Genürsel 2013 – 52/52 – Grundschule

Genürsel 2013 - 52/52 - Grundschule

Habe ich euch eigentlich schon erzählt, dass ich in meiner gesamten Grundschullaufbahn nur ein einziges Mal rausgeworfen wurde? Das Ganze ist selbstverständlich ein verdammtes Missverständnis gewesen! Und unerhört war es auch! Ich könnte mich immer noch darüber aufregen. Tue es aber nicht. Weil ich längst darüber hinweg bin. Das war so: Neben mir hatte zu dieser Zeit ein Mädchen gesessen. Es war müde, ließ grinsend den Kopf sinken und tat so, als sei es am Einschlafen. Dabei knallte es dann letztendlich mit der Stirn auf den Tisch und es gab einen dumpfen Knall. Ich lachte und rief laut: “Haha, Blabla bumst mit dem Kopf auf den Tisch!” Meine Lehrerin verstand nur “bumsen”, sprang sofort von ihrem Stuhl auf, sagte mir wütend, dass ich solch schlimme Wörter nicht sagen dürfe und warf mich und die Klassenkameradin raus. Für meine Erklärungen hatte sie kein Gehör und so standen wir zwei also den Rest der Stunde auf den Flur und mussten Matheaufgaben lösen. Ich fühlte mich missverstanden und ungerecht behandelt. Die Matheaufgaben löste ich selbstverständlich trotzdem.

Habe ich euch eigentlich schon erzählt, dass sich die ganze Klasse jeden Montag im Kreis zusammengesetzt hatte und jeder Schüler kurz erzählen musste, was man übers Wochenende so gemacht hatte? Besonders lustig waren hier immer die Schilderungen eines ganz bestimmten Mitschülers, der jeden Freitag nach der Schule in den Keller ging, um dort zu duschen. Jeden Montag begann er seine Erzählung mit genau diesem Thema. “Dann bin ich in den Keller gegangen und habe geduscht.” Wir anderen Schüler fanden das unglaublich komisch und ich weiß nicht mal, ob das überhaupt stimmte oder ob der Mitschüler es lediglich erzählte, weil er uns zum Lachen bringen wollte.

Habe ich euch eigentlich schon erzählt, wie lustig wir es immer gefunden hatten, wenn einer unserer Mitschüler, der nicht gut Deutsch sprechen konnte, versehentlich “Mein Mama und meine Papa.” sagte? Wirklich, wir haben uns darüber schlapp gelacht und lustig gemacht. Weil wir kleine Rassistenkinder waren. Oder auch einfach keine Ahnung davon hatten, wie schwer das Erlernen der deutschen Sprache sein kann. Aber jetzt mal ehrlich: “Rassisten” waren wir nicht. Wir haben mit dem Jungen genauso gerne Matschball gespielt wie mit allen anderen auch. Er war sogar ein ziemlich guter Fußballer. Wir waren einfach Kinder, und Kinder machen sich ganz ohne rassistische Hintergedanken über die Schwächen ihrer Mitschüler lustig. Ausnahmslos. Zumindest, wenn man dazugehören will. Danach wurde dann wieder ganz normal miteinander gespielt. Ein komisches Gemeinschaftssystem war das.

Habe ich euch eigentlich schon erzählt, dass wir vor und nach dem Sportunterricht in der Umkleidekabine immer das gleiche Lied gesungen haben, nämlich “Give It Up” von KC & The Sunshine Band? Um genau zu sein, haben wir lediglich so laut und schrill wie wir nur konnten das “Na na na na na na na na na na naaaaaa” geschrien. Manchmal kam sogar unser Sportlehrer in die Umkleide gestürmt und rief uns zu, dass wir die Fresse halten sollten. Natürlich höflicher. Wie das eben ein Grundschulsportlehrer formulieren würde.

Habe ich euch eigentlich schon erzählt, dass ich für einen gewissen Zeitraum gerne mit einem ganz bestimmten Jungen (TypX) gespielt habe? Der hatte so unglaublich viel tolles Spielzeug, sage ich euch. Der Wahnsinn. Der hatte die Power Rangers Dolchpistolen! Und den Dolch vom grünen Ranger hatte er auch! Das Ding konnte sogar die Flötengeräusche per Knopfdruck von sich geben! Jedenfalls hatte der Kerl total viel Spielzeug. Und das fand ich toll. Manchmal hat er mir sogar ein paar seiner Sachen geschenkt. Zum Beispiel eine tierisch geile Robocop-Figur! Der konnte man die Brustpanzerung entfernen und eine neue, durchlöcherte aufsetzen. Super gut! Aber irgendwann zerstritten wir uns dann. Ich war so wütend, dass ich sogar zu TypX nach Hause ging und ihm die Robocop-Figur zurückgab. Das muss man sich mal vorstellen! Man gibt eine Actionfigur zurück! Das muss ein ziemlich harter Jungsstreit gewesen sein. Aber das Beste kommt noch: Ein paar Wochen später war ich bei einem anderen Freund zu Besuch. Und was sah ich dort in einer Spielzeugkiste liegen? Eine Robocop-Actionfigur. Als ich fragte, ob mein Freund sie von TypX erhalten hatte, antwortete er mit ja. Ich verkniff mir ein Lachen. Das meint man also damit, wenn man davon redet, dass sich manche Menschen Freundschaften erkaufen.

Habe ich euch eigentlich schon erzählt, dass ich während meiner Grundschulzeit jede Woche dienstags mit ein paar Klassenkameraden in die Stadtbücherei gegangen bin? Dort liehen wir uns dann immer so viele Asterix-Comics aus, wie wir nur tragen konnten. Aber viel Spannender war immer die eine Fußgängerampel, die sich uns auf dem Hin- und Rückweg in den Weg stellte. Aus Fußgängersicht funktionierte sie so: Die Ampel zeigte Grün und man ging im gewöhnlichen Schritttempo los. Hatte man die Mitte der Straße erreicht, schaltete sie um auf Rot. Hatte man den Bürgersteig erreicht, waren die ersten Autos bereits dabei, einen zu überfahren. Eine so schnell geschaltete Ampel habe ich in meinem Leben nie wieder gesehen. Für uns Kinder war das die 20-Millionen-Mark-Ampel. Wer es schaffte, noch während der Grünphase die andere Straßenseite zu erreichen, hatte 20 Millionen Mark gewonnen. Einfach so. Da standen dann also jeden Dienstag ein paar Grundschüler an einer Ampel, warteten auf Grün und rannten bei dessen erscheinen wie eine Horde Bekloppte über die Straße und schrien währenddessen irgendwas von 20 Millionen Mark. Leider vergaßen wir genauso regelmäßig, uns das Geld von der Ampel auf unsere Knax-Sparkonten überweisen zu lassen. Aus heutiger Sicht ist das ziemlich ärgerlich.

Habe ich euch eigentlich schon erzählt, wie mich meine Klassenlehrerin vor allen Kindern bloßgestellt hat? Eines Tages hatten wir im Unterricht eine Aufgabe zu erledigen, auf die irgendwie niemand Lust hatte. Alle Kinder waren mit anderen Dingen beschäftigt, man unterhielt sich und es herrschte eine gewisse Grundlautstärke im Raum. Als meine Klassenlehrerin mich plötzlich ansprach, hatte ich sie wegen des Lärms um mich herum nicht richtig verstanden. Genau das teilte ich ihr mit, was sie wiederum als Anlass nahm, mich nach vorne zu holen. Dort rief sie der Klasse zu, dass ich etwas zu sagen hatte. Ich verstand nicht, was sie von mir verlangte. Sie sagte, ich solle wiederholen, was ich kurz zuvor zu ihr gesagt hatte. Ich wiederholte. “Ich habe sie nicht verstanden, weil es hier so laut ist.” Tja. Was machte meine Lehrerin daraus? “Seht ihr? Sven kann sich nicht richtig konzentrieren! Also seid alle mal ein wenig leiser, damit ihr ihn nicht stört!” Ich mache es kurz: Damit hatte ich mir das Streberabzeichen für eine ganze Woche verdient. Die Situation war mir so peinlich, dass ich mich mit gesenktem Haupt auf meinen Platz setzte und nur noch im Boden versinken wollte.

Habe ich euch eigentlich schon erzählt, dass es in meiner Klasse immer ein paar Typen gegeben hatte, die in der Pause “Parker Lewis” spielen wollten? “Parker Lewis” war eine Fernsehserie, in der ein total cooler Junge seine Lehrer reinlegt und allerlei… Schulabenteuer erlebt. Ich hatte nie verstanden, wie man so etwas auf dem Schulhof spielen sollte. Die stehen in der Serie doch nur rum und reden. Oder spielen Lehrern Streiche. Oder machen was auch immer man in einer Serie so macht, die in Deutschland den Untertitel “Der Coole von der Schule” trägt. Das nachzuspielen macht doch überhaupt keinen Spaß! “Power Rangers”? “Turtles”? “Saber Rider”? DAS kann man spielen. Jeder ist irgendein Charakter, man rennt schreiend über den Schulhof und verprügelt Luft. Unkompliziert, unterhaltsam und genau das Richtige für eine Schulpause. “Parker Lewis” spielen? Ich weiß bis heute nicht, wie das funktionieren soll.

Habe ich euch eigentlich schon erzählt, dass ich in der Grundschule während einer Pause meinen ersten Kuss von einem Mädchen erhalten habe? Wir spielten fangen (Jungs gegen Mädchen) und plötzlich wurde ich von einer wahren Mädchenhorde gepackt und weggeschleift. Man brachte mich zu einem Mädchen und dieses gab mir einen Kuss auf die Wange. Dann ließ man mich los und gehen. Ich drehte mich einfach um und ging weg. Ich zeigte keine Reaktion, da ich mit der Situation einfach nichts anfangen konnte. Mädchen. Bäh! Ich war froh, dass es keiner der Jungs mitbekommen hatte und spielte einfach ganz normal weiter. Die Mitschülerin hatte ich selbstverständlich nie wieder darauf angesprochen. Nur eins weiß ich noch: Der Kuss traf meine Wange und ich hatte die feuchte Stelle, die er dort erzeugt hatte, nicht abgewischt. Ich ließ ihn den Rest des Tages einfach dort sitzen.

Habe ich euch eigentlich schon erzählt, dass meine Grundschullehrerin vermutlich bis zum Ende der vierten Klasse fest davon überzeugt war, dass mein bester Freund sich nicht die Schuhe binden konnte? Er betrat die Klasse ziemlich häufig mit geöffneten Schuhen. Dann wurde unsere Lehrerin immer sauer und band ihm persönlich die Schuhe zu. Dass er es eigentlich selbst konnte, interessierte sie nicht. Warum er sich die Schuhe nicht zugebunden hatte? Weil er jemand war, der so lange wie nur irgendwie möglich im Bett liegen blieb und dadurch erst dann das Haus verließ, wenn es kurz vor “zu spät”-Uhr war. Da blieb keine Zeit mehr für Schuhe binden. Man wollte ja pünktlich kommen. Füße in die offenen Schuhe und los ging der Sprint. Ziemlich riskant, wenn ich so darüber nachdenke. Aber es ging ja alles gut. Nur sein Ruf war ruiniert. Zumindest bei unserer Lehrerin. Ich bewundere ihn noch heute für seine riskante Faulheit.

Habe ich euch eigentlich schon erzählt, dass der Onkel eines Mitschülers Michael Zorc war? Ja, DER Michael Zorc! Fußballer beim Spitzenverein Borussia Dortmund. Leider hat er es nie geschafft, zu den Geburtstagen meines Freundes zu erscheinen. Aber er lebte ja auch in Dortmund und war ein vielbeschäftigter Mann. Ein anderer Onkel des gleichen Freundes war übrigens Bundesligaschiedsrichter. Er durfte aber dann wegen der familiären Beziehung zu Michael Zorc kein Dortmund-Spiel pfeifen. Versteht sich ja von selbst. Einmal hatte mir der gleiche Mitschüler übrigens während eines Stadtaufenthaltes erzählt, wie er mal in einer Rolltreppe steckengeblieben war. Erst wurde der Schnürsenkel von einer Stufe mit sich in die Tiefe gezerrt, dann folgte der Schuh und letztendlich mein Mitschüler. Bis zum Hals. Ja, mein Mitschüler steckte bis zum Hals in der geschätzt zwei Millimeter dicken Spalte zwischen Boden und Treppe fest. Zum Glück ist ihm aber nichts passiert. Seine Oma, die ihn zu dieser Zeit begleitet hatte, hat ihn glücklicherweise am Kopf gepackt und rausgezogen, bevor er ganz in der Tiefe verschwunden war. Passiert ist ihm nichts. Die letzte Geschichte sollte dann auch verdeutlichen, wie sehr man den vorherigen Onkelgeschichten Glauben schenken sollte.

Habe ich euch eigentlich schon erzählt, dass am letzten Grundschultag alle Kinder in der Turnhalle zusammensaßen und man eine kleine Abschiedsfeier abhielt? Während dieser begannen ein paar meiner Mitschüler zu heulen. Ich stand daneben und konnte mit dieser Gefühlsregung nichts anfangen. Man verabschiedete sich voneinander? Warum? Man ging zwar getrennte Wege, aber das hieß doch nicht, dass man sich nie wieder sehen würde. Erst einige Zeit später erkannte ich, dass genau dies leider doch der Fall war. Ich hatte nur noch zu wenigen Menschen von damals Kontakt und neue Freundschaften geknüpft. Heutzutage denke ich gerne an meine Grundschulzeit zurück. Es gab einfach so viele kleine Geschichten, die mich noch heute zum Lachen bringen. Was für eine Zeit.

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