Psychologische Hallenfüller

Die menschliche Psyche ist komplex. Komplexer als das Sonnensystem, komplexer als der atomare Aufbau einer komplexen mathematischen Formel und vor allem deutlich komplexer als der Versuch, sich morgens nach dem Aufstehen schlaftrunken einen Kaffee zu kochen und dabei nicht zu vergessen, die Kanne unter die Maschine zu stellen.

Und genau aus diesem Grund interessieren sich auch so viele Menschen für das Thema Psychologie, obwohl sie sich eigentlich um andere Dinge kümmern sollten. Natürlich beziehe ich mich nicht auf ausgebildete Psychologen. Diese haben einen langen Lernweg hinter sich gebracht und verstehen etwas von ihrem Handwerk. Ich rede von den Hobbypsychologen, die nichts lieber tun, als mit ihrem nicht vorhandenen Wissen das Verhalten ihrer Mitmenschen zu analysieren, in Schubladen zu stecken und sich angeberisch grinsend über ihre tollen Fähigkeiten zu freuen.

Vor allem im Internet begegnet man diesen Menschen immer wieder. Es werden Rechtschreibfehler analysiert, Verhaltensweisen kommentiert und aus all dem wird ein Geisteszustand abgeleitet, der dem Betroffenen von nun an immer und immer wieder mitgeteilt werden muss. Häufig kommen sich die ausübenden Psycholaien bei ihrer Arbeit ungeheuer wichtig vor. Stößt man auf eine Kleinigkeit, die einen wundert, wird dies sofort mit ausgeschmückten Phrasen wie „Ist euch eigentlich aufgefallen, dass es sich heutzutage durchgesetzt hat, dass…“ oder auch „Ich wüsste nur zu gerne, warum heutzutage alle nur noch…“ aufgebläht und dadurch dramaturgisch auf eine Ebene mit Weltkriegen, Klimakatastrophen und dem oben beschriebenen Kaffeekannenproblem gestellt. Man möchte seinem Umfeld zeigen, dass nur einem selbst dieser Umstand aufgefallen und wie intelligent, hinterfragend, geistig gewitzt und psychologisch begabt man doch ist.

Viel schlimmer als die Analyse fremder Verhaltensweisen ist aber die der eigenen. Wie oft durfte ich schon folgenden Verbalausstoß vernehmen: „Ich bin nicht normal.“ Kommentiert man diesen Satz auf humorvolle Art abweisend, bekommt man gleich einen Beweis dafür geliefert: „Alle meine Freunde sagen, ich sei komisch.“ Wahnsinn. Wenn Psychologie immer so einfach wäre, könnte das Leben als Psychologe so leicht sein.

„Herr Doktor, ich glaube, ich bin nicht normal.“
„Soso, was sagen denn ihre Freunde und Bekannten dazu?“
„Sie bestätigen das.“
„Nun, dann haben sie wohl recht. Hier meine Kontodaten. Die Rechnung folgt in Kürze. Der Nächste bitte.“

Ich sehe eine Fülle neueröffneter Psychologenbüros auf den Straßen erscheinen. Wenn man schon den Weltfrieden nicht erreichen kann, rückt wenigstens der Seelenfrieden in greifbare Nähe.

Darum spiele nun auch ich ein wenig den ausgebildeten Psychologen. Zunächst einmal möchte ich feststellen, dass ich laut obiger Definition ebenfalls nicht normal bin. Meine Freunde sagen mir das nämlich oft. Ich plane darum, schon bald eine Selbsthilfegruppe für anonyme Selbsteinschätzer einzurichten und ich freue mich auf die konzerthallenfüllenden Tagungen.

Meinen unnormalen Gästen erzähle ich dann (aufgrund meiner eingebildeten psychologischen Begabung angeberisch grinsend), dass sie nur erkannt haben, wie gewöhnlich ihr eigenes Leben ist und dass sie sich deswegen unbedingt zwanghaft einreden müssen, etwas Besonderes zu sein. Ihre Lebensfreude lässt selbst die bunteste Hausfassade als grauen Trauerklos erscheinen und weil sie zu ängstlich sind, aus dieser tristen Umgebung auszubrechen, malen sie sich eben ihre Psyche bunt. Die gehört schließlich ihnen und nur sie selbst sind in der Lage, sie einschätzen zu können.

Darum geht man mit seinen Problemen auch nicht zum Arzt. Der könnte einem ja sagen, dass man gar keine psychischen Probleme hat. Beziehungsweise die einzige Krankheit die ist, dass man keine hat, sich aber einredet, eine zu haben. Aus dieser verdrehten Situation entkommt man nur schwer. Vor allem, weil man so häufig auf Leute trifft, die sich ebenfalls einreden, nicht normal zu sein. Und treffen zwei dieser Personen aufeinander, erlebt man ein gegenseitiges Angeben mit den eigenen Problemen, um den Anderen zu übertreffen.

Da bleibe ich doch lieber normal und lache über Menschen, die sich mit ihren Problemen profilieren müssen. Dass das nicht immer gut ankommt, ist mir bewusst, stört mich aber überhaupt nicht. Ich bin normal. Ich bin die Norm. Und darum geht es mir gut. Der Nächste bitte.

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