All Cachers Are Bastards

Seit zwei Wochen bin ich Geocacher. Geocacher ist jetzt eigentlich nichts, was man wirklich “ist”, aber ich finde, dass das total toll klingt. Was man als Geocacher macht? Ganz einfach: Mit modernen Mobiltelefonen (Smartphones) kann man seinen Standort per GPS bestimmen. Ein paar Leute sind nun auf die Idee gekommen, überall auf der Welt wasserdichte Behälter zu verstecken, sich die Koordinaten, an denen man sie finden kann, zu notieren, diese zu veröffentlichen und andere Leute danach suchen zu lassen. Hier in Frankfurt kann man hunderte dieser Dosen finden. In ihnen befinden sich kleine Logbücher, in denen man sich verewigen darf. Mehr ins Detail möchte an dieser Stelle nicht gehen. Man sucht per GPS nach versteckten Kisten. Fertig.

Jetzt ist es so, dass man beim Suchen oder besser beim Finden nicht von Leuten gesehen werden will, die nichts mit Geocaching zu tun haben. Schließlich möchte man vermeiden, dass irgendein Unbeteiligter die Caches findet und klaut. Oder die Polizei ruft, weil er meint, einen Drogenumschlagsplatz gefunden zu haben. Also sucht man erst einmal unauffällig nach den Verstecken, um dann ungesehen und schnell zuzuschlagen. Manchmal stößt man während der Suche auch auf andere Geocacher, die rein zufällig in genau diesem Moment den gleichen Cache suchen. Grundsätzlich will man aber nicht gesehen werden. Und das bringt mich zu meiner heutigen Geschichte.

Der gesuchte Cache befand sich in einem Park. Da das Wetter der Meinung war, seine gute Laune durch die Gegend strahlen zu müssen, schien die Sonne und es war warm. Somit war der Park gut gefüllt mit Leuten, die nicht wussten, was ich vor hatte. Dachte ich zumindest. Als ich mich per Handy-GPS an die Stelle herantastete, an der der Cache liegen sollte, bemerkte ich vor mir zwei Gestalten, die wie ich auf ihre Telefone starrten und langsam durch den Park streiften. “Geocacher!”, schrie ich innerlich und beschloss, sie in Ruhe suchen zu lassen. Sie waren schließlich näher am Versteck als ich und vor allem zuerst da. Natürlich hätte ich sie auch ansprechen können, aber hundertprozentig sicher war ich mir mit meinem Cacher-Verdacht noch nicht. Vielleicht schrieben sie sich auch nur gegenseitig Nachrichten, weil das moderner ist als miteinander zu reden.

Also schaute ich mich um. An einem nahegelegenen Spielplatz entdeckte ich einen kleinen Hügel, auf dem Baumstämme lagen, die man als Sitzgelegenheit benutzen konnte. Das tat ich auch. Von hier aus hatte ich alles im Blick und konnte die Cacher unauffällig beobachten. Ich schnappte mir meinen kindle, öffnete darauf eine Tageszeitung, bohrte ein Loch in das Gerät und spähte unauffällig durch dieses hindurch (ich brauche übrigens einen neuen kindle, mein alter ist heute kaputt gegangen). Ich fühlte mich wie ein Profidetektiv und stellte fest, dass die Beobachteten tatsächlich Geocacher waren und fündig wurden. Im Detail konnte ich das natürlich nicht erkennen, schließlich gingen sie genauso unauffällig vor, wie man es als Geocacher tun sollte. Hätte ich sie nicht gezielt beobachtet, wären sie mir niemals aufgefallen. Aber ich wusste Bescheid. Nach kurzer Zeit machten sich die Beiden wieder auf den Rückweg. Sie gingen an mir vorbei, ich verhielt mich unauffällig und wartete noch etwa eine Minute, bevor ich mich selbst auf den Weg machte, den Cache zu finden.

