– Hier, ein Geschenk für dich.
– Danke. Muss ich es öffnen, oder darf ich es gleich wegschmeißen?
– Wie bitte?
– Du hast mich schon verstanden.
– Wie kann man nur so gemein sein?
– Das habe ich mich auch gefragt. Wie konntest du mir das antun?
– Wovon redest du?
– Von deinem Geschenk natürlich.
– Bist du gerade wirklich sauer, weil ich dir ein Geschenk gemacht habe?
– Natürlich bin ich das! Warum glaubst du, meinem Leben irgendeinen Gegenstand aufzwingen zu müssen?
– Ich dachte, du freust dich.
– Was soll ich denn mit dem Ding?
– Aber du hast das Geschenk doch noch nicht einmal ausgepackt! Vielleicht befindet sich in ihm ja etwas, was du schon immer einmal haben wolltest.
– Wenn ich etwas unbedingt haben will, dann kaufe ich es mit entweder, oder es ist so teuer, dass ich es mir nicht leisten kann. Und nimm es nicht persönlich, aber wenn ich mir etwas nicht leisten kann, dann kannst du es dir auch nicht leisten.
– Als würdest du jeden Gegenstand auf der Welt kennen.
– Ich kenne zumindest alle, die ich haben will.
– Vielleicht gibt es da draußen aber auch Dinge, die du haben wollen würdest, wenn du von ihrer Existenz wüsstest.
– Ich bin ein ziemlich praktisch denkender Mensch mit niedrigen Ansprüchen. Ich brauche ein Messer, um Dinge zu zerschneiden, eine Gabel, um Dinge darauf aufzuspießen, einen Stuhl, um drauf zu sitzen, einen Tisch, um daran zu sitzen. Ich weiß, was ich brauche, um ein funktionierendes Leben zu führen. Ich vermute mal, dass du bei deinen Geschenken an Kuriositäten denkst, die den Alltag vereinfachen sollen, indem sie einem bei Problemen helfen, die man, wenn man nicht andauernd so rumjammern würde, auch einfach ohne sie beheben könnte.
– Was genau meinst du?
– Ach, du weißt schon. Diesen Blödsinn aus Kramläden. Einen Stift, der laut piepst, wenn seine Patrone fast leer ist. “Immer, wenn ich etwas Wichtiges aufschreiben muss, ist mein Kugelschreiber leer und ich habe weder eine Ersatzmine oder einen Ersatzstift dabei. Würde mich mein Kugelschreiber doch nur von sich aus warnen, bevor er mich mit seiner Leere überrascht, wäre mein Leben so viel schöner und ich nicht immer so unglaublich mies drauf. Denken müsste ich dann auch ein kleines bisschen weniger.” Kuriose Alltagshilfen kann ich nicht ausstehen. Aber ich weiß, dass sie immer wieder gerne als Spaßgeschenke dienen. Vermutlich werden sie auch nur deswegen hergestellt. Nicht, weil sie einen (bestreitbaren) Nutzen haben, sondern weil die Hersteller ganz genau wissen, dass die Teile niemand für sich selbst, sondern immer nur für andere kaufen. Um in überraschte Gesichter zu gucken und grinsend erklären zu können, was für eine wahnsinnige Kuriosität man da doch wieder gefunden hat. Auf was für verrückte Sachen man in der Welt aber auch immer wieder stößt. Was manche Menschen für Ideen haben. Aber irgendwer scheint es ja zu kaufen. Hahaha. Ich will keine Kuriositäten. Das Kugelschreiberbeispiel war jetzt natürlich nur das Erstbeste, was mir zu dem Thema eingefallen ist, aber du verstehst, was ich sagen will, oder?
– Ich glaube schon.
– Gut.
– Darf ich mein Geschenk wiederhaben?
– Klar. Bitte sehr.
– Du magst also gar keine Geschenke?
– “Gar keine” ist übertrieben. Das Geschenk, über das ich mich immer und überall freuen kann, ist Geld.
– Wie langweilig.
– Langweilig? Was ist an all den Möglichkeiten, die einem Geldgeschenke eröffnen, denn bitte langweilig?
– Geldgeschenke sind unkreativ.
– Und wer hat festgelegt, dass Geschenke kreativ sein müssen? Außerdem verschiebt sich die Kreativität wohl eher, und zwar vom Schenker auf den Beschenkten, denn jetzt ist es letzterer, der das erhaltene Geld kreativ nutzen darf. Wenn er das überhaupt will.
