Nicht aufregen

Ich sitze in meiner Wohnung und werde nass. Ein kaputtes Dach hat nichts damit zu tun.Über mir befinden sich noch zwei weitere Wohnungen. Wenn mich nach einem Dachschaden das einströmende Wasser erreicht hat, dann muss hier schon einiges los sein. Und das ist es nicht. Hier ist gerade gar nichts los. Ich sitze einfach nur gemütlich am geöffneten Fenster, genieße die frische Luft (die mich von der unter meinem Wohlfühlausblick liegenden Hauptstraße aus erreicht) und schreibe diesen Text. Dass es regnet, ist mir egal. Ich mag Regen.

Warum nur ist ein Großteil der Menschheit Regen gegenüber so ablehnend eingestellt? Wenn es regnet, sind immer gleich alle am jammern und am stöhnen. Man greift zu Regenschirm und -jacke und rennt schmollend durch die Gegend. Wie gemein die Natur doch wieder zu einem ist. Man wird nass. Nass ist blöd. Selbst bei Nieselregen werden umgehend tragbare Schutzschilde aufgespannt.

Ich besitze keinen Regenschirm. Das hat zwei Gründe.

Erstens: Ich habe kein Problem damit, nass zu werden. Warum auch? Ich habe Kleidung zum Wechseln zu Hause. Meistens ist der Austausch von Kleidung nach dem Regen aber gar nicht nötig. Nach ein bisschen Geniesel hat sich zwar Wasser auf mir niedergelassen, dieses richtet sich aber nicht länger als dreißig Minuten bei mir ein. In dieser Zeit nehme ich meine zusätzliche Kleiderflüssigkeit hin und denke nicht weiter darüber nach. So gehe ich sowohl zu Hause als auch während Besuchen bei anderen Leuten vor.

Sollte ich aufgrund starken Regens mal richtig durchnässt und nicht zu Hause sein, so sitze ich diesen Umstand ebenfalls aus. Es ist nur Wasser. Das trocknet schon wieder. Sollte sich der Gastgeber um seine Möblierung oder den Teppichboden Sorgen machen, setze ich mich aber selbstverständlich auf eine Decke. Ich muss die Nässe nicht weitergeben.

Zweitens: Ich hasse es, Regenschirme in der Hand zu halten. Diese Dinger sind unglaublich unpraktisch. Zunächst einmal hat man eine Hand weniger frei als sonst. Ich brauche meine Hände, wenn ich unterwegs bin. Zum Beispiel um sie lässig in meine Hosentaschen zu stecken. Sie mit einem Regenabwehrmechanismus zu bestücken, kommt nicht in Frage. Außerdem muss man bei Windstößen aufpassen, dass sie einem nicht aus der Hand geweht werden. Schon mal bei starkem Regen zwischen zwei Hochhäusern durchmarschiert? Auf diesen Kampf kann ich gerne verzichten. Da werde ich lieber nass.

Was ich auch nicht mag: Kleine Menschen mit Regenschirmen, die sich ihrer geringen Größe und der davon ausgehenden Gefahr nicht bewusst sind. Wenn Regenschirmränder mit mir auf Augenhöhe stehen, wechsle ich gerne mal die Straßenseite. Oder weiche auf die Fahrbahn aus. Auf einer Hauptstraße fühle ich mich sicherer als einem kleinen Menschen mit Regenschirm entgegenzugehen. Wie oft stand ich kurz davor, ein Auge zu verlieren, nur weil ein ignoranter Zwerg in der Schule gefehlt hatte, als Aufmerksamkeit gelehrt wurde?

Nein. Regenschirme kommen mir nicht in die Hand. Und die Welt wäre ohne sie sicherer. Im Herbst über die Frankfurter Zeil zu schlendern kommt einem Spießrutenlauf gleich. Warum? Wegen all den Menschen, die sich aufgrund eventuell eintretender Regenschauer mit Schirmen bewaffnet haben, diese nun in der Hand halten und ihren Armbewegungen beim Gehen angepasst mitschwingen lassen. Der Herbst ist für mich die Jahreszeit, in der ich stets Angst um meine Zeugungskraft habe, wenn ich draußen unterwegs bin.

Aber das alles erklärt nicht, warum ich Regen mag. Ich will ehrlich sein: Eine Erklärung kann ich dafür gar nicht geben. Ich mag es einfach, nass zu werden. Mal ein Beispiel: Vor einiger Zeit saß ich in der U-Bahn. Als die Bahn irgendwann an der Oberfläche fuhr, bemerkte ich, dass es draußen regnete. Und zwar richtig. Ich stand auf, verließ die Bahn und ging den Rest der Strecke nach Hause (geschätzte 20 Minuten lang) zu Fuß. Als ich zu Hause war, war ich vollkommen durchnässt. Von oben bis unten. Hätte man mich ausgewrungen, wäre am Ende vermutlich so viel Wasser meiner Kleidung entwichen, dass ich mich eine Woche lang davon hätte ernähren können. Ich ging schnurstracks ins Badezimmer, zog mich aus, stellte mich unter die Dusche und war am Ende erholt und glücklich. Dieser Moment beschreibt vermutlich am besten, wie sehr ich Regen mag.

Selbstverständlich renne ich jetzt nicht sofort auf die Straße, wenn es regnet. So schlimm ist es dann auch wieder nicht. Ich nehme Regen einfach hin. Und manchmal kommt der Moment, an dem ich ihn richtig genieße. Gehe ich durch die Stadt und es nieselt, dann freue ich mich. Ich sehe all die Menschen, die sich an Geschäftswänden herumdrücken und den Tropfen ausweichen. Ich gehe währenddessen weit von Unterständen entfernt meines Weges und freue mich darüber, mehr Platz zu haben als an warmen Sommertagen.

Zuletzt möchte ich noch darauf hinweisen, dass ich Brillenträger bin. Diese hört man nämlich häufig über Regen klagen, schließlich setzt sich dieser auf die Gläser und behindert die Sicht. Das stört mich auch nicht. Weil ich Kappenträger bin. Ohne meine Kappe gehe ich nur in Ausnahmesituationen aus dem Haus. Und dann gibt es da noch etwas anderes: Manchmal ist es ganz angenehm, nicht alles sehen zu können, wenn man in der Stadt ist. Meiner Meinung nach ist die Welt da draußen sowieso viel zu überladen. Hier hin und wieder einen Filter aus Regentropfen drüber zu legen, kann auch mal ganz angenehm sein.

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