Wenn man mich fragt, was ich gerne habe, dann antworte ich meistens: “Meine Ruhe.” Damit möchte ich dem Fragesteller selbstverständlich nicht sagen, dass er sich aus meinem Leben verziehen soll (zumindest normalerweise). Viel eher möchte ich andeuten, dass ich mich nicht gerne unter Menschenmassen begebe. Das hat weder etwas mit Phobien, noch mit allgemeiner Abneigung dem Menschlichen gegenüber zu tun. Ich habe keinerlei Berührungsängste und kann mich selbst in Gruppen voller Unbekannter gut zu Recht finden. Ich habe einfach gerne meine Ruhe.
Einige haben mein Leben aus diesem Grund bereits als langweilig erklärt und es würde mir nicht im Traum einfallen diesen Personen zu widersprechen. Schließlich wissen sie viel besser wie ich mich fühle und was ich mag. Oder: wie ich mich zu fühlen und was ich zu mögen habe. Ich selbst kann darüber nicht urteilen.
Und was mache ich jetzt so während meiner Ruhezeiten? Meistens betätige ich mich als Nussknacker und knacke Kopfnüsse. Ich liebe Rätsel und damit beziehe ich mich nicht auf Kreuzworträtsel. Diese Unterkategorie der Rätsel finde ich so langweilig, wie manche Menschen meinen Lebensstil. Gewöhnliche Kreuzworträtsel basieren auf dem Auswendiglernen von Antworten und häufig muss ich eher an Glücksrad, als an wirkliche Herausforderungen denken. Natürlich gibt es hier auch schwere Varianten aber auch diese wissen mich nicht zu unterhalten.
Viel eher konzentriere ich mich auf andere Rätselformen, die sich zum Beispiel mit Titeln wie “Suriza”, “Kakuro” oder “Hashi” schmücken. Auch “Sudoku” gehört dazu, jedoch nicht in seiner Standardversion, sondern in den vielen unterschiedlichen Abarten davon. Leider darf ich nicht vielen Menschen von meiner Rätselleidenschaft erzählen, denn häufig ernte ich dafür Gelächter. Einmal von den oben erwähnten Aktivitätssüchtigen, die Rätsellösen für etwas halten, wofür man nach dem Tod noch genügend Zeit hat. Dann gibt es da aber noch eine andere Art des Gelächters, die fast noch schlimmer ist: Das angeberische Gelächter.
Leider birgt Rätseln ein hohes Angeberpotenzial in sich. Das fängt schon beim bevorzugten Stiftwerk an. Ich löse Rätsel mit einem Bleistift. Warum? Damit ich Fehler wegradieren kann. Erzähle ich das manchen Menschen, lachen sie mich deswegen aus. Man löst Rätsel nämlich nicht mit dem Bleistift, sondern mit einem Kugelschreiber. Weil man als guter und intelligenter Rätsler nämlich keine Fehler macht. Es ist faszinierend, mit welch angeberischem Unterton man eine solche Aussage an den Kopf geworfen bekommt. “Ich brauche keinen Bleistift.”, “Bleistift? Benutze ich nicht, ich radiere nicht.” und so weiter. Wäre ich auf den Mund gefallen würde ich in diesem Moment nichts sagen. Bin ich aber nicht. Darum werfe ich meinen Kugelschreibern immer vor, selbst dumm zu sein. Schließlich macht jeder einmal Fehler. Werde ich beispielsweise kurz abgelenkt und fülle aus diesem Grund versehendlich ein falsches Kästchen aus, soll ich gleich das ganze Rätsel als ungelöst abschreiben und durchstreichen? Warum sollte ich das tun? Viel lieber korrigiere ich den kleinen Fehler und löse das Rätsel weiter. Soll ich denn eine Sammlung durchgestrichener Rätsel zu Hause anhäufen? Ist es nicht beeindruckender alles gelöst zu haben? Darf ich mir keine Fehler eingestehen?
