Dragon Age: Origins: Awakening – Böses Erwachen

Dieser Text erschien vor genau einem Jahr auf polyneux.de. Ein Jahr später veröffentliche ich ihn nun auf dieser Seite.

Dragon Age: Origins: Awakening - Böses Erwachen

Ich liebe Rüstungen. Ganz besonders in Fantasyspielen. Ich weiß nicht genau, was ich an der Kleidung eines Spielcharakters so mag, doch nichts motiviert mich mehr, als nach zig Spielstunden meinem Charakter die in ihn gesteckte Arbeit ansehen zu können. Bevor ich weiter davon rede, etwas in virtuelle Charaktere reinzustecken und Gefahr laufe, in eine Richtung abzudriften, die eher in düsteren Videotheksecken von genauso düsteren Mitarbeitern angeboten werden sollte, möchte ich etwas spezieller werden: Dick muss sie sein. Nein, das hat jetzt auch nicht wirklich geholfen.

Was ich überhaupt nicht mag, sind Magier. Das hat folgenden Grund: Stoffkleider. Nein Danke. Wenn ich ein Rollenspiel spiele, dann spiele ich mich. Also natürlich im übertragenen Sinne. Aber ich verhalte mich so wie in der Realität. Beziehungsweise stelle ich mir immer die Frage: “Wie würdest du reagieren?” Ich schlage weder den guten, noch den bösen Weg ein. Wenn mir mein Gegenüber unsympathisch ist, dann lasse ich auch mal einen beleidigenden Spruch los. Wie im echten Leben. Darum habe ich auch keine Freunde. Was aber viel wichtiger ist: Ich trage keine Stoffkleider.

Damit ich mich in einen Charakter hineinversetzen kann, muss das Äußere stimmen. Und würde ich heute in eine Zeitmaschine steigen und in die Vergangenheit reisen (Die Vergangenheit mit Drachen, Magiern und Monstern, die uns die Geschichtsbücher verheimlichen.), so wäre ich ein Ritter. Ich liebe es, schreiend auf meine Feinde zuzurennen und sie mit meinem Schwert oder meiner Axt zu zerstückeln. Ich pfeife auf Beweglichkeit. Warum sollte ich denn bitte ausweichen, wenn meine Rüstung so viel wiegt wie ein Kleinlaster und ich die Schläge von Standardgegnern gar nicht mehr spüre? Ich lache über Magier in ihren Röckchen. Ich lache über Bogenschützen und Assassinen mit ihrer Oktoberfestbekleidung. Wer zieht denn bitte mit Stoff- oder Lederhosen in den Krieg? Nein, ich nicht. Ich will, dass mein Charakter am Ende des Spiels aussieht wie ein Superheld. Magnetmann nach dem Kampf gegen seinen Erzfeind Dr. Konserve. Oder so.

Ein schönes Beispiel für meine Rüstungsliebe ist das Spiel “Dragon Age: Origins”, das bereits vor einiger Zeit veröffentlicht wurde. Ich habe es wahrlich genossen. Warum? Zum Teil wegen der Handlung. Aber auch wegen der Charakterentwicklung. Jede Rüstung hat mein Aussehen verändert und eine bessere Rüstung hinterließ in der Regel auch mehr Eindruck bei meinen Gegnern. Was mich zudem motiviert hat: Hinter einigen Rüstungsteilen steckte eine Geschichte. So bekämpft man an einer Stelle im Spiel zum Beispiel einen von den Toten auferstandenen Ritter. Besiegt man ihn, bekommt man seine Rüstung. Diese ist einzigartig und nur hier zu bekommen. Ich fand es wahnsinnig spannend, hin und wieder in meiner Rüstungssammlung zu wühlen und sich daran zu erinnern, wie ich an diese edlen Stücke gekommen bin. Mein Aussehen hat eine richtige Geschichte erzählt.

Irgendwann hatte ich “Dragon Age: Origins” durch, stellte mich vor einen Spiegel und grinste. Ich lege normalerweise nicht viel Wert auf mein Äußeres aber der Gedanke “Mann, siehst du geil aus.” ließ sich einfach nicht vermeiden. Man sah mir die 60 Stunden an, die ich in der Welt von “Dragon Age” verbracht hatte. Und das machte mich stolz.

