Tag 4
Liebes Tagebuch,
ich gebe auf. Jaja, erst die Fakten. Heute fuhr ich durch einen deutschen Wald. Ganz klassisch. Mit Kaserne am Wegesrand.
Aber ich habe gar keine Lust, mich weiter mit irgendwelchen Ortschaften zu beschäftigen. Ich habe mir heute meinen verdammten Arsch aufgerissen. Entschuldige meine Ausdrucksweise, aber ich weiß wirklich nicht mehr, was ich tun soll. Willst du wissen, wie die heutigen Reaktionen ausgefallen sind? Willst du es wirklich wissen? Bitte schön!
Und es ging noch weiter.
Dann traf ich auf diese drei Vollidioten.
Reaktionen? Fehlanzeige.
Es reicht. Wie schon in der Einleitung angedeutet: Ich gebe auf. Ich mag ein guter Wrestler sein, das macht mich aber wohl noch lange nicht zu einem guten Rallyefahrer. Als ich heute durch die Ziellinie fuhr, wollte ich mein Auto verlassen und niemals zurückkehren.
Knatbert hat mich aber aufgehalten. Er meinte, ich solle gerade jetzt nicht aufgeben. Als ich ihn darauf hinwies, dass ich keine Energie mehr in mir hatte, wies er mich auf etwas hin: Vielleicht verlangte ich einfach zu viel von mir. Vielleicht sollte ich die Last des Erfolgs nicht vollständig auf meine eigenen Schultern verteilen. Ich erkannte meinen Fehler. Ich war neu im Geschäft. Ich brauchte jemanden mit Erfahrung, der mir wichtige Tipps geben würde. Einen Manager, der mich in ungeahnte Höhen katapultieren würde.
Ungeahnte Höhen ließen in mir eine Idee heranwachsen. Ich erinnerte mich an den Hubschrauber. Wenn ich den Topfahrer auf meine Seite ziehen könnte, würde das Publikum vielleicht folgen.
Ich habe mich über besagten Fahrer informiert und herausgefunden, dass seine Großmutter einen Bratwurststand ganz in der Nähe leitet. Von ihr klaute ich ein paar Fotos, die sie im Geschäft aufgehängt hatte.
Ich wollte mich heute noch mit den beiden unterhalten, um unsere Storyline zu planen, leider wurde ich von einer Horde aufgebrachter Aufseher vom Gelände geworfen. Vermutlich haben sie die Hubschraubergeschichte noch nicht vergessen. Gut. Dann muss ich das morgen eben spontan während des Rennens besprechen. Für einen Wrestler kein Problem. Wir planen schließlich nie ein komplettes Match, sondern nur die wichtigsten Spots. Ich werde einfach spontan handeln. T. H. wird sicher mitziehen. Er ist ja ein Profi.
Morgen wird alles anders.
S.
Tag 5
Liebes Tagebuch,
Hans T. H. Muller ist der unprofessionellste Mistkerl, der mir je über den Weg gelaufen ist!
Das ganze Rennen über habe ich ihm Kommandos zugerufen. Zunächst so, dass sie von den umstehenden Zuschauern nicht gehört werden, doch er hat nicht reagiert. Irgendwann war mir dann alles egal und ich habe ihn angebrüllt. Trotzdem hat er mich ignoriert. Darum habe ich ihn letztendlich von der Straße gedrängt. Idiot. Es ist seine eigene Schuld. Wenn er eine Fehde möchte, dann soll er sie haben.
Leider scheinen die Rallyefans von meinen Taten alles andere als begeistert zu sein. Hatte ich vor einigen Tagen noch behauptet, auch gerne die Rolle des Heels zu übernehmen, stellte sich nun heraus, dass dies im Rallyesport nicht funktioniert. Nach meiner Aktion gegen Muller gingen die Fans auf die Barrikaden.
Man fordert mittlerweile, mich aus dem Rallyesport zu verbannen und mir die Fahrerlizenz zu entziehen. Natürlich ist der Tod von T. H. tragisch, hätte aber mit ein bisschen Kooperation seinerseits verhindert werden können.
Offensichtlich bin ich nun ganz auch mich gestellt. Ein Tag-Team kann ich vergessen. Ich muss mich alleine durchschlagen und positiv an die Sache herangehen: Ich habe die Aufmerksamkeit, die ich einforderte. Nun muss ich sie nutzen.
Bis morden, äh, morgen.
