Die “Truman Show” war sein ein und alles gewesen. Ein Mann, dessen Leben per Kamera von Geburt an festgehalten wurde. Eine Fernsehsendung, die dieses Leben rund um die Uhr übertrug und Einschaltquotenrekord um Einschaltquotenrekord brach. Es war fast ein Wunder, dass alles bis zu dem Tag funktioniert hatte, an dem es eben nicht mehr funktionierte. Der Tag, an dem Truman seine Show verließ war der Tag, an dem sich Christof Wilford etwas Neues suchen musste.
Die Sendung war nicht mehr zu retten. Die Zuschauer hatten sich an Truman gewöhnt. Ihn zu ersetzen war nicht so einfach möglich. Außerdem war klar, dass schon bald eine Horde von Anwälten Jagd auf Christof machen würde. Darum entschloss er sich, die “Truman Show” zu begraben. Er schloss das Studio und zog sich zurück. Die Anwälte kamen, doch dank der unvorstellbaren Beträge, die Christof mit seiner Sendung eingenommen hatte, stellten sie keine Bedrohung dar. Das Studio wurde nach und nach abgebaut. Nach ein paar Jahren interessierte sich niemand mehr für den Ort der meistgesehenen Sendung der Welt. Die Welt hatte sich weitergedreht. Die Menschen hatten andere Dinge gefunden, über die sie sich aufregen konnten. Was Christof mit dem ganzen Material anstellte, das er über die Jahre der Sendung angesammelt hatte, vom Studio ganz zu schweigen, wollte niemand wissen. Einmal hieß es, Christof würde an einer neuen Bahnstrecke arbeiten. Das interessierte nun wirklich niemanden. Züge. Wie langweilig.
Über 15 Jahre später hatte die Menschheit plötzlich ganz andere Sorgen. Der Klimawandel sorgte dafür, dass die Erde sich immer weiter aufwärmte. Die Klimaerwärmung war auf natürlichem Wege nicht mehr zu stoppen. Schon bald würde die Menschheit aufgrund der sie umgebenden Hitze nicht mehr überleben können. Die einzige Hoffnung hörte auf den Namen CW-7. Eine Chemikalie, die in die Atmosphäre abgegeben werden konnte, um diese abzukühlen. 2014 setzte man sie ein.
Flugzeuge schütteten sie in kontrollierten Mengen in die Luft. Der Plan funktionierte. Die Erde kühlte sich ab. Doch der Plan funktionierte zu gut. Die Abkühlung hörte nicht mehr auf. Es wurde kälter und kälter. Die Erde verwandelte sich in einen Eisplaneten. Die den Hitzetod erwartende Menschheit erfror.
Dies war der Tag, an dem Wilford wieder in Erscheinung trat. Mit den Ressourcen der “Truman Show” war es ihm gelungen, einen gigantischen Zug zu konstruieren, der sich selbst mit Energie versorgen und die mit ihm fahrenden Menschen warm halten konnte. Der Zug war die letzte Rettung der Menschheit.
Wilford suchte sich seine Besatzung jedoch ganz genau aus. Es gab Abteile für die Reichen, den Mittelstand und die Armen. Die Armen kamen in den hinteren Teil, die Reichen nach vorne. Wilford entwarf die perfekte Drei-Klassen-Gesellschaft. Und er hatte die Kontrolle. Alles wurde überwacht, nichts geschah ohne seine Einwilligung. Er war der Herrscher über seinen Zug. Nur kontrollierte er nun nicht mehr nur eine Person, sondern die letzten Überlebenden der Menschheit.
So. Genug rumgealbert. Ihr könnt es euch vermutlich denken: Ich habe “Snowpiercer” gesehen. Einen Film über einen Zug. Beschreiben muss ich diesen nach meiner langen Einleitung definitiv nicht mehr. Was der Film mit “Truman Show” zu tun hat? Gar nichts. Aber Ed Harris spielt mit und seine Rolle erinnerte mich an seine in “Truman Show”. Und da darf man ja wohl mal ein wenig herumblödeln.
“Truman Show” ist so ein toller Film. Als ich den Film kurz ins Laufwerk legte, um Screenshots für diesen Text anzufertigen (ja, ich mache das tatsächlich noch selber), sprang ich bestimmt eine halbe Stunde lang zwischen einzelnen Szenen hin und her und grinste zufrieden vor mich hin. Das Ende sah ich gleich zweimal hintereinander. Irgendetwas hat der Film an sich, das mich fasziniert. Die Idee, die Umsetzung, die Charaktere – alles passt hier so wundervoll zusammen. Dass ich ihn damals im Kino sah, ist nicht erwähnenswert. Erwähnenswert ist jedoch die Tatsache, dass ich mit meinem Freund vollkommen alleine im Saal war, als wir ihn sahen. Das muss man sich einmal vorstellen. Zwei etwa 15-jährige allein im Kino. Selbstverständlich setzten wir uns umgehend genau in die Mitte des Saales. Die perfekte Aussicht, niemand vor einem, überhaupt niemand um einen herum. Das dürfte wohl mit das entspannteste und beste Kinoerlebnis meines Lebens gewesen sein. Und dann lief auch noch “Truman Show”!