Dann wurde die Erweiterung zu “Dragon Age: Origins” angekündigt. “Dragon Age: Awakening”. Die Handlung knüpfte direkt an “Origins” an, präsentierte dem Spieler jedoch ein “Was wäre wenn”-Szenario, in dem es ein bestimmtes Ende voraussetzte. Das fand ich nicht sehr gelungen, dennoch konnte ich verstehen, warum man sich für diesen Schritt entschieden hatte. Aber wisst ihr was? Darum soll es hier gar nicht gehen. Hier dreht sich alles um Mode. Und mein Modeherz machte Luftsprünge als ich erfuhr, dass man seinen alten Charakter importieren konnte. Mitsamt Ausrüstung. Das Spiel wurde gekauft, installiert und gestartet.

Zehn Stunden später stand ich vor einem Höhleneingang und ließ die Kamera um mich kreisen. Ich hatte diverse neue Rüstungsteile gefunden und war einfach glücklich. Mit diesem Gedanken betrat ich die Höhle und löste eine Zwischensequenz aus. Ich und meine drei Gefolgsleute (Ich bin der Held, darum nenne ich mich auch zuerst!) wurden von einem komischen Vieh betäubt und gefangengenommen. Einfach so.

Ich erwachte in einer Gefängniszelle. Nackt. Natürlich nicht ganz. Man ließ mir meine Unterwäsche. Eine kurze Geruchsprobe verriet mir auch, wieso sich dieser niemand bemächtigt hatte. Aber so ist das eben, wenn man umgeben ist von Metall. Die Luft zirkuliert nicht mehr richtig und es wäre eine stundenlange Schinderei, die Rüstung aus- und wieder anzuziehen. Und das nur, um die Unterwäsche zu wechseln? Nein, danke. Ich hatte mich unter meinem Helm schon an den Geruch gewöhnt.

Jedenfalls war ich tierisch sauer. Man hatte mir meine Rüstung geklaut. Meine Rüstung! Mein Ein und Alles! Ich hätte es verkraftet, wenn man einen meiner Kollegen getötet hätte. Aber meine Rüstung klauen? Wer auch immer dafür verantwortlich war, würde schon bald meine Rache zu spüren bekommen. Mindestens zweimal.

Selbstverständlich konnte ich ausbrechen. Wie, weiß ich nicht mehr. Das alles ist schon viele, viele Monate her. Die Erinnerungen sind zum Teil verblasst. Nur der Schmerz sitzt noch immer so tief wie zuvor. Aber dazu komme ich später. Noch war ich mit dem Ausbruch beschäftigt. Ich befreite meine Kollegen, schlug mich mit ihnen zusammen nackt durch ein unterirdisches Gefängnis und stieß hier und da auf mysteriöse Klone meiner Gruppenmitglieder. Ich besiegte sie und stellte erfreut fest, dass sie die Rüstung meiner Begleiter trugen. Ich nahm sie ihnen ab und rüstete meine Kameraden aus. Nach einiger Zeit waren sie wieder so ausgestattet wie vor der Gefangennahme. Nur einer blieb nackt: Ich. Irgendwann stand ich vor einer großen Tür und wusste endlich, warum Adam und Eva die Kleidung erfunden hatten: Mir wurde kalt. Zudem ging mir das Naserümpfen der Heilerin so langsam auf die Nerven. Also machte ich kehrt und erforschte ein weiteres Mal das Gefängnis. Ich musste meinen bösen Zwilling irgendwo übersehen haben.

Das hatte ich aber nicht. Nach mehrmaligem Ablaufen des Gebiets fand ich nichts. Also ging ich zurück zur Tür. “Bestimmt ist mein Abbild ein Boss, den ich besiegen muss. Logisch”. Logisch? Von wegen. Ich weiß nicht mehr genau, was sich alles zugetragen hatte, mir selbst begegnete ich jedoch nicht. Am Ende stand ich lediglich vor einer großen Kiste. Ich öffnete sie und fand nichts in ihr. Ich trat erneut durch eine Tür und hatte das Gefängnis verlassen. Eine sanfte Brise durchzog meine Unterhose und kühlte mein Geschlechtsorgan. Hier stimmte etwas nicht.

Verzweiflung machte sich breit. Ich begab mich zurück in das Gefängnis und suchte. Ich schaute in jeden Winkel, konnte aber nichts finden. So langsam dämmerte mir, dass hier etwas nicht so funktionierte, wie es die Entwickler des Spiels vorgesehen hatten. Also verließ ich die Spielwelt und betrat die Realität: Das Internet. Biowareforum. Hilfe und Support.

