Erst in Frankfurt ist mir klar geworden, dass eine Stadt einen eigenen Klang haben kann. Schon oft habe ich von einem solchen Phänomen gehört, nachvollziehen konnte ich es bisher aber nicht. Dabei muss man nur genau hinhören.
Schreite ich die Zeil entlang, begegne ich der Musik auf Schritt und Tritt. So treffe ich zum Beispiel auf die allseits beliebten Panflöter. Voller Hingabe stehen sie in kleinen Gruppen zu einem Halbkreis aufgereiht herum und blasen in ihre Instrumente. Mit Hilfe von tiefen, hohen, lauten, leisen, langen und kurzen Tönen, die an warnend tutende Dampflokomotiven aus Wildwestfilmen erinnern, erschaffen sie klangliche Meisterwerke, die auch direkt auf CD erworben werden können.
Unterstützt wird das Pangeflöt häufig von immer dem selben stark angetrunkenen Mann, der sich wie in Trance rhythmisch zu den Hohlklängen bewegt, sich freut, als hätte er soeben im Lotto gewonnen und zeigt, dass es sie noch gibt auf der Welt, die wahre Lebensfreude.
Nur schwer kann ich mich losreißen. Doch irgendwann ziehe ich von dannen. Ein paar Schritte weiter. Zu dem Blockflötenspieler, dessen von sich gegebenen Klänge vieles deutlich machen: Er hat nie gelernt, Blockflöte zu spielen. Er hat noch nie jemanden Blockflöte spielen gehört und weiß dadurch nicht, wie es klingen soll. Er ist der Auffassung, wenn man alle drei Sekunden einmal so kurz und so fest wie möglich in eine Blockflöte pustet, würde dies einen Klang erzeugen, der die zuhörenden Ohren seiner Mitmenschen aufs tiefste beglückt. Und zuletzt legt er offensichtlich großen Wert auf Körpersprache, denn nach jedem abgegebenen Pfiff lehnt er sich mit geschlossenen Augen zurück und man kann erkennen, dass zumindest er selbst von der eigenen Musik hingerissen ist. Es ist ein Anblick, der Freude weckt. Wenn man taub ist.
Leider muss ich weiter. Nach Hause. Schnell runter zur U-Bahn. Doch halt, was ist das? Was höre ich da? Ist das etwa das Instrument, das mich während meiner schönsten Träume heimsucht? Tatsächlich! Ein Akkordeon! Und das hier, in den Tiefen des Frankfurter Untergrunds! Der Hall der Tunnelsysteme verstärkt den Klang und der Hall zieht die einzelnen Töne in die Länge, sodass sie sich mit den Nachfolgenden vereinen. Es ist wundervoll. Aber wie gesagt: Ich muss weiter. Leider.
Die U-Bahn ist da. Ich lasse mich in den Sitz fallen. Zunächst kommt der Verdacht auf, einer der Passagiere hätte seinen mp3-Player zu laut aufgedreht. Oder jemand hätte einen interessanten Handyklingeltongeschmack. Doch falsch gedacht. Da sind tatsächlich zwei Saxophonspieler. Sie laufen durch den Gang und musizieren. Laut. Sie lockern den tristen Bahnalltag mit Hilfe ihrer Instrumente auf. Die Bahn sieht plötzlich bunter aus, als vorher. Da legt man ihrem Begleiter doch gerne ein paar Münzen in den hingehaltenen Hut.
Zu Hause angekommen, lasse ich mich auf mein Sofa fallen. Zunächst möchte ich das Radio einschalten, doch dann halte ich ein. Und höre genau hin. Nichts. Man hört nur leise ein paar Autos vorbeifahren. Ansonsten herrscht Ruhe. Ich genieße und schlafe irgendwann ein.
Warum habe ich den Klang Lüdenscheids eigentlich nie bemerkt?