Genürsel 2013 – 09/52 – Belohnung

Genürsel 2013 - 09/52 - Belohnung

Undankbarkeit ist schlimm. Ich würde mich selbst als ziemlich dankbaren Menschen bezeichnen, wenn es eine solche Charaktereigenschaft überhaupt gibt. Sollte sie nicht existieren beziehungsweise nicht allgemein anerkannt sein, so möchte ich dies hiermit ändern. Dankbarkeit ist schließlich schön.

Leider gibt es immer wieder Situationen im Leben, in denen es schwer ist, Dankbarkeit zu zeigen. Ich fühle mich immer ziemlich schlecht, wenn ich wegen eines Geschenks oder einer Belohnung enttäuscht bin. Da will mir jemand eine Freude machen und ich bin enttäuscht? Kann so etwas überhaupt passieren? Leider ja. Zum Glück nicht allzu oft. Um ehrlich zu sein fallen mir gerade nur zwei Situationen ein, in denen ich Enttäuscht war wegen einer erhaltenen Belohnung.

Situation Nummer eins ist schon einige Jahre her. Zu dieser Zeit hatte ich gerade meine Ausbildung zum Industriekaufmann begonnen. Im Ausbildungsbetrieb sollte eine große Halle umgebaut werden. Sie hatte lange Zeit leer gestanden, was man für ziemliche Geldverschwendung hielt. Darum kam irgendwann jemand auf die Idee, die Halle sinnvoll zu nutzen. Ich wurde als Auszubildender einem Kollegen zur Seite gestellt, um ihn tatkräftig bei der Planung und Umsetzung zu unterstützen. Ich will hier nicht zu lange in langweilige Details gehen, die folgenden neun Wochen waren jedenfalls eine ziemlich positive Erfahrung für mich. Ich wurde ernst genommen, durfte Entscheidungen treffen und am Ende hatten wir das von der Geschäftsleitung gewünschte Ziel mehr als erreicht. Das in der Halle errichtete Lager funktionierte. Nach der Zeit in der Halle folgte mein Ausbildungsalltag dann wieder dem gewöhnlichen Ausbildungsplan. Arbeit, Berufsschule, Weiterbildungen, Schulungen.

Eine Schulung ist es, die ich wohl nie wieder vergessen werde. Sie fand kurz nach meinem letzten Tag in der beschriebenen Halle statt und ich weiß ehrlich gesagt gar nicht mehr, worum es ging. Ist auch nicht weiter wichtig. Woran ich mich erinnere: Irgendwann klingelte das Telefon im Schulungsraum. Die Schulungsleiterin nahm den Anruf entgegen. Nach ein paar ausgetauschten Formalitäten fiel der Name des Personalchefs. Danach meiner, gefolgt von einem “Ja, der ist hier.” Ich wurde hellhörig und gleichzeitig von meinen Mitauszubildenden angestarrt. “Was hat er denn nun schon wieder angestellt.”

Nach dem Telefonat wurde mir mitgeteilt, dass der Personalchef sich mit mir unterhalten wollte. Es ging um die von mir miteingerichtete Halle. Man wollte sich persönlich bei mir für die Mitarbeit bedanken. Ich freute mich über diese Worte, grinste, war ein wenig stolz, ignorierte die Gesichter der mich anguckenden Tratschkollegen (die enttäuscht darüber waren, keinen neuen Gesprächsstoff vorgesetzt zu bekommen) und konzentrierte mich wieder auf die Schulung. Zwar überlegte man kurz, mich sofort wegzuschicken, ich war jedoch der Meinung, dass es nicht im Sinne der Geschäftsleitung sein konnte, einen Auszubildenden am Lernen zu hindern. Es handelte sich hier schließlich um eine einmalig stattfindende Schulung. Man stimmte zu und sagte, dass man mich einfach ein paar Minuten früher gehen lassen wollte.

Kurzer Einschub: Die Schulung fand in Offenbach statt, die Geschäftsleitung saß in Frankfurt. Ich musste also nicht nur mal eben in ein anderes Büro im gleichen Gebäude laufen. Meine Reise zog eine Fahrt von etwa einer halben Stunde mit sich. Je nach Verkehrslage natürlich.

So fuhr ich also nach der Schulung zum Büro der Geschäftsleitung. Dort empfing mich die Sekretärin mit einem “Ach, da sind sie ja endlich. Der Herr Dingens (Name erfunden) hat jetzt gerade ein Meeting. Ich muss mal sehen, ob der überhaupt noch Zeit hat.” Ich grinste nur. Hätte man mir mitgeteilt, dass ich früher hätte kommen sollen, wäre das sicherlich möglich gewesen. Hatte man aber nicht. Egal.

Der Personalchef kam. Er gab mir die Hand. “Da sie so spät sind, kann das Ganze jetzt leider nicht großartig feierlich ablaufen.” Ich antwortete: “Ich hatte eine Schulung.” Er ignorierte meine Worte und ließ sich von der Sekretärin einen riesigen Blumenstrauß reichen. “Für ihre Arbeit in der Halle wollten wir uns bei ihnen bedanken. Hier bitte schön.” Er überreichte mir den Blumenstrauß. “Sie können vermutlich nicht viel mit den Blumen anfangen, aber ihre Freundin wird sich sicherlich über sie freuen. Sie haben doch eine Freundin?” “Ja.” “Gut. Hier noch ein Umschlag mit einem Dankeschön.” Ich nahm auch den Umschlag in Empfang. Viele weitere Worte wurden nicht gewechselt. Der Chef ging zurück zum Meeting und ich verließ das Büro. Wäre mir in diesem Moment jemand auf dem Flur begegnet, so hätte ich meine Enttäuschung nur schwer verbergen können.

Ja, ich hatte ursprünglich gar nicht damit gerechnet, dass man sich überhaupt persönlich bei mir bedanken würde. Die Geste kam überraschend und war toll. Aber die Umsetzung? Erst macht man mir Vorwürfe, weil ich eine Schulung nicht einfach habe sausen lassen. Gerade vom Personalchef, der ja eigentlich immer forderte, dass sich seine Mitarbeiter weiterbilden, hatte ich etwas mehr Verständnis erwartet. Und dann wurde das Geschenk auch noch abgewertet. Ganz ehrlich: Ich bin kein Blumenmensch. Ich kann mit Pflanzen in der Wohnung nichts anfangen. Bei mir platzen Kakteen auf dem Schreibtisch. Aber trotzdem hätte ich mich über die Blumen gefreut, wenn man mir sie angemessen überreicht hätte. Und mit angemessen meine ich: Nicht übereilt, ohne Vorwürfe und nicht “für ihre Freundin, sie haben hoffentlich eine”-sagend. Hätte man mir auch nur ein paar nette und ruhige Worte entgegengebracht, so hätte ich den ganzen Tag als ein unglaublich positives Ereignis in meinem Kopf abgeheftet. So gehört dieser Tag jedoch zu den wohl schlimmsten Belohnungen, die ich je erhalten habe.

Ich möchte mal ein positives Beispiel nennen, um zu zeigen, wie leicht ich zufriedenzustellen bin: Vor einiger Zeit hatte ich über eine Zeitarbeitsfirma einen Nebenjob vermittelt bekommen. Nachdem mein Arbeitsverhältnis mit der Zeitarbeitsfirma beendet war, besuchte ich die Geschäftsstelle ein letztes Mal, um Unterlagen abzuholen und vorbeizubringen. Was wäre das Leben nur ohne Formalitäten? Bestimmt nur halb so langweilig. Jedenfalls überreichte man mir zum Abschied einen kleinen Beutel. In diesem befand ich ein Glas Senf und eine Dose voller Weißwürste. Ich muss heute noch lachen, wenn ich an das Geschenk denke. Würstchen und Senf. Das kam unerwartet. Toll. Ich mag keine Weißwurst. Und Senf muss auch nicht sein. Macht aber nichts. Die Geste zählt. Die Zeitarbeitsfirma blieb mir positiv in Erinnerung. Der Blumenstrauß nicht.

“Positive Erinnerungen” bringen mich dann auch gleich zu meinem nächsten Fall. Solche Erinnerungen suchen mich nämlich immer heim, wenn ich an mein erstes Buch denke. Dessen Fertigstellung löste ziemliche Glücksgefühle in mir aus. Darum muss ich es auch immer und immer wieder ansprechen. Tut mir leid. Nein, eigentlich nicht. Ich hatte mir, nachdem man das Buch offiziell in Geschäften kaufen konnte, ein paar Exemplare zukommen lassen, um sie an Bekannte und Freunde zu verteilen. Leider habe ich nur wenige Bekannte und Freunde, wodurch auch nach einigen Wochen noch ein paar eingeschweißte Bücher bei mir zu Hause rumlagen. Das fand ich blöd. Darum suchte ich nach Möglichkeiten, sie unter die Leute zu bringen.