Ich fand den Thread bereits nach wenigen Sekunden: “Hilfe! Meine Items sind weg!”. Ich freute mich. Ein bekannter Fehler. “Deine Items sind, solltest du sie nicht bei deinem Abbild gefunden haben, in der Kiste am Ende der Höhle deponiert.” Ich startete “Awakening” und ging zu besagter Kiste. Ich kannte sie bereits. Es war die, die ich zuvor geöffnet hatte. Die, in der sich nichts befand. Ich öffnete sie erneut. Sie war noch immer leer. Ich merkte, dass ich anfing zu schwitzen.

Im Forum wies jemand darauf hin, dass sich in seiner Kiste nichts befand. Und er sein Abbild nicht finden konnte. Die Antwort eines Benutzers: “Dann lad doch einfach ein Savegame, das du vor dem Betreten der Höhle angelegt hast.” Wieder zurück in “Awakening” öffnete ich meinen Savegamesordner. Ich gehe bei Spielen immer so vor, dass ich zehn Savegames anlege. Ist das zehnte erstellt, überschreibe ich von nun an immer das Älteste. Ich öffnete das älteste Savegame. Ich stand im Gefängnis. Nackt. “Nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein.” Ich begann zu zittern.

Biowareforum. “Was soll das heißen, du hast kein Savegame, das vor dem Gefängnis spielt? Hast du noch nie ein Rollenspiel gespielt, du Noob? Da macht man doch immer ein neues Savegame! Alter, keine Ahnung oder was?” Ich schloss den Browser. Ich schlug mit der Faust auf den Tisch und ließ Schimpfwörter in einer Lautstärke ertönen, dass meine neben mir sitzende Frau nicht nur erschrak, sondern sofort wusste, dass etwas Schlimmes passiert sein musste.

Ich verließ das Zimmer und ging in ein anderes. Dort trat ich gegen die Tür und danach gegen den Schrank. Dann wiederholte ich das Schauspiel mit der Faust. Dabei fluchte ich lautstark. Ich glaube, dass ich mich in meinem ganzen Leben noch nie so sehr über ein Videospiel aufgeregt habe. Meine Frau betrat das Zimmer und wies darauf hin, dass neue Türen und Möbel nicht billig seien. Ich erzählte ihr, was geschehen war und zum Glück ist sie jemand, der genauso wie ich auf Rüstungen steht. Sie konnte meine Aufregung nachvollziehen, hielt es dann aber doch für übertrieben, als ich ihr sagte, dass ich jetzt die “Awakening”-CD zerbrechen würde. Sie schlug mir vor, erst einmal eine Runde spazieren zu gehen. Das taten wir dann auch. Ich trat Steine durch die Gegend und Schlug gegen Bäume und Büsche. Zu Hause habe ich die CD nicht zerbrochen, sondern zurück in ihre Hülle gesteckt und das Spiel im Spieleregal verschwinden lassen. Seitdem habe ich es nicht wieder angerührt.

Dieses Ereignis liegt nun schon viele Monate zurück. Aber noch immer hat es sich tief in meinem Gehirn verankert. Darum habe ich diesen Text geschrieben. Vielleicht hilft es mir, darüber zu reden. Ich will das Ereignis vergessen, aber ich kann es nicht. Ist euch auch schon einmal so etwas passiert? Hat euch ein Fehler in einem Spiel so aufgeregt, dass ihr das Spiel nie wieder angerührt habt? Seid ihr immun gegen solche Ereignisse? Hängt ihr an Gegenständen, die ihr in Spielen findet oder lacht ihr über die von mir beschriebene Besessenheit? Und vor allem: Sollte ich “Awakening” nie wieder spielen oder es vielleicht doch einfach noch einmal einlegen, von vorne beginnen und hoffen, dass der Fehler nicht noch einmal auftritt? Ich werde definitiv nicht meinen nackten Charakter weiterspielen. Natürlich werde ich bestimmt noch bessere Rüstungen als die verlorenen finden. Aber ich kann den Verlust einfach nicht akzeptieren. Wenn, dann muss ich noch einmal von vorne beginnen. Werde ich so das Kapitel “Awakening” vielleicht doch noch abschließen können? Vielleicht. Aber ich habe Angst. Angst davor was passieren wird, wenn ich erneut in diesem Gefängnis erwache und meine Rüstung nicht wiederfinde.

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