Muffins gefüllt mit Elefanten und Bettgeschichten

Das hier dürfte wohl einer der persönlichsten Texte sein, die ich in meinem bisherigen Leben geschrieben habe. Heute werde ich nämlich von meinen Bettgeschichten erzählen.

Ihr dürft jetzt damit aufhören, Eure Nasen an die Bildschirme zu drücken. Natürlich geht es hier nicht um die Damen- und Herrenbesuche, die ich auf meiner Matratze empfange. Wenn das Euer erster Gedanke nach obiger Einleitung war, dann fühlt Euch reingelegt, da ich sie nur aus diesem Grund so formuliert habe. Wenn Ihr nicht an so etwas gedacht habt, dann tut einfach so, als hättet Ihr diesen Absatz nicht gelesen. Ein gescheiterter Versuch, Euch in die Irre zu führen, wäre mir nämlich ziemlich peinlich.

Ich habe aber nicht gelogen, als ich meinte, dass es jetzt persönlich wird. Über die folgende Geschichte habe ich bis zu diesem Zeitpunkt lediglich mit meiner Frau gesprochen und selbst mit ihr tat ich dies erst kurz vor dem Verfassen dieses Textes. Aber ich komme jetzt besser mal zur Sache, denn normalerweise rede ich nicht gerne so lange um den heißen Brei herum. Ich finde Brei nicht einmal besonders lecker. Wenn mir Eltern den Brei ihrer frisch ausgepressten Babys vor den Mund halten und “Probier doch mal!” rufen, weiche ich stets schockiert zurück. Meistens essen sie dann selbst einen Löffel vom Brei, als müssten sie mir beweisen, dass sie nicht vorgehabt hatten, mich zu vergiften. Als würde mich das überzeugen. Vermutlich haben sie sich mit der Zeit gezielt abgehärtet. Sie können dank Kind schließlich täglich üben. Nicht mit mir. Ich lasse mich doch nicht von Babynahrung umbringen.

Um endlich mal das eigentliche Thema anzuschneiden… kann man Brei eigentlich anschneiden? Vermutlich nur, wenn er so dickflüssig ist, dass er nicht mehr flüssig, sondern nur noch dick ist. Oder zu einem Breikuchen verarbeitet wurde. Oder man ihn in Muffinteig gemischt hat. Was man heutzutage so alles in Muffins steckt, ist auch so eine Geschichte für sich. Aber über dieses Problem kann man ja leider auch mit niemandem mehr vernünftig reden. Die Dinger heißen mittlerweile schließlich “Cupcakes”. Wer mir jetzt den Unterschied zwischen den beiden Nahrungsmitteln erklären will, der kann das gerne unterlassen und wer sich deswegen auf den Schlips getreten fühlt, sollte vielleicht keinen Schlips mehr tragen, wenn er meine Texte liest. Ein Schlips sollte grundsätzlich nicht getragen, sondern abgeschnitten werden. Oder noch besser: Angeschnitten. Das erinnert mich nämlich daran, dass ich gerade das Thema dieses Textes anschneiden wollte. Also los: Ich liebe mein Bett. Ich schlafe zudem ziemlich gerne. Dass ich ein gemütliches, großes Bett besitze, ist ein Zustand, der mir da sehr gut in den Kram passt.

Genauso wie der Umstand, dass ich gerade an einem neuen Buch arbeite. Wenn mich einer nach dessen Geschichte fragt, verrate ich nichts. Natürlich nicht. Meine Geschichte soll erlebt werden, wenn sie fertig ist, nicht wenn sie reift. Das ist wie mit Obst: Das schmeckt normalerweise auch erst dann gut, wenn es fertig ist. Wer jetzt Luft holt, um auch hier einen Einwand einzuwenden, wird von mir am Schlips gepackt und gegen eine Wand geworfen. Ich verrate meistens nur, dass es um Träume geht. Aber eigentlich ist seine Handlung gar nicht der Grund, warum ich an dieser Stelle mein Buch erwähne. Wer diesem Text mittlerweile nicht mehr folgen kann, wird von mir kurz zur Beruhigung in den Arm genommen. Aber nur kurz. Ich habe keine Zeit für ausgiebige Streicheleinheiten. Ich muss schließlich schnell erzählen, was ich Buchinteressenten normalerweise noch verrate. Nämlich, dass ich an der Geschichte dieses Buchs mittlerweile seit über zehn Jahren arbeite und langsam ziemlich froh darüber bin, sie endlich zu einem Abschluss zu bringen.