Dabei vergessen die Antiradierer eins: Wenn bei mir zu Hause jemand durch meine Rätselhefte blättert, findet er entweder gelöste oder nicht begonnene Rätsel. Trifft er auf Fehler? Nein. Die habe ich schließlich wegradiert. Wie sähe gleiches Szenario bei meinen angeberischen Kollegen aus?
“Warum ist das hier durchgestrichen?”
“Oh, da habe ich einen Fehler gemacht.”
“Und darum musstest du gleich alles durchstreichen?”
“Na weil ich den Kuli ja nicht wegbekomme.”
“Warum benutzt du dann keinen Bleistift?”
“Weil das ein Zeichen von Dummheit ist. Weil nur Leute Bleistifte benutzen, die Fehler machen.”
“Aber du hast hier doch einen Fehler gemacht.”
“Ja, kann ja mal passieren.”
“Ist das nicht blöd, dass du das Rätsel jetzt nie vollenden kannst? Wäre es nicht intelligenter einen Bleistift zu benutzen, um Flüchtigkeitsfehler, die deiner Aussage nach ja immer mal passieren können, korrigieren zu können?”
“Neinneinneinneinnein.”
Neben meiner Stiftnutzung werde ich aber auch für eine andere Angewohnheit ausgelacht: Ich mache mir gerne Randnotizen. Gibt es zum Beispiel bei einem Sudoku in einem Feld nur noch zwei mögliche Zahlen die man eintragen könnte, dann notiere ich diese klein in die Ecke des Feldes. Warum sollte ich sie mir auch merken? Ich konzentriere mich lieber auf andere Stellen des Rätsels, als immer wieder überlegen zu müssen, welche Zahlen an welcher Stelle eingetragen werden können.
Sehen das andere Leute, heißt es oft: “Hahaha, du bist so dumm. Du machst Randnotizen! Ich nicht! Ich brauche das nicht! Ich löse Rätsel immer ohne Randnotizen! Weil ich toll bin! Und intelligent! Intelligenter! Als du! Depp!” Diese Leute sind mit ein Grund, warum ich auf die Frage im ersten Absatz dieses Textes immer die dort genannte Antwort gebe. Es kommt mir so vor, als würden meine Rätselfeinde lediglich rätseln, um toll zu sein. Sie möchten Rätsel nicht nur lösen, sondern dabei auch noch wie die tollsten Menschen des Planeten wirken. Ich dagegen möchte mit meinen “Rätselkünsten” nicht angeben. Ich möchte mich damit beschäftigen und ablenken. Ich sitze gemütlich am Schreibtisch, auf dem Sofa oder liege im Bett und schalte rätselnd ab. Für wen? Nur für mich und niemanden sonst. Ja, ich bin stolz, wenn ich ein schweres Rätsel gelöst habe. Warum auch nicht? Aber muss ich das gleich jedem erzählen? Nein, das muss ich nicht.
Es ist wirklich traurig, dass Rätseln zu einem Angebersport mutiert ist. Natürlich sollte man einfach nicht auf diese Angeber eingehen. Aber man kann sich ja auch schlecht gegen sie wehren. Kaufe ich ein Rätselheft und werde dabei von einem Bekannten beobachtet, kommt sogleich ein “Uh, du rätselst, bist du gut? Du löst doch bestimmt nur die schweren Rätsel, oder?” zurück. Soll ich lügen? Oder selbst zum Angeber werden? Nein, niemals. Ich besitze Rätselehre. Erzählt mir jemand angeberisch von seinen Rätselmethoden, schmettere ich ihm ein “Du bist so toll.” in sein Gesicht und achte darauf, meinen Tonfall so verächtlich wie nur möglich erklingen zu lassen. Beim Verkünden der Wahrheit habe ich zum Glück, wie bei der Kontaktaufnahme, ebenfalls keine Berührungsängste. Sollte meine ausgesprochene Verachtung einmal zu Handgreiflichkeiten führen, greife ich einfach zu meinem angespitzten Bleistift, steche zu und radiere meinen Gegner aus. Ich mache keine Fehler.