Vor ein paar Tagen stelle meine Frau mir eine Frage: “Erinnerst du dich noch an den Tag vor ein paar Jahren, als du fünfzig Euro auf der Straße gefunden hattest?” Ich verneinte die Frage und nannte meine Frau abschließend eine holde Maid, was gar nicht stimmt. Ich erfinde gerne Dinge. Manch einer nennt das Lügen. Ich nicht. Was ich nicht gerne erfinde: Geld. Das nimmt nämlich keiner an. Geld finde ich lieber. Und wenn ich auf mein bisheriges Leben zurückblicke, bin ich da ziemlich gut drin. Leider habe ich keine Liste angelegt, auf der ich Geldfunde vermerke. Es würde mich wirklich interessieren, wie viel da bisher zusammengekommen ist. Aber jetzt eine Liste dieser Art anzulegen, würde ich nicht wagen. Am Ende bemerke ich noch, dass ich in meinem Leben gar nicht so viel Geld gefunden habe, wie sich mein Gehirn gerade selbst einreden möchte.
Viel schlimmer sind da doch die Momente, die zwar mit gefundenem Geld aber auch mit Enttäuschungen zu tun haben. So erinnere ich mich zum Beispiel daran, einmal als kleines Kind mit meinen Eltern auf einem Flohmarkt oder einer ähnlichen Veranstaltung gewesen zu sein und unter einer wenige Meter entfernten Fischbrötchenbude ein Stück Papier im Wind flattern sah, das mich an einen gefalteten Geldschein erinnerte. Natürlich an keinen bestimmten. Das war jetzt allgemein gesprochen. Jedenfalls sah ich in Richtung des vermeintlichen Geldscheins und überlegte, ob ich hinlaufen und ihn mir holen sollte oder nicht. Das “oder nicht” wurde von meiner Unsicherheit hervorgerufen. Dieses dumme Ding war davon überzeugt, dass irgendetwas Schlimmes passieren würde, wenn sich der Geldschein nicht als Geldschein herausstellen würde. Was genau das war, weiß ich nicht. Ich weiß ja nicht mal, ob der Schein wirklich unter einer Fischbrötchenbude lag. Aber ich rede mir gerne ein, dass es so war, um meine Abneigung Fischbrötchen gegenüber rechtfertigen und mit einer interessanten Geschichte unterlegen zu können.
Während ich den Schein so ansah und eine Pro-und-Contra-Liste aller möglichen Ereignisse in meinem Kopf anfertigte, kam plötzlich ein alter Mann an, der sich auf einen Gehstock abstützen musste. Er versuchte, seinen Körper dazu zu bringen, sich zu bücken, was ihm aber nicht gelang. Darum nutze er seinen Gehstock, um den Schein unter der Fischbrötchenbude zu erreichen. Es funktionierte. Er zog ihn hervor und steckte ihn sich in die Hosentasche. Ich ärgerte mich. Seit diesem Tag mag ich übrigens keine Gehstöcke mehr. Muss man Abneigungen eigentlich immer ausgiebig begründen können? Ich finde nicht. Ich mag weder Fischbrötchen noch Gehstöcke.
Vor allem Letzteres hat auch Vorteile. Dass ich keinen Gehstock bei mir trage, hat ein paar Leuten üble Schmerzen erspart. Zum Beispiel Fahrradfahrern, die mir auf Gehwegen entgegengerast kommen. So ein Gehstock passt meiner Meinung nach perfekt zwischen zwei Speichen. Wenn ich irgendwann mal alt und stützenswert bin, werde ich über dieses Thema eine Doktorarbeit abschreiben und groß rauskommen. Wobei das wohl eher klein ausfallen würde. Mit dem Alter schrumpft der Mensch schließlich zusammen. Vielleicht hätte ich meine Kinderschuhe doch behalten sollen.
