Neulich fand ich mich auf dem Weg zu einem Möbelgeschäft wieder und ertappte mich dabei, mich eher auf die am Parkplatz ansässige Pommesbude zu freuen als auf die Möbel. Zu einem ordentlichen Möbelgeschäft oder Baumarkt gehört eine solche Bude dazu. Da führt kein Weg dran vorbei. Auch kein Weg vorbei führte an dem kleinen, blauen Auto, das auf einem Parkplatz stand und die Rückscheibe mit einem »FUCK YOU GRETA«-Sticker beklebt hatte. Sofort vergaß ich das leckere Würstchen, das an der Bude auf mich wartete, und dachte stattdessen an das arme Würstchen, das seinen tiefergelegten Sportwagen mit einem Aufkleber beklebt hat, der eine 16-Jährige beleidigt.
Kinder und Jugendliche sind unglaublich beängstigend. Sie hinterfragen alles. Sie geben sich selten mit platten Antworten zufrieden. Sie laufen noch nicht die festgetretenen Pfade entlang, die Erwachsene für sich durch den Gedankendschungel getreten und gehackt haben, um ungestört durchs Leben laufen zu können, ohne einen bedornten Ast ins Gesicht geklatscht zu bekommen, der einen daran erinnert, dass man nicht immer nur geradeaus laufen sollte. Dies kann einen beunruhigen. Vor allem, wenn man merkt, dass die jungen Wesen Recht haben.
Auf Fehler hingewiesen zu werden, ist unangenehm. Korrigiert zu werden ebenfalls. Und wenn einem plötzlich gezeigt wird, dass man die letzten Jahre über alles andere als gut gelebt (oder vielleicht auch ZU gut gelebt) hat, ist das ärgerlich. Aber all diese Emotionen sind kein Grund dafür, so emotional zu werden. Wer Frau Thunberg vorwirft, während ihrer Reden emotional zu sein, sollte sich keinen »FUCK YOU GRETA«-Sticker ins Fenster hängen. Beleidigungen sind nichts anderes als Emotionen. Wer nur noch auf Beleidigungen zurückgreifen kann, hat verloren. In jeder Diskussion. Ganz einfach. Der Sticker heißt nichts anderes als: »Du hast Recht. Aber das ist blöd. Ich bin alt und du bist jung und darum solltest du von mir lernen und nicht andersherum. Du hast ja noch keine Ahnung. Und keine Erfahrung.« Wer Probleme damit hat, Kinder und Jugendliche ernst zu nehmen, sollte sich selbst hinterfragen. Man kann ihnen natürlich viel beibringen. Aber das ist keine einseitige Beziehung. Man kann wahnsinnig viel von ihnen lernen. Und man sollte sich auch etwas von ihnen sagen lassen.
Der Sticker war kein einzelner Sticker. Eher war es ein Schriftzug, der aus einzelnen Buchstabenaufklebern bestand. Hier stellt sich mir sofort die Frage, ob der Kleber den Sticker fertig gekauft oder sich stattdessen Buchstabenaufkleber geholt und diese in penibler Feinarbeit auf die Scheibe geklebt hat. Ich hoffe auf Letzteres. Ersteres würde implizieren, dass es irgendwo Aufkleber zu kaufen gibt, die 16-Jährige beleidigen. Und dass irgendwo irgendjemand Geld damit verdient. Und dass irgendwo irgendjemandem eine solche Beleidigung tatsächlich Geld wert ist. Natürlich gibt es diese Aufkleber zu kaufen. Ich weiß, in welcher Zeit wir leben. Aber lasst mir die Zweifel. Sie fühlen sich gut an.
Hat der Kleber den Aufkleber selbst gebastelt, wäre das natürlich immer noch keine gute Sache. Aber trotzdem deutlich amüsanter: Ich stelle mir vor, wie er bei jedem einzelnen Buchstaben ein leises, fieses Lachen von sich gibt und sich gleichzeitig stark und lustig vorkommt. Vielleicht stellt er sich auch vor, Frau Thunberg mit jedem Buchstaben eine zu kleben. Welche Hingabe. Und welch Charakter.
Irgendwann konnte ich meine Gedanken zum Glück wieder vom armen auf das leckere Würstchen lenken. Es war auch lecker. Nach Möbeln habe ich natürlich auch geguckt. Jedoch sind diese beim Besuch eines Möbelhauses mit Pommesbude auf dem Parkplatz zweitrangig.
Auf dem Heimweg stand ein Kerl mit seinem Auto auf einem Supermarktparkplatz quer auf vier Parkplätzen. Hat ihn nicht interessiert. Es starrte auf sein Smartphone.
Ein paar hundert Meter weiter, schoss plötzlich ein Kerl rückwärts mit dem Auto aus einer Seitenstraße. Er war viel zu schnell für ein solches Manöver. Hätte ein Mensch hinter ihm den Bürgersteig benutzt, wäre er wohl dahin gewesen. Nicht der Bürgersteig. Der Mensch. Fahrradfahrer*innen hätte es vermutlich auch getroffen. Hat den Fahrer nicht interessiert. Er riss das Lenkrad herum, um möglichst cool und vor allem wieder vorwärts auf die Straße fahren zu können, auf die er eigentlich fahren wollte. Beim Schalten vom Rückwärts- in den Vorwärtsgang würgte er sein Auto ab und erschrak sich so sehr, dass er mit der Hand die Hupe berührte und betätigte. Es sah, dass ich ihn sah. Er machte eine Handbewegung, die mir zeigen sollte, dass es nicht seine Schuld war, sondern die des Autos. Natürlich war es seine Schuld gewesen. Dieses kleine Männchen dachte, es sei der König der Straße, war aber nichts weiter als das, was mir schon zuvor zweimal begegnet war: Ein armes Würstchen. Ich musste laut auflachen. Zu sehen, wie jemand seine eigene Unfähigkeit und Blödheit und Rücksichtslosigkeit mit einem Hupgeräusch untermalte, war köstlich. Fast so köstlich wie das zuvor verspeiste leckere Würstchen.
Der beschriebene Tag steckte voller Würstchen. Eines war lecker, der Rest egoistisch, von sich selbst überzeugt, ignorant, unsympathisch und beleidigend. Warum lässt man Kritik so sehr an sich rankommen? Warum interessiert es einen nicht, dass man stört? Warum kann man nicht einfach nur ganz normal Auto fahren? Und vor allem: Warum hält man sich selbst für etwas Besseres?
Ich weiß es nicht.
Ich schaue mir all das nur an.
Manchmal traurig. Manchmal lachend.
Und dann schreibe ich drüber.