Hach ja. Sport. Oder wie ich immer zu sagen pflege: Das S-Wort. Es ist wie eine Beleidigung. Nicht laut aussprechen, es ist mir unangenehm. Natürlich ist all das gelogen. Wenn jemand in meiner Anwesenheit von Sport spricht, fühle ich mich nicht beleidigt. Aggressiv werde ich meistens auch nicht. Ja, nur meistens. Aber dazu komme ich später.
Mein Sportproblem sitzt tief in meinem Inneren an einem Computer und spielt Videospiele. Leider orientiert sich mein äußeres Verhalten an meinem inneren, wodurch ich ebenfalls sehr gerne herumsitze und Videospiele spiele. Oder Filme gucke, Bücher lese, Bücher schreibe und so weiter. Auch diesen Text verfasste ich sitzend. Der Versuch, ihn der Atmosphäre wegen joggend zu verfassen, endete in einem Debakel. Erst schrieb ich handschriftlich, erkannte aber schnell, dass man dadurch am Ende fast gar nichts mehr von ihm erkannte. Dann griff ich zum Handy, um meine Finger auf nicht mehr vorhandene Tasten einhämmern zu lassen. Wieder erfolglos. Dicke Finger die richtigen kleinen Tastenabbildungen treffen zu lassen, während man laufend den Körper auf und ab bewegt, funktionierte einfach nicht. Ich gab auf und schrieb das Ding sitzend. Die letzte Alternative, den Text meinem Handy zu diktieren, probierte ich gar nicht mehr aus. Meine Atmung beim Joggen zu kontrollieren, ist schon ohne das parallele verbale Verfassen eines Textes schwer genug. Außerdem wollte ich vermeiden, dass man nach der Einleitung nur noch einem Gewirr aus “Tötet mich!”, “Ich kann nicht mehr!” und Hilferufen gegenübersteht. Ich will ja in der Regel eine positive Stimmung verbreiten und keine Todesgedanken.
Da ich Joggen hier nun schon angesprochen habe: Ja, ich treibe Sport. Bevor ihr jetzt aber alle ankommt und mir auf meine unmuskulösen Schultern klopft und diese dabei brecht, lasst mich schnell einwerfen: Aber nur verhältnismäßig selten. Zwar versuche ich momentan, etwas an meinem sportlichen Verhalten zu ändern (im mehr-davon-machen-Sinne), doch bin ich realistisch und sehe davon ab, Dinge wie “Ab jetzt lebe ich total viel mehr sportlicher!” zu äußern. Das klingt schnell nach gutem Vorsatz und wo die landen, wissen wir schließlich alle. Ich gehe das Ganze langsam an. Zu viele Fehlschläge musste ich bisher ertragen.
Ich glaube, dass Joggen der Sport ist, der am besten zu mir passt. Man benötigt kaum Ausrüstung und vor allem ist man unter sich. Ich bin ein sehr ungeselliger Mensch und in einer Gruppe würde ich im Leben nicht Sport machen wollen. Sport mache ich schließlich für mich. Ganz ohne Wettkampfgedanken. Selbstverständlich kann man sich in der Gruppe zu Höchstleistungen motivieren, aber darauf kann ich verzichten, da ich keine Höchstleistungen erreichen möchte, sondern mit dem Erreichen von überhaupt irgendwelchen Leistungen in meiner momentanen Verfassung mehr als zufrieden bin.