Mit dem Telefon in der Hand näherte ich mich dem Versteck. Ich sah mich um. An dieser Stelle war man gut versteckt. Man musste nur schnell ins Gebüsch und schnell wieder hinaus. Ich wartete ein wenig, dann schlug ich zu. Der Cache war dank der guten Beschreibung schnell gefunden. Um mich in das Logbuch einzutragen, verließ ich kurz das Versteck und setzte mich an eine andere Stelle. Ich wollte im Gebüsch stehend keine Aufmerksamkeit erregen. Nach meinem Eintrag platzierte ich den Cache wieder da, wo er hingehörte. Alles verlief problemlos.

In der Regel trage ich gefundene Caches noch an Ort und Stelle auf der Geocaching-Internetseite als “gefunden” ein. Das geht ganz einfach über die offizielle App. Dafür wollte ich mich aber erst einmal irgendwo gemütlich hinsetzen. Ein paar Meter von mir entfernt lagen erneut ein paar Sitzbaumstämme herum und so steuerte ich diese an, während ich auf mein Handy guckte und total wichtiges Zeug erledigte.

In diesem Moment fuhren zwei Jugendliche auf ihren roten Fahrrädern von hinten kommend an mir vorbei. Ich ging ein wenig zur Seite, um nicht mit ihnen zu kollidieren und stellte daraufhin fest, dass sie ein paar Meter von mir entfernt anhielten. Ich sah kurz in ihre Richtung, sie sahen in diesem Moment zufällig in meine, unsere Blicke trafen sich, ich schaute wieder auf mein Handy und ging weiter. Als ich neben ihnen war, schaute ich erneut zu ihnen, da ich mich beobachtet fühlte. Sie sahen mich tatsächlich an. Ich reagierte nicht und ging zu den Baumstämmen. Als ich mich dort niederließ, stellte ich fest, dass ich immer noch beobachtet wurde. Die Beiden taten dabei so auffällig unauffällig, dass man es nicht nicht bemerken konnte. “Geocacher!”, dachte ich erneut. Bestimmt hatten sie in diesem Moment die gleiche Vermutung wie ich vor wenigen Minuten. Ich kam schließlich aus der Richtung des Caches und hatte mein Telefon in der Hand. Sie dachten bestimmt, dass ich den Cache gerade gehoben hatte und mich jetzt ins Logbuch eintragen wollte. Natürlich handelte es sich hier erneut um eine Vermutung. Vielleicht kam ich den beiden auch einfach nur bekannt vor. Verständlich. Ich bin eine ziemlich berühmte Persönlichkeit.

So saß ich also mit meinem Handy auf einem Baumstamm und wusste nicht, wie ich ihnen zeigen konnte, dass ich gerade nichts mit dem Cache machte, ohne zu wissen, ob sie wirklich Geocacher waren. Ich steckte mein Handy in die Hosentasche und griff erneut zum kindle und tat so, als würde ich lesen. Ein deutlicheres Zeichen konnte ich mir in diesem Moment nicht vorstellen. Die beiden bewegten sich zunächst nicht. Erst nach etwa einer Minute fuhren sie los. In meine Richtung. Wieder schaute ich zu ihnen und wieder trafen sich unsere Blicke. Die beiden fuhren nahe an mir vorbei. Nicht, ohne mich dabei anzusehen. Als sie an mir vorbei waren, sah ich ihnen hinterher. Das bemerkten sie und drehten sich, während sie eine lange Straße entlang fuhren, immer wieder in meine Richtung. “Komische Welt”, dachte ich und griff wieder zum Handy.

Es vergingen etwa zwei Minuten, in denen ich mich über Twitter mit jemandem über meine Grabinschrift unterhielt. Irgendwann schaute ich von meinem Handy auf und beobachtete ein paar Kinder beim Fußballspielen. Wenige Meter vor mir bemerkte plötzlich ich einen Jugendlichen auf einem schwarzen Fahrrad. Er sah in meine Richtung. Als er bemerkte, dass ich auf ihn aufmerksam geworden war, wandte er sich ab. Für ein paar Sekunden. Dann sah er wieder in meine Richtung. Und griff in seine Hosentasche. Er zog ein Handy hervor, wählte eine Nummer und begann zu telefonieren. Während des Telefonats schaute er immer wieder in meine Richtung. Ich konnte kein Wort verstehen. Aber es sah so aus, als würde er über mich reden. Ich wurde ein bisschen nervös.