In Frankfurt gibt es sogenannte Bücherschränke. In diese Schränke kann man Bücher stellen, die man selbst nicht mehr lesen möchte und sich dafür Bücher mit nach Hause nehmen, die einen interessieren. Das System funktioniert. Die Schränke sind stets gut gefüllt und hin und wieder findet man tatsächlich etwas, was man mit nach Hause nimmt. Ich selbst griff zum Beispiel einmal zum “Hausbuch für die deutsche Familie” aus dem Jahre 1956, in dem endlich die Frage geklärt wird: “Was verlangt man von einer guten Hausfrau?”

Genürsel 2013 - 09/52 - Belohnung

Mir kam die Idee, mein eigenes Buch in die Bücherschränke zu stellen. Warum sollte ich nicht einfach mal einem Unbekannten eine Freude machen? Gedacht, getan. Ich schrieb ein paar Zeilen in das Buch hinein: “Für einen Unbekannten. Viel Spaß mit meinem ersten Buch”. Darunter schrieb ich dann noch das Datum und meinen Namen und so wanderten einige meiner Bücher in Frankfurter Bücherschränke.

Was bekam ich als Belohnung für meine Großzügigkeit zurück? Einige Zeit später stieß ich durch Zufall auf amazon.de auf eine Person, die mein Buch im gebrauchten Zustand verkaufte. Das war jetzt noch keine Besonderheit. Gebrauchte Artikel werden bei amazon.de häufig verkauft. Was mich jedoch stutzig machte war ein Hinweis, der in der Produktbeschreibung zu lesen war: “Mit Widmung des Autors”.

Ich habe in meinem Leben nicht viele Bücher signiert. Meistens geschah das eher aus Spaß für Freunde und Bekannte. Bei diesen bin ich mir ziemlich sicher, dass sie das Buch nicht weiterverkaufen würden. Vor allem nicht zu diesem Preis. Neu kostet mein erstes Buch 12,99 Euro. Die signierte Version wurde für 2,99 Euro angeboten. Meine Signatur sorgte also für einen Wertverlust von 10 Euro. Gut zu wissen. Wenn ich heutzutage Bücher signiere, dann weise ich immer auf diesen rapiden Wertverfall hin. Nicht, dass später Klagen kommen.

Natürlich mache ich nur Spaß. Ich habe nie damit gerechnet, dass meine Signatur für einen drastischen Wertanstieg sorgen würde. Wer bin ich denn? Ich signiere, weil es mir eine Ehre ist, danach gefragt zu werden. Man kommt sich natürlich für einen kurzen Moment wichtig vor, letztendlich freue ich mich aber eher darüber, nach dem Signieren über das Buch zu reden. Ich fand es enttäuschend, dass jemand ein im Bücherschrank gefundenes Buch einfach weiterverkauft. Das war also die Belohnung für meine freundliche Geste. Man versucht, sich an ihr zu bereichern.

Sollte ich jemals ein Buch mit persönlicher Widmung im Bücherschrank finden, würde ich es in Ehren halten und vielleicht alle paar Jahre nachsehen, ob es Neues vom Autoren zu lesen gibt. Aber gut, ich hebe auch alles auf. Zum Beispiel Brettspielfiguren, die auf der Straße liegen. Diese trage ich dann wochenlang in meiner Jackentasche mit mir herum. Aber meine Jackentaschen sind eine andere Geschichte.

Genürsel 2013 - 09/52 - Belohnung

Ich habe seit dem oben beschriebenen Fund natürlich trotzdem weitere Bücher in die Bücherschränke gestellt. Für einen kurzen Moment spielte ich sogar mit dem Gedanken, das Buch zurückzukaufen. Ob der Verkäufer gemerkt hätte, an wen er das Buch verkauft hatte? Würde er sich schlecht fühlen? Leider wurde das Buch vorher verkauft, beziehungsweise es verschwand von amazon.de. Schade. Ich hätte das Buch ganz bestimmt in Ehren gehalten. Und jedem Besucher von seiner Reise erzählt. Es ist vermutlich gut, dass ich es nicht mehr bekommen habe. Die armen Besucher.

Zum Abschluss komme ich nun zu der wohl größten Belohnung, die mich nach Fertigstellung meines Buches bisher erreicht hat. Nach und nach schickten mir nämlich ein paar Bekannte Fotos, die sie von meinem Buch geschossen hatten. Diese zauberten mir ein Grinsen ins Gesicht und zeigten mir, dass sich all die Arbeit doch gelohnt hatte. Um mich selbst zu belohnen, begann ich sofort damit, ein zweites Buch zu schreiben.

Genürsel 2013 - 09/52 - Belohnung

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