Wenn ich joggen gehe, versuche ich, davor nicht auf die Uhr zu sehen. Ich will nach der Heimkehr nicht wissen, wie lange ich unterwegs war. Ich habe keine Stoppuhr dabei. Ich weiß auch nicht, wie weit ich laufe. Ich verlasse einfach die Wohnung und laufe die unzähligen Einbahnstraßen entlang, die sich durch meine Nachbarschaft schlängeln. Mal biege ich hier ab, mal dort. Mal gehe ich ein Stück, mal nicht. Das mache ich, bis ich nicht mehr kann. Dann gehe ich nach Hause. Um zu sehen, wie viele Kilometer ich gelaufen bin, bräuchte ich schon ein GPS-Gerät. Oder müsste selbst auf einer Karte nachmessen. Aber all das mache ich nicht. Warum auch? Ich bin schon froh, dass ich mich überhaupt hin und wieder zum Laufen motivieren kann. Warum sich mit Daten belasten? Warum sich irgendwelche Kilometerziele setzen, wenn das regelmäßige Laufen an sich erst einmal das eigentliche Ziel sein sollte? “Heute bin ich einen Kilometer weniger gelaufen als gestern? Oh nein, ich Versager!” Will ich das? Brauche ich das? Nein.
Die einzige technische Anschaffung, über die ich nachdenke, wäre eine Armbanduhr mit eingebautem Schrittzähler. Der Grund dafür ist aber eher der, dass ich nach all der Zeit voller Handygestarre gemerkt habe, wie gerne ich endlich wieder eine Armbanduhr hätte. Armbanduhren sind toll. Mit ihnen kann man nämlich in unbeobachteten Momenten so tun, als sei man ein Power Ranger und würde gerade mit Zordon in der Powerzentrale kommunizieren. Das habe ich als Kind schon immer gemacht. Und ich vermisse es. Darum will ich eine Armbanduhr haben. Aber kommen wir doch mal wieder weg von Uhren. Warum ein Schrittzähler? Weil die Dinger unpräzise genug sind, um mir zu zeigen, dass ich mich heute bewegt habe, dabei aber nicht das Verlangen wecken, jeden Tag einen Schritt mehr zu laufen als am vorherigen. Bei Schrittzählern interessiert mich der Durchschnitt über einen längeren Zeitraum. Ob mich das letztendlich zum Laufen motiviert? Ich weiß es nicht. Aber wenn nicht, wäre das nicht schlimm, schließlich hätte ich trotz alledem am Ende immerhin noch eine Uhr und wäre ein Power Ranger.
Was ich im Gegensatz zu einem Schrittzähler übrigens nicht brauche: Eine Sportapp. Keine Sorge: Ich habe gegen Sportapps genauso viel wie gegen Doppelpunkte: Nichts. Ich werde an dieser Stelle ganz bestimmt nicht über Sportapps lästern. Das Problem ist einfach, dass ich bereits unzählige dieser Apps ausprobiert habe und mich keine von ihnen zu großen Erfolgen bringen konnte. Meisten nutze ich sie für ein paar Tage, dann irgendwann aus welchen Gründen auch immer nicht mehr. Das liegt vermutlich daran, dass diese Apps für eine für mich viel zu schnelllebige Zeit voller Fitnesstrends konstruiert wurden. “Na? Schon die neue 15.000-Kniebeugen-in-2-Tagen-App getestet?” “Nee, die ist doch von letztem Mittwoch! Ich habe jetzt die Bauch-Beine-Fußunterseiten-Muskelpower-in-88-Stunden-App”. Es gibt so viele Fitnessprogramme, die alle wissenschaftlich abgesegnet und für die besten erklärt wurden, dass ich gar nicht mehr weiß, welche App unter den besten nun die bestestere ist. Fitnesszeug als App kommt mir nicht mehr aufs Handy. Laufapps auch nicht. Die sind mir, wie oben gesagt, zu genau.
