Ni No Kuni – Sprachlos – #1

Ni No Kuni - Sprachlos - #1

19:59:02

Ist es Zufall, dass ich gerade jetzt auf die Uhr gucke?

19:59:16

Ich glaube nicht.

19:59:27

Nein, das ist kein Zufall. Genau 20 Stunden. Wäre doch ein passender Moment, aufzuhören.

19:59:45

Es gibt hierfür keinen passenden Moment.

19:59:51

20:00:00

20:00:11

Ich stehe zum ersten Mal vor den Toren der Stadt Laguna. Wenn ich noch zwei Pixel vorwärts gehe, betrete ich sie… vielleicht sollte ich nur einen kleinen Blick riskieren.

20:00:28

Ich drücke auf den “Start”-Knopf und speichere ab. Ohne weiter darüber nachzudenken, schalte ich die Konsole aus. Es ist 05:12 Uhr. Ostermontag ist seit über fünf Stunden vorbei. Ostern. Gehört das diesjährige Osterfest zu den schönsten, die ich in meinem Leben hatte? Wenn ich jetzt mit “Ja.” antworte, denken sich bestimmt wieder ein paar Leute ihren Teil. Sollen sie doch. Ja. Es war ein wundervolles Osterfest. Ich glaube, dass ich mich noch lange Zeit an diese zwei Tage meines Lebens erinnern werde. Zwei Tage. Zwei Tage? Das können keine zwei Tage gewesen sein. Oder doch? Doch. Das waren zwei Tage.

Ich kaufe mir zu Ostern oder Weihnachten gerne ein sogenanntes “Feiertagsspiel”. Feiertage sind toll. Nichts hat auf, niemand will arbeiten, niemand muss arbeiten. Außer ein paar Kirchenmenschen natürlich. Aber die machen das ja freiwillig. Egal, lasst uns hier nicht mit solchen Dingen anfangen.

Weihnachten ist bei mir nun schon seit ein paar Jahren Wrestlingzeit. Letztes Jahr lag “WWE 13” unter dem Weihnachtsbaum. Das Jahr davor war es dessen Vorgänger. Einmal war es “Civilization V”. Ja, ich weiß, kein Wrestling. War trotzdem gut. Man lässt sich jedenfalls an Feiertagen ein Spiel schenken, auf das man sich dann tagelang richtig freuen kann. Am Ende packt man es aus und gibt sich ihm ein paar Tage lang voll und ganz hin. Ja, ich kann mich Wrestlingspielen hingeben. Lasst mich in Ruhe.

Letztes Jahr zu Ostern schlüpften ein paar Plastikfiguren aus den bemalten Haseneiern. Die Skylanders übernahmen mein Leben. Dieses Jahr hatte ich “Ni No Kuni” dazu auserkoren, mein Osterspiel zu werden. Ich muss zugeben, dass ich kurz überlegt hatte, es nicht zu tun. Momentan sitze ich an ein paar anderen Spielen, die ich unbedingt beenden will und auch werde. Ich hatte darüber nachgedacht, die Feiertage genau dafür zu nutzen. Aber irgendwie wollte ich den Plan nicht umsetzen. Ich wollte “Ni No Kuni” spielen. Unbedingt. Und es als Feiertagsspiel zu kaufen, sich ein paar Tage lang auf es freuen und sich dann darauf stürzen? All das klang zu verlockend. So schlug ich zu.

Hier zu Hause wird kein Ostern gefeiert. Mangels Glauben an irgendwelche höheren Wesen bedeutet Ostern bei uns: Nichts tun, außer sich unterhalten lassen. Darum gibt es hier auch keine ausgeblasenen und bemalten Hasen. Oder was auch immer man sonst noch so alles zu Ostern ausbläst und bemalt. Darum wurde “Ni No Kuni” auch abseits aller Feierlichkeiten um Punkt 00:00 Uhr am Ostersonntag ausgepackt. Ins Bett ging ich erst gegen fünf Uhr. Wie, weiß ich nicht mehr.

Lasst mich kurz über meinen normalen Tagesablauf reden: Ich stehe auf. Bevor ich das Bad betrete, schalte ich meinen PC im Arbeitszimmer ein. Dann gehe ich ins Bad und mache mich fertig. Während dieser Zeit fährt der Rechner hoch. Danach setze ich mich vor ihn und mache, was ich eben so mache. Bücher schreiben, Texte schreiben, Comics zeichnen, an Internetseiten arbeiten und so weiter. Selbst, wenn ich mal einen ganzen Tag lang nicht arbeite, schalte ich morgens meinen Rechner an. Meistens sogar wenn Besuch da ist. Das Ding läuft, bis ich ins Bett gehe. Jeden Tag. Das Ausschalten funktioniert wie das Einschalten. Nur andersrum. Runterfahren, Bad, Stromleiste aus, Bett.

Ostersonntag? Da war mein Rechner aus. Ich habe das Arbeitszimmer lediglich hin und wieder betreten, um meiner Frau zu sagen, dass ich noch lebe. Ostermontag? Genauso. Der Rechner blieb aus. Warum? Ganz einfach: Aufstehen, PS3 einschalten, Bad, Ni No Kuni starten. Ich versackte zwei Tage lang gleichzeitig in einem Sitzsack und in einem Videospiel.

Ich schreibe hier gerade über meinen Alltag, weil es mir unglaublich schwer fällt, Worte zu finden. Das geschieht mir sehr, sehr selten. Normalerweise fallen mir die passenden Worte kurz nach Schreibbeginn ohne Probleme zu machen zwischen die Tasten meiner Tastatur und warten dann darauf, durch das richtige Betätigen der Knöpfe aktiviert zu werden. Aber es gibt da diese eine, kleine Ausnahme. Diese tritt immer dann ein, wenn ich von einem Videospiel so richtig in seinen Bann gezogen werde. Das letzte Mal geschah dies bei “Asura´s Wrath”. Ich kann in diesen Momenten buchstäblich nicht beschreiben, was in mir vorgeht. Ich finde keine passenden Worte. Ich weiß nur, dass ich gerade einen unglaublich schönen Moment durchlebe.

Während der ersten zwanzig Stunden, die ich in der Welt von “Ni No Kuni” verbracht habe, wurde ich Zeuge vieler schöner Momente. Ein kleiner Junge erlebt einen Schicksalsschlag, an dem er in seinen Augen selbst schuld ist. Dann wird er in eine fremde Welt gezogen. Sein einziger Unterstützer ist sein lebendig gewordenes Stofftier. Voller Furcht begegnet er den ersten Gefahren auf seinem Weg. Er wächst an ihnen. Plötzlich hat er endlich wieder ein Ziel vor Augen. Ein kleines Monster stellt für ihn irgendwann keine Gefahr mehr da. Nein, er sucht die Herausforderung. Er stellt sich nach einiger Zeit einem ausbrechenden Vulkan entgegen, um eine ganze Stadt zu retten. Eine Stadt, in der er sich zuvor mit jedem Bewohner unterhalten hat. Wo ihm jeder etwas zu erzählen hatte. Wo er die von einem bösen Magier gebrochenen Herzen einiger Bewohner geheilt hat. Wo er Missionen angenommen hat. Wo er auf die Jagd ging.

“Ni No Kuni” begeistert im Detail. Im großen Detail. Die Welt, die ich bisher bereisen durfte, ist in sich stimmig und funktioniert. Überall gibt es etwas zu entdecken. Und überall trifft man auf sympathische Personen mit kleinen Geschichten. In der Stadt Katzbuckel hat ein kleines Katzenmädchen einen Ohrring verloren. Eine Mutter ist auf der Suche nach ihren drei Söhnen. Ein Mann macht sich Sorgen um seine plötzlich vollkommen demotivierte Frau. Ich höre mir die Probleme an und helfe wo ich kann. Wenn ich davon rede, dass mich ein Spiel in seinen Bann zieht, dann meine ich damit, dass mir die Spielmechanik plötzlich vollkommen egal ist. Ich will helfen, weil ich die Charaktere im Spiel glücklich machen will.

Ni No Kuni – Sprachlos – #1

Vor allem will ich so viel sehen wie möglich. Die Liebe zum Detail ist es, die mich so fasziniert. Das Buch, der sogenannte magische Begleiter, stellt die schönste Lektüre dar, die ich bisher in einem Videospiel sehen durfte. Wie viel Zeit ich bisher in ihm verbracht habe? Ich weiß es nicht. Aber wann blättert man schon mal durch ein Videospielbuch, um wirklich darin zu lesen? Ich blättere Seite für Seite um und erfreue mich an den Geschichten, den Beschreibungen, den Bildern und den Details.

Und dann sind da noch die Monster. Blüterich, Döskappe, Quellefant, Garstiger, Butzemann, Määähdrescher… Diese kleinen, sympathischen Racker, die alles daran setzen, einen umzubringen. Sie passen perfekt in “Ni No Kunis” Welt. Sie erinnern mich an die Monster, die ich schon in den “Dragon Quest”-Spielen so geliebt habe. Als Stofftier würde man sie nicht mehr hergeben wollen, hier muss man ihnen jedoch das Gesicht einschlagen, anzünden und vereisen. Fühlt man sich schlecht dabei? Ein wenig. Aber das hält nicht lange. Irgendwie zaubern sie einem trotz all der Kämpfe ein Lächeln ins Gesicht.

Ab einer Stelle im Spiel bekommt man dann die Möglichkeit, genau diese Monster zu fangen, um sie als Vertraute für einen kämpfen zu lassen. Hier war es dann um mich geschehen. Ich reiste zurück in die Startregion, öffnete das Monsterlexikon und beschloss, jedes Monster zu fangen, das es in dieser Welt zu fangen gibt. Ich fing die Monster der ersten Region. Dann die der nächsten. Dann die der nächsten. Dann die der nächsten. Bis ich wieder in der Wüste angekommen war, in der ich mir mein Fangziel ursprünglich gesetzt hatte.

Nach zwanzig Stunden stehe ich also vor den Toren der Stadt Laguna. Der Weg hierhin war lang, nicht weit. In neuen Regionen renne ich so lange auf und ab, bis ich jedes Monster gefangen habe, das mir hier über den Weg läuft. Durch diese Spielweise hat Oliver bereits einen beeindruckenden Level erreicht. Außerdem habe ich viele meiner Vertrauten in die nächsthöheren Entwicklungsstufen gebracht. Die Kämpfe werden nicht langweilig. Immer erwarte ich gespannt die nach einem Sieg über ein Monster eventuell auftauchenden Herzen, die mir zeigen, dass dieses Monster nun gefangen werden kann. Ist es soweit, freue ich mich. Dann ziehe ich weiter. Entweder in Richtung nächstes Monster oder in Richtung Stadt. Neue Missionen müssen erfüllt, neue Belohnungen abgeholt, neue Gespräche geführt, neue Herzen geheilt und Informationen studiert werden.

Ich habe “Ni No Kuni” noch lange nicht beendet. Ich weiß nicht, wann ich das Spiel hinter mir lassen werde. Momentan ist es aber das Spiel, auf das ich als Spieler immer wieder hoffe. Der Glückstreffer, der einem zeigt, warum man gerne spielt. Bei “Ni No Kuni” geht mir das Herz auf. Es ist, als hätte es mein gebrochenes Herz mit Euphorie gefüllt. So wie es Oliver immer wieder während seiner Reise bei seinen Mitmenschen und Mittieren macht. Ich sagte es bereits an anderer Stelle: “Ni No Kuni” ist kein Spiel, sondern ein Abenteuer. Und trotz all der Stunden, die ich bisher in ihm verbracht habe, fühle ich mich, als wäre ich gerade erst am Anfang. Ob ich am Ende vielleicht endlich die passenden Worte finde?

Ni No Kuni - Sprachlos - #1

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