– Du willst also an deinem Geburtstag einfach ein paar Geldscheine in die Hand gedrückt bekommen und gut ist?
– Ja.
– Willst du denn nichts zum Auspacken haben?
– Ein Briefumschlag und eine Karte gehen schon noch in Ordnung. Perfekt wäre es, wenn der Briefumschlag unbeschriftet wäre, denn dann könnte ich ihn wiederverwerten. Den Namen des Geburtstagskindes auf den Geschenkumschlag zu schreiben, ist sowieso vollkommen absurd. Als würde er sonst der falschen Person überreicht werden.
– Aber…
– Und das Beste: Der Umschlag stellt ja wohl definitiv ein Sachgeschenk dar! Da hast du es. Geld und Sachgeschenk. Alle sind glücklich. Die Kreativen können ja auch statt eines weißen, einen grünen Umschlag verschenken. Ich mag Grün. Wobei ich Weiß bei Briefumschlägen bevorzuge. Das ist neutraler.
– Dann sollte die Karte im Idealfall wohl auch nur mit Bleistift beschrieben sein, damit du die Nachricht wegradieren kannst, richtig?
– Und weißt du, was das Beste daran wäre?
– Nein.
– Eine weitere Möglichkeit für ein zusätzliches Sachgeschenk!
– Und das wäre?
– Ein Radiergummi!
– Ein Radiergummi?
– Ja! Schau doch mal, wie viele Geschenke da jetzt schon zusammengekommen sind! Geld, eine Karte, ein Umschlag und ein Radiergummi. Der Radiergummi dürfte dann von mir aus auch lustig und kurios bedruckt sein.
– Zum Beispiel ein Radiergummi mit Geldscheinaufdruck?
– Wundervoll! Und so lustig!
– Und am Ende des Tages sitzt du dann auf einem Haufen Radiergummis.
– Hm. Das wäre allerdings ungünstig. Aber da wären dann die Geburtstagsgäste gefragt und müssten sich absprechen. Vor Geburtstagen kursieren im Freundeskreis doch sowieso überall die “Was schenkst du?”-Fragen. Da ich lediglich Geld, leere Briefumschläge, ausradierbare Karten und ein Radiergummi haben will, kann die Fragerei auf ein einfaches “Wer schenkt dieses Jahr den Radiergummi?” reduziert werden.
– Das wird aber ein alles andere als schöner Geburtstagstisch.
– Das wird überhaupt kein Geburtstagstisch. Jeder weiß, was ich bekommen habe. Das Geld landet sofort in meinem Portemonnaie und die Umschläge mit dem Radiergummi in der Schreibtischschublade.
– Und die Karten?
– Die lege ich neben die Toilette. Dann haben die Gäste was zum Lesen.
– Also kein Geburtstagstisch.
– Weißt du, was mir auch total auf die Nerven geht?
– Lebensfreude?
– Nur donnerstags. Was mich nervt, sind die Leute, die Geburtstage anderer nutzen, um sich selbst gut darzustellen. Da werden langweilige Geburtstagsgeschenke möglichst aufwendig verpackt, nur damit sie auf dem Geburtstagstisch auffallen. “Das da ist von mir!” “Toll. Wisch dir bitte dein breites, angeberisches Grinsen aus dem Gesicht. Es tropft.” “Aber sieh doch nur, wie kreativ ich das Geschenk verpackt habe! Aus den Geldscheinen bastelte ich Schmetterlinge, die ich anschließend an einen großen, im Park gefundenen Ast klebte!” “Super! Die Scheine zerreißen, will man die Klebestreifen entfernen, und ich habe das Gefühl, dass dein schöner Ast nicht nur auf dem Parkboden sondern gleichzeitig noch auf einer Hundehosenbodenausscheidung gelegen hat. Da wird sich das Geburtstagskind sehr freuen, denn von deinem Geschenk und vor allem von dessen Geruch wird es noch lange etwas haben. Dort drüben klebt bereits ein wenig Kot an der Tapete. Naja, ist ja nicht weiter schlimm. Von den Geldscheinen kann es sich ja eine Putzkraft herbestellen. Hoffentlich nimmt diese zerrissene Scheine an.”
– Wieso unterstellst du Menschen immer gleich Böses?
– “Böses” ist jetzt aber übertrieben.
