Genürsel 2013 – 24/52 – Erforschung

Genürsel 2013 - 24/52 - Erforschung

Als Kind widmete ich einen großen Teil meiner Freizeit der Erforschung des Unbekannten. Ich besaß einen Haufen Bücher und Zeitschriften, die sich mit paranormalen Phänomenen beschäftigten und las sie immer und immer wieder. Unvergessen bleibt die warme Sommernacht, in der ich zum ersten Mal von “spontaner Selbstentzündung” las und mehrere Stunden lang wach blieb, weil mir so warm war und ich Angst davor hatte, plötzlich in Flammen zu stehen. Tipp: Lest Berichte zu diesem Thema im Winter und sitzt dabei nicht vor einer Heizung oder einem Kamin. Ganz besonders nicht vor einem Kamin!

Den Höhepunkt meiner paranormalen Lebenszeit bildete die Gründung eines UFO-Clubs. Ich glaube, dass jedes Kind irgendwann in seinem Leben mindestens einmal mit irgendeinem Freund einen Club zu was auch immer für ein Thema gegründet hat. Bei mir war das eben ein UFO-Club. Mein Freund und ich bastelten uns tolle Ausweise und wollten von nun an Aliens jagen. Unser Plan: In unserer Heimatstadt von Tür zu Tür marschieren und fragen, ob die anwesenden Personen Kontakt zu Außerirdischen pflegten. Oder wenigstens schon einmal welche gesehen hatten. Wir wollten Akten über die angesprochenen Personen führen und ich vermute einfach mal, dass wir sie X-Akten genannt hätten. Leider weiß ich das nicht mehr so genau.

Wie es sich für Kinderideen dieser Art gehört, setzten wir sie nie in die Tat um. Bei Fremden klingeln? Wir durften doch noch nicht einmal Süßigkeiten von Fremden annehmen. Außerdem bestand immer noch nie Möglichkeit, dass jemand wirklich in Kontakt zu Außerirdischen stand. Und dann? Ein paar Kleinkinder jagen Außerirdischen hinterher? Ich kann mir das lebhaft vorstellen: Mit Spielzeugpistolen stürmen wir ein im Hinterhof eines älteren Herren gelandetes UFO und werden von den Außerirdischen mit offenen Armen empfangen, mitgenommen und von Kopf bis Fuß gehörig untersucht. Im Nachhinein bin ich wirklich froh, dass mein Freund und ich es uns damals anders überlegten und nach dem UFO-Club einen Detektiv-Club gründeten.

Wir nannten uns damals “Die zwei Fragezeichen”. Tja. Ich glaube, dass ich heutzutage so kreativ bin, weil ich im Kindesalter sparsam mit meiner Kreativität umgegangen bin. Aber lasst uns hier nicht über Namen reden, schließlich gründeten wir den Detektiv-Club, weil wir bereits einer heißen Sache auf der Spur waren. Auf einem kleinen Parkplatz stand ein Auto. Seit langer, langer Zeit. Mein Freund hatte beobachtet, wie jemand hin und wieder das Auto aufschloss, etwas darin ablegte oder aus ihm herausholte und es dann wieder zurückließ. Mysteriös! Ein Fall für die zwei Fragezeichen! An dieser Stelle darf gerne eine beliebige Titelmelodie irgendeiner Kinderdetektivserie abgespielt werden. Wegen der Atmosphäre und Authentizität.

Eines Tages gingen wir also zu besagtem Auto und schlichen um es herum. Nein, wir schlichen natürlich nicht. Wir gingen ganz normal und total auffällig (auf dem Parkplatz war kaum etwas los) auf und ab. Dabei notierten wir wichtige Detektivdinge wie das Nummernschild, die Automarke und die Farbe des Fahrzeugs. Als wir uns die Reifen ansahen, stießen wir auf etwas Unglaubliches: Das Auto hatte jeweils zwei Reifen unterschiedlicher Hersteller. In unserer Fallakte sah das etwa so aus:

Vorne links: Hersteller A.
Vorne rechts: Hersteller B.
Hinten links: Hersteller B.
Hinten rechts: Hersteller A.

Wir fertigten eine Zeichnung an, die das Auto von oben zeigte. Das heißt, dass wir ein Rechteck zeichneten. Wir konnten keine Autos malen. Das ist ganz schön schwer! Fragt andere Leute, die keine Autos zeichnen können und sie werden ähnliches sagen. Wir beschrifteten die Ecken des Rechteckes mit den oben notierten Fakten und stellten erschrocken fest: Verbindet man die beiden Reifen des Herstellers A und dann die beiden Reifen des Herstellers B mit einer Linie, schneiden sich diese Linien in der Mitte des Rechtecks. Das war ein Zeichen! In der Mitte des Autos wurde etwas verborgen und die Reifen zeigten denen, die davon wussten, die Stelle des Verstecks. Ich bin heute noch von unserer Kombinationsgabe beeindruckt.

Als wir uns dann ein paar Tage später die logisch erschlossene Stelle des Verstecks ansehen wollten, rief mich jedoch mein Freund an. Das Auto war weg. Der Besitzer war mit ihm weggefahren. Wegen uns? Hatte man uns beobachtet? Hatte man erkannt, dass da ein paar Kinder auf der Spur einer heißen Sache waren? Vermutlich nicht. Vermutlich hat da einfach nur einer mit seinem Auto das gemacht, wofür er es gekauft hatte: Es war mit ihm weggefahren. Wohin? Keine Ahnung.

Letztendlich hatte sich das mit dem Detektiv-Klub an dieser Stelle schon wieder erledigt. Wir beschlossen stattdessen, in der Böschung neben dem Parkplatz, auf dem zuvor das mysteriöse Auto gestanden hatte, ein Baumhaus zu bauen, was so absurd war, dass schon am ersten Tag unserer Arbeiten die Nachbarschaft in Form eines wütenden alten Mannes vor uns stand und sich über das stundenlange Gehämmer beschwerte. Darum stellten wir die Baumaßnahmen ein, griffen zu Spielzeugpistolen, füllten sie mit Knallmunition und gründeten einen “Wir erschießen uns weil es Spaß macht.”-Club. Das Geknalle der Platzpatronen schreckte den Nachbarshund auf, wodurch er in Panik geriet und wegrannte. Nach einer langen Suchaktion hatten sie ihn zum Glück wiedergefunden. Unser Schieß-Club hatte sich unterdessen aufgelöst. Wir trauerten ihm nicht hinterher, schließlich waren wir schon längst auf der Suche nach neuen Unterhaltungsmöglichkeiten und dachten über die Erforschung von Zigarettenpackungen nach.

Genürsel 2013 - 24/52 - Erforschung

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