Skatebird – Vier Wellensittiche ohne Skateboard

Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf der Internetseite WALL-JUMP. Ein Jahr nach der dortigen Veröffentlichung poste ich ihn auf spa-zone.de, damit er nicht irgendwann plötzlich verloren geht.

Skatebird - Vier Wellensittiche ohne Skateboard

Wenn ich in Skatebird einen Trick versaue, plumpst mein Wellensittich vom Brett, rollt reglos über den Boden und kommt irgendwann zum Stillstand. In diesem erstarrten Zustand erinnert er mich stets an den Morgen, an dem ich als Kind feststellen musste, dass mein Wellensittich Ricky über Nacht verstorben und von seiner Stange auf den Käfigboden gefallen war. Da lag er dann. Tot. Leicht auf die Seite gedreht. Ob er auf der Stange oder dem Boden gestorben ist, weiß ich nicht. Er starb ohne Skateboard.

Ricky ist recht alt gewesen. Eigentlich sind alle unsere Wellensittiche alt geworden. Wir haben uns immer gut um sie gekümmert. Sterben tun sie trotzdem irgendwann. Der Wellensittich in Skatebird sieht farblich nicht aus wie Ricky. Stattdessen sieht er aus wie unser erster Wellensittich Rocky.

Ich weiß noch, wie Rocky mein Leben betrat. Meine Schwester und ich standen im Flur und unterhielten uns mit unseren Eltern, die eine Überraschung vorbereitet hatten. Mitten im Gespräch ertönte plötzlich aus dem Zimmer meiner Schwester ein Pfiff. Wir zwei verstummten, starrten uns an, rannten in ihr Zimmer und standen Rocky gegenüber.

Anfangs hatte man uns übrigens gesagt, Rocky sei männlich, was jedoch nicht stimmte, aber das machte uns nichts aus. Rocky blieb Rocky. Sie war zutraulich und lieb und wir hatten viel Freude mit ihr. Bis sie im hohen Alter krank wurde.

Sagen wir vereinfacht, dass sie eine Geschwulst am After hatte. Ihr Kot fiel nicht mehr auf den Käfigboden, sondern sammelte sich in dieser Geschwulst. Ihre letzten Tage verbrachten wir beide zusammen im Badezimmer über dem Waschbecken. Mehrmals am Tag nahm ich sie von der Stange, hielt sie in der Hand, drückte die Geschwulst aus und reinigte sie. Meine Schwester war zu dieser Zeit für einige Tage verreist, weshalb ich mich alleine um Rocky kümmerte. Ich war noch sehr jung. Aber es war für mich selbstverständlich, sie zu pflegen.

Rocky wurde täglich schwächer und schwächer. Sie sah immer schlechter aus. Wir fuhren zur Tierärztin. Diese erklärte uns, dass das Leben des Wellensittichs nur noch aus Qualen bestand. Einschläfern. Sie würde sowieso nicht mehr lange überleben. Rocky lag halbtot in einem Schuhkarton, den wir mit Decken, Sand und Taschentüchern so bequem wie möglich eingerichtet hatten. Dieser Karton sollte ihr Sarg werden. Ich sprach noch ein wenig mir ihr, kraulte sie, verabschiedete mich und gab der Ärztin das Signal. Ich blieb im Raum. Ich wollte bis zur letzten Sekunde an Rockys Seite bleiben.

Die Spritze wirkte sofort. Rocky gab mit ihrem letzten Atemzug einen Laut von sich, den ich bis heute nicht vergessen habe. Einen leisen, sanften, ruhigen Pfeifton. Das Gegenteil von ihrem ersten, lauten Pfiff, mit dem sie sich uns damals vorgestellt hatte. Ich erinnere mich noch heute an beide Laute. Ankunft und Abfahrt. Ein neues Leben und dessen Ende. Beides habe ich miterlebt. Beides werde ich vermutlich nie vergessen.

Als ich in Skatebird zum ersten Mal einen Wellensittich spielte, kamen beide Laute wieder. Mitsamt unzähligen Erinnerungen. Erinnerungen an Rocky, Ricky, Meggie und Lennie. Vier Wellensittiche. Vier Geschichten. Vier Leben. Vier Tode.

Alle starben ohne Skateboard.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert