Freut euch doch einfach

Vor einigen Tagen stellte Microsoft die neue Xbox mit dem Namen “Xbox One” vor. Ich verfolgte die Präsentation nicht live, sondern erst ein paar Stunden später. Am Ende fühlte ich nichts. Das meine ich weder im positiven noch im negativen Sinne. Es war im Voraus angekündigt worden, dass keine Spiele gezeigt werden sollten, somit erwartete ich keine. Ich erwartete stattdessen eine Präsentation der Möglichkeiten abseits der Spiele. Das bekam ich auch. (Ja, es wurden auch ein paar wenige Spiele gezeigt, dazu komme ich noch.) Nichts von alldem interessierte mich. Kinect? Brauche ich nicht. Skype? Benutze ich zweimal im Jahr und dann am PC. Fernsehen? Gucke ich so gut wie nie. Sport? Ich gucke nur Wrestling. All dies stellte ich fest und ging schlafen. Das Thema Xbox-One-Präsentation hatte sich für mich erledigt. Ich freute mich auf die E3. Man hatte alles abgehakt, was mich auf der E3 gestört hätte. E3 = Spiele? Gerne!

Am nächsten Morgen stand ich auf und übernahm die Pflichten eines liebenden Ehemanns, indem ich Brötchen holte. Eine lästige Pflicht, aber was tut man nicht alles für eine Ehefrau und Teewurst. Den Bäcker hier um die Ecke besuche ich nun schon seit Jahren und wenn es die Zeit zulässt, stelle ich mich mit einem Kaffee zu ihm und wir unterhalten uns. Irgendwie kamen wir auf die gestrige Präsentation zu sprechen und ich ließ lediglich ein “Hat mich alles nicht so angesprochen.” erklingen. Der Bäcker hatte die Präsentation nicht gesehen und somit hatte sich das Thema erledigt. Dachte ich. Es kam aber anders. Denn plötzlich sagte der Bäcker: “Mal sehen, was er dazu sagt.” Ich war zunächst verwirrt, bemerkte aber schnell, dass er damit jemanden ansprach, der in diesem Moment die Bäckerei betrat.

Dem neuen Gesprächspartner wurde meine vorherige Aussage mitgeteilt. Sofort wurde ich entgeistert angesehen. Dann wies der Bäcker noch darauf hin, dass ich eher der Playstation-Typ sei. Ich widersprach umgehend. Ich bin kein Playstation-Typ. Absolut nicht. Gar nicht. Und ich will auch keiner sein. Irgendwie wurde diese von mir getätigte Aussage aber nicht verstanden.

Zunächst sollte ich dem neu hinzugekommenen Typen einen Namen geben. Sonst wird das hier etwas kompliziert. Nennen wir ihn doch Robin. Wie Robin Hood, der in seinen Filmen häufig grün trägt. Was jetzt natürlich vollkommen ohne Zusammenhang so gewählt wurde und lasst mich noch schnell betonen, dass ich gerade “Zusammenhanf” geschrieben habe, was ja irgendwie auch grün ist. Also haben wir nun mich, den Bäcker und Robin.

Robin sah mich also wie gesagt ganz entgeistert an, denn er war von der Präsentation begeistert. Er betonte, was für ein technisch hervorragendes Gerät die Xbox One doch sei. Ich stimmte ihm zu. Technisch war das alles super. Besser als die 360, vergleichbar mit der PS4. Man darf gespannt sein, was da nun für Spiele kommen. Dann wiederholte ich, was ich dem Bäcker zuvor gesagt hatte: Mich hatten die präsentierten Dinge nicht angesprochen. “Warum?”, wurde ich gefragt. Ich antwortete, dass ich kaum Fernsehen guckte. Robin sagte, dass es doch toll sei, die Möglichkeit zu haben, alles über die Xbox zu steuern. Ich bestätigte, dass die Möglichkeit selbstverständlich toll sei, sie mich aber trotzdem nicht interessierte.

Dann wurde Kinect erwähnt. Robin fand es super, alles per Gestik steuern zu können. Ich nicht. Ich drücke lieber einfach auf einen Knopf auf dem Controller und laufe so nicht Gefahr, mit dem Griff zur Chipstüte das Fernsehbild zu verkleinern. “Und die Sprachsteuerung!”, schwärmte Robin. “Ich rede nicht mit meiner Konsole. Dabei komme ich mir albern vor.”, antwortete ich. All dies sagte ich nicht böse, aggressiv, beleidigend oder sonst wie emotional. Ich teilte lediglich meine Meinung mit. Ich betonte sogar immer wieder, dass ich die Möglichkeiten interessant fände und die Freude über sie nachvollziehen könne. Aber sie sprachen MICH eben nicht an. Und darum war ICH nicht begeistert.