Außerdem gibt es bei Laufapps ein weiteres Problem: Sie wiegen zu viel. Aktuell habe ich nicht die Möglichkeit, mein Handy zum Joggen mitzunehmen. Gründe dafür gibt es wie Doppelpunkte in diesem Text viele: Zunächst einmal will ich meine Ruhe haben. Klar, man kann die Dinger auf lautlos stellen, aber irgendwie trage ich ein Handy nicht nur in der Hosentasche, sondern auch im Hinterkopf mit mir herum. Und das stört mich. Ich muss mich schließlich voll auf die Atmung konzentrieren. Vor allem immer dann, wenn mir Menschen entgegenkommen. Dann muss ich nämlich versuchen, mein Geschnaufe unter Kontrolle zu bekommen, damit es sich so anhört, als würde mich Laufen und die damit verbundenen Anstrengungen gar nicht interessieren. Das ist ziemlich anstrengend. Und kann zu Seitenstichen führen. Und Ohnmacht. Egal. Kennt ihr den Gesichtsausdruck, den man macht, wenn man gerade ziemlich laut und kräftig furzen muss, dies aber nicht kann, weil man gerade von 200 Menschen angestarrt wird? So laufe ich in diesen Momenten immer an meinen Mitmenschen vorbei. Vermutlich haben die Leute nach meinem Passieren immer Mitleid mit mir. “Der arme Typ. Muss auf die Toilette und kann nicht. Tja. Diese Jogger. Selbst schuld.”
Vom Furzdrang komme ich dann wohl am besten gleich mal zum Hauptgrund, warum ich mein Handy nicht dabei habe: Ich trage beim Joggen in der Regel immer die gleiche Jogginghose. Diese ist mittlerweile genauso alt wie ausgeleiert. Selbst ohne Handy in der Tasche rutscht sie mir alle paar Minuten so weit herunter, dass ich sie schnell hochziehen muss, um die Entblößung meiner Oberschenkel zu verhindern. Man stelle sich nur vor, ich würde gerade mit zuvor beschriebenen Gesichtsausdruck auf eine alte Dame zulaufen und in diesem Moment meine Hose verlieren! Ja, natürlich nervt das. Aber deswegen eine neue Jogginghose kaufen? Also wirklich. Ich bin doch nicht mehr im Kindergarten. Und eine Halterung für mein Handy? Zum Beispiel so eine fesche Armtasche? Klar! So eine wünsche ich mir zu meiner Beerdigung.
Nun gut. Joggen ist also das, was ich als “meine Sportart” bezeichne. Von allen Sportarten macht mir diese am meisten Spaß. Haha. Spaß. Wie sehr ich doch die Menschen bewundere, die wirklich Spaß an Sport haben. Natürlich meine ich damit nicht die ganzen “Hey! Heute wieder Bauch-Beine-Po um 19 Uhr im Gym mit meinen Mädels!”-Sportler, die einem in den sozialen Netzwerken immer ihre Sportlichkeit in die Fresse hauen müssen. Die mag ich nicht. Was natürlich nicht stimmt. Da spricht nur wieder einmal der Neid aus mir. Wenn man irgendetwas nicht gebacken bekommt, sucht man sich eben andere Menschen, die es zwar gebacken bekommen, dies aber nicht so machen, wie man es gerne selbst machen würde und für einzig richtig hält. Und über die macht man sich dann lustig. “Besser gar nicht als so oberflächlich wie die!” Das ist Blödsinn. Die machen regelmäßig Sport, ich nicht. Das sind die Fakten. Die Gründe sind egal. Warum lästern? Um sich besser zu fühlen? Klar, kann man machen. Dann aber bitte nicht vergessen, sich mit Chips einzureiben und lustig knisternd über das Sofa zu rollen. Dann hat man einen weiteren Grund, um über sich zu lachen.