Folgendes ging mir durch den Kopf: Vor wenigen Minuten betrat ich unauffällig ein Gebüsch, holte etwas hervor, tat etwas damit und versteckte es daraufhin wieder in besagtem Gebüsch. Geocacher müssen sich immer wieder selbst daran erinnern, dass das, was sie da tun, für einen Außenstehenden verdächtig nach Drogenhandel aussieht. Oder vergleichbaren kriminellen Tätigkeiten. Ich überlegte weiter. Was wäre, wenn heute irgendjemand gesehen hätte, wie an ein und derselben Stelle immer wieder Leute in ein Gebüsch gestiegen und nach wenigen Minuten wieder herausgekommen sind? Der Park war ziemlich voll. Vielleicht saß irgendwo eine Oma mit ihrem Enkelkind im Park, hatte ihm beim Spielen zugesehen und war dabei auf die Cacher aufmerksam geworden. Was, wenn sie die Polizei gerufen hatte? Die Jugendlichen, die mich hier beobachteten, sahen jetzt nicht unbedingt nach Polizisten aus… aber machte sie das nicht erst recht verdächtig?

Blödsinn. Ich erkannte, dass ich zu viel nachdachte. Passiert leider manchmal. Man kennt das: Man ist gestresst und redet sich plötzlich Dinge ein. Ich erhob mich vom Baumstamm. Der Typ auf dem schwarzen Fahrrad sah das, steckte sein Handy weg und fuhr in die gleiche Richtung davon, in die auch die zwei anderen verschwunden waren. An mir vorbei. Ich schaute ihm hinterher und er mir. Zufall. Bestimmt. Ich ging wieder in die Richtung des Hügels, auf dem ich vor einiger Zeit die zwei Geocacher beobachtet hatte. Dort wollte ich mich niederlassen und lesen. Das Wetter war angenehm, der Park schattig… das wollte ich genießen. Ich griff erneut zum Handy, schaltete Musik ein und ging los.

Zwei Jugendliche auf roten Fahrrädern fuhren mich anstarrend an mir vorbei. Es waren meine neuen Freunde von vorhin. Ich starrte auf mein Telefon. Nein. Ich will nicht mehr lesen. Ich will hier weg. Ich folgte dem Weg, der mich aus dem Park herausführen sollte, machte einen kleinen Schlenker und näherte mich dem Parkende.

Wieder sah ich die zwei Radfahrer vor mir. Sie kamen mir erneut entgegen. Ich stellte die Musik leiser. Sie blieben neben mir stehen und sahen mich an. Ich schaute zurück. Einer sagte: “Pass bloß auf. Wenn du so weiter machst, ist gleich dein Handy leer.” Ich grinste. Oh Gott. So war das also. Die hatten mich auf mein Handy starrend durch den Park spazieren sehen und mich für einen techniksüchtigen Meganerd gehalten, der keinen Sinn für die schöne Parknatur hat. Ich nickte und ging weiter. Die zwei erwiderten mein Grinsen nicht. Das war mir aber egal. Es ging nicht ums Cachen. Es handelte sich hier lediglich um das Angeben halbstarker Möchtegernmachos. Oder so. Ich drehte die Musik wieder auf.

Als ich den Park verlassen hatte, wusste ich nicht mehr, wie ich nach Hause kommen sollte. Ein Problem am Geocachen: Man rennt irgendwelchen Koordinaten hinterher und weiß nicht, wo man am Ende landet. Ich kannte den Teil Frankfurts, in dem ich mich gerade aufhielt, noch nicht. Ich öffnete auf meinem Handy eine Karte der Stadt und stellte fest, dass ich falsch abgebogen war. Also drehte ich mich wieder um und ging in die andere Richtung weiter. Mir kamen zwei Jugendliche auf roten Fahrrädern entgegen.