Tag 6
Liebes Tagebuch,
morgen ist mein letzter Tag als Rallyefahrer. Warum? Weil die Veranstalter das so wollen. Morgen wird mir die Fahrerlizenz entzogen. Knatbert und ich haben heute alles gegeben und versucht, die Leute zu begeistern. Wir haben sogar einen Fan bei uns im Auto mitfahren lassen. Wir trafen einen Jugendlichen vor den öffentlichen Toiletten, schlugen ihn nieder und setzten ihn in unser Auto.
Wir wollten ihn überraschen. Was uns auch gelang. Als er erwachte, riefen wir laut “Überraschung!” und fuhren los. Ich wäre an seiner Stelle ausgeflippt vor Freude. Er dagegen bekam eine Panikattacke und einen Herzinfarkt. Wir warfen seine Leiche auf halber Strecke aus dem Fahrzeug. Dann halt nicht. Empfindlicher Depp.
Dieser erste missglückte Versuch, eine Beziehung zu den Zuschauern aufzubauen, entmutigte uns aber nicht. Im Gegenteil. Wir gingen nur noch aggressiver auf die Suche nach Freundschaft.
Aber die offensichtlich von Vorurteilen besessenen Fans gaben uns nicht die Möglichkeit, sie von unserer freundlichen Gesinnung zu überzeugen. Stattdessen hetzte man uns die Polizei auf den Hals. Diese konnten wir zwar abhängen, indem wir ein paar Zuschauer schwer verletzten und die Ordnungshüter so beschäftigten, doch ich weiß nicht, wie lange wir uns noch verstecken können. Unser Zelt haben wir aufgegeben und stattdessen ein Baumhaus aus Wurstresten errichtet, dessen Geruch die auf uns gehetzten Hunde ablenkt.
Unser Auto haben wir unterdessen als Zuschauer getarnt.
Nun sitzen Knatbert und ich hier in unserem Wursthaus. Wir haben uns in einen Schlafsack gezwängt und kuscheln uns wärmend zusammen, während ich diese Zeilen schreibe. Morgen werden wir uns aus der Welt des Rallyesports zurückziehen. Wir haben erkannt, dass wir hier nicht hingehören. Die Rallyewelt ist einfach nicht mit der Wrestlingwelt zu vergleichen. Darum kehre ich in meine Heimat zurück. Eine Anfrage bei der GGW (Ganz Gutes Wrestling) zeigte mir, dass man anscheinend nur auf einen Anruf meinerseits gewartet hatte. Das freut mich. Morgen feiere ich dann meinen großen Abschied. Bis dahin werde ich mich auf das Wacheschieben konzentrieren. Diese Wurstzecken sind heute ganz besonders aggressiv.
Tag 7
Liebes Tagebuch,
der heutige Tag war wundervoll. Ich hatte meine Wut und meine Trauer vergessen und die letzten Tage einfach aus dem Gedächtnis verdrängt. Ein letztes Mal befuhr ich die Rallyestraßen mit meinem treuen Tiefkühlgemüsewagen (ich habe ihn Bofrost getauft) und genoss die Aussicht.
Als man begann, auf mich zu schießen, gab ich nach und zog mich zurück. Ich hängte meine Verfolger ab, indem ich den zu Beginn meiner Rallyetour gekidnappten Stoffpinguin auf die Straße warf. Schade. Ein bisschen hatte ich ihn ja mittlerweile doch ins Herz geschlossen. Vielleicht werde ich ihn als Twitteravatar benutzen.
Jedenfalls stellte ich mein Auto in einer ruhigen Minute ab und versteckte es neben einem kaputten Lieferwagen.
Ob es jemals gefunden wird? Ich weiß es nicht. Es ist mir aber auch egal. Ich habe andere Ziele. Als ich mich von Knatbert verabschiedete, umarmte ich ihn kurz und gab ihm einen anerkennenden Kuss auf seine rechte Brustwarze. Ein Zeichen der Ehre im Wrestlingbusiness. Knatbert hatte die ganze Zeit über zu mir gestanden und keine Fragen gestellt. Ich versprach ihm noch, meine Schulden für das SNES so schnell wie möglich zu begleichen, dann trennten sich unsere Wege. Hoffentlich für immer, bezahlen werde ich die Konsole nämlich garantiert nicht.
Als ich auf meinem aufblasbaren Ballonesel in den Sonnenaufgang ritt, freute ich mich. Ich kannte mein Ziel. Ich war wieder auf dem Weg in die Welt, die mich zu dem gemacht hat, was ich bin.
Vielleicht bis bald,
Dein Stiftnürsel.