– Aus deinen Worten spricht eine negative Grundeinstellung. Hin und wieder möchte man einfach jemandem eine Freude machen. Ein kleines Geschenk zur Aufheiterung. Und eine lustige Verpackung soll manchmal auch einfach nur zum Lachen anregen. Und Freude verbreiten.
– Aber wozu der ganze Aufwand?
– Um gemeinsam einen schönen Tag zu erleben.
– Ich habe auch schöne Geburtstage. Man trifft sich und feiert. Dazu ist dann auch ausreichend Platz in der Wohnung, weil nicht überall irgendwelche Äste herumliegen.
– Teilst du Leuten nicht einmal mit, dass du zum Beispiel eine neue Mikrowelle benötigst, um dir eine solche schenken zu lassen?
– Das ist ja wohl das Dümmste, was ich jemals gehört habe. “Hier! Kauft mir das!” oder “Hier! Ich habe dies gekauft. Nimm es an dich und schenk es mir in ein paar Tagen!” Etwas kaufen oder kaufen lassen, um es nicht sofort verwenden zu können? Weil man Geschenke zum Geburtstag bekommen möchte? Niemals. Ich kaufe mir mein Zeug, wenn ich es benötige.
– Wir werden uns wohl nie einig.
– Wieso denn einig werden? Ich habe nichts gegen deine Vorstellung von einem gelungenen Geburtstag. Ich will dich nicht überzeugen, dass mein Weg der richtige ist. Muss man sich denn am Ende immer einig sein? Von mir aus kannst du dich mit deiner Frau zusammensetzen und eine riesige Szene aus deinem Geburtstag machen. Erfindet Brettspiele oder Aufgaben, die gespielt oder gelöst werden müssen, um an die Geschenke zu kommen. Zelebriert eure Geburtstage einen ganzen Tag lang. Macht, was ihr wollt. Die Hauptsache ist doch, dass ihr glücklich seid.
– Wir tun genau das und sind dabei glücklich.
– Dann ist doch alles gut. Aber respektiert bitte auch meine Einstellung. Behaltet euren Müll bei euch. Der einzige, der meine Wohnung um zusätzliches Zeug bereichern darf, bin ich. Ich will keine… ach… verdammt.
– Was ist los?
– Du weißt doch, dass ich den ganzen Tag über irgendwelche Notizen in mein Notizbuch schreibe, oder?
– Ja. Wenn man sich mit dir unterhält, fühlt es sich stets so an, als würde man gerade interviewt werden.
– Ich möchte halt nichts vergessen. Soeben wollte ich ein paar Punkte unseres interessanten Dialogs festhalten, um die wichtigsten Gedankengänge in einem kurzen Text wieder aufzubereiten.
– Sollte mich das ehren oder komme ich eher schlecht weg?
– Das ist jetzt vollkommen egal. Gerade ist meine Kugelschreibermiene leer geworden. Ich kann nichts mehr aufschreiben. Ade, du schöner Dialog.
– Ärgerlich.
– Allerdings.
– Hier.
– Ich will dein Geschenk immer noch nicht.
– Mach es auf. Ich nehme es später wieder mit nach Hause.
– Na gut.
[reiß, knister]
– Was ist denn das?
– Ein Kugelschreiber.
– Na so ein Zufall.
– Ich dachte, du könntest einen gebrauchen, weil du dir doch immer so viele Notizen machst.
– Ich habe eigentlich genug Kugelschreiber zu Hause. Aber weißt du was? Vielen Dank. Ich werde ihn behalten.
– Gerne. Da ist nur noch eine Kleinigkeit.
– Und die wäre?
– In dem Stift befindet sich ein Sensor. Kurz bevor die Miene leer ist, gibt der Stift einen Warnton von sich.
– Das ist… ähm… sehr…
– Sag jetzt nichts.
– Ich mache mir kurz ein paar Notizen.
– Nur zu.
– Noch einen Kaffee?
– Ja.
– Der nächste geht auf mich.
– Nein danke. Ich kaufe mir die Sachen, die ich haben will, selbst.
[Es piept.]
– Mein Stift piept.
[Der Piepton verstummt. Es klingt, als hätte er seinen letzten Lebenshauch ausgestoßen.]
– Ich glaube, mein Stift ist kaputt.
– Der stammt aus einem Ein-Euro-Laden. Da muss man schon fast davon ausgehen, dass die gekauften Sachen schnell kaputtgehen.
– Da kommt man mit den Notizen ja gar nicht mehr hinterher.