Robin war nun in Kämpferlaune. Warum? Ich weiß es nicht. Aber er bezeichnete mich einfach mal als Playstation-Anhänger. Ich wiederholte mich. Nicht zum ersten und nicht zum letzen Mal. Ich bin kein Playstation-Anhänger. “Warum hast du dann eine? Was hat dich damals zum Kauf einer Playstation 3 bewegt?” Auf diese Frage war ich nicht vorbereitet. Wie, “Warum”? Robin konnte offensichtlich nicht nachvollziehen, warum ich keine Xbox besaß. Also wirklich nicht. Sein Blick sprach in diesem Moment mehr als seine 1.000 dummen Fragen.

Ich erwähnte das Blu-ray-Laufwerk, meine Filmleidenschaft und ein paar Spiele, die mich damals interessiert hatten. Sofort wurde gekontert. Die Online-Möglichkeiten der Playstation 3 seien nicht gut. Ich antwortete, dass mir das egal sei, weil ich nicht online spiele. Durch diese Äußerung verlor ich fast den gesamten restlichen Respekt, den Robin, oder besser: Gamer-Robin, zu diesem Zeitpunkt noch vor mir gehabt hatte. “Wie kann man denn nicht online spielen?” Wieder so eine absurde Frage. Ich war kurz davor, mich zu rechtfertigen. Ganz, ganz kurz davor. In meinem Kopf bildete sich eine Antwort aus Staubmäusen, die sich unter meinem Wohnzimmersofa versteckt hatten. Doch dann klopfte jemand an die Tür zum Büro meines Gehirns. Ich pausierte das Gespräch, indem ich einen Schluck aus der Kaffeetasse nahm. Das reichte, um die Tür zu öffnen. Zum Glück läuft die Zeit im Kopf anders ab als außerhalb. Mich begrüßte ein Staubsaugervertreter, der mich darauf hinwies, dass mein Haus voller Rechtfertigungsstaubmäuse sei. Das hatten irgendwelche Umfragen ergeben. Ich hörte ihm nicht weiter zu, sondern kaufte umgehend einen seiner Staubsauger. Ich entfernte die Rechtfertigungsstaubmäuse und antwortete: “Ich spiele halt nicht online. Muss man ja nicht.” Gamer-Robin sah dies als Rundensieg für sich an. Er schüttelte den Kopf. Er konnte all das immer noch nicht nachvollziehen. Ich auch nicht mehr. Ich wollte nach Hause und ein Blick auf die Kaffeetasse verriet mir, dass es an der Zeit war, sich die Zunge zu verbrennen.

Um meinen Playstation-Anhänger-Ruf ein wenig abzuschwächen, lobte ich die Skype-Integration der Xbox. Ganz ehrlich: Wer Skype beim Online-Spielen nutzt, wird sich über die Xbox-Unterstützung dieses Dienstes ein drittes Loch in den Hintern freuen und erst danach fragen, wo das zweite herkam. Gamer-Robin akzeptierte diese Antwort natürlich nicht und spielte noch schnell seine letzte Trumpfkarte aus: “Call of Duty”. Das hatte total beeindruckend ausgesehen. Er freute sich total darauf, es endlich spielen zu können. Ich gönnte meiner um Gnade flehenden Zunge eine Pause und sagte, innerlich grinsend, dass ich mich nicht für “Call of Duty” interessierte. Zack. Das war es. Gamer-Robin verlor das Bewusstsein. Er brach vor meinen Augen zusammen. Aus seiner Nase strömte Blut hervor und wenige Sekunden später explodierte sein Kopf. Während der Bäcker fluchend zu Lappen und Putzeimer griff, bemerkte ich, dass ich mir all das nur eingebildet hatte. Gamer-Robin stand noch genauso erstaunt vor mir wie vor meiner Gewaltphantasie. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit gab er ein “Wie kann man denn kein Call of Duty spielen?” von sich. Ich antwortete: “Ist halt nicht meins.” Hätte mir zu diesem Zeitpunkt die Zunge nicht so weh getan, ich hätte langsam Spaß an der ganzen Situation gehabt.