Oh. Um “Truman Show” soll es hier ja gar nicht gehen, sondern um “Snowpiercer”. Entschuldigt mein Abgeschweife, aber dafür bin ich berühmt. Selbsternannt berühmt. Sagt man das so? Ich sage das so. Und gleichzeitig sage ich, dass “Snowpiercer” ein ziemlich guter Film ist, über den man viel diskutieren kann, wenn man alles logisch ausdiskutieren möchte. Das tat ich mit den Personen, mit denen ich den Film vor ein paar Tagen gesehen hatte, ziemlich ausgiebig. Und es hat Spaß gemacht. Wenn man über Äxte in einem Zug ohne Holz, den heimlich versteckten Fackelsack und die Ersatzteillogik diskutiert, dann weiß man, dass man Spaß hatte. Aber gleichzeitig kann dadurch natürlich auch schnell der Eindruck entstehen, dass einem das Gesehene nicht gefallen hat. Dem war nicht so! “Snowpiercer” erzählt eine Geschichte über Gesellschaftsstrukturen, Kontrolle und Macht. Dies aber auf eine irgendwie unkonventionelle, fast schon skurrile Art und Weise. Aber was will man auch vom Regisseur von “The Host” erwarten? Der war auch sehr unkonventionell.
“Snowpiercer” spielt mit dem Zug. Er nutzt die Abteile, um Gesellschaftsstrukturen bloßzustellen. Die Inszenierung sucht Ihresgleichen. Die Atmosphäre ebenfalls. Gerade letztere ist es, die mich hin und wieder fast schon verunsichert hat. Manchmal wollte ich mehr, manchmal weniger. Aber am Ende stellte sich dann heraus, dass eigentlich alles genau richtig war. Wie soll man bitte vernünftig über solche Dinge schreiben, ohne das Ende zu verraten? Ich werde es gar nicht erst versuchen.
Die Darsteller waren allesamt ein Traum! Achtung, ich lerne jetzt Namen: Chris Evans alias Captain America spielt den abgemagerten Hungerhakenanführer der dritten Klasse. Da Captian America nun nicht gerade wie ein abgemagerter Hungerhakenanführer aussieht, musste man hier ziemlich tricksen und ihn mit entsprechend körperunbetonender Kleidung und guten Kameraperspektiven ausstatten. Seine Rolle als grummliger Anführer hat mir sehr gefallen. Leider wurde er von Tilda Swinton vollkommen an die Wand gespielt. Genauso wie alle anderen Charaktere auch. Die von Tilda Swinton verkörperte Dame mit dem Namen Mason war der pure Spaßwahnsinn. Ihre Rede über Schuhe, Hüte, Köpfe und das Chaos möchte ich gerne als Motivational-Wandschmuck zum nächsten Geburtstag erhalten.
Und dann sind da noch Namgoong Minsoo (Kang-ho Song) und Yona (Ah-sung Ko). Zwei weitere Höhepunkte (und zwei Namen, die ich definitiv NICHT lernen werde). Der Vater, der tunlichst darauf achtet, dass seine Tochter so oft wie möglich aus dem Fenster guckt. Es wirkt fast schon so, als würde er sie auf die Außenwelt vorbereiten wollen. Während um ihn herum alle nur an die Dinge denken, die im Zug stattfinden, richtet er seinen Blick nach draußen. Was auch immer seine Motive sind: Wenn es um sympathische Charaktere geht, ist man hier als Zuschauer an der richtigen Adresse.
Sagen wir doch einfach, dass man “Snowpiercer” gesehen haben sollte. Ob er einem nun gefällt oder nicht, kann ich selbstverständlich nicht vorhersagen. Die Meinung hängt von diversen Kleinigkeiten ab. Man darf nicht zu viel hinterfragen. Nicht alles muss immer erklärt werden. Man muss sich auf den Film einlassen. Und dann? Dann wird man gut unterhalten. Nachdenklich hat mich der Film nicht zurückgelassen. Aber ich war beeindruck davon, wie man Gesellschaftsstrukturen so klar und deutlich bloßstellen kann. Und dann war ich sogar noch beeindruckter, als ich von den vielen kleinen im Hintergrund versteckten Details erfuhr. Ansehen? Ansehen!