Über zehn Jahre lang über eine Geschichte nachzudenken, ist Wahnsinn. Und ich empfehle es wirklich niemandem. Ich bin normalerweise jemand, der versucht, Textideen so schnell wie möglich umzusetzen und diese während des Umsetzungsprozesses mit spontanen Dingen wie Gesprächen über Brei anzureichern. Das muss einem als Leser definitiv nicht gefallen, ist mir aber egal. Was kann ich dafür, dass das mein Stil ist? So etwas sucht man sich doch nicht aus. Bei meinem momentanen Buchprojekt hat das mit der Spontaneität jedenfalls nie richtig funktioniert.

Dabei habe ich immer wieder versucht, die Geschichte aufzuschreiben. Sie ist aber nie fertig geworden. Das lag an ihrem Umfang. Ich hatte immer wieder neue Ideen. Neue Charaktere, Orte und Ereignisse kamen und gingen. Mal kam ich gut vorwärts, dann ging ich jedoch wieder zurück, um ein später eintreffendes Ereignis anzukündigen, was dann doch nicht eintraf und so weiter. Erst jetzt, nach zehn Jahren, steht die Geschichte. Wobei ich ungelogen etwa fünf Minuten vor dem Schreiben des ersten Absatzes dieses Textes noch eine Idee für etwas hatte, das im Buch unbedingt stattfinden muss. Aber das tut hier nichts zur Sache. Ich will lediglich betonen, dass ich seit über zehn Jahren an einer Geschichte bastel.

Aber jetzt kommt das Beste! Im Vergleich zu meiner Bettgeschichte ist das gar nichts! Leider kann ich den Ursprung besagter Geschichte nicht mehr genau zurückverfolgen. Fünfzehn Jahre ist es aber auf jeden Fall her.

Vor fünfzehn Jahren also saß ich als kleines Kind in meinem Bett und konnte nicht einschlafen. Wobei ich aller Wahrscheinlichkeit nach lag und nicht saß. Aber dieses Detail ist nun wirklich nicht wichtig. Jedenfalls konnte ich nicht einschlafen. Warum? Keine Ahnung. Wichtig ist, dass ich, um mich abzulenken, eine Geschichte erfand, die ich in Gedanken nachspielte. Ich werde hier nicht verraten, woran genau ich damals dachte. Meine Bettgeschichte gehört nur mir alleine und wird niemals weitergegeben. Nicht einmal meine Frau kennt sie. Wenn ich hier also Beispiele nenne, dann habe ich diese spontan erfunden.

Ich lag also im Bett und stellte mir vor, dass genau dieses Bett in Wirklichkeit ein Baumhaus ist. Unter dem Baumhaus schlichen Monsterelefanten herum, die mich fressen wollten. Sie konnten mich in meinem Baumhaus aber nicht finden, wenn ich ganz still liegen blieb. Das tat ich und schlief irgendwann ein. Spannend? Es geht. Das Spannende kommt noch, denn einen Tag später lag ich wieder in meinem Bett. Ob ich diesmal schlafen konnte? Keine Ahnung. Das ist nicht von Bedeutung. Mir hatte meine Nacht im Baumhaus so gut gefallen, dass ich sie weiterspielte. Ich musste eine weitere Nacht überleben, wieder waren die Monsterelefanten unter mir unterwegs und ich hatte still zu halten.

Seit fünfzehn Jahren kehre ich jede Nacht in mein Baumhaus zurück. Jede Nacht. Ohne absichtlich einmal auszusetzen. Klar, dass ich zum Beispiel mal krank war und deswegen nicht an meine Geschichte dachte, kann ich nicht ausschließen. Diese Ausnahmen möchte ich hier aber einfach mal ignorieren. Geschätzte 99% aller Nächte der letzten fünfzehn Jahre lag ich im Baumhaus.

Wobei ich hier einhaken muss. Denn wenn ich heute Nacht ins Bett gehe, dann liege ich nicht mehr im gleichen Baumhaus wie damals. Das ist nämlich das eigentlich beeindruckende: Es entstand mit der Zeit eine richtige Geschichte. Nach ein paar Wochen hatte ich mein Baumhaus verbessert. Ich konnte die Monsterelefanten jetzt über Sensoren orten, die ich aus technischen Überresten konstruiert hatte, die ich zuvor in den Ruinen der von den Monsterelefantenn vernichteten Menschheit gefunden hatte. Außerdem konnte ich Regenwasser sammeln und so die Wasserversorgung sicherstellen. Ein Jahr später hatte ich sogar auf einem Nachbarbaum Gemüsepflanzen angebaut. All das ereignete sich Nacht für Nacht in meinem Kopf. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, dass die Baumhausgeschichte erfunden wurde. Monsterelefanten? Wie albern! Aber das Beispiel verdeutlicht sehr gut, was sich nachtnächtlich bei mir abspielt.