Ich ging auf sie zu. Sie wurden langsamer. Ich schaltete die Musik ab. Langsam wollte ich wissen, was sich hier abspielte. Einer der beiden rief mir etwas zu: “Na? Wieder zurück?” Ich antwortete mit fragendem Blick. “Ey, warte mal!” rief der Andere. Ich wartete. Ich wollte sowieso nirgendwo anders hin. Ich wollte Antworten. Die beiden hielten direkt neben mir. Einer stand links von mir, der andere rechts. Es entstand ein Dialog, den ich erst mal so originalgetreu wie möglich wiedergeben möchte.

Links: Ey, warum hast du Fotos von uns gemacht?
Ich: Was?
Rechts: Du hast die ganze Zeit Fotos von uns gemacht.
Ich: Nein, habe ich nicht.
Rechts: Das haben wir aber gesehen.
Ich: Ich habe keine Fotos von euch gemacht.
Links: Bist du ein Bulle oder was?
Ich: Nein, bin ich nicht.
Links: Und warum hast du dann Fotos von uns gemacht?
Ich: Habe ich nicht. Warum sollte ich denn?
Links: Was hast du denn fotografiert?
Ich: Den Park.
Links: Warum hast du den Park fotografiert?
Ich: Darf ich den Park nicht fotografieren?
Recht: Bist du Polizist?
Ich: Nein.
Rechts: Und warum hast du Fotos von uns gemacht?
Ich: Das habe ich doch gar nicht.

Die beiden gaben auf. Ich gab ihnen einfach nicht die Antwort, die sie hören wollten. Da standen wir also, mitten in einem abgelegenen Gebiet voller Einbahnstraßen und unterhielten uns darüber, dass ich niemanden fotografiert hatte. Ich war zu Beginn des Gesprächs etwas nervös, da ich nicht wusste, was mich erwarten würde, nach den ersten gewechselten Worten musste ich aber sogar ungewollt lachen. Das war alles viel zu merkwürdig, als dass ich es hätte ernst nehmen können. Nachdem ich zum wiederholten Male beteuert hatte, die beiden nicht fotografiert zu haben, wandten sie sich wieder ab.

Der rechte Typ meinte am Ende noch: “Da hatte ich aber einen anderen Eindruck!”. Der linke dagegen sagte: “ACAB, Alter, ACAB!” Dann verschwanden sie. Ich setzte meine Kopfhörer auf, schaltete die Musik wieder ein und ging nach Hause. Auf dem Weg musste ich in unregelmäßigen Abständen lachen. Sogar richtig laut. Ich konnte einfach nicht anders. Ein paar Passanten sahen mich deswegen komisch an, das störte mich aber nicht. Als ich an einer großen Kreuzung ankam, schaute ich mich ein letztes Mal um. Zwei Jugendliche auf roten Fahrrädern sahen mir nach. Ich wollte winken, ließ es aber bleiben. Stattdessen gab mir dieser Anblick den Rest: Ich stand lachend an der Kreuzung und kämpfte mit den Tränen.

Ich fasse zusammen: Ich fühlte mich von Leuten beobachtet, die sich von mir beobachtet fühlten und wir steigerten uns gegenseitig in Wahnvorstellungen hinein. Ich hatte gedacht, dass man auf mein merkwürdiges Verhalten beim Cachen aufmerksam geworden war. Die drei Typen dagegen hatten gedacht, dass ich ein Polizist war, der davon gehört hatte, dass sie irgendwann mal in einem Supermarkt Zigaretten geklaut hatten (oder so) und jetzt undercover in ihrem Gangster-Hood-Familienpark herum streifte, um Beweise zu sammeln. Großartig. Ich mag Geocaching.

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