Genürsel 2013 – 23/52 – Turtles

Genürsel 2013 - 23/52 - Turtles

Um eines von vornherein klarzustellen: Die einzig richtige Reihenfolge bei der Namensnennung der Turtles lautet: Leonardo, Donatello, Raphael und Michelangelo. Warum? Weil sie so in den Hörspielen vorgestellt werden. Jedes Mal. Und wenn ich die Hörspiele schon anspreche, so möchte ich unbedingt noch betonen, wie merkwürdig deren Titelmelodie klingt. Vor allem im Vergleich zum Ohrwurm der Fernsehserie.

Aber hier soll es gar nicht um die vier oben genannten Turtles gehen, sondern um den fünften Turtle, der leider niemals in der Serie, den Filmen, den Hörspielen oder den Comics auftauchte: Mich. Ich gehörte damals zu den Kindern, die, wenn sie alleine in ihrem Zimmer waren, Dinge nachspielten, die sie mochten. Und wenn ich als Kind eine Sache mochte, dann waren das die Turtles.

Mein Lieblingsturtle ist schon immer Donatello gewesen. Um in seine Rolle schlüpfen zu können, benötigte ich einen Stab. Einen Bo, um genau zu sein. Mein Bo war natürlich kein richtiger Bo, sondern ein Holzstab, den ich eines Tages von meinem Vater ausgehändigt bekam, als ich ihm sagte, ich würde einen benötigen, um Turtles zu spielen. Ja, meine Eltern händigten mir einen Holzstab aus, um Turtles zu spielen. Sie vertrauten mir, dass ich damit nur in meinem Zimmer spielen und nicht auf andere Kinder losgehen würde. Ich hatte auch gar nicht vor, mit dem Stab gemeine Dinge anzustellen. Zum einen würde ich mich als ziemlich liebes Kind bezeichnen, zum anderen spielte ich verdammt noch mal Turtles! Turtles halfen andere Menschen und schlugen sie nicht zusammen.

Nun wäre es natürlich ziemlich langweilig gewesen, mit einem Stab durch mein Kinderzimmer zu rennen und die Luft zu verprügeln. Ich brauchte Gegner. Gut, dass ich zwei große Kissen auf meinem Bett liegen hatte. Wie man diese Kissen nennt, weiß ich nicht. Ich nenne sie einfach mal Anlehnkissen. Stellt euch vor, man nimmt ein Sofa und entfernt die Rückenlehne. Nun kauft man Kissen, die man auf das Sofa und an die Wand legt. Dadurch hat man wieder eine Rückenlehne. Diese ein Meter großen Kissen waren mit festem Schaumstoff gefüllt und konnten aufrecht stehen. Im Kindesalter gingen sie mir etwa bis zum Hals. Eine perfekte Größe, um als Fußsoldaten herzuhalten.

Zur Perfektion fehlte noch ein kleines Detail: Die Kissen hatten keinen Kopf. Wieso gerade ein Kopf so wichtig war? Ich schlug auf Kissen ein. Die sahen nun wirklich nicht wie Fußsoldaten aus. Warum benötigten die einen Kopf? Ganz einfach: Fußsoldaten waren Roboter. In den Comics explodierten sie immer, wenn die Turtles auf sie einschlugen und oft blieb nur noch der Kopf zurück. Oder die Turtles schlugen ihnen die Köpfe vom Körper und schalteten ihre Gegner so aus. Das wollte ich auch. Meine Kissen benötigten Köpfe zum Abschlagen. Gut, dass ich Marienkäferkissen hatte.

Bei den Marienkäferkissen handelte es sich um Kissen, die aussahen wie Marienkäfer. Dass ich mir diesen Satz hätte sparen können, weiß ich selbst. Aber ich wollte vermeiden, dass jemand nicht mitkommt. Zum Beispiel die Leute, die Turtles nach meiner Kopfabhackbeschreibung plötzlich als Jugendgefährdend bezeichnen möchten. Jedenfalls hatte ich zwei Anlehnkissen und zufälligerweise auch zwei Marienkäferkissen. Für jedes Kissen einen Kopf. Meine zwei Gegner waren fertig.

