Ich habe gerade einen dieser asiatischen Kampffilme gesehen. Dass ich diese Filme so mag liegt jetzt nicht unbedingt an ihrer Handlung (klar, es gibt Ausnahmen!), da diese oft von etwas viel genialerem in den Schatten gestellt wird. Die Rede ist natürlich von den Kampfszenen. Da fliegen Leute durch die Luft, balancieren auf Leitern, springen auf Seilen hin und her als wäre dies das normalste auf der Welt und hantieren mit Schwertern und Stöcken in Geschwindigkeiten, mit denen sich ansonsten lediglich das Raumschiff Enterprise durch die Luft beziehungsweise das Nichts des Universums bewegt.
Ich vergöttre diese Filme. Das liegt auch daran, dass man bei vielen Szenen eben noch die Handarbeit in Form von Seilen, an denen die Protagonisten gebunden sind, erkennen kann. Das war eben noch richtige Handarbeit und nicht dieser Computerschnickschnack von heute.
Schon als kleines Kind war ich von Filmen dieser Art mehr als angetan. Auf dem Schulhof versuchte ich immer und immer wieder, diese Kämpfe nachzuahmen. Leider endeten diese Versuche meistens mit kaputten Knien und Armen meinerseits, da ich einfach nicht verstehen wollte, dass man nicht von Baum zu Baum springen kann wie diese tollen Leute da in den Filmen. Zu Hause verdrosch ich immer mit Besenstielen große Kissen, weil ich irgendwann auch einmal so gut mit solchen “Waffen” hantieren können wollte, eben genau so, wie meine großen Idole. Diese Kampfübungen waren aber ebenfalls relativ unerfolgreich, da ich entweder ein Kissen verfehlte und mein Schlag etwas anderes, bedeutend teureres als diese Kissen traf, oder ich mir selbst einen Hieb versetzte und ich weinend aufgab.
Und heute? Immer, wenn ich einen dieser Kampffilme gesehen habe, überkommt mich erneut dieses Gefühl meiner Jugend. Diese Grenzenlosigkeit, diese Kraft. All das spüre ich in mir und begebe mich auf die Straße, um irgendetwas zu tun, von dem ich aber weder weiß, was es ist, wo es sich abspielen soll und was das ganze überhaupt mit den Filmen zu tun hat (die Sinnlosigkeit des Lebens wird einem in solchen Momenten immer sehr stark bewusst). Und kaum verlasse ich den Schutz meiner eigenen vier Wände (die meine Eltern bezahlen), werde ich umgehend mit der unglaublich faulen Menschheit konfrontiert.
Warum laufen, wenn man auch das Auto nehmen kann? Die Menschheit ist einfach faul geworden. Zum Bäcker geht es nur noch mit dem Auto und auch ein Besuch bei den Nachbarn läuft nicht mehr zu Fuß ab, denn man könnte ja etwas großes geschenkt bekommen, was man dann, dank dem Auto, nicht zur Tür tragen muss.
Der Drang, sich zu bewegen, beschränkt sich heutzutage nur noch aufs Wesendlichste. Zur Toilette und wieder zurück ist schon für die meisten eine sehr lange Distanz, nach der man sich erste einmal wieder ausruhen muss. Und wie ruht man sich am besten aus? Ganz einfach: Essen. Ist zwar irgendwie paradox, da man danach ja wieder auf das von irgendwelchen lustigen Leuten auch “stille Örtchen” genannte Zimmer der Befreiung muss, aber das Paradoxe hat sowieso schon die Herrschaft über das Denken der Menschen übernommen. Da fallen solche Kleinigkeiten auch nicht mehr ins Gewicht, eher in die Schüssel.
Überhaupt frage ich mich, was dieser begriff überhaupt soll. “Stilles Örtchen”. Also wenn ich mal wieder so richtig auf Toilette gehe ist von Stille und Ruhe absolut nicht mehr die Rede. Da wird lautstark gepresst und es entstehen Geräusche, die bei jedem langweiligen Kindergeburtstag dafür sorgen würden, dass die Stimmung wieder auf dem Höchstpunkt wäre! Aber das hat ja jetzt alles eigentlich absolut nichts mit dem eigentlichen Thema dieser Kolumne zu tun.
Ich stelle mir immer gerne unsere heutige Gesellschaft vor, wenn sie sich genau so bewegen könnte, wie in den oben beschriebenen Kampffilmen. Von Baum zu Baum springen und sich dabei im Fluge grüßen. Man bräuchte eigentlich keine Straßen mehr. Zwar müsste der Luftraum irgendwie überwacht werden, aber das würde die sich selbst ja als so dermaßen intelligent einstufende Menschheit schon irgendwie hinbekommen.
Aber sobald ich auch nur anfange, diese Gedanken weiterzuspinnen wird mir schlagartig bewusst, dass das einfach nichts werden kann. Die Bevölkerung dieses Planeten ist größtenteils einfach zu bequem geworden. Und um das gleich mal vorweg zu nehmen: Ich gehöre ebenfalls zu diesen bequemen Leuten. Ich bewege mich auch nur, wenn es nötig ist. Aber ich kann mein Nichtstun immer noch runterspielen, indem ich wenigstens mal darüber nachdenke, was man dagegen tun könnte. Und Bus und Auto fahren tue ich eigentlich auch nicht so gerne.
Busse sind mir im allgemeinen schon sehr unangenehm. Vor allem im Sommer, wenn der gesamte Bus von einer Horde schwitzender Feuchtwesen besetzt ist, die alle hechelnd ihre Plätze benässen und überhaupt keine Anstalten machen zu bemerken, dass man sich durch ihre Anwesenheit gestört fühlt. Aber auch dieses Problem meiner uninteressanten Existenz tut hier absolut nichts zur Sache und kann getrost ignoriert werden.
Ich komme also zu dem Schluss, dass es mit der Menschheit zugrunde geht. Das ist jetzt natürlich ziemlich übertrieben, macht aber nichts, denn ich fühle mich durch diese Erkenntnis einfach besser. Ich erkenne einfach, dass der Traum meiner Jugend lediglich ein weiterer dieser vielen Träume meiner Jugend ist, der einfach nicht in Erfüllung gehen kann. Das Problem ist lediglich, dass viele Regisseure sich diesen Traum von mir geklaut haben und nun daraus Filme drehen, die mir mein ohnehin schon kompliziertes Leben noch unmöglicher gestalten.
Vielleicht sollte ich so langsam anfangen, die Träume meiner Jugend zu vergessen. Dass ich mich nicht in Superman verwandeln kann, wenn ich nur fest genug daran glaube und meditierend in meinem Zimmer sitze, habe ich so langsam kapiert. Und auch die Erkenntnis, dass ein in einem Freizeitpark gekauftes Superman T-Shirt an diesem Umstand nichts ändern wird, habe ich akzeptiert (wenn auch erst nach vielen vergeblichen Sprüngen von einer Mauer).
Die Menschheit ist einfach viel zu faul um sich zu ändern. Und auch ich bin zu faul, der Menschheit zu sagen, dass sie sich ändern soll. Vielleicht sollte ich einfach Busfahrer werden und im Sommer mit einem vollbesetzten und von stinkendem Schweiß nur so triefenden Bus mit Höchstgeschwindigkeit gegen eine Mauer fahren. Dadurch würde die Menschheit zwar auch nicht verbessert werden, aber ich hätte wenigstens kurzzeitig meinen Spaß gehabt. Warum und wieso der Schluss meiner Kolumne nicht von den großen Meistern der Kung-Fu Lehre handelt sondern von stinkenden Bussen weiß ich leider auch nicht. Aber vielleicht wird auch dieses Geheimnis irgendwann einmal gelöst werden.