Wie bin ich denn jetzt auf dem Sofa gelandet? Mysteriös. Eigentlich wollte ich doch über Menschen schreiben, die ich bewundere, nämlich die Menschen, die Spaß und Freude an Sport haben. Die Sport fast schon brauchen, um zufrieden zu sein (das jetzt bitte nicht zu sehr ins Extreme verschieben), und sich so gut wie gar nicht dazu motivieren müssen. Ungelogen: Das bewundere ich. Es ist ja nicht so, als würde ich Sport hassen. Ich hasse nur anscheinend meinen Körper und verwehre ihm deswegen die Bewegung, die er gerne hätte. Es gibt hin und wieder Tage in meinem Leben, zum Beispiel während den Klausurphasen an der Uni, an denen mir Joggen beim Abschalten hilft und ich mich wirklich darauf freue, mich zu bewegen. Den ganzen Tag gelernt und gesessen? Der Kopf ist voll und der Hintern plattgedrückt? Jetzt aber raus und laufen! Komme ich nach einer solchen Aktion wieder zu Hause an, bin ich zwar kaputt, aber gleichzeitig auch ungewöhnlich zufrieden. Mein Körper freut sich richtiggehend über die mehr als nötig gewesene Bewegung. Dieses Gefühl hätte ich sehr gerne häufiger. Aber dazu muss ich mich erst einmal aufraffen und raus. Ich hoffe immer, dass sich das mit der Motivation irgendwann automatisch ergibt, wenn ich nur regelmäßig raus gehe und laufe. Aber bisher funktioniert das noch nicht so ganz. Immer wieder kommt es zu viel zu langen Laufpausen (manchmal mehrere Monate). Der Arschtritt vor dem Laufen ist noch immer eines der wichtigsten Rituale in meinem Sportlerleben, das man eigentlich überhaupt nicht so bezeichnen sollte. Aber ich sehe es positiv: Immerhin laufe ich unregelmäßig. Das ist besser als gar nicht. Blöde Motivation.
Dabei sind meine Ansprüche doch so verdammt klein. Zwei- bis dreimal die Woche laufen gehen. Solange ich will. Das ist doch nicht viel! Ich will ja am Ende des Tages nicht aussehen wie ein Großteil der Wrestler, die mir mit ihrer harten Arbeit die Freizeit versüßen. Würde ich mir Wrestler zum Vorbild nehmen, dann wäre hier aber was los! Doch das tue ich nicht. Ich will einfach nur meinen Körper in Bewegung halten und vermeiden, irgendwann dick zu sein. Das wäre mir wirklich sehr unangenehm. Ich mag meinen zugegeben recht kleinen Bauchansatz jetzt schon nicht und habe aus diesem Grund meine Ernährung ziemlich umgestellt. Nicht für Muskelmasse, sondern für weniger Fettmasse. Ich will nicht zum Frühstück fünf rohe Eier schlürfen, um so meinen Protein- oder Wasauchimmerhaushalt auf irgendwas zu regudingsen. Davon verstehe ich nichts. Der einzige Moment, in dem ich rohe Eier zu mir nehme, ist der, wenn ich zu Ostern das mit dem Eierausblasen mal wieder falsch verstanden habe. Ja. Mal wieder. Gut, dass das Thema “Sport” lautet und nicht “Ostern”.
Ich hoffe, das Problem zwischen Sport und mir ist klar geworden. Eigentlich mag ich ihn, nur die Motivation fehlt. Aber ich suche nach ihr. Immer und immer wieder. Ich gebe nicht auf. Wenn ich mal wieder jammernd und heulend auf dem Sofa liege, weil ich gerade keine Lust auf Bewegung habe und mich in die Zeit zurückversetze, in der ich als kleines Kind heulend “Ich will nicht in die Schule!” schrie, dann denke ich immer an meinen Vater, der seit ich denken kann am Laufen ist, einen dicken Ordner voller Urkunden und Medaillen besitzt und mir, trotz eines Altersunterschiedes von über 35 Jahren, noch heute locker davonläuft. Seine Leistungen zu erreichen wird mir wohl nie gelingen. Aber vielleicht werde ich ja irgendwann feststellen, dass ich seinen Spaß am Sport doch geerbt habe, und er sich bisher lediglich tief in meinem Innern versteckt hielt. Los, Biologie! Zeig, was du kannst! Ich würde mich sehr darüber freuen. Ich will Sport machen, aber dafür keinem Trend folgen. Ich will sportlicher werden. Auch, wenn es zum Wrestler wohl vermutlich leider nicht mehr reichen wird. Schade irgendwie.