Zuletzt musste ich noch meinen eigenen Körper den Gegebenheiten anpassen. Ich verzichtete auf Muskeltraining und steckte mir stattdessen lieber ein Kissen unter mein T-Shirt (ich hatte offenbar viele Kissen). Natürlich am Rücken. Dies war mein Schildkrötenpanzer. Damit ich diesen während meinen actionreichen Kämpfen nicht verlor, fixierte ich ihn mit Hilfe eines Gürtels. Da die Turtles sowieso Gürtel trugen, war das nicht weiter problematisch. Ich steckte meinen Bo in den Gürtel und war fertig.

Was genau ich spielte, ist unterschiedlich. Mal erfand ich eigene Geschichten. April wurde gefangengenommen und darum musste ich kämpfen. Ich stellte die Kissen auf, bestückte sie mit Köpfen und schlug auf sie ein. Mal schlug ich ihnen die Köpfe ab, dann schlug ich so feste gegen die Körper, dass nur diese wegflogen und die Köpfe (gefühlt) ein paar Sekunden lang in der Luft schwebten. Ich sprang gegen die Kissen, schleuderte sie durchs Zimmer, warf mich auf sie und landete mit ihnen auf dem Bett, sprang vom Bett auf sie hinunter und so weiter. Insgesamt war das körperlich schon ziemlich anstrengend. Aber es machte Spaß.

Manchmal spielte ich aber auch bestimmte Szenen aus den Hörspielen nach. Ich ließ die Kassette laufen und tat so, als sei ich Donatello. Ich sprach seine Zeilen mit (die konnte ich mit der Zeit auswendig), lief dabei durch mein Zimmer und immer, wenn es zu Schlägereien kam, flogen Marienkäfer durch die Gegend. Es war wie eine kleine Theateraufführung.

An anderen Tagen blätterte ich durch die Comics und sah mir die Bewegungen an, die Donatello während seinen Kämpfen ausführte. In einem Panel hielt er zum Beispiel seinen Bo in beiden Händen und schlug mit einer Aufwärtsbewegung einem seiner Gegner den Roboterschädel vom Körper, während er einen coolen Spruch von sich gab. Nun verbrachte ich einige Zeit damit, dieses eine Panel zu imitieren. Ich stellte das Kissen mit Käferkopf vor mich, nahm meinen Stab wie Donatello in die Hände, führte die gleiche Bewegung aus und ließ den gleichen Spruch erklingen. Ich war in diesen Momenten Donatello. Ich war ein Turtle.

Während ich diese Zeilen aufschreibe, muss ich grinsen. Ich denke gerne an diese Zeit zurück. Man kann das Ganze natürlich auf den “aggressiven” Teil reduzieren. Ich schlug auf Feinde ein und ihnen den Kopf ab. Aber ich selbst denke viel lieber daran, auf was für Detail ich achtete und wie ich in die Rollen eintauchte. Ich wurde zu einem Turtle und es war toll.

Was auch beeindruckend war: Hin und wieder schlug ich einem Fußsoldaten so heftig seinen Marienkäfer von den Schultern, dass dieser mit voller Wucht gegen die Schreibtischlampe knallte und diese mit lautem Getöse von Schreibtisch fegte. In diesen Momenten schaffte ich es innerhalb weniger Sekunden, alle Kissen in ihre ursprüngliche Position auf mein Bett zu legen, Gürtel und Bo im Schrank zu verstecken, die Lampe zurück auf den Schreibtisch zu stellen und mich selbst mit dem Gameboy auf das Bett zu legen. Wenn meine Eltern dann ins Zimmer kamen, um nachzufragen, was los sei, tat ich unschuldig und antwortete mit: “Nichts.” Natürlich glaubten sie mir nicht. Aber sie ließen mich in Ruhe. Und bevor jemand fragt, was ich auf meinem Gameboy spielte: “Teenage Mutant Hero Turtles: Fall of the Foot Clan” natürlich. Meistens als Donatello.

Genürsel 2013 - 23/52 - Turtles

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