Meine Bettgeschichte aufzuschreiben, würde ich niemals wagen. Es ist meine ganz persönliche Geschichte. Sie ist zu einem Teil meines Lebens geworden. Ein gigantisches, elefantenfreies Universum, das ich nur für mich geschaffen habe.

Wenn ich “gigantisch” sage, dann meine ich das übrigens auch so. Das, was sich hier bisher ereignet hat, ist unrealistisch, wenn nicht sogar unmöglich. Aber es ist wie ein Comicuniversum: Es funktioniert in seiner in sich geschlossenen Welt.

Dabei werden trotzdem noch reale Ereignisse eingebaut. Die Geschichte verfolgt mich buchstäblich. Besuche ich jemanden und übernachte dort, dann wird dieser kurzzeitige Ortswechsel auf sie übertragen. Selbst, als ich mit meiner Frau zusammenzog, hatte dies eine große Auswirkung auf meine Geschichte. So groß, dass ich diesen Teilabschnitt an manchen Nächten wie eine Art Rückblende erneut erlebe. Das ist dann wie ein guter Film, den man sich immer und immer wieder gerne anguckt.

Der Comicvergleich ist aber der Passendste. Das alles funktioniert in seiner Welt, weil genau diese Welt es zulässt. Es gab sogar schon ein paar Großereignisse, die alles bisher dagewesene in den Schatten stellten und den weiteren Verlauf meiner Bettgeschichte extrem geprägt haben. Ja, doch, es aufzuschreiben wäre sehr spannend. Aber ich kann es nicht.

Ich bin froh, dass ich die Geschichte habe. Sie ist ein Rückzugspunkt, ein Ort der Zuflucht. Jeder kennt doch diese Nächte, in denen man nicht schlafen kann, weil man über irgendetwas zu sehr nachdenkt. Die anstehende Mathearbeit, der morgige Arztbesuch, existieren Elefantenmonster vielleicht wirklich? Wenn man nachts im Bett liegt, macht man sich gerne mal selbst verrückt. Meine Geschichte hilft mir in diesen Situationen. Bezogen auf mein Baumhausbeispiel muss man sich einfach folgenden Gedankengang vorstellen: “Oh Mann, morgen muss ich zum Zahnarzt. Es muss wahrscheinlich gebohrt werden. Hoffentlich wirkt die Betäubung. Hoffentlich tötet mich die Betäubung nicht. Falsches Medikament, zu hohe Dosis und das… Was? Der Alarm? Verdammt. Was ist los? Oh. Ein Suchofant? Direkt unter dem Baum? Erst mal analysieren. Ist das der Gleiche wie gestern? Tatsächlich. Der hockt hier jetzt schon seit einer Woche. Zeit, ein Ablenkungsmanöver zu starten. Was macht die Energieversorgung?”

Na? Merkt ihr was? Meine Selbstverunsicherung ist wie weggetrötet, ähm, -blasen. Wenn man kurz vor dem Einschlafen steht, denkt man zu viel nach. Ich kann diese Energie in meine Geschichte stecken und schlafe auf diese Weise fast immer problemlos ein.

Fast immer? Nun, es wäre übertrieben, hier zu behaupten, dass es immer klappt. Wenn ein Bekannter im Krankenhaus liegt und in Lebensgefahr schwebt, dann funktioniert auch mein Baumhaus nicht mehr. Aber von diesen Extremen mal abgesehen, kann ich dank meiner Geschichte Nacht für Nacht dem Alltag entkommen.

Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Text hier schreiben soll. Für mich stellt das hier eine große Sache dar. Ich habe wie schon gesagt nur durch diesen Text mit meiner Frau zum ersten Mal über das Thema Bettgeschichten gesprochen. Dies ergab ein sehr interessantes Gespräch. Vielleicht möchte ich auch einfach von anderen Leuten erfahren, ob sie ebenfalls eine Bettgeschichte haben. Oder mehrere? Taucht man vielleicht in gewissen Abständen in immer wieder neue Welten ein? Natürlich würde ich niemals die Details wissen wollen. Nur ob die Geschichten an sich existieren.

Jetzt werde ich mich aber mal wieder anderen Dingen widmen. Zum Beispiel den Geschmacksrichtungen von Brei. Irgendwann werde ich mal ein paar Elefanten zu mir einladen und ihnen allen Babybrei auftischen. Ob mich meine Bettgeschichte in der Nacht danach ablenken können wird, ist ein Experiment, dass mir ein paar verlorene Elefantenfreundschaften wert ist.

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