Gamer-Robin dagegen war bedient. Er wandte sich von mir ab. Mit folgenden Worten: “Ihr Playstationspieler werdet schon sehen, was ihr davon habt.” Er ließ sich vom Bäcker einen Kaffee geben, ging zum Zeitungsständer, griff zur Bildzeitung und setzte sich diese lesend an einen mehrere Meter von mir entfernten Tisch. Bevor ich mir vorstellen konnte, wie nun mir der Kopf platzte, trank ich meinen Kaffee aus und verließ die Bäckerei. Zu Hause legte ich mir ein paar Eiswürfel auf die Zunge, besuchte Twitter und hinterließ dort folgende Zeilen:

“Hatte gerade ein unglaublich unangenehmes Gespräch mit jemandem, der die Xbox-Präsi gestern total toll fand.”

“Leute, es freut mich, dass sie euch gefallen hat. Ich gönne es euch. Habt Spaß an all den Möglichkeiten. Wirklich. Das ist toll!”

“Aber lasst mich doch auch mal sagen, wenn mich etwas nicht anspricht. Das TV-, Sport-, CoD- und Kommunikationszeug ist einfach nicht meins.”

“Muss man sich wirklich mit den Worten “Ihr Playstationspieler werdet schon sehen, was ihr davon habt” von mir abwenden UND ZUR BILD GREIFEN?”

“Ich bin also kein richtiger Gamer, weil ich eine Playstation habe, das neue CoD nicht geil finde und kein Skype auf der Konsole brauche.”

“DANN BIN ICH EBEN KEINER!”

Zunächst einmal fällt mir auf, dass diese wenigen Zeilen die oben beschriebene Situation so gut wiedergeben, dass ich mir all die vielen Worte eigentlich hätte sparen können. Mein Inneres dagegen teilt mir mit, dass es sich nun endlich beruhigt hat. Das ganze Spektakel spielte sich vor neun Tagen ab. Vor neun Tagen! Und ich muss immer noch daran denken. Wahnsinn.

Robins Alter schätze ich übrigens auf knapp über dreißig. Achtung: Ich bin schlecht im Atlterschätzen. Ich möchte auch eher betonen, dass Robin jetzt kein 14-jähriger Bube war. Ganz ehrlich? Dann hätte ich diesen Text hier nicht geschrieben. In der Jugend darf man hin und wieder auch mal ein ignoranter Vollidiot sein. Das war ich auch. Wenn mir damals jemand sagte, er würde kein “Power Rangers” gucken, wurde ich zu Gamer-Robin und bekam Nasenbluten und Kopfexplosionen.

Mittlerweile ist das anders. Ich bin entspannter geworden. Und ruhiger. Ich muss mich nicht auf eine Seite schlagen. Ich muss keinen Konsolenkrieg führen. Ich muss nicht schlecht über “die Konkurrenz” reden. Ich freue mich für Leute, die sich über etwas freuen. So einfach ist das. Ihr freut euch über Skype auf der Xbox One? Dann freue ich mich für euch. Ist doch super! Schön, dass ihr euch freut. Nein, ich brauche kein Skype. Das bedeutet aber nicht, dass ich es automatisch schlecht finde und es euch nicht gönne. Nein, die Xbox-One-Präsentation hat mich nicht angesprochen. Darum ist die Xbox One aber nicht der letzte Dreck unter dem Konsolenhimmel. Sie ist nur nichts für mich. Freut ihr euch über die vorgestellten Möglichkeiten? Schön! Wirklich! Hoffentlich werdet ihr glücklich mit der neuen Konsole. Erzählt mir davon, wie sehr Kinect euer Leben bereichert hat. Wie einfach euer Fernsehalltag geworden ist. Und wie viel Spaß euch “Call of Duty” macht. Steckt Dreihundert Stunden in Online-Partien. Ich stecke Dreihundert Stunden alleine in “Minecraft”. Vermutlich können wir beide nicht nachvollziehen, woher der Andere die Faszination für “sein Spiel” nimmt. Aber heißt das, dass ich deswegen schlecht über euch denke? Nein. Überhaupt nicht. Wir spielen gerne Videospiele. Jeder auf seine Art.

Man hat sich also von mir abgewandt, weil ich eine Playstation 3 besitze. Ich lache über diesen Moment. Aber gleichzeitig beschäftigt er mich. Sehr sogar. Die ersten Tage nach diesem Ereignis hatte ich die Bäckerei mit einem mulmigen Gefühl betreten. Ich hatte keine Lust auf weitere Gespräche mit Robin. Nicht, weil es mir unangenehm war, sondern weil ich vermeiden wollte, ihn irgendwann einen oberflächlichen… nein… ich werde den Satz an dieser Stelle nicht beenden. Sondern lieber diesen Text.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert