Cover – Interview mit einem Vampir

Das Problem daran, eine kleine Bibliothek zu besitzen, ist der Umstand, dass man hin und wieder unangenehme Entscheidungen treffen muss. Manchmal steht man beispielsweise vor der Wahl, ob man ein bestimmtes Buch behalten will oder nicht. Fast genauso schlimm ist die Frage, WELCHES Buch man behalten will, wenn sich plötzlich zweimal das gleiche im eigenen Besitz befindet.

Ich bin ein Mensch, der seine Lebenszeit gerne in der Nähe von Bücherschränken verbringt. Ich würde mich sogar als kleinen Experten auf dem Gebiet der Bücherschränke bezeichnen. Kein Bücherschrank ist vollständig, wenn nicht mindestens ein Buch von John Grisham darin herumsteht. Auch darf Hera Lindt nicht fehlen, zu neunzig Prozent mit dem Buch »Das Superweib« vertreten. Es gibt viele wiederkehrende Bücher. Und das mag ich an den Schränken. Ich stelle genauso gerne Dinge hinein, wie ich Dinge herausnehme. Dadurch befindet sich meine Bibliothek stets im Wandel. Bücher verschwinden, Bücher kommen hinzu.

Da ich es bisher noch nicht geschafft habe, alle Bücher meiner Bibliothek in eine Liste zu verfrachten, kann es passieren, dass ich mit einem Bücherschrankbuch nach Hause komme, das sich bereits in meinem Besitz befunden hat. Das ist ärgerlich, aber eigentlich auch nicht schlimm. Ich lege das Buch mit einem Lächeln zur Seite und stelle es irgendwann wieder zurück. Manchmal prüfe ich, ob sich das neue Buch in einem besseren Zustand befindet als das alte, und stelle dann eben das weniger schöne zurück.

Aktuell stehe ich jedoch vor einem großen Problem. Dieses Problem hört auf den Namen »Interview mit einem Vampir« und wurde von Anne Rice geschrieben. Um es gleich vorwegzunehmen: Ich habe kein Problem mit dem vorliegenden Werk. Vampirromane kommen und gehen wie die Mode der heutigen Jugend und meiner Großeltern. Wenn junge Männer ebenso jungen, gleichzeitig aber auch obenrum nur leicht bekleideten Frauen erotisch in den Nacken beißen, dann ist das in Ordnung, egal, ob sie nun lange Reißzähne im Mund tragen oder lediglich eine überdurchschnittlich geschickte Zunge. Meiner Meinung nach handelt es sich bei »Interview mit einem Vampir« um ein Buch, das man ruhig in seiner Bibliothek stehen haben kann.

Das war auch meine Begründung, als ich das Buch vor ein paar Tagen aus dem Bücherschrank heraus- und mit nach Hause nahm. Warum nicht? Kann man ja mal besitzen. Als ich nach Hause kam, bemerkte ich dann, dass ich tatsächlich endlich mal eine Liste meiner Bücher anfertigen sollte. Als ich »Interview mit einem Vampir« einräumen wollte, lächelte mich »Interview mit einem Vampir« an und zeigte mir die Reißzähne. Kurz bereitete ich mich auf einen erotischen Nackenbiss vor, erblickte dann aber beim Neigen meines Kopfes die »Twighlight«-Reihe in meine Richtung lechzen und zog mir stattdessen einen metallverstärkten Rollkragenpullover an, während ich beim Dönerladen einen Döner mit ausschließlich Knoblauchsoße bestellte. Natürlich trotzdem mit scharf.

Ich zog die Ausgabe von »Interview mit einem Vampir« aus dem Regal und sah sie mir an. Diese hatte ein anderes Titelbild als die kürzlich mitgenommene Ausgabe. Ursprünglich hatte ich die Version des Buchs besessen, die nach dem überall bekannten Film mit Tom Cruise und Brad Pitt erschienen war. Also »Das Buch zum Film«. Die frisch hinzugekommene Ausgabe dagegen hatte nichts mit dem Film zu tun und besaß noch das Original-Titelbild.

Und hier stellt sich jetzt die Frage: Welches Buch behalte ich?

Interview mit einem Vampir

Zunächst ein paar Worte zur Qualität: Diese ist bei beiden Varianten nahezu identisch. Die Filmversion hat diesen wunderschönen »Mängelexemplar«-Stempel auf der Unterseite, der jedoch keine Abzüge in der Gesamtnote bringt, da ich ihn sehr schätze und als Kind gerne zu einem dieser Menschen herangewachsen wäre, der Bücher mit besagtem Stempel abstempelt. »Was machst du beruflich?« »Ich bin Mängelexemplarabstempler.« Was wäre das doch für ein toller Job. Bücher auf Mängel untersuchen und gegebenenfalls abstempeln. Sie anschließend in diese fantastischen Buchtische stecken, die mit den Glasscheiben als Rand, bei denen man von oben auf unzählige Buchrücken schaut. Jeder Mensch hat einen Traumjob. Meinen habe ich soeben verraten.

Zusammengefasst weisen beide Bücher normale Gebrauchsspuren auf. Anhand dieser Spuren kann ich keine Entscheidung treffen.

Die erste, offensichtliche Entscheidung wäre es vermutlich, das Buch zum Film, kurz Filmbuch, zu behalten, denn ich behaupte einfach mal, dass ein Großteil der Menschen da draußen gar nicht weiß, dass der Film auf einem Buch basiert und der Film so erfolgreich war, dass fast jeder zumindest seinen Titel kennt, gleichzeitig von dem Buch aber nichts weiß. Man sieht das Buch im Regal stehen, zieht es haus, sieht das Titelbild und stellt keine weiteren Fragen mehr. »Das Buch zum Film«. Alles klar. Muss man also nicht lesen, wenn man den Film gesehen hat.

Das Filmbuch hat einen großen Pluspunkt: den halb abgeknibbelten »Das Buch zum Film«-Aufkleber. Dieser Aufkleber erzählt seine ganz eigene Geschichte und wirft gleichzeitig neue Fragen auf. Hat da jemand das Buch gekauft, wollte den Aufkleber loswerden, hat dann aber nach kurzem Geknibbel gemerkt, dass der Aufkleber leider einer von denen ist, die sich nicht einfach so entfernen lassen? Jeder hasst diese Aufkleber, egal ob auf Büchern, Filmen oder Videospielen. Man zieht daran, hört das leise Reißgeräusch und weiß, dass man einen Fehler begangen hat. Entweder hat man soeben das Titelbild eingerissen oder der Aufkleber hinterlässt diese ekelhaft klebenden, weißen Rückstände, die man entweder nur durch konzentriertes Rubbeln oder unter Zuhilfenahme von Wasser entfernen kann. Beides zerstört das Titelbild nur noch mehr, entweder durch Kratzspuren oder durch Wellenbildung in der Pappe. Dranlassen kann man sie aber auch nicht, weil dadurch irgendwann Haare daran kleben. Oder die Rückstände kleben sich an das Buch, das neben ihnen im Regal steht, wodurch sich der Ärger, den diese verdammten Aufkleber machen, sogar noch im Regal ausbreitet. Alternativ lässt man den nun labbrig herumhängenden Aufkleber halt dran, wodurch jeder, der das Buch von nun an in die Hand nimmt, sehen kann, dass man ein Versager ist, der es nicht einmal schafft, einen Aufkleber von einem Buch zu entfernen.

Was ich mich zudem frage, ist, ob das Buch zu einem Mängelexemplar wurde, weil jemand bereits im Buchladen versucht hat, den Aufkleber zu entfernen, dies nicht geschafft und das Buch daraufhin wieder ins Regal zurückgestellt hat. Für ein Buch mit halb abgeknibbeltem »Das Buch zum Film«-Aufkleber kann man ja keinen Vollpreis mehr verlangen.

Interview mit einem Vampir

Jetzt aber mal wieder weg vom wundervollen Aufkleber: Auf der Rückseite des Filmbuchs befindet sich übrigens noch ein Bild aus dem Film, das man so auch auf jedes x-beliebige Liebesromanheft am Bahnhofskiosk hätte drucken können. Ob das nun ein Vor- oder Nachteil ist, weiß ich gerade nicht.

Kommen wir mal zum Originalbuch. Ja, so lauten meine Bezeichnungen. Filmbuch und Originalbuch. Ich bin Germanist. Ich kenne mich aus.

Ich mag das Titelbild des Originalbuchs. Es hat etwas Unnatürliches an sich, was natürlich ganz gut zu einem Buch passt, in dem es um Vampire geht. Grundsätzlich gefällt mir die Gestaltung sowohl der Vorder- als auch der Rückseite einfach besser. Es ist düster, sieht interessant aus und wirkt stimmiger als dieses Filmposter in Kombination mit einem Groschenromanbild aus dem Film. Auch interessieren mich die Filmcredits überhaupt nicht, die sich auf der Rückseite des Filmbuchs befinden.

Aber reden wir Klartext. Was spricht für das Originalbuch? Dass man sich damit wichtig machen kann. Warum? Nehmen wir die weiter oben beschriebene Szene: Jemand steht vor dem Regal, sieht »Interview mit einem Vampir«, zieht es heraus und ist erstaunt. Eigentlich erwartet man doch das Filmposter als Titelbild. Ist das hier etwa gar nicht das Buch zum Film? Und dann kommt der Moment, auf den jeder Mensch, der eine Bibliothek besitzt, immer und immer wieder wartet. Der große Augenblick der Besserwisserei. Der Aufklärungsarbeit. Der Definition des Begriffs »Buchüberlegenheit«, den ich soeben erfunden habe, um dieser ganzen, lächerlichen Sache noch mehr Dramatik zu verleihen.

»Nun.«, sagt man, weil man Besserwisserei immer mit einem kurzen »nun« einleitet, weil das so elitär und überlegen klingt, dass einem dreimal hintereinander, also einmal für jeden Buchstaben, so richtig einer abgeht. »Nun, eigentlich müsste es »Der Film zum Buch« heißen, was die Ausgabe mit dem Filmposter als Titelbild somit zu »Das Buch zum Film zum Buch« macht. Der Film basiert nämlich, wie die meisten Filme aller Zeiten und Welten auf einem Buch. Bücher sind, und das sollte mittlerweile eigentlich jedem klar sein, grundsätzlich allem da draußen überlegen. Weil es nur der Literatur obliegt, uns alle künstlerisch wie auch…«

In diesem Moment sollte klar sein, dass sich der Besuch nicht mehr im Bibliothekszimmer befindet, sondern längst eine Videothek eröffnet hat, die ausschließlich VHS-Kassetten verleiht, weil das immer noch zeitgemäßer ist als Literatur.

Ich komme zu dem Schluss, dass ich nicht mit der Zeit gehen und somit das Filmbuch zurück in den Bücherschrank stellen werde. Ich behalte das Originalbuch. Vielleicht kann ich so tatsächlich mal jemandem erzählen, dass der Film ja nach dem Buch und dieses darum vor dem Film und dieser eigentlich gar nicht so ist weil eigentlich ist eh das Buch besser und letztendlich die Literatur und überhaupt.

Ich mag meine kleine Bibliothek.

Eine Liste brauche ich trotzdem.

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