Jedenfalls würde ich einen Gehstock nutzen, um meinen Frust abzustützen und ihm so freien Lauf zu lassen. Ich erinnere mich da gerade an den Tag, an dem ich einen anderen Geldschein auf dem Boden liegen sah. Das Gefühl, eine solche Entdeckung zu machen, ist unbeschreiblich. Wie Wasser. Man wird überschwemmt von Ideen. Was könnte man mit dem Geldsegen nur anstellen? Man könnte zum Beispiel richtig ausgiebig in ein Fundbüro marschieren und den Schein dort feierlich abgeben. Mit einem Gedanken dieser Art hob ich den Schein auf und hörte einen Knall. Dieser klang wie ein geplatzter Traum, war aber eigentlich ein Auto, das gegen eine Laterne raste. Ich habe verschwiegen, dass der Schein mitten auf der Straße lag und ich ohne zu gucken auf diese rannte. Warum ich das verschwiegen habe? Nun, zunächst einmal um diesen überraschend auftretenden Witz zu machen. Zudem wollte ich es nicht erwähnen, weil es gelogen ist und der Schein in Wirklichkeit auf dem Gehweg lag. Tja. Wem kann man heute eigentlich noch glauben?
Zurück zur Wahrheit: Der Knall wurde tatsächlich vom Platzen einer Traumblase hervorgerufen. Ich hielt einen 5-Mark-Schein in der Hand. Dieses Trauerspiel ereignete sich einige Jahre nach der Euroeinführung und ich erkannte, dass ich ein nutzloses Stück Papier gefunden hatte. Natürlich kommen einem nach einer solchen Aussage wieder Horden von Besserwissern entgegengekrochen, die einem erzählen, dass man einen solchen Schein damals problemlos hätte umtauschen können. Aber nur für diese Besserwisser verlege ich meinen Text schnell wieder zurück auf die Straße. Schon werden sie von Autos überrollt und ich muss mir ihr Gerede nicht mehr anhören. Manchmal muss man zu brutalen Mitteln greifen, um seine Ruhe zu haben.
Jedenfalls fange ich Sätze zu oft mit “Jedenfalls” an. Dies damals noch nicht wissend, steckte ich mir den Schein in mein Portemonnaie. Noch heute besitze ich ihn. Er hängt in diesem Moment vor mir an einer Magnetwand. Aber ich glaube, dies bereits in einem anderen “Genürsel”-Text angesprochen zu haben. Darum möchte ich nicht weiter über den Schein sprechen.
Stattdessen habe ich mir überlegt, bei meinem Geldfindglück ernsthaft darüber nachzudenken, mich als Geldfinder selbstständig zu machen. Rechnen wir das doch mal aus. Finde ich jeden Tag auch nur fünfzig Euro, muss ich mich um nichts mehr kümmern. Ich habe ausgesorgt. Gut, meine Rente wäre noch nicht gesichert, dennoch könnte ich davon leben. Sehr gut sogar. Aber natürlich ist das Blödsinn, weil ich all das gefundene Geld sofort in ein Fundbüro bringen würde. Ich gehöre schließlich zur angesehenen Gesellschaftsschicht der ehrlichen Vollidioten.
Am liebsten würde ich mich als Geldfinder übrigens über all die Geldsucher da draußen lustig machen. Die haben nämlich nicht verstanden, wie wichtig eine passende Berufsbezeichnung in der heutigen Zeit wirklich ist. “Suchst du noch, oder findest du schon.” ist wohl der dümmste Spruch, der einem in diesem Moment einfallen kann, dennoch möchte ich ihn aufschreiben. Einfach um ihn irgendwo hinterlassen zu haben. Vielleicht gibt es da draußen ja Spruchfinder. Die freuen sich jetzt über diesen Text. Und ich freue mich, wenn sich jemand wegen meiner Texte freut. Ist es nicht schön, wenn alle zufrieden sind? Ich bin der Meinung: Ja. Solange niemand davon einen Gehstock in der Hand hält. Oder Fischbrötchen mag.