Aber es fühlt sich so an. Vor manchen Entscheidungen würde man gerne ein paar Minuten verweilen und nachdenken. Aber dafür bleibt keine Zeit. Das Spiel setzt einen unter Zeitdruck. Das Bauchgefühl übernimmt die Kontrolle. Und man muss mit dem Resultat leben (wenn man nicht zurückspult und sich das Spiel damit kaputt macht). Oft ist keine der eingeschlagenen Richtungen gut. Man wählt das kleinere Übel. Und am Ende sieht man das Resultat und fragt sich, ob man richtig gehandelt hat.

Im folgenden Text gehe ich auf meine Entscheidungen ein. Ich bespreche Episode für Episode, bis ich an meinem Ende angelangt bin. Vorsicht: Das Ende wird alles andere als schön werden. Vielleicht weicht es auch von eurem ab. Ich weiß nicht, wie viele Enden es gibt. Ich will mir die Illusion meiner selbst konstruierten Geschichte nicht zerstören. Zunächst muss ich das Gesehene noch verdauen.

Episode 1

The walking dead - Emotionen

1) Ja, ich habe Hershel angelogen. Aber warum auch nicht? Ich wusste zu diesem Zeitpunkt quasi nichts über mich selbst. Ich saß zu Beginn des Spiels in einem Polizeiauto! Als Gefangener! Ist man da nicht automatisch etwas vorsichtig? Also wich ich Hershels Fragen aus. Dass dies gleich als Lüge gezählt wird, halte ich rückblickend übrigens für etwas übertrieben.

2) Natürlich habe ich das Kind gerettet! Ich bin doch kein Unmensch! Eine große Rolle spielte hier zudem der Umstand, dass Shawn unter einem Traktor lag. “Kind vom Sitz heben” oder “Traktor wegfahren”? Während Zombies nach einem greifen? Ersteres klang einfacher. Außerdem gehöre ich zu den Idioten, die immer erst die Kinder retten. Weil ich zu nett bin.

3) Kenny habe ich mich angeschlossen, weil ich das Töten eines Menschen für eine Tat halte, die nur durchgeführt werden sollte, wenn es nicht mehr anders geht. Wegen eines Verdachts töte ich kein Kind. Ist eigentlich ganz einfach und gerade in einem Spiel wie “The walking dead” halte ich es für wichtig, die eigenen Ideale bestmöglich zu vertreten.

4) Im Grunde kann ich hier erst einmal nur das wiederholen, was ich zuvor geschrieben habe: Ich würde niemanden selbst töten. Hier ist nun wichtig zu bedenken, dass man sich gerade in einer von Zombies überrannten Welt befindet. Ich hätte Irene nicht selbst töten können, aber ihr Selbstmordwunsch war ein logischer Schluss. Also gab ich ihr die Waffe. Man mag nun sagen, dass ich sie dadurch indirekt doch getötet habe, doch damit kann ich leben. Sie nicht mehr. Weil sie tot ist. Entschuldigt. Das war unangebracht. Ein bisschen lache ich gerade trotzdem.

5) Carley hatte eine Waffe. Doug nicht. Helfe ich dem Bewaffneten oder dem Unbewaffneten? Ich helfe dem Unbewaffneten. Dass Carleys Waffe in diesem Moment aussetzen würde, konnte ich nicht ahnen. Ja, ich gebe es zu: Es war klar, dass in der Spielsituation derjenige sterben wird, dem ich nicht helfe. Videospiel. Aber auch rein logisch war Doug für mich die richtige Wahl: Über Carleys Technikverständnis zu schreiben, würde dem Artikel hier die Ernsthaftigkeit nehmen aber das hat mir ja noch nie Probleme bereitet. Erst guckt sie nicht nach Batterien und dann legt sie sie falsch herum in das Radio. Stellvertretend für Lee schlug ich mir zu diesem Zeitpunkt ein paarmal ganz fest mit der Handfläche an die Stirn. Deppin. Doug dagegen kannte sich mit Technik aus. Was ist praktischer? Ein Techniker oder ein Vollidiot? Man mag nun “Eine Pistole!” rufen aber Schusswaffen halten während einer Zombieinvasion sowieso nicht lange.

Episode 2

The walking dead - Emotionen

1) Mein “Ich bin zu nett!”-Gerede möchte ich an dieser Stelle mal kurz ignorieren und ehrlich sein: Die zweite Episode beginnt. Da liegt ein Typ, der in einer Bärenfalle steckt. Ich habe eine Axt. Gleichzeitig möchte ich darauf hinweisen, dass in meinem Wohnzimmer eine riesige Horrorfilmsammlung steht. Als ich also so vor diesem Typen stand, dachte ich mir nur “Ach, was soll´s.” und hackte los. Ein Mensch braucht auch einmal Abwechslung. Lee hatte bis zu diesem Zeitpunkt einen ziemlichen Scheißtag gehabt. Da muss man seinen Gefühlen auch mal freien Lauf lassen. Davids Bein kam mir da gerade richtig.

2) Ich bleibe dabei: Ich würde vermutlich niemals einen Menschen töten können. Das sage ich natürlich jetzt als jemand, der gemütlich zu Hause sitzt und vor wenigen Minuten auf der Toilette in aller Ruhe seinen Darm entleeren konnte. Ich weiß nicht, wie ich in Exkrement… ähm… Extremsituationen handeln würde. Aber während ich ein Spiel spiele, bleibe ich meinem Grundsatz treu. Also betätigte ich nicht den Abzug. Das erledigte sich ja dann von selbst.

3) Hierbei handelte es sich zu diesem Zeitpunkt um meine bisherige Lieblingsstelle des Spiels. Man steht vor der gleichen Situation wie während der ersten Episode: Es droht die Verwandlung zum Zombie. Diesmal liegt jedoch ein unsympathischer Mistkerl auf dem Boden, der während der bisherigen gemeinsamen Zeit nichts anderes getan hat, als mich zu beleidigen. Ja, ich mochte Larry nicht. Aber das reichte nicht aus, um ihn auf Verdacht zu töten. Ich bin eine Memme und stehe dazu.

4) Wiederhole ich mich schon? Wir sind doch gerade mal bei Episode 2! Ich töte niemanden. Fertig.

5) Hier hatte mich Clem überzeugt. Ich hatte gerade zu viel durchgemacht, um jetzt zu einem von denen zu werden, die ich so verabscheue. Darum stellte ich mich zu Clementine und sah den anderen beim Diebstahl zu. Ein wenig beleidigt war ich dann übrigens schon, als Clementine die Batterien von Doug angenommen hat. Aber gut, sie ist ja noch ein Kind. Verhungere ich eben. Kackblag. Ich mag sie. Weil sie eine Kappe trägt. Ich trage auch immer eine Kappe. Das mit den Batterien war trotzdem blöd.

Episode 3

The walking dead - Emotionen

1) Hier stellte sich heraus, dass mein verdammter Spielstand kaputt ist. Bei einem Spiel, bei dem die eigenen Entscheidungen wichtig sind und das auf eine episodische Veröffentlichung ausgelegt ist, geht mein Spielstand kaputt. Hurenscheiße!

Dass “The walking dead” so enden würde, hätte ich, wie in der Einleitung erwähnt, niemals erwartet. Ich war wütend. Unglaublich wütend. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich richtig viel Spaß mit dem Spiel gehabt. “Spaß” meine ich hier natürlich nicht im “Hahaha, ich bin so glücklich”-Sinne, ihr wisst schon. Jedenfalls hatte ich mich auf die dritte Episode gefreut. Und dann das. Ein kaputter Spielstand.

Selbstverständlich habe ich alles versucht, um mein Spiel zu retten. Es gibt unzählige Hilfestellungen da draußen (Ja, ich bin nicht der Einzige, dem das bisher passiert ist.). Ich habe viele Tipps befolgt. Neuinstallation. Registryeinträge löschen und editieren. Spielstände umbenennen und verschieben. Ich habe sogar die Timestamps der Savegames editiert. Mittlerweile habe ich mich bestimmt zwei Stunden lang mit meinem Spielstand beschäftigt und es nicht geschafft, ihn zu retten.

Somit kann ich die Gefühle vieler “The walking dead”-Spieler nachvollziehen. Auch ich war am Ende traurig. Ich hatte es hier vermutlich mit dem mitreißendsten Videospielende der letzten Monate zu tun. Aber leider auf eine andere Art als ich es gehofft hatte. Ich weiß nicht, wie “The walking dead” enden wird aber sollte Clementine am Ende sterben, dann weiß ich, wie ihr euch fühlt. Clementine ist mein Spielstand. Und ich habe ihn verloren. Ich habe nichts falsch gemacht. Trotzdem ist er tot. Ich habe versagt.

Werde ich es noch einmal versuchen? Werde ich “The walking dead” ein weiteres Mal neu beginnen und meine zuvor getroffenen Entscheidungen einfach wiederholen? Vielleicht. Aber wer sagt mir, dass sich mein Spielstand nicht erneut von mir verabschiedet? Wer kann mir garantieren, dass ich nicht wieder enttäuscht werde? Vermutlich niemand. Vielleicht wird irgendwann ein Patch erscheinen, der mein Problem behebt. Ich hoffe es. Bis dahin werde ich mich meiner Trauer hingeben. Der Trauer um Clementine. Meine liebe Clementine. Warum hast